15 Jahre Be Smart Don t Start in Deutschland Barbara Isensee & Reiner Hanewinkel 9. Deutsche Konferenz für Tabakkontrolle Symposium Tabakprävention: Rauchfreie Kindheit und Jugend Heidelberg, 30. November 2011
Be Smart Don t Start Universelles schulbasiertes Programm zur Prävention des Rauchens bei Jugendlichen zwischen 11 und 14 Jahren Wettbewerb für rauchfreie Schulklassen Selbstverpflichtung zu Abstinenz über 6 Monate mittels Kontraktmanagement Preise zur Verstärkung des erwünschten Verhaltens Durchführung seit 15 Jahren Rund 10.000 teilnehmende Schulklassen in Deutschland pro Schuljahr
Überblick 1. Die Geschichte von Be Smart Don t Start 2. Konzept, empirischer und theoretischer Hintergrund 3. Die Verbreitung des Wettbewerbs 4. Evaluation 5. Von der Basis 6. Stärken und Grenzen 7. Fazit und Ausblick
(1) Die Geschichte von Be Smart Don t Start
Ein Blick zurück Grundidee und erste Erfahrungen aus Finnland seit 1989 Erste Evaluationsstudie in Health Promotion International 1996: Präsentation auf der 2. Europäischen Tobacco or Health Konferenz in Helsinki 1996 1996: Erster Antrag an die Europäische Kommission Kontinuierliche Förderung durch die EU zwischen 1997 und 2009.
(2) Konzept, empirischer und theoretischer Hintergrund
Ziele Verzögerung bzw. Verhinderung des Einstiegs in das Rauchen Das Thema Nichtrauchen in die Schule zu bringen und attraktiv für Schüler zu machen Reduktion bzw. Einstellen des Rauchens bei Schülern, die bereits mit dem Rauchen experimentieren Initiierung weiterer suchtpräventiver oder gesundheitsfördernder Maßnahmen in der Klasse
Empirischer Hintergrund Über 80% der Raucher haben vor dem Alter von 18 mit dem Rauchen begonnen. Das mittlere Einstiegsalter liegt zwischen 11 und 14 Jahren. Der frühe Einstieg in das Rauchen ist einer der wichtigsten Prädiktoren für späteres Rauchen: Je früher jemand beginnt, desto eher bleibt er dabei. Das Rauchen der Peers ist ein relevanter Risikofaktor für das Rauchen. Viele Jugendliche überschätzen die Häufigkeit des Rauchens unter Jugendlichen.
Theoretischer Hintergrund Lerntheorie: Positive Verstärkung erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Verhaltens. Soziale Lerntheorie / Modelllernen: Klassenkameraden sind als relevante Peers einflussreiche Modelle. Theorie des geplanten Verhaltens: Subjektive Normen sind eine Determinante der Verhaltensintention. Entwicklungspsychologie: Die für Jugendliche typische Gegenwartsorientierung sollte durch den Fokus auf kurzfristige Konsequenzen berücksichtigt werden.
Berücksichtigung bei Be Smart Zielgruppe im Hochrisikoalter für das Experimentieren mit Zigaretten Verzögerung des Einstiegs als Ziel Verstärkung des erwünschten Verhaltens (Rauchfreiheit) durch Gewinne Rauchfreie Klassenkameraden als Modell für eigenes Verhalten Fokussierung kurzfristiger statt langfristiger Konsequenzen wie in traditionellen Aufklärungsmaßnahmen Der Wettbewerb beinhaltet verschiedene Kriterien erfolgreicher Präventionsprogramme: Fokus auf Normen: Über die Betonung, dass die gesamte Klasse rauchfrei ist, werden soziale Normen korrigiert und Rauchfreiheit zur sozialen Norm in der Peer- Gruppe. Commitment zur Abstinenz wird dokumentiert und verstärkt über Kontraktmanagement. interaktive Vermittlungsform
Grundprinzipien und Regeln Die Teilnahme ist freiwillig, d. h. die Klassen entscheiden selbst, ob sie sich am Wettbewerb beteiligen wollen. Mindestens 90% der Schüler müssen sich für die Teilnahme aussprechen und verpflichten sich, sechs Monate nicht zu rauchen. Die Klassen erhalten ein umfangreiches Materialpaket. Die SchülerInnen unterschreiben einen Klassen- und einen individuellen Vertrag. Wöchentlich wird im Klassenverband thematisiert, ob geraucht wurde. Erfolgreiche Klassen können in einer Lotterie Preise gewinnen und erhalten ein Zertifikat für die Teilnahme. Kreative Klassen und Mehrfachteilnehmer werden gesondert ausgezeichnet. Die Teilnahme ist für die Klassen kostenlos.
Umsetzung
(3) Die Verbreitung von Be Smart Don t Start
Verbreitung in Deutschland 1997/1998: 462 Klassen aus 2 Bundesländern
Verbreitung in Deutschland 1997/1998: 462 Klassen aus 2 Bundesländern 2011/2012: 9.887 Klassen aus 16 Bundesländern
462 12425 12003 10994 9503 8402 5791 4354 2298 780 11350 1110310587 10550 9887 2007/08 2008/09 2009/10 2010/11 2011/12 Anzahl Schulklassen 2004/05 2005/06 2006/07 1998/99 1999/00 2000/01 2001/02 2002/03 2003/04 Schuljahr 1997/98
250.000 Anzahl Klassen der Sekundarstufe I in Deutschland 232.267 231.423 225.000 217.045 225.509 227.567 221.705 214.388 208.152 200.000 198.848 204.131 197.794 197.175 Quelle: Statistisches Bundesamt 175.000 1992 1995 2000 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010
Teilnehmer nach Bundesland 713 475 456 371 306 279 254 1.492 1.189 3.590 186 159 105 162 90 60 Saarland Bremen Thüringen Mecklenburg-V. Sachsen-A. NRW Bayern Baden-W. Niedersachsen Schleswig-H. Hamburg Hessen Brandenb. Berlin Sachsen Rheinland-Pf.
32% 52% 32% 51% 31% 32% 51% 53% 11/12 09/10 10/11 08/09 Wiederholte Teilnahme 11% 17% 18% 27% 21% 33% 26% 37% 29% 40% 32% 49% Klassen Lehrkräfte 02/03 03/04 04/05 05/06 06/07 07/08 Schuljahr
Die europäische Dimension Schuljahr 1989/90: Finnland begann mit dem Wettbewerb Schuljahr 1997/98: 7 Länder beteiligten sich Schuljahr 2005/06: 22 Länder beteiligten sich In einigen Schuljahren: > 700.000 SchülerInnen aus > 30.000 Klassen
(4) Evaluation
Bisher wurden 25 Artikel in Zeitschriften mit Peer- Review veröffentlicht. Themen umfassen Prozessevaluation Ergebnisevaluation Kosten-Nutzen-Analysen Disseminationsanalysen Untersuchung möglicher iatrogener Effekte
Metaanalyse (randomisiert) kontrollierter Studien mit Peer-Review Selbstauskünfte zum aktuellen Rauchen von 16.302 Jugendlichen Katamnese zwischen 6 und 24 Monaten Studie RR (95% KI) Gewicht (%) Finnland: Vartiainen et al., 1996 0.83 (0.67, 1.03) 12.60 Deutschl.: Wiborg/Hanewinkel, 2002 0.78 (0.68, 0.89) 23.71 Niederlande: Crone et al., 2003 0.86 (0.69, 1.06) 13.01 Deutschland: Schulze et al., 2006 0.97 (0.86, 1.09) 28.90 Deutschland: Isensee et al., 2010 0.84 (0.73, 0.98) 21.78 Gesamt (I-squared=31.2%, p=0.213) 0.86 (0.79, 0.94) 100.00 Random Effects Modell.669 1 pro Nichtraucherwettbewerb pro Kontrolle European Addiction Research, in press
100 Schüler ohne Wettbewerbsteilnahme Gutes Outcome Schlechtes Outcome Visual Rx, www.nntonline.net
100 Schüler mit Wettbewerbsteilnahme Gutes Outcome Schlechtes Outcome Besser durch Intervention Besser in Kontrolle Visual Rx, www.nntonline.net
Mögliche iatrogene Effekte: Provoziert Be Smart Bullying? Negative Nebenwirkungen wurden in einer randomisierten Kontrollgruppenstudie mit 3.490 SchülerInnen untersucht: - Wie ist der Zusammenhang zwischen Rauchstatus und dem Ausmaß an Bullying? - Erhöht eine (erfolgreiche/erfolglose) Beteiligung am Wettbewerb das Ausmaß an Bullying in der Klasse? J Epidemiol Community Health 2010;64:202-8
Chancenverhältnis 4 Rauchstatus und Mobbing 3,5 3 3,28 N=3.440 2,5 2 1,5 1 1,09 0,87 Nichtraucher 0,5 Opfer Täter Isolierung J Epidemiol Community Health 2010;64:202-8
Chancenverhältnis 1 1,02 0,98 Kontrollgruppe 0,77 0,5 eingeladen, aber nicht teilgenommen erfolgreich teilgenommen nicht erfolgreich teilgenommen Isolierung und Teilnahme am Wettbewerb "Be Smart" J Epidemiol Community Health 2010;64:202-8
(5) Von der Basis
Kreative Beiträge Beispiel: Klasse 6 der Kleeblattschule (Förderschule) aus Seelow (Brandenburg)
Weitere Beispiele kreativer Beiträge
Gewinner
(6) Stärken und Grenzen
Stärken Einfach im Schulalltag umsetzbar Wenig zeitaufwändig in der Durchführung Geeignet für alle Schularten und fächer Offen für / kompatibel mit weiteren Maßnahmen Erwünschtes Verhalten wird positiv verstärkt Rauchfreiheit wird als Norm etabliert Hohe Teilnahmezahlen spiegeln die Attraktivität des Konzeptes wieder Intensiv wissenschaftlich untersucht
Grenzen (Un)realistische Erwartungen an die Wirksamkeit von Be Smart und schulbasierte Präventionsprogrammen im Allgemeinen Nicht vergessen werden sollte: Es handelt sich um eine niederschwellige Maßnahme in einem Setting.
(7) Fazit und Ausblick
Verbreitung und Reichweite Be Smart Don t Start wird im Schuljahr 2011/2012 zum 15. Mal in Deutschland angeboten. Seit dem Schuljahr 2006/2007 beteiligen sich alle Bundesländer an dem Wettbewerb. Seit dem Schuljahr 2004/2005 nehmen jedes Jahr rund 10.000 Schulklassen mit mehr als 250.000 Schülerinnen und Schülen teil. Die Teilnehmerzahlen sind in den letzten Jahren bei sinkenden Schüler- und Klassenzahlen nahezu konstant geblieben. Seit dem Start im Schuljahr 1997/1998 haben insgesamt 120.489 Klassen mit über 3 Millionen Schülerinnen und Schülern am Programm teilgenommen.
Evaluation Das Präventionsprogramm ist umfänglich wissenschaftlich untersucht. Die Studien weisen darauf hin, dass der Wettbewerb auf eine hohe Akzeptanz bei Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern stößt; wirksam ist und Einstieg und Progression des Rauchens verzögern kann; keine negativen Nebenwirkungen wie das Auftreten von Mobbing provoziert.
Kosten-Nutzen-Verhältnis Selbst bei sehr konservativen Annahmen ergibt sich ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis von 1 zu 3,6. Mit jedem in den Wettbewerb investierten Euro können 3,60 Euro an späteren, durch das Rauchen verursachten Kosten gespart werden.
Herausforderungen und Perspektiven Aufrechterhalten der Attraktivität eines etablierten Programms Umgang mit veränderten Rahmenbedingungen (z. B. gesetzliche Regelungen, Prävalenzen) Ausrichtung als universelles Programm versus adaptiert für Unterzielgruppen (z. B. nach Schultyp) Vernetzung mit anderen Angeboten Analyse der Wirkmechanismen
Bundesweite Förderer 2011/2012 AOK-Bundesverband
Be Smart - Don t Start wird weder direkt noch indirekt aus Mitteln der Tabakindustrie gefördert.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit IFT-NORD Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung gemeinnützige GmbH Harmsstraße 2-24114 Kiel Telefon: 0431-570 29 30 Telefax: 0431-570 29 29 E-Mail: isensee@ift-nord.de