Patient Blood Management vom Blutprodukt zur individuellen Therapie

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Transkript:

Aktuelles Wissen für Anästhesisten Refresher Course Nr. 39 Patient Blood Management vom Blutprodukt zur individuellen Therapie E. Schlegel J. Biscoping Zusammenfassung Die Transfusion von Blut ist zu einem unverzichtbaren Element der operativen Medizin geworden. Im zurückliegenden Jahrhundert standen vor allem die Qualität der Produkte und die Sicherheit bei ihrer Anwendung im Vordergrund der Entwicklung. Eine neue Dimension in der Diskussion ist dadurch entstanden, dass sich Hinweise dazu mehren, dass die Eythrozytentransfusion bei ernsthaft erkrankten Patienten als eigenständiger Risikofaktor mit erhöhter Morbidität und Mortalität gesehen werden muss. Zunehmend stellt sich die Frage was gefährlicher ist, die Anämie oder die Transfusion. Die Herausforderung besteht darin eine Reduktion der Bluttransfusionen zu erreichen, ohne die Patienten durch eine übermäßige permissive Anämie zu gefährden. Geeignete Maßnahmen werden in einem patientenorientierten, fachübergreifenden Blut-Management zusammengefasst. Die Entwicklung eines solchen Konzeptes beginnt mit der Evaluierung des eigenen Patientenguts. Dabei werden teilweise überraschende Erkenntnisse gewonnen, scheinbare Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt und am Ende ein Behandlungspfad entwickelt, um die genannten Ziele erreichen zu können. Vom Blutprodukt Es ist eine Urerfahrung der Menschheit, dass der Verlust von Blut zu Schwächung oder gar zum Tod führen kann. So hat Blut in der menschlichen Vorstellungswelt schon immer einen besonderen Platz eingenommen, wie es sich leicht anhand alter Mythen oder auch religiöser Riten belegen lässt. Erinnert sei an Odysseus, dem es gelingt die Seelen seiner gefallenen Gefährten mit einem Bluttrank wiederzubeleben. Noch heute appellieren Werbeslogans der Blutspendedienste wie z.b. Blut tut gut oder Blut rettet Leben an solche tief im allgemeinen (Unter-)Bewusstsein verwurzelten Vorstellungen. Bis zum rationalen und indizierten Einsatz von Blut als lebensrettendes Produkt war es noch ein weiter Weg. Auf erste reale Heilversuche verweist im Übrigen die Herkunft des Wortes Blutbad. Tatsächlich wurde im alten Ägypten versucht das Leben lepröser Pharaonen mit einem Bad im Blut bedauernswerter Opfer zu retten. Die Beschreibung des Blutkreislaufes durch Harvey führte zu ersten Versuchen der Blutübertragung über die Venen. Versuche mit Tierblut zeigten jedoch keinen anhaltenden Erfolg und die ersten beobachteten Transfusionsreaktionen wurden, wegen des häufig verwendeten Lammblutes, als Schafsmelancholie fehlgedeutet. Nach einer etwa hundertjährigen Denkpause war es der Phy - siologe und Geburtshelfer (sic!) James Blundell (1790-1877), welcher die Idee der Bluttransfusion konsequent wieder aufnahm und 1825 erstmals zur Behandlung postpartal aus - gebluteter Frauen erfolgreich einsetzte. Neben der Erstbeschreibung der Blutgruppen-Antigene durch Kurt Landsteiner, der Entwicklung von Techniken zur Blutübertragung und zur Konservierung von Blut, waren es vor allem die Schrecknisse zweier Weltkriege, welche die Entwicklung hin zur modernen Transfusionsmedizin beschleunigten. Heute ist die Möglichkeit zur Transfusion von Erythrozytenkonzentraten unbestreitbar ein wesentlicher Baustein für den medizinischen Fortschritt. Vordergründig gilt dies vor allem für die operative Medizin, doch gleichermaßen profitieren auch alle anderen medizinischen Behandlungen, bei denen die Gabe von Blutprodukten und insbesondere von Erythrozytenkonzentraten Bestandteil der Therapie wurde. Zum Ende des 20. Jahrhunderts stand neben der Verträglichkeit beim Empfänger unter immunologischen Gesichtspunkten vor allem die Sicherheit von Blutprodukten in Bezug auf die Übertragung pathogener, bekannter Viren im Fokus der weiteren Entwicklung. Während die Produkte aus diesem Blickwinkel nach dem bestmöglichen Stand der Wissenschaft und Technik hergestellt und zum Anwender gebracht werden, sind nach wie vor anwendungsimmanente Risiken vorhanden, bis hin zu immer wie - derkehrenden tödlichen Zwischenfällen, wie nationenweite Erhebungen in Großbritannien belegen [1], die in ihrer Ausprägung zweifellos auch auf unser Land übertragbar sind. Eine neue Dimension in der Diskussion um Sicherheit von Bluttransfusionen ist dadurch entstanden, dass sich Hinweise dazu mehren, dass die Erythrozytentransfusion bei ernsthaft erkrankten Patienten (kardiopulmonal, metabolisch, immunologisch) als eigenständiger Risikofaktor mit erhöhter Morbidität und Mortalität gesehen werden muss [2]. So stellt sich trotz des prinzipiell lebensrettenden Effektes einer Bluttransfusion zunehmend die Frage: Was ist gefährlicher, die Anämie oder die Bluttransfusion? [3] Blutkonserven dienen, anders als trivial vermutet wird, nicht nur der Akutversorgung von Unfallopfern und anderen Notfällen. Ein beträchtlicher Anteil bereitgestellter Blutkonserven entfällt 15

Refresher Course Nr. 39 Aktuelles Wissen für Anästhesisten auf die Behandlung von Personen die sich einem geplanten Eingriff unterziehen. Im jährlichen Bericht des Paul-Ehrlich Instituts nach 21 des Transfusionsgesetzes wird für das Jahr 2010 der Verbrauch an aus Fremdblut hergestellten Erythrozytenkonzentraten mit 4,5 Millionen angegeben. Unter dem Eindruck dieser Zahl werden, bei bekanntermaßen steigendem Bedarf und angesichts der demographischen Entwicklung unserer Bevölkerung, Versorgungsengpässe immer wahrscheinlicher. Gerade die wachsende Gruppe älterer Patienten unterzieht sich operativen Eingriffen, bei denen besonders häufig eine Transfusion notwendig wird. Dies liegt auch daran, dass diese Patientengruppe häufiger mit einer präoperativ bereits bestehenden Anämie belastet ist. Bekannte und noch nicht bekannte Transfusionsrisiken, die Schonung der Ressource Blut und die eskalierenden Gesundheitskosten sind die wesentliche Gründe ein System zu entwickeln, welches das Ziel hat bei angemessenem Einsatz von Blut und Blutkomponenten deren Gebrauch zu minimieren. Eine Reduktion der Bluttransfusionen zu erreichen, ohne die Patienten durch eine übermäßige permissive Anämie zu ge fährden ist das Ziel eines patientenorientierten Blut- Managements. zur individuellen Therapie. Zum Thema Patient Blood Management hat es in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Veröffentlichungen gegeben. Hier sei vor allem auf die Übersicht von H. Gombotz et al. in AINS hingewiesen [4]. Ein patientenorientiertes Konzept zum Blutmanagement setzt die vorausschauende Planung von vielerlei Maßnahmen voraus, welche geeignet sind die Hämoglobinkonzentration zu erhalten, die Gerinnung zu verbessern, den Blutverlust zu minimieren und Bluttransfusionen und somit mögliche transfusionsassoziierte, unerwünschte Effekte zu vermeiden. Ein Konzept wie das Patient Blood Management kann nur dann effektiv sein, wenn es vorausschauend planbar, patientenorientiert, multidisziplinär und multimodal angelegt wird. Es gründet auf drei Säulen, wobei die Situation eines Patienten in jeder Phase einer medizinischen Behandlung unter dem Blickwinkel dieser drei Säulen analysiert werden kann: Optimierung des Erythrozytenvolumens Minimierung von Blutung und Blutverlust Erhöhung und Ausschöpfung der Anämietoleranz Optimierung des Erythrozytenvolumens Ausgehend vom individuellen präoperativen Status wird zunächst ermittelt, ob eine Einschränkung des Erythrozytenvolumens vorliegt und wie diese angemessen behandelt werden kann. Anämie Anämie ist definiert als eine Verminderung der Erythrozytenzahl oder der Hämoglobinkonzentration in Verbindung mit einer beeinträchtigten Sauerstofftransportkapazität. Allgemein wird ein unzureichendes Erythrozytenvolumen angenommen, wenn die Kriterien der WHO für eine Anämie, bei Frauen ein Hämoglobinwert unter 12,0 g/dl und bei Männern unter 13,0 g/dl, erfüllt sind. Diese gelten für Personen älter als 14 Jahre und auf Höhe des Meeresspiegels [5]. An dieser Stelle muss daran erinnert werden, dass die genannten WHO Grenzwerte aus dem Jahr 1968 stammen und unter dem Gesichtspunkt ernährungsbedingter Anämien entwickelt wurden. Die Frage, ob ein Patient vor einer geplanten Operation als anämisch zu betrachten ist, hat die Autoren damals nicht beschäftigt. Hilfreicher ist es daher aus dem patientenspezifischen Blutvolumen und dem gemessen Hämatokrit das Erythrozytenvolumen zu berechnen und als Grundlage für die Bewertung des Ist-Zustandes und das weitere Vorgehen zu verwenden [6]. Das patientenspezifische Blutvolumen (BV) kann aus der Körpergröße (m) und dem Körpergewicht (kg) nach folgenden geschlechtsspezifischen Formeln errechnet werden [7]: Frauen: BV f [ml] = (0,3561 x KGr [m 3 ] + 0,03308x KGw [kg] + 0,1833) x 1000 Männer: BV m [ml] = (0,3669 x KGr [m 3 ] + 0,03219 x KGw [kg] + 0,6041) x 1000 Das zirkuliernde Erythrozytenvolumen (zev) wird nach folgender Formel aus Blutvolumen (BV und Hämatokrit errechnet [8]: zev [ml] = BV [ml] x Hkt [l/l] x 0,91 Optimal ist es diese Analyse hinsichtlich einer Optimierung des Erythrozytenvolumens in der operativen Medizin bereits bei der Indikationsstellung des vorgesehenen operativen Eingriffes durchzuführen, damit die Planung des operativen Eingriffs auf den Zeitbedarf für die notwendigen Maßnahmen abgestimmt werden kann. Im Alltag wird erst am Tag der stationären Aufnahme der Hämoglobinstatus bestimmt, so dass in der bisherigen Praxis selten Zeit zur Optimierung zur Verfügung steht. Ursachen einer Anämie Auch wenn im Allgemeinen der Eisenmangel als die häufigste und leicht zu behandelnde Ursache einer Anämie angesehen wird, wäre es im Rahmen der präoperativen Vorbereitung zum endoprothetischen Hüft- und Kniegelenksersatz sicher zu kurz gegriffen, sich allein darauf zu konzentrieren. Daher ist es zunächst Aufgabe die Ursachen einer Anämie präoperativ genauer zu ermitteln, handelt es sich tatsächlich um eine Eisenmangelanämie oder etwa um eine Anämie bei einer chronischen Erkrankung (ACD = Anemia of chronic disease) wie z.b. einer rheumatoiden Arthritis oder einer Niereninsuffizienz. 16

Aktuelles Wissen für Anästhesisten Refresher Course Nr. 39 In einer Untersuchung an 8.744 Personen in der Bevölkerung der Stadt Biella/Italien, die älter als 65 Jahre waren, fanden die Autoren eine Anämie mit einer Prävalenz von 11,8% [9]. Die Ursachen der Anämie bei diesem Kollektiv waren folgende: Thalassämie 14,4% Vitamin B12 oder Folsäuremangel 10,1% Eisenmangel 16,0% Anämie bei chron. Erkrankung (ACD) 17,4% Niereninsuffizienz 15,0% ohne erkennbare Ursache 26,4% Inwieweit auch ein eingeschränkter Eisenhaushalt bei Patienten mit Hämoglobinwerten, die noch nicht die Kriterien einer Anämie erfüllen, Einfluss auf den perioperativen Blutbedarf hat, muss überprüft werden. Von zunehmender Bedeutung ist die Beachtung von Medikamenteninteraktionen, welche ihrerseits eine Anämie verursachen können (z.b. ACE-Hemmer, NSAR). Nach Abklärung der zugrundeliegenden Ursachen eines zu geringen präoperativen Erythrozytenvolumens können folgenden Maßnahmen zur Optimierung erwogen werden: Behandlung von Mangelzuständen (z.b. Eisenmangel, Fol - säuremangel) präoperative Eigenblutspende als Erythropoesestimulus intravenöse Eisensubstitution (500-1000 mg als Kurz infusion) Stimulation der Erythropoese, wenn Mangelzustände behoben sind (z.b. Erythropoetin) weitere Abklärung zugrundeliegender Erkrankungen Auch noch postoperativ können die Gabe von Eisen und Folsäure ebenso, wie die Anwendung erythropoesestimulierender Substanzen, hilfreich sein. Minimierung von Blutung und Blutverlust Wenn die Blutvolumen-Situation des Patienten vor dem Ein - griff überprüft und gegebenenfalls verbessert ist, sollte alles getan werden dieses optimierte Blutvolumen möglichst zu erhalten. Hierzu gehört die Identifizierung von Blutungsrisiken, z.b. durch eine Gerinnungsanamnese, und die Überprüfung der medikamentösen Dauertherapie unter besonderer Berücksichtigung gerinnungswirksamer Substanzen vor dem Eingriff. Der Blutverlust diagnostischer oder interventioneller Verfahren (z.b. Laboruntersuchungen, Koronarangiographie), welche prä - operativ durchzuführen sind sollte so klein wie möglich gehalten werden. Der mögliche intra- und postoperative Blutverlust sollte bereits bei der Planung und Durchführung operativer Eingriffe berücksichtigt werden. Die Möglichkeiten zur Minimierung der Blutverluste reichen von der sorgfältigen chirurgischen Blutstillung über klassische fremdblutsparende Verfahren bis hin zum Einsatz gerinnungsunterstützender Medikamente (Tab. 1). Tabelle 1 Maßnahmen zur Minimierung von operativer Blutung und Blutverlust. Chirurgische Blutstillung Chirurgische Technik (minimalinvasiv) Fremdblutsparende Maßnahmen (ANH, MAT, ggfs. kontrollierte Hypotension) Hämostase und Gerinnungsmanagement Einsatz von Hämostyptika (z.b. Tranexamsäure) Erhaltung / Wiederherstellung von Normothermie Erhaltung / Wiederherstellung der Homöostase (Säure-Basen- Haushalt) Erhöhung und Ausschöpfung der Anämietoleranz Hiermit sind die Maßnahmen gemeint, welche geeignet sind die physiologische Bandbreite der möglichen Kompensation einer perioperativen Anämie auszunutzen, bevor auf eine allogene Bluttransfusion zurückgegriffen wird. Funktionell liegt eine Anämie vor wenn nicht genügend Erythro zyten vorhanden sind, um eine ausreichende Gewebeoxygenierung ohne Inanspruchnahme von Kompensationsmechanismen aufrechtzuerhalten. Hinsichtlich dieser funktionellen Anämie ist der zu erwartende Blutverlust in Beziehung zu setzen mit dem individuell vom Patienten zu tolerierenden Blutverlust. Neben klinischen Kriterien sind dabei im Zweifel objektive Befunde wie z.b. die zentralvenöse Sauerstoffsättigung, die Laktatentwicklung und neu auftretende Herzrhythmusstörungen/ST-Streckensenkungen wichtig. Wichtig ist auch die Beurteilung der individuellen pulmonalen und kardialen Kompensationsfähigkeit und die Bewertung, ob diese Kompensationsfähigkeit z.b. durch Anpassung der medikamentösen Therapie verbessert werden kann. Besonders intraoperativ ist auf ein optimiertes Herzzeitvolumen sowie eine optimale Ventilation und Oxygenierung zu achten. Ein einheitliches evidenzbasiertes Transfusionsregime sorgt intra- und postoperativ für therapeutische Klarheit nach allen Seiten und eine patientenspezifisch angemessene Hämotherapie [10]. Hierbei ist nicht nur der Hämoglobinwert alleine, sondern vor allem das klinische Bild unter Berücksichtigung des aktuellen Sauerstoffangebotes und des individuellen Sauerstoffverbrauchs bedeutsam. Ein angepasstes Sauerstoffangebot und, soweit möglich, eine Reduktion des Sauerstoffverbrauchs durch Vermeidung von z.b. Tachykardie, Hypertonie, Hypothermie und eine angepasste perioperative Analgesie sind Einflussmöglichkeiten des Anästhesisten. Da auch klinische Begleitumstände entscheidenden Einfluss haben können, ist es neben anderem wichtig Infektionen zu vermeiden und falls sie doch auftreten rasch und zielgerichtet zu behandeln. 17

Refresher Course Nr. 39 Aktuelles Wissen für Anästhesisten im Krankenhaus Die Aufgabe besteht nun darin aus dieser Ideensammlung und den spezifischen Gegebenheiten der jeweiligen Einrichtung der Krankenversorgung einen individuellen patienten- und eingriffsbezogenen Behandlungspfad zu generieren. Dies kann z.b. in Form eines Algorithmus oder einer umfassenden, dann leider mehrseitigen, Arbeitsanweisung erfolgen. Zunächst sind aber mit einer Bestandsaufnahme Grundlagen zu schaffen, um eine enge Kooperation der beteiligten Fachdisziplinen einerseits und die Einbindung der Hausärzte und zuweisenden Fachkollegen andererseits im Vorfeld der planbaren Operationen zu ermöglichen. In einer ersten Näherung haben wir mit den Kollegen unserer Orthopädischen Klinik folgendes Konzept vereinbart: bei allen Patienten, die von der orthopädischen Fachambulanz für einen elektiven Gelenkersatz von Hüfte oder Knie vorgesehen werden, wird bei Festlegung des Operationstermins dort Blut zur Hämoglobin- und Ferritinbestimmung entnommen. Gleichzeitig werden uns diese Patienten im Bereich Autologe Hämotherapie gemeldet, die Laborergebnisse gelangen eben - so in diesen Bereich. Dort wird dann anhand der Labor- und Patientendaten darüber entschieden, ob Maßnahmen zum individuellen Patient Blood Mangement eingeleitet werden (intravenöse Eisentherapie oder präoperative Eigenblutspende). Schritte vor der Optimierung des Erythrozytenvolumens Der erste Schritt eines Behandlungsplanes zum patientenorientierten Blutmanagement sieht die Aufdeckung, Überprüfung und Behandlung einer bereits bestehenden Anämie vor. Mit dem Ziel Klarheit darüber zu verschaffen, mit welcher Anzahl an präoperativ anämischen Patienten wir rechnen müssen, haben wir prospektiv die präoperativen Hämoglobinwerte von 681 Patienten erfasst, welche geplant in unserer Klinik für Orthopädie zum operativen totalen Gelenkersatz an Hüfte oder Knie aufgenommen wurden, ohne zuvor Eigenblut gespendet zu haben. 342 der Patienten haben sich einem endprothetischen Ersatz des Hüft- und 339 Patienten einem endprothetischen Ersatz des Kniegelenks unterzogen. Die Geschlechterverteilung von etwa 60% Frauen und 40% Männer entsprach der in diesem Patientengut üblichen Verteilung. Der durchschnittliche präoperative Hämoglobinwert aller Patienten betrug 13,9 g/dl, wobei die Patientinnen einem mittleren Wert von 13,5 g/dl aufwiesen. Die männlichen Patienten hatten im Mittel einen um 1 g/dl höheren Wert (Tab. 2). Das mittlere Alter lag im Gesamtkollektiv bei 72 Jahren, wobei die Patientinnen im Mittel 73 Jahre alt waren und somit durchschnittlich drei Jahre älter als die männlichen Patienten. Von allen Patienten hatten 61 die Kriterien einer Anämie nach WHO für Frauen ein Hämoglobinwert kleiner als 12,0 g/dl und für Männer kleiner als 13,0 g/dl erfüllt. Daraus ergab Tabelle 2 Präoperative Hämoglobinwerte bei Patienten zu endoprothetischem Gelenkersatz am Tag der stationären Aufnahme und die zugehörige Anzahl transfundierter Patienten. Gesamt Frauen Männer Anzahl 681 425 (62,3%) 256 (37,6%) Alter (Jahre/MW) 71,7 73,0 69,9 Hüft-TEP (n) 342 199 143 Knie-TEP (n) 340 226 114 Präoperative Hämoglobin-Werte (g/dl) Mittelwert 13,9 13,5 14,5 Minimum 10,4 10,4 11,1 Maximum 17,9 17,3 17,9 Transfundierte Patienten Anzahl 220 (32%) 175 (41%) 45 (17%) sich eine Prävalenz von 8,9%, wobei es keinen Unterschied zwischen Frauen und Männern gab. Bei Berücksichtigung ausschließlich der über 60 jährigen Patienten unseres Kollektivs zeigte sich für die Prävalenz der Anämie ein nur unwesentlich höherer Wert. Die Weltgesundeitsorganistaion (WHO) gibt auf Grundlage einer Datenerhebung aus den Jahren 1993 bis 2005 die Prävalenz der Anämie in der Weltbevölkerung bei über 60jährigen mit 23,9% an. Für Länder mit einem hohen Wohlstandsindex (Human Development Index >0.800) wird die Prävalenz der Anämie mit 12,2% angegeben. D. Spahn hat in einer Literaturübersicht zur Anämie und Transfusionshäufigkeit im Rahmen operativer Eingriffen an Knie- und Hüfte aus den zugrundeliegenden Veröffentlichungen eine mittlere Prävalenz von 24% ermittelt, wobei er zum einen einschränkend mitgeteilt hat, dass die in diesen Arbeiten zugrunde gelegten Definitionen für das Vorliegen einer Anämie nicht in allen Fällen der Definition der WHO entsprachen, es sich zum anderen auch um Patienten mit traumatischen Femurfrakturen gehandelt hat (präoperative Blutungsanämie). Die Transfusionshäufigkeit lag in den betrachteten Veröffentlichungen im Mittel bei 45% mit einer erheblichen Streuung zwischen 20% und 80 % [11]. Insgesamt wurden 220 der von uns prospektiv erfassten Patienten transfundiert, was für das gesamte Kollektiv die beschriebene Transfusionshäufigkeit von 32% ergibt. Dieser Wert liegt nahe an dem von D. Spahn angegeben Mittelwert. Erwartungsgemäß hatten die Patienten mit präoperativer Anämie eine weitaus höhere Transfusionswahrscheinlichkeit als die Gesamtgruppe. Bei 76% der Patientinnen und 52% der 18

Aktuelles Wissen für Anästhesisten Refresher Course Nr. 39 Männer mit präoperativer Anämie nach WHO-Kriterien wurde im Behandlungsverlauf eine Transfusion notwendig. Die geschlechtsbezogene Transfusionshäufigkeit zeigte ein deutliches Ungleichgewicht zu Lasten der 425 weiblichen Patienten. Von diesen wurden 175, entsprechend einer Häufigkeit von 41% transfundiert, wohingegen nur 17,5% der Männer eine Fremdbluttransfusion erhielten. Dieser Unterschied lässt sich durch das im Mittel um 337 ml geringere Erythrozytenvolumen der Patientinnen (Mittelwerte: Frauen 996 ml, Männer 1333 ml) erklären. Das Tourniquet zur Minimierung von Blutung und Blutverlust? Neben dem präoperativen Hämoglobinwert hatten wir auch die Werte bei Eintreffen der Patienten auf der Überwachungsstation sowie am ersten und zweiten postoperativen Tag erfasst, unabhängig davon ob ein Hüft- oder ein Kniegelenk implantiert werden sollte. Zur besseren Darstellung des OP-Gebietes durch Vermeidung einer Blutung und somit auch zur Verringerung des intraoperativen Blutverlustes kommt beim Kniegelenksersatz regelhaft ein Oberschenkeltourniquet zu Einsatz. Tatsächlich wiesen die Patienten mit Knie-TEP unmittelbar postoperativ im Mittel um 0,5 bis 0,8 g/dl höhere Hämoglobinwerte als die Patienten mit Hüft-TEP auf. Dieser sicher durch das intraoperative Tourniquet bedingte Unterschied war aber am ersten postoperativen Tag aufgehoben (Abb. 1). Bei der Auswertung der Transfusionshäufigkeit in Abhängigkeit von der durchgeführten Operation, zeigte sich demzufolge dann auch kein Unterschied zwischen Operationen an Hüfte oder Knie. Dies ist auch ein Hinweis darauf scheinbar gut eingeführte Maßnahmen, wie ein intraoperatives Tourniquet, zu hinterfragen [12]. Abbildung 1 15,00 14,00 13,00 12,00 11,00 10,00 9,00 8,00 Hüft-TEP Männer Knie-TEP Männer Hüft-TEP Frauen Knie-TEP Frauen präop OP-Ende 1. Tag postop 2. Tag postop Perioperativer Hämoglobinverlauf nicht transfundierter Patienten bei endoprothetischem Gelenkersatz. Erhöhung und Ausschöpfung der Anämietoleranz Die Indikation zur Erythrozytentransfusion stellten wir auf Grundlage der Empfehlungen in den Querschnitts-Leitlinen zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten der Bundesärztekammer [13]. In einer aktuellen Arbeit hat Carson bei 2.000 Hochrisiko- Patienten nach Hüftchirurgie belegt, dass von einem restriktiven Transfusionsregime (1. Einschlusskriterium Hämoglobin <10,0 g/dl bei stationärer Aufnahme, 2. Transfusion nur bei symptomatischer Anämie oder Hämoglobin <8,0 g/dl) keine zusätzliche Gefahr ausgehen muss [14]. In unserer Untersuchung war es für uns überraschend festzustellen, dass der Hämoglobinwert zum zweiten postoperativen Tag regelhaft nochmals leicht abfallen kann (Abb. 1). Zu diesem Zeitpunkt befindet sich der Patient aber zumeist wieder auf einer peripheren Station des operativen Fachgebietes. Der Stationsarzt des operativen Fachgebietes ist unter Umständen viel nachdrücklicher mit der Frage befasst Transfusion ja oder nein. Eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit darf daher nicht mit der Entlassung aus der unmittelbar postoperativen Überwachung enden. Schlussbemerkungen In der bereits genannten Übersichtsarbeit von H. Gombotz findet sich die Aussage: Eine unbehandelte Anämie ist eine Kontraindikation für einen elektiven Eingriff [4]. Sicher haben wir nicht leichtfertig eine Kontraindikation für einen elektiven Eingriff unbeachtet gelassen. Ein erniedrigter Hämoglobinwert welcher erst unmittelbar vor der Operation bekannt wird, erfordert eigentlich den Aufschub des Eingriffs. Dies ist aber den Patienten und den Operateuren oft nur schwer zu vermitteln. Dieses Problem kann nur interdisziplinär gelöst werden, indem frühzeitig vor einem elektiven Eingriff, d.h. bei der ersten Vorstellung des Patienten in der Fachambulanz, noch vor der Vergabe des OP-Termins, ein Blutbild angefertigt wird. Ein entsprechendes Vorgehen haben wir im Anschluss an die dargestellte Untersuchung unserer Patienten mit der Fachambulanz unserer Klinik für Orthopädie zwischenzeitlich vereinbart. Auf Grundlage der uns in diesem Konzept übermittelten Werte legen wir dann das weitere Vorgehen fest. Die Elemente unserer präoperativen Hämotherapie sind die Eigenblutspende klassischer Prägung und die intravenöse Eisengabe (500-1000 mg einmalig als Kurzinfusion, bis zu drei Tagen präoperativ). Sollten sich Hinweise für Ursachen einer Anämie finden, welche eine Abklärung notwendig machen, wird diese von uns veranlasst. Die zeitliche Planung des Eingriffes wird dann in Absprache mit den operativen Kollegen entsprechend angepasst. Zur Verwaltung der damit verbundenen Abläufe haben wir für unseren Bereich eine eigene Datenbank erarbeitet. Ideal wäre 19

Refresher Course Nr. 39 Aktuelles Wissen für Anästhesisten es aber wenn in etablierten Krankenhaus-Informationssystemen die ohnehin vorhandenen Daten (Patienten- und Eingriffsbezogene Blutprodukte) auf einfache Weise so zusammengeführt werden könnten, dass daraus leicht Folgerungen für ein individuelles Patient Blood Management möglich sind. Ausgangspunkt unserer prospektiven Datensammlung bei einem orthopädischen Patienten-Kollektiv war die an erster Stelle eines patientenorientierten Blutmanagements stehende Erfassung präoperativ bestehender Anämien. Die WHO-Definition allein ist nach unseren Erkenntnissen nicht ausreichend für die Einschätzung der individuellen Transfusionswahrscheinlichkeit. Die Berechnung des individuellen Erythrozytenvolumens erscheint hierfür geeigneter. Unsere ersten Schritte auf den Feldern des Patient Blood Management haben uns gelehrt, auf dem Weg zur Minimie - rung des Fremdblutbedarfs, ohne Gefährdung der Patienten, keinen noch so selbstverständlich erscheinenden Aspekt, wie z.b. den vermuteten Blutverlust mindernden Effekt des Extremitäten-Tourniquets bei der Knie-Endoprothetik, unbeachtet zu lassen. 12. Tai, T.-W., et al., Tourniquet use in total knee arthroplasty: a meta-analysis. Knee Surgery, Sports Traumatology, Arthroscopy, 2011. 19(7): p. 1121-1130. 13. Querschnitts-Leitlinien zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten. 4. Auflage. 2008, Deutscher Ärzte-Verlag, Köln: Bundesärztekammer. 14. Carson, J.L., et al., Liberal or Restrictive Transfusion in High-Risk Patients after Hip Surgery. New England Journal of Medicine, 2011. 365(26): p. 2453-2462. Literatur 1. Bolton-Maggs PBH, C.H. on behalf of the Serious Hazards of Transfusion (SHOT) Steering Group. The Annual 2011 SHOT Report 2012. 2. Glance, L.G., et al., Association between Intraoperative Blood Transfusion and Mortality and Morbidity in Patients Undergoing Noncardiac Surgery. Anesthesiology, 2011. 114(2): p. 283-292. 3. Shander, A., et al., What is really dangerous: anaemia or transfusion? Br J Anaesth, 2011. 107(suppl 1): p. i41-i59. 4. Gombotz, H., et al., Patient Blood Management (Teil 1) - Individuelles Behandlungskonzept zur Reduktion und Vermeidung von Anämie, Blutverlust und -transfusionen. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther, 2011. 46(06): p. 396-401. 5. Blanc B, F.C., Hallberg L, et al., Nutritional anaemias. Report of a WHO Scientific Group. WHO Tech Rep Ser, 1968. 405: p. 1-40 6. Cosgrove, D.M., et al., Determinants of Blood Utilization during Myocardial Revascularization. Ann Thorac Surg, 1985. 40(4): p. 380-384. 7. Nadler SB, H.J., Bloch T, The Tulane table of blood volume in normal men. Surgery (St. Louis), 1962. 51: p. 224-232. 8. Mercuriali F, Intaglietta M. Proposal of an algorithm to help the choice of the best transfusion strategy. Curr Med Res Opin, 1996. 13(8): p. 465-478. 9. Tettamanti, M., et al., Prevalence, incidence and types of mild anemia in the elderly: the Health and Anemia populationbased study. Haematologica, 2010. 95(11): p. 1849-1856. 10. Biscoping, J. and G. Bein, Kongressbericht: Kritische Indikationsstellung beim Einsatz von Blutprodukten im klinischen Alltag. Dtsch Ärztebl International, 2003. 100(14): p. 929-932. 11. Spahn, D.R., Anemia and Patient Blood Management in Hip and Knee Surgery: A Systematic Review of the Literature. Anesthesiology, 2010. 113(2): p. 482-495. 20