Modellprojekt Gemeindeschwester plus

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Transkript:

Modellprojekt Gemeindeschwester plus Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung Berichtszeitraum 01.07.2015 bis 31.05.2016

Das Projekt Gemeindeschwester plus ist ein Projekt des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie (MSAGD) des Landes Rheinland-Pfalz. Auftragnehmer der wissenschaftlichen Begleitung im Zeitraum 01.07.2015 bis 31.12.2016 ist das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung e.v. (DIP) in Köln. Zwischenberichterstattung Ende Mai 2016 Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e.v. (DIP) Hülchrather Str. 15 50670 Köln Tel.: +49 221/ 46861-30 E-Mail: dip@dip.de Internet: http://www.dip.de Autorinnen und Autoren: F. Weidner, A. Gebert, K. Seifert, R. Mazhari Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung (DIP) zum Projekt Gemeindesschwester plus im Mai 2016 Seite 2

Gliederung 1. Zeitraum und Ziele der Berichterstattung... 4 2. Hintergründe, Ziele und Zielgruppe des Projektes Gemeindeschwester plus... 4 2.1 Ziele des Projektes und Aufgaben der Fachkräfte... 6 2.2 Zielgruppe des Projektes... 7 3. Modellregionen des Projektes Gemeindeschwester plus... 8 4. Projektstrukturen und -gremien... 11 5. Fachkräfte im Projekt Gemeindeschwester plus... 12 6. Qualifizierung der Fachkräfte im Projekt Gemeindeschwester plus... 13 7. Entwicklung und Anpassung von Arbeitsmaterialien... 17 7.1 Gesprächsleitfaden... 17 7.2 Dokumentation... 18 8. Aktueller Stand der Umsetzung in Kommunen... 18 8.1 Storming- und Normingphase... 18 8.2 Öffentlichkeitsarbeit... 19 8.3 Kooperation Pflegestützpunkte und Netzwerkarbeit... 20 8.4 Durchführung von Hausbesuchen und Zugangswege... 21 8.5 Weitere Aktivitäten der Fachkräfte im Projekt Gemeindeschwester plus... 22 9. Fazit und Empfehlungen für Phase III... 23 Literaturverzeichnis... 25 Anhang... 26 Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung (DIP) zum Projekt Gemeindesschwester plus im Mai 2016 Seite 3

1. Zeitraum und Ziele der Berichterstattung Im Juni 2015 hat das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie (MSAGD) des Landes Rheinland-Pfalz das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung e.v. (DIP) in Köln mit der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojekts Gemeindeschwester plus beauftragt. Der vorliegende Zwischenbericht bezieht sich auf den Projektzeitraum 01.07.2015-31.05.2016. Er gibt Auskunft über die Strukturen und Prozesse sowie den Fortschritt im Projekt Gemeindeschwester plus in den Projektphasen I und II (siehe Abb. 1), soweit sie den Berichtszeitraum betreffen. Eine Übersicht zu den Aktivitäten der wissenschaftlichen Begleitung befindet sich im Anhang. Der Zeitraum zur Berichterstattung wurde auf Antrag des DIP aufgrund projektbedingter Prozesse vom 28.02.2016 auf den 31.05.2016 verlängert. Abb. 1: Projektphasen Das Projekt Gemeindeschwester plus konnte im Berichtszeitraum entsprechend den ursprünglich geplanten und hier abgebildeten Projektphasen durchgeführt werden (Abb. 1). 2. Hintergründe, Ziele und Zielgruppe des Projektes Gemeindeschwester plus Die bestehenden Versorgungsstrukturen für ältere Menschen zeichnet eine starke Medizinund Hilfeorientierung aus, die sich auch auf selbstständigkeitsfördernde und sozialpflegerische Angebote auswirkt (Naegele 2010). Dabei sind die Strukturen durch hohe Komplexität, vielfältige Versorgungsdiskontinuitäten, Schnittstellenprobleme und suboptimalen Ressourceneinsatz gekennzeichnet (u.a. Blom & Görres 2012). Ältere Menschen, die nicht pflegebedürftig sind, sondern Informationen, Beratung, niedrigschwellige Unterstützung oder ab und zu einen Gesprächspartner benötigen, haben in den Kommunen vielfältige Ansprechpartner, z.b. Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung (DIP) zum Projekt Gemeindesschwester plus im Mai 2016 Seite 4

Seniorenbeiräte, Beratungsstellen der Wohlfahrtsverbände, Kirchengemeinden usw. Das Ausfindigmachen passgenauer Angebote für die Bedarfe dieser Zielgruppe geschieht meist zufällig. Es gelingt eher bereits aktiven und gut eingebunden Seniorinnen und Senioren als älteren Menschen, die auf begrenzte soziale und materielle Ressourcen zurückgreifen können. Das Problem einer geringeren Erreichbarkeit von sozial benachteiligten Menschen mit präventiven und gesundheitsförderlichen Angeboten wird in der Literatur immer wieder beschrieben und als Herausforderung dargestellt (u.a. Kaba-Schönstein & Gold 2011). Insbesondere die im Gesundheitswesen vorherrschenden Komm-Strukturen werden als eine Barriere zur Erreichung sozial benachteiligter Menschen beschrieben (ebd.). Darüber hinaus beschreiben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Pflegestützpunkten, ambulanten Pflegediensten oder Demenzfachstellen immer wieder, dass ihre Erstkontakte und die Unterstützung vielfach den Charakter von Kriseninterventionen hätten. Häufig würden sie erst dann angefragt, wenn ein akutes Ereignis vorliege oder die Situation sich schleichend so verschlechtert habe, dass die eingeschränkte Alltagsbewältigung zu dysfunktionalen Lebensumständen führt. 1 Mit der Einführung der Beratungs- und Koordinierungsstellen (BeKos) 1995 hat das Land Rheinland-Pfalz sehr früh Strukturen zur Beratung von älteren Menschen und ihren Angehörigen geschaffen. Die flächendeckende Weiterentwicklung der BeKos zu Pflegestützpunkten (PSP) 2008 war ein weiterer Schritt, um gut zugängliche Unterstützungsstrukturen für von Pflegebedürftigkeit bedrohte oder pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige zu schaffen. Obwohl sich der Beratungsauftrag der PSP nach 7c SGB XI und der Beratungs- und Koordinierungsstellen nach 5 LPflegeASG 2 nicht ausschließlich auf die Beratungen zu Leistungen nach SGB XI und auf bundes- und landesrechtliche Sozialleistungen bezieht, sondern auch ausdrücklich auf sonstige Hilfsangebote, weisen die Evaluationen zur Arbeit von Pflegestützpunkten aus unterschiedlichen Bundesländern darauf hin, dass hauptsächlich Angehörige oder andere Bezugspersonen von hilfe- und pflegebedürftigen Menschen beraten werden. Meist geht es um die Organisation der Pflege und um Finanzierungsfragen (Döhner et al. 2011; Ruschmeier 2011; Rothgang et al. 2012). Rothgang et al. (2012) stellen fest, dass die Beratung zu Themen wie Freizeit und Kultur, Fahrdiensten, Befreiung von Rundfunkgebühren/Telefon, Informationen zu Fachärzten und Krankenhäusern weiter auszubauen ist. Mit dem Projekt Gemeindeschwester plus soll erprobt werden, ob und wie eine Fachkraft zur Stärkung präventiver und gesundheitsfördernder Angebote und Strukturen für selbständig lebende ältere Menschen etabliert werden kann, um die bestehenden Leistungsangebote sinnvoll und wirksam zu erweitern. 1 In zahlreichen Kontakten der wissenschaftlichen Begleitung des DIP mit Praktikerinnen und Praktikern wurde dies immer wieder hervorgehoben. 2 LPflegeASG = Landesgesetz zur Sicherstellung und Weiterentwicklung der pflegerischen Angebotsstruktur vom 25. Juli 2005 Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung (DIP) zum Projekt Gemeindesschwester plus im Mai 2016 Seite 5

2.1 Ziele des Projektes und Aufgaben der Fachkräfte Ziel des Projektes ist es, einen Beitrag zur Unterstützung selbständiger Lebensführung im Alter durch präventive und gesundheitsfördernde Angebote zu leisten. Das Angebot soll zum einen durch Information und Beratung die Lebenssituation älterer Menschen stabilisieren und stärken. Zum anderen sollen Beiträge zu einer gesundheits- und selbständigkeitsfördernden Infrastruktur in den Kommunen geleistet werden Gleichzeitig soll das zivilgesellschaftliche Unterstützungspotential gestärkt werden, damit ältere Menschen die Möglichkeiten behalten, trotz ihres fortgeschrittenen Alters am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und sich sozial aktiv beteiligen zu können. Dies soll zum einen dadurch erreicht werden, dass hochbetagte Menschen, die zuhause leben und bislang keine Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen, mit der Gemeindeschwester plus kommunale Ansprechpartnerinnen bzw. Ansprechpartner zur Verfügung stehen, die präventive und gesundheitsfördernde Beratung leisten können. Zum anderen durch die Förderung selbständigkeitserhaltender Infrastrukturen in den Kommunen unter Mitwirkung der Gemeindeschwester plus. Die präventive und gesundheitsfördernde Ausrichtung des Angebotes der Gemeindeschwestern plus soll dazu beitragen, die Handlungsspielräume für selbständige Lebensführung auf der individuellen (Verhaltensprävention) und kommunalen Ebene (Verhältnisprävention) zu unterstützen und ggf. zu erweitern. Die Aufgaben der Fachkräfte zur Zielerreichung sind in der Projektvereinbarung des MSAGD mit den teilnehmenden Kommunen wie folgt definiert: ältere Bürgerinnen und Bürger nach deren vorheriger Zustimmung zuhause zu besuchen und sie zu beraten (präventive Hausbesuche), ggf. eine Begleitung oder eine Vermittlung an ein passendes und verfügbares Angebot zu vermitteln, dazu beizutragen, die regionalen sozialen Netzwerke und sozialen Unterstützungssysteme zum Beispiel von Kirchen- und Ortsgemeinden zu stärken und engmaschiger zu knüpfen, dazu beizutragen, Nachbarschaften zu stärken und zu fördern, so dass bedarfsgerecht weiterentwickelt werden, mit den kommunalen Pflegestrukturplanerinnen und -strukturplanern zusammenzuarbeiten, um ihnen Hinweise zu geben über die Stärken und Schwächen sozialer Netze sowie zum Bedarf von Unterstützung und Begleitung von zivilgesellschaftlichem Engagement. Eine Kurzformel für die Rolle der Gemeindeschwester plus in den Kommunen ist der Begriff des Kümmerers für hochbetagte selbständig lebende Menschen. Der Begriff des Kümmerers hat sich in den letzten Jahren ganz allgemein und in Unternehmen, Behörden und anderen Einrichtungen etabliert. Kümmerer werden immer dann eingesetzt, wenn es Aufgaben gibt, für die es in den bestehenden Strukturen noch keine Zuständigkeit gibt. Das Projekt folgt mit der Installierung des Projektes Gemeindeschwester plus einer Empfehlung der Konferenz der Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder aus dem Jahr 2014 auf (Arbeits- und Sozialministerkonferenz 2014). Es greift mit dem Begriff des Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung (DIP) zum Projekt Gemeindesschwester plus im Mai 2016 Seite 6

Kümmerers eine Formulierung des Protokolls der Konferenz auf, mit welchem ein Aufgabenfeld für pflegebedürftige Menschen beschrieben wird, ähnlich dem der Gemeindeschwester plus. Zentral ist, dass es sich um ein aufsuchendes und proaktives Angebot handelt (ebd.). Im Sozial- und Gesundheitswesen ist aufgrund der demografischen Entwicklungen bei hochaltrigen Menschen ein neuer Bedarf entstanden, der durch die bestehenden Strukturen nicht gedeckt werden kann, also in keinen vorbestimmten Aufgabenbereich fällt. Diese Lücke der Unterstützung und Beratung soll mit dem Angebot der Gemeindeschwester plus verkleinert werden. Abbildung 2 gibt eine Orientierung zu Versorgungsanlässen und Zuständigkeiten des Angebotes Gemeindeschwester plus. Das Angebot der Gemeindeschwester plus stellt eine Ergänzung der bisherigen Leistungen dar. Dies bedeutet auch, dass die Gemeindeschwester plus keine Leistungen erbringt, die bereits heute von ambulanten Pflegediensten oder anderen geeigneten Anbietern erbracht und von den Pflegekassen finanziert werden. Das Modellprojekt schließt damit eine Lücke der Unterstützung und Beratung, die von den Partnerinnen und Partnern im Gesundheitswesen und in der Pflege so auch aufgrund leistungsrechtlicher Vorgaben nicht geschlossen werden kann. Abb. 2: Versorgungsanlässe und Zuständigkeiten im Vor- und Umfeld von Hilfe- und Pflegebedürftigkeit 2.2 Zielgruppe des Projektes Das Projekt Gemeindeschwester plus richtet sich an hochbetagte Menschen ohne Pflegebedarf nach SGB XI und damit an die große Mehrheit älterer Menschen in dieser Altersgruppe. So leben in der Altersgruppe 80 bis 84 Jahre 80 % der Personen selbständig, d.h. ohne Einstufung in die Pflegeversicherung, bei den 85- bis 89-Jährigen sind dies immer noch 64 % und erst in der Gruppe der 90-Jährigen und älteren liegt der Anteil der Menschen mit Pflegebedarf (60 %) über dem der selbständig lebenden Personen (40 %) (Demografieportal des Bundes und der Länder). Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung (DIP) zum Projekt Gemeindesschwester plus im Mai 2016 Seite 7

Aus sozial-, pflegewissenschaftlicher und medizinischer Sicht handelt es sich bei hochbetagten Menschen um eine vulnerable Zielgruppe. Die Lebenssituation der Älteren ist häufig aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen, altersbedingter und sozialer Veränderungen nicht so stabil wie in den mittleren Erwachsenenjahren, der Hilfe- und Unterstützungsbedarf nimmt ab dem 80. Lebensjahr deutlich zu. Ergebnisse aus präventiven Hausbesuchsprojekten der vergangenen Jahre liefern Einblicke in mögliche Hintergründe, Motive und Barrieren älterer selbständig lebender Menschen, Angebote wie das der Gemeindeschwester plus in Anspruch zu nehmen oder abzulehnen. Untersuchungen zu Zielgruppen bezüglich der Inanspruchnahme bzw. Ablehnung der Angebote zeigen, dass Personen, die sich im Rahmen eines Hausbesuchsangebotes melden, weniger soziale, körperliche und mentale Ressourcen zur Verfügung stehen als denjenigen, die das Angebot ablehnen (Dapp et al. 2007, Gebert et al. 2008, Theile et al. 2010 und Gebert & Weidner 2010). Die Hauptgründe auf das Angebot zu verzichten, waren: 1. Die eigene Situation wurde als zu gut eingeschätzt, eine Beratung daher für nicht notwendig gehalten. 2. Die Unterstützung des sozialen Netzes wurde als so gut eingeschätzt, dass gegenwärtig und auch für die Zukunft kein Bedarf für weitere Unterstützung angesehen wurde. 3. Die Aufrechterhaltung der Alltagsaktivitäten kostete alle Kraft, sodass die Inanspruchnahme zu anstrengend erschien. Zwei übergeordnete Motive, um auf das Angebot zu verzichten, waren zum einen der Stolz auf die Leistung, das Leben im Alter alleine meistern zu können, auch wenn dies Abstriche für die Lebensgestaltung und die Ausführung von Tätigkeiten bedeutete. Zum anderen war es anknüpfend an dieses Motiv die Abgrenzung der eigenen Person von Pflegebedürftigen durch die Nicht-Inanspruchnahme (Gebert & Weidner 2010). Diese Ergebnisse zeigen die Ambivalenz von Fragilität und Selbstständigkeitsstreben, mit der viele Seniorinnen und Senioren ihren Alltag leben. Das Erreichen der Zielgruppe im Projekt Gemeindeschwester plus stellt eine der wesentlichen Herausforderungen dar. Das Angebot durchbricht die bestehende Systemlogik des Gesundheits- und Sozialwesens, dass Hilfe und Unterstützung nur bei nachgewiesenem Bedarf geleistet wird. Es erfolgt konsequent aufsuchend und zugehend und stellt damit ein Novum dar. Information und Beratung zur Gesundheits- und Lebenssituation werden bei älteren Menschen nicht mit der Unterstützung der selbständigen Lebensführung verbunden, sondern häufig mit dem Beginn einer Hilfe- und Pflegekarriere. Vor diesem Hintergrund muss insbesondere zu Beginn des Projektes von einer zurückhaltenden Annahme des Angebotes ausgegangen werden. 3. Modellregionen des Projektes Gemeindeschwester plus Bis zum Ende der Bewerbungsfrist am 21. Mai 2015 hatten sich 16 Landkreise und 6 kreisfreie Städte auf die Projektausschreibung um eine Teilnahme am Projekt Gemeindeschwester plus beworben. Für die Teilnahme wurden nachfolgende sieben Modellregionen mit neun Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung (DIP) zum Projekt Gemeindesschwester plus im Mai 2016 Seite 8

kommunalen Gebietskörperschaften ausgewählt: Alzey-Worms, Birkenfeld, Bitburg-Prüm, Koblenz, Neuwied, Stadt mit Landkreis Kaiserslautern sowie Stadt Landau mit Landkreis Südliche Weinstraße. Vor dem Hintergrund der Entwicklung eines vernetzten und abgestimmten Handelns vor Ort mit den bereits bestehenden Beratungsstrukturen in den Pflegestützpunkten war eine maßgebliche Voraussetzung für die Auswahl der Projektregionen vollständig besetzte Beratungsund Koordinierungsstellen in den gewählten regionalen Gebieten. Tabelle 1 zeigt, dass in den Modellregionen unterschiedliche Organisationsstrukturen gewählt wurden. In drei Modellregionen (Alzey-Worms, Birkenfeld und Kaiserslautern) sind kommunale Gebietskörperschaften die Anstellungsträger der Gemeindeschwestern plus. In den anderen Regionen wurden die Gemeindeschwestern plus bei den jeweiligen Trägern der BeKo-Stellen beschäftigt. Die Projektverantwortung wurde in den Kommunen angesiedelt. Dies bedeutet, dass die Kommunen federführend verantwortlich sind für die konzeptionelle Ausgestaltung der Projekte und die Umsetzung vor Ort. Die Anstellungsträger unterstützen die inhaltliche Arbeit, leisten die Personalverwaltung und stellen die Infrastruktur (Büroräume, PC usw.). Die im Rahmen des Interessenbekundungsverfahrens eingereichten Projektskizzen wurden in den Modellkommunen zu tragfähigen regionalen Umsetzungskonzepten weiterentwickelt. Die Konzepte beschreiben Grundfragen der Umsetzung des Projektes Gemeindeschwester plus in den Kommunen sowie die gemeinsamen Vorstellungen der beteiligten Akteure über die Aufgaben, die Zusammenarbeit und die Verantwortlichkeiten im Projekt Gemeindeschwester plus. Die wissenschaftliche Begleitung unterstützte diesen Prozess durch Konzeptentwicklungsgespräche in den Modellkommunen. Alle kommunalen Konzepte lagen wie angefordert bis November 2015 im MSAGD vor. Die eingereichten Konzepte stellen den Startpunkt des Vorgehens dar, eine Anpassung und Weiterentwicklung ist im Projektverlauf vorgesehen. Eine Übersicht der Modellregionen mit Umsetzungsregion, Anstellungsträgern und Stellenbesetzung gibt nachfolgende Tabelle 1. Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung (DIP) zum Projekt Gemeindesschwester plus im Mai 2016 Seite 9

Modellregion Alzey-Worms Birkenfeld Bitburg-Prüm Projektverantwortung in der Region Landkreis Alzey-Worms Verbandsgemeinde Herrstein Landkreis Bitburg- Prüm Umsetzungsregion a) Wörrstadt, Wöllstein b) Wonnegau, Eich, Monsheim a) Herrstein b) Rhaunen a) Bitburg b) Prüm b) Bad Höningen, Linz, Unkel und Waldbreitbach a) Stadtgebiete - Bjännerrück/ Karl-Pfaff- Siedlung - Lämmchensberg/ Uni Wohnstadt - Innenstadt West b) Landkreis Kaiserslautern a) Stadt Landau Anstellungsträger der Gemeindeschwestern plus Landkreis Alzey-Worms a) VG Herrstein b) VG Rhaunen a) DRK Bitburg-Prüm b) Trägerverbund privater Pflegedienste GbR Tab. 1: Übersicht über die sieben Modellregionen Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung (DIP) zum Projekt Gemeindesschwester plus im Mai 2016 Seite 10 Stellen in Vollzeitäquivalenten (VZÄ) Stellen in % 1 VZÄ a) 50% b) 50% 2 VZÄ (3 Personen) a) 2 x50% b) 2 x50% 2 VZÄ (3 Personen) a) 100% b) 2 x50% Koblenz Stadt Koblenz Koblenz Süd DRK Mittelrhein 1 VZÄ 2 x 50% Neuwied Landkreis Neuwied a) Stadt Neuwied a) AWO Pflege- und Senioren 2 VZÄ a) 100% ggmbh b) Caritas-Sozialstation an b) 2 x50% Rhein und Wied GmbH Stadt und Landkreis Kaiserslautern Stadt Landau Landkreis Südliche Weinstraße a) Stadt KL Kaiserslautern b) Landkreis KL a) Stadt Landau b) Landkreis Südliche Weinstraße b) Landkreis b1) Edenkoben (Stadt und VG) b2) Annweiler (Stadt und VG) a) Stadt Kaiserslautern b) Landkreis Kaiserslautern a) Ökumenische Sozialstation Landau e.v. b1) Ökumenische Sozialstation Edenkoben, Herxheim, Offenbach b2) Ökumenische Sozialstation Annweiler, Bad Bergzabern 2 VZÄ a) 100% b) 100% 2,5 VZÄ a) 100% b1) 75% b2) 75%

4. Projektstrukturen und -gremien Die Projektstrukturen des Projektes Gemeindeschwester plus spiegeln den Anspruch des Modellvorhabens wider, im Austausch mit den relevanten Akteuren des Sozial- und Gesundheitswesens bedarfsorientierte, ergänzende und abgestimmte Strukturen zum Erreichen der gesteckten Ziele zu entwickeln. Die Projektstrukturen und die Projektgremien können Abbildung 3 entnommen werden. Die Projektsteuerungsgruppe hat im Berichtszeitrum dreimal getagt, sie setzt sich aus Vertretern folgende Organisationen zusammen: - Landesärztekammer (LÄK) - Pflegekammer (PflgK) - Pflegegesellschaft (PG) - Kommunale Spitzenverbände (KSV) - Pflegekassen (PK) - Landesseniorenvertretung (SV) Abb. 3: Projektstruktur und -gremien Auf kommunaler Ebene erfolgt die Integration aller relevanten Akteurinnen und Akteure in den Projektgruppensitzungen vor Ort. Die regionalen Projektgruppen tagen in der Regel zweimal Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung (DIP) zum Projekt Gemeindesschwester plus im Mai 2016 Seite 11

im Jahr. Im zweiten Halbjahr 2015 wurde in allen Modellkommunen eine Projektgruppensitzung durchgeführt. Für das erste Halbjahr 2016 sind mit allen sieben Standorten Termine vereinbart. Mitglieder der Projektgruppen sind laut Projektvereinbarung: - Projektverantwortliche der Modellregion - Anstellungsträger - Träger der beteiligten Pflegestützpunkte (Kranken-/Pflegekassen, Träger Beratungsund Koordinierungsstellen) - Pflegeberaterinnen und Pflegeberater der beteiligten Pflegestützpunkte - Fachkräfte im Projekt Gemeindeschwester plus - Seniorenbeirat - Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Demografie Rheinland-Pfalz - Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e.v. - Servicestelle für kommunale Pflegestrukturplanung und Sozialraumentwicklung, LZG RLP - weitere relevante Akteure Der Austausch zwischen Modellkommunen und Projektträger (MSAGD) erfolgt im Arbeitskreis mit den Projektverantwortlichen. Dieser hat im Berichtszeitraum mehrmals getagt. 5. Fachkräfte im Projekt Gemeindeschwester plus Die Stellen im Projekt Gemeindeschwester plus wurden gemäß den Anforderungen für berufserfahrene Pflegefachpersonen ausgeschrieben. Die Wahl fiel auf diese Berufsgruppe, da in präventiven Hausbesuchen vor dem profunden Hintergrund des professionellen Wissens um die Ursachen und Formen von Pflegebedürftigkeit eine umfassende diagnostische Kompetenz zur Einschätzung der Lebens- und Gesundheitssituation notwendig ist. Diese Empfehlung gab die wissenschaftliche Begleitung. Sie beruht auf Erkenntnissen internationaler Modellprojekte und Regelangebote zu präventiven Hausbesuchen. In der deutlichen Mehrzahl der erfolgreichen Projekte kamen professionelle Pflegefachpersonen zum Einsatz. These für diese Empfehlung ist, dass der begrenzte zeitliche Rahmen einer Besuchssituation einen geschulten, diagnostischen Blick für Risiken und Beeinträchtigungen erfordert, aber auch für vorhandene Ressourcen und Netzwerke, der nur mit einer fundierten fachlichen pflegerischen Qualifikation in Kombination mit Berufserfahrung erworben werden kann. Die Anzahl der eingegangen Bewerbungen war in allen Kommunen mit öffentlicher Ausschreibung gut, so dass alleine dadurch schon davon ausgegangen werden kann, dass die Aufgaben einer Gemeindeschwester plus für Pflegefachpersonen attraktiv sind. Alle Kommunen hatten zum 01.11.2015 die Stellen mit Fachkräften besetzt. In der Mehrzahl der Kommunen erfolgte die Einstellung zum 01.10.2015 oder früher. In einigen wenigen Kommunen musste das Einstellungsdatum, aufgrund von Kündigungsfristen aus vorherigen Arbeitsverhältnissen, auf den Novembertermin gelegt werden. Im Berichtszeitraum wurden drei Personalwechsel unter den Gemeindeschwestern plus vollzogen. Eine Fachkraft kündigte aus gesundheitlichen Gründen, eine Fachkraft hat sich örtlich Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung (DIP) zum Projekt Gemeindesschwester plus im Mai 2016 Seite 12

verändert (Umzug nach Bayern) und eine weitere kündigte, da das definierte Aufgabenfeld der Gemeindeschwester plus nicht zu ihrer Vorstellung der Aufgaben und Rolle einer Gemeindeschwester, eines Kümmerers, passte. Alle drei Stellen konnten innerhalb kurzer Zeit nachbesetzt werden. Exkurs: Zum Begriff Gemeindeschwester plus Der Name des Projektes und damit der Fachkräfte Gemeindeschwester plus sorgte im Vorfeld des Projektes und in den zurückliegenden Monaten des Berichtszeitraums immer wieder für kontroverse Diskussionen. Diskussionspunkte sind, dass der Begriff der Gemeindeschwester ein veraltetes, stark kirchlich bestimmtes Bild der Fachkräfte und der Trägerschaft des Projektes vermittle. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass durch den Begriff der Gemeindeschwester Männer vom Tätigkeitsfeld ausgeschlossen würden. Die Fachkräfte berichten zudem, dass die Rolle und das Aufgabenfeld der Gemeindeschwester von hochbetagten Menschen anders assoziiert werden, als dies tatsächlich im Projekt der Fall sei. Häufig sei die Erwartung, dass kleine Tätigkeiten im Haushalt übernommen werden, Wundverbände gewechselt oder die Fachkraft bei der Körperpflege unterstütze. Die Fachkräfte berichten, ihre Rolle und Aufgaben seien aufgrund des Projektnamens immer wieder erklärungsbedürftig. Positiv wird empfunden, dass der Begriff der Gemeindeschwester bei vielen älteren Menschen mit guten Erinnerungen verbunden ist. Dies war auch einer der Hauptgründe bei der Festlegung der Bezeichnung. Es wird berichtet, dass schnell Vertrauen zu den älteren Menschen aufgebaut werden kann. Diese Offenheit der älteren Menschen den Fachkräften gegenüber wird auch dem Begriff der Gemeindeschwester zu geschrieben. Darüber hinaus ist die Wahrnehmung von unterschiedlichen Beteiligten in Projektgruppensitzungen, dass es für ältere Menschen leichter sei mit einer Gemeindeschwester, also einer Person Kontakt aufzunehmen, als mit einer Institution wie z.b. dem Pflegestützpunkt. 6. Qualifizierung der Fachkräfte im Projekt Gemeindeschwesterplus Im Realisierungskonzept zur wissenschaftlichen Begleitung ist die Skizze eines Qualifizierungskonzeptes enthalten, das als Grundlage für die weiteren konzeptionellen Ausarbeitungen dient. Die Skizze setzt an der Grundannahme an, dass es sich bei den Fachkräften um Pflegende mit langjähriger Erfahrung im ambulanten und stationären Pflegebereich handelt. Eine vom DIP durchgeführte Qualifikationsabfrage bei den ursprünglich 18 Fachkräften bestätigte diese Annahme. Neben der Erfassung der formalen und non-formalen Qualifikationen sowie der Berufserfahrung im Pflegebereich war die Abfrage auch darauf ausgerichtet, inwieweit die Fachkräfte über relevante Beratungserfahrungen und Erfahrungen im Bereich der Projektarbeit verfügen. Hinsichtlich einer Beratungstätigkeit verfügten mehrere Fachkräfte über Erfahrungen zur Pflegeberatung gemäß 37 SGB XI und wenige über Erfahrungen im Bereich Kinder-, Jugendund Familien- bzw. Paarberatung. Hinsichtlich der Erfahrungen in der Projektarbeit gaben lediglich drei Fachkräfte an, in dieser Organisations- und Arbeitsweise erste Erfahrungen gesammelt zu haben. Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung (DIP) zum Projekt Gemeindesschwester plus im Mai 2016 Seite 13

Unter Berücksichtigung dieser Bedingungen der Fachkräfte wurde das Schulungskonzept im Herbst des vergangenen Jahres weiter konkretisiert. Als Ergebnis wurden vier Kompetenzbereiche der Fachkräfte erarbeitet, die für die inhaltliche Ausgestaltung des Schulungskonzeptes bestimmend wurden. Sie lauten wie folgt: Kompetenzbereich I Die Rahmenbedingungen des Projektes Gemeindeschwester plus berücksichtigen und an der Ausgestaltung mitwirken. Kompetenzbereich II Mit regionalen Leistungsanbietern, kommunalen Planerinnen und Planern, Netzwerken und Stützsystemen zusammenarbeiten (Care-Management). Kompetenzbereich III Hochaltrige Menschen ohne Pflegebedarf durch präventive und gesundheitsförderliche Beratung und Begleitung in ihrer Selbständigkeit stärken und sie in ihrer gesellschaftlichen Teilhabe unterstützen (Case- Management). Kompetenzbereich IV Das eigene Handeln als Fachkraft im Projekt GS+ reflektieren. Abb. 4: Kompetenzbereiche der Fachkräfte im Projekt Gemeindeschwester plus Im Rahmen einer Arbeitsgruppensitzung am 23.09.2015 wurden die Kompetenzbereiche den Projektverantwortlichen in Mainz vorgestellt und stießen auf grundsätzliche Zustimmung. Daraufhin wurden die Inhalte der Schulung weiter ausdifferenziert und die konkrete Schulungsplanung konnte fortgesetzt werden. Da ein Großteil der Fachkräfte zum 01.10.2015 die Arbeit im Projekt aufgenommen hat, lag es im Interesse des MSAGD, hierzu zeitnah auch erste Schulungstage anbieten zu können. Aus diesem Grund wurde von der ursprünglichen Zeitplanung, die vorgesehen hatte, erst im März 2016 mit der Schulung zu beginnen, abgewichen. Der erste viertägige Schulungsblock fand daher bereits Ende Oktober 2015 in den Räumlichkeiten der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Vallendar (PTHV) statt. Bis Mitte Mai 2016 folgten weitere vier Schulungsblöcke. Die Schulungen wurden überwiegend durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des DIP geplant, vorbereitet, durchgeführt und evaluiert. Die folgende Übersicht stellt die Termine der Schulungsblöcke, die Anzahl der durchgeführten Seminartage sowie stichpunktartig die inhaltliche Schwerpunkte dar: Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung (DIP) zum Projekt Gemeindesschwester plus im Mai 2016 Seite 14

Termin 28.10. - 30.10.2015 09.12. - 11.12.2015 25.01. - 28.01.2016 01.03. - 04.03.2016 Anzahl der Inhalt Schulungstage 3 Tage Ankommen und gegenseitiges Kennenlernen Rahmenbedingungen der Projektarbeit (allgemein) Einstieg in die leitfadengestützte Bedarfserhebung bei der Seniorin/ bei dem Senior mittels Assessment 3Tage Stand der Projektarbeit in den Modellregionen Fortsetzung Rahmenbedingungen der Projektarbeit Fortsetzung Arbeit mit dem Assessment Einstieg Erarbeitung einer projektspezifischen Dokumentationshilfe 4 Tage Stand der Projektarbeit in den Modellregionen Pressetermin mit Ministerpräsidentin und Ministerin Einführung in die systemische Beratung (Dannhäuser) Fortsetzung Arbeit mit dem Assessment Fortsetzung Erarbeitung einer projektspezifischen Dokumentationshilfe Rollenklärung 4 Tage Stand der Projektarbeit in den Modellregionen Fortsetzung Grundlagen der systemischen Beratung Reflektion Assessment und Dokumentationshilfe Einführung in die Arbeit der Landesberatungsstelle Barrierefrei Bauen und Wohnen in Rheinland-Pfalz Gesundheitsförderung und Prävention Dozent DIP DIP DIP Ursula Dannhäuser DIP DIP Ursula Dannhäuser DIP Norbert Stopperich DIP 02.05. - 03.05.2016 2 Tage Stand der Projektarbeit in den Modellregionen Einführung in die Grundlagen der Fallarbeit Renate Zwicker-Pelzer Tab. 2: Schulungsübersicht im Modellprojekt Gemeindeschwester plus Die ersten beiden Schulungsböcke standen inhaltlich und methodisch ganz im Zeichen der Einführung in das Projektvorhaben und der Prozessbegleitung sowie der Rollenklärung der DIP Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung (DIP) zum Projekt Gemeindesschwester plus im Mai 2016 Seite 15

Fachkräfte. Sie wurden vom Team der wissenschaftlichen Begleitung durchgeführt. Zum Auftakt des dritten Schulungsblockes im März stand der Besuch durch die Ministerpräsidentin Malu Dreyer und die Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler auf dem Programm. Foto: Ministerpräsidentin Malu Dreyer (erste Reihe, 2. v.l.) und Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (3. v.l.) beim Projektbesuch im Januar 2016 in der PTHV Inhaltlich folgte in der verbleibenden Schulungszeit des dritten Schulungsblocks eine Einführung in die Systemische Beratung durch die externe Referentin, Dipl.-Psychologin Ursula Dannhäuser, sowie die Fortsetzung der Prozessbegleitung und der Rollenklärung durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des DIP. An die Arbeitsergebnisse wurde im vierten Schulungsblock angeknüpft. Ergänzend dazu standen eine etwa 90-minütige Einheit zum Thema Einführung in die Arbeit der Landesberatungsstelle Barrierefrei Bauen und Wohnen in Rheinland-Pfalz durch Dipl.-Ing. Norbert Stopperich sowie ein Einstieg in den Themenbereich Gesundheitsförderung und Prävention wiederum durch das Team des DIP auf dem Programm. Für den fünften Schulungsblock konnte Frau Prof. Dr. Renate Zwicker-Pelzer als Dozentin für den Themenbereich Fallarbeit gewonnen werden. Bis auf den ersten Schulungsblock war jeweils mindestens an einem der Schulungstage eine Vertreterin des MSAGD anwesend. An allen Seminartagen waren die Fachkräfte vollzählig anwesend. Aufgrund von Personalwechseln bei den Fachkräften in den Modellregionen Birkenfeld, Neuwied und Koblenz sind jeweils im Januar, im März und im Mai neue Fachkräfte in die Seminargruppe aufgenommen und bisher problemlos integriert worden. Jeweils im Nachgang eines Schulungsblockes wurde die weitere Ausgestaltung im Hinblick auf den nächstfolgenden Schulungsblock in Abstimmung mit dem MSAGD vorgenommen. Dies ermöglichte es auf der einen Seite, zeitnah und effektiv auf Bedarfe in der Prozessbegleitung angemessen reagieren zu können. Aktuell ist ein viertägiger Schulungsblock für Ende Oktober in Vorbereitung. Inhaltlich wird es auch hier wichtig sein, den Arbeitsstand und die Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung (DIP) zum Projekt Gemeindesschwester plus im Mai 2016 Seite 16

Erfahrungen der Projekte in den Modellregionen zu bearbeiten. Weitere Themen des Schulungsblockes sind Fortsetzung und Austausch über die Fallarbeit, das Thema Demenz und Grundlagen des Leistungsrechts. Aufgrund des verhältnismäßig langen zeitlichen Abstandes zwischen dem fünften und dem sechsten Seminarblock bestehen aktuell Überlegungen, weitere Seminartage im Sommer 2016 anzubieten. Dies wird derzeit zwischen dem MSAGD und dem DIP abgestimmt. 7. Entwicklung und Anpassung von Arbeitsmaterialien 7.1 Gesprächsleitfaden Ein Baustein des vom DIP entwickelten Konzeptes präventiver Hausbesuche ist ein systematischer evidenzbasierter Leitfaden zur umfassenden Einschätzung der Gesundheits- und Lebenssituation. Das DIP hat, auf Basis des Standardized assessment for elderly people (STEP) in vorangegangenen Projekten ein Assessment für den Einsatz in präventiven Hausbesuchen entwickelt und bereits mehrfach erprobt und angepasst (Gebert et al. 2008, Gebert, & Weidner 2010). Die aktuelle Anpassung zum Gesprächsleitfaden der Gemeindeschwesternplus zur umfassenden Einschätzung der Gesundheits- und Lebenssituation ist Bestandteil des Realisierungskonzeptes der wissenschaftlichen Begleitung. Eine Einführung in den Hintergrund und die Zielsetzung der Durchführung des Gesprächsleitfadens erfolgte im Rahmen des ersten Schulungsblocks. Die hohe Anzahl an Fragen, die sich aus dem zugrundeliegenden Assessment ergaben, sowie das breit gefächerte, auch medizinisch-pflegerische Themenspektrum, führten zu zahlreichen Nachfragen und zur grundsätzlichen Diskussion der Möglichkeiten des Einsatzes des Instrumentes bei einem Teil der Fachkräfte sowie einigen Projektverantwortlichen. Diskutiert wurde, wie umfangreich ein geeigneter Gesprächsleitfaden sein darf, um praxistauglich zu bleiben, und welche Themen und Handlungsfelder er beinhalten soll. Beispielsweise wurden von einigen Projektbeteiligten Fragen wie die zum Themenbereich Inkontinenz als die Privatsphäre überschreitend empfunden. Auch wurde erörtert, wie ein stärker systematisches Vorgehen mit der angedachten Rolle einer Kümmererin bzw. eines Kümmerers zusammenpassen würde. Anhand dieser zentralen Fragen entwickelte sich ein unverzichtbarer, einige Zeit beanspruchender Klärungsprozess. Die Diskussionen über mögliche Beratungsthemen zur Gestaltung der Hausbesuche im Projekt, die durch den Gesprächsleitfaden angestoßen wurden, führten entsprechend zur Konkretisierung der Rolle und der Aufgaben der Fachkräfte im Projekt Gemeindeschwester plus. In einem konstruktiven Prozess wurde der Gesprächsleitfaden für das Projekt mit den Fachkräften angepasst. Die Fragen und die Handhabung des Gesprächsleitfadens wurden darüber hinaus mit den Projektverantwortlichen und dem MSAGD abgestimmt und stehen nun den Fachkräften als Arbeitsmaterialien zur Verfügung. Die im Gesprächsleitfaden benannten Themen und Handlungsfelder konturieren ein Stück weit das präventive und gesundheitsförderliche Beratungsspektrum der Fachkräfte im Projekt Gemeindeschwester plus. Der Gesprächsleitfaden stellt einen zentralen verbindenden Baustein innerhalb der unterschiedlich ausgestalteten Projekte in den Regionen dar. Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung (DIP) zum Projekt Gemeindesschwester plus im Mai 2016 Seite 17

7.2 Dokumentation Zur strukturierten Datenerfassung und Dokumentation sowie zur transparenten Darstellung der in nachfolgender Aufzählung genannten Aspekte des Projektes Gemeindeschwester plus hat das DIP in Kooperation mit den Fachkräften und den Projektverantwortlichen eine Excel- Tabelle entwickelt. Die Tabelle soll sowohl die Arbeit der Gemeindeschwestern plus als auch die Pflegestrukturplanung mit nachfolgenden Funktionen unterstützen: - Monats- und Jahresübersicht zur Anzahl der seniorenbezogenen Hauptaktivitäten - Erfassung und übersichtliche Darstellung der Kontaktdaten - Erfassung wesentlicher soziodemografischer Faktoren zur Unterstützung der Pflegestrukturplanung - Erfassung wesentlicher beratungsrelevanter Informationen (Verlauf und Inhalt) - Erfassung der Netzwerkkontakte Zur Vereinfachung der Datenerfassung sowie um einen schnellen Zugriff auf wesentliche Informationen zu ermöglichen, werden die unterschiedlichen Informationen in einer Tabelle zusammengeführt. Die Tabelle erfasst somit kriterienorientiert Informationen. Detaillierte fallbezogene Informationen werden indes nicht abgebildet. Zur Sicherstellung einer umfassenden fallbezogenen Dokumentation müssen komplexe Beratungssituationen und -verläufe zusätzlich anderweitig erhoben werden. Die Weiterleitung von Daten an die Pflegestrukturplanung erfolgt pseudonymisiert, d.h. das weitergeleitete Tabellenblatt enthält keine Adressinformationen oder andere Daten, die einen Rückschluss auf die Person zulassen. Eine abgestimmte Zusammenfassung der datenschutzrechtlichen Aspekte und des Vorgehens im Projekt wird bis zum Herbst 2016 vom DIP in Zusammenarbeit mit dem MSAGD erarbeitet und den Kommunen zur Verfügung gestellt. 8. Aktueller Stand der Umsetzung in Kommunen 8.1 Storming- und Normingphase Die erste Phase des Projektes in den Kommunen war wie erwartet überwiegend von Abstimmungs- und Klärungsprozessen geprägt. Die Gleichzeitigkeit der Prozesse Konzepterstellung, Anstellung und Einarbeitung der Gemeindeschwestern plus sowie Schulung der Fachkräfte führte vor Ort und in den Projektprozessen zu einer großen Dynamik. In diesen Kontexten mussten die im Rahmen der Projektvereinbarung festgelegten Rahmenbedingungen sowie die Aufgaben der Projektverantwortlichen und der Fachkräfte gemeinsam konkretisiert und angeglichen werden. Hier waren etliche zusätzliche Abstimmungsprozesse auf allen Ebenen der Projektorganisation in kurzer Zeit notwendig. Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung (DIP) zum Projekt Gemeindesschwester plus im Mai 2016 Seite 18

Die Hauptaktivitäten der Umsetzung in den Modellkommunen konzentrierten sich vor dem Hintergrund der o.g. Aufgaben in den ersten Monaten der Umsetzung des Projektes auf nachfolgende Tätigkeiten: - Öffentlichkeitsarbeit - Kooperation mit Pflegestützpunkten und Netzwerkarbeit - Vorbereitung und Durchführung von Hausbesuchen - Erfassung von Angebotslücken und Initiierung von neuen Angeboten in den Kommunen Die in den ersten Monaten im Vordergrund stehende konzeptionelle Arbeit, die Einarbeitung in das neue Aufgabenfeld sowie die Durchführung der notwendigen Öffentlichkeits- und Vernetzungsarbeit forderten insbesondere die eingesetzten Fachkräfte sehr. Die Gleichzeitigkeit der Arbeit an angemessenen Rahmenbedingungen, der Qualifikation und Rollenfindung sowie eines gewissen Erfolgsdrucks stellten für die Gemeindeschwestern plus phasenweise sehr große Herausforderungen dar. Die von den Projektverantwortlichen in den Kommunen benötigten Zeitressourcen für die Steuerungs- und Koordinierungsarbeit im Projekt überstiegen in dieser Anfangsphase in der Mehrzahl der Kommunen den geplanten Aufwand. Diese in der Literatur zur Arbeitsorganisation und zum Projektmanagement beschriebene Storming- Phase zu Beginn großer und herausfordernder Projekte kann mitunter auch zu kurzfristigen Unzufriedenheiten bei Projektbeteiligten führen. Aus den letzten Projekttreffen, Gesprächen mit Projektverantwortlichen und den Fachkräften seit dem Frühjahr 2016 lässt sich schlussfolgern, dass das Projekt nunmehr in die sogenannte Norming-Phase übergeht, die gekennzeichnet ist von geklärten Rollen und Aufgaben und einer eingespielten Passung von Anforderungen und Ressourcen. 8.2 Öffentlichkeitsarbeit Die Öffentlichkeitsarbeit nimmt in allen Kommunen gegenwärtig einen großen Raum ein. Es wird sowohl vom MSAGD als auch in den Regionen eine intensive Öffentlichkeitsarbeit durchgeführt. Ziel es ist es, die Bevölkerung, die Zielgruppe und relevante Akteure in den Regionen über dieses neue Angebot, die Aufgaben, Grenzen und Personen zu informieren. Dies geschieht zum einen durch Artikel in den Printmedien, zum anderen durch die Vorstellung des Projektes bei relevanten Akteuren und Gruppen vor Ort. Im Berichtszeitraum berichteten sowohl die lokalen Medien über das Projekt als auch überregionale Fachpublikationen. Die Platzierung des Projekts in den Printmedien erfolgt zum einen durch unabhängige Berichterstattung von interessierten Journalisten, zum anderen durch die Bereitstellung von Artikeln für Wochenzeitschriften oder die Veröffentlichungsorgane der kommunalen Gebietskörperschaften zum Projekt durch die Gemeindeschwestern plus und die Projektverantwortlichen. Besonders große Resonanz bei Seniorinnen und Senioren und deren Angehörigen fanden Interviews von unabhängigen Journalisten mit Fachkräften (z.b. Landkreis Kaiserslautern). Das Schreiben eigener kleiner Artikel zur Veröffentlichung durch die Fachkräfte im Projekt stellt, je nach Vorkenntnissen, teilweise eine große Herausforderung dar, da es für die Gemeindeschwester plus ein komplett neues Aufgabengebiet ist. Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung (DIP) zum Projekt Gemeindesschwester plus im Mai 2016 Seite 19

Die Vorstellung des Projektes bei relevanten Akteuren in den Umsetzungsregionen ist vor allem in Flächenlandkreisen mit vielen kleinen Ortschaften, z.b. Birkenfeld sehr zeitaufwendig. Insbesondere wenn unterschiedliche Akteure und Vereine zu unterschiedlichen Terminen aus denselben Ortschaften die Fachkräfte anfragen. Darüber hinaus erfordern diese Termine zeitliche Flexibilität, da häufig auch Abendtermine angefragt sind. Die Unterstützung des MSAGD mit Materialien zur Öffentlichkeitsarbeit war umfassend und sehr hilfreich. Den Modellregionen wurden Flyer, Roll-Up, Visitenkarten für die Fachkräfte, Postkarten, Folien mit Logo zur Anbringung an Fensterscheiben (Auto, Fenster, Tür), Post-it- Blöcke und Kugelschreiber zur Verfügung gestellt. Lediglich die aufgrund organisatorischer Gegebenheiten in einigen Projektregionen langen Wartezeiten auf die Projektflyer wurden als belastend empfunden, da man nichts in der Hand hatte, das weitergegeben werden konnte. Die vielfältigen Aufgaben im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere die ungewohnte und in regelmäßigen Abständen notwendige Pressearbeit zur Erhöhung des Bekanntheitsgrades des Projektes und der Fachkräfte vor Ort, ist eine Herausforderung. Die wissenschaftliche Begleitung empfiehlt daher, zur Entlastung der Fachkräfte und der Projektverantwortlichen sowie zur Erhöhung der Sicherheit bei Aktivitäten der Pressearbeit den weiteren Verlauf des Projektes durch eine professionelle Medienagentur zu unterstützen. 8.3 Kooperation Pflegestützpunkte und Netzwerkarbeit Eine enge Kooperation mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Pflegestützpunkte (Pflegeberaterinnen und Pflegeberater der Pflegekassen und BeKo-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter) wird im Projekt angestrebt. Damit eine Verzahnung gelingen kann, waren Bedingungen für die Modellkommunen vollständig besetzte BeKo-Stellen (siehe Kapitel 3) sowie die Bereitstellung eines Arbeitsplatzes für die Fachkraft am oder im jeweiligen Projekt-Pflegestützpunkt. Die Bereitstellung eines Arbeitsplatzes in den Pflegestützpunkten der Umsetzungsregionen erwies sich teilweise als schwierig. Neben dem Platz- bzw. Raumproblem hatten die Pflegekassen u.a. datenschutzrechtliche Einwände, die sich insbesondere auf die Möglichkeit des Zugangs der Fachkräfte zu Daten der Pflegekassen bezogen sowie eine mögliche Verletzung der Schweigepflicht gegenüber den Klienten der Pflegestützpunkte. Die genannten Argumente stellen auch gegenwärtig noch unbeantwortete Fragen in der Zusammenarbeit von Pflegeberaterinnen und Pflegeberatern und den Fachkräften des Projektes dar. Die Klärung der diesbezüglichen Kooperation zwischen den verschiedenen Akteurinnen und Akteuren wird auf Landesebene, zum Beispiel in der Steuerungsgruppe, zu klären sein. Entsprechende Gespräche mit den Pflegekassen werden vom MSAGD auf Landesebene angestrebt. Der Austausch zwischen den Fachkräften im Projekt Gemeindeschwester plus und den BeKo- Fachkräften hat sich in den Projektregionen inzwischen gut etabliert. In Kommunen mit enger Zusammenarbeit konnten die beteiligten Fachkräfte gegenseitig bereits sehr vom Austausch mit den Kollegen profitieren. Im bisherigen Projektverlauf zeichnet sich ab, dass viele ältere Menschen, die ein Informations- und Beratungsgespräch bei den Gemeindeschwestern plus anfragen, tatsächlich bereits so stark fortgeschrittenen Hilfebedarf haben, dass sie eine Pflegeberatung benötigen. In diesen Fällen erfolgt eine Weiterleitung der Anliegen an die Pflegestützpunkte. Die inzwischen Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung (DIP) zum Projekt Gemeindesschwester plus im Mai 2016 Seite 20

etablierte, gute Kooperation in dieser Hinsicht wird in den Projektgruppensitzungen immer wieder hervorgehoben. Darüber hinaus zeichnet sich ab, dass die Fragen der Zuständigkeiten die Grundlage für die notwendige Zusammenarbeit mit Gemeindeschwester plus, Beko-Fachkraft und Pflegeberatung sind. Im Alltag gibt es mittlerweile einen fachlichen Austausch. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt werden Fälle mit unklarer bzw. gemeinsamer Zuständigkeit gesammelt. Im Verlaufe des Projektes soll dann entschieden werden, ob weitere formale Klärungen der Zuständigkeiten vereinbart werden müssen. Es ist im Interesse der Menschen, die Beratung und Unterstützung anfragen diese Angebote gut zu verzahnen. In den vergangenen Monaten haben sich die Gemeindeschwestern plus bei Netzwerkpartnern in den Umsetzungsregionen vorgestellt und nehmen nun an Veranstaltungen zur dörflichen Entwicklung, zu Präventionsangeboten oder zu Quartiersentwicklungen etc. der Kommunen teil. Weitere Aufgaben in den bestehenden Netzwerken der Regionen, die nun in den Vordergrund rücken, sind die der Koordination sowie die des Bekanntmachens vorhandener Netzwerke und Angebote. So konnte z.b. in Teilen der Modellregionen die Nutzung des Bürgerautos gesteigert werden, die Nachfrage der Ausflüge und Vorträge des Seniorenbeirats und die Inanspruchnahme der bestehenden Nachbarschaftshilfe. 8.4 Durchführung von Hausbesuchen und Zugangswege Die Projektplanung sah ab Ende Januar 2016 vor, in allen Modellkommunen Hausbesuche anzubieten. Darüber hinaus war es den Kommunen freigestellt, bereits früher Hausbesuche durchzuführen. Insgesamt wurden in allen Regionen bis zum 01.05.2016 von den Fachkräften bereits 552 Hausbesuche durchgeführt. Enthalten sind in dieser Zahl auch Mehrfachbesuche bei Seniorinnen und Senioren. Die Rückmeldungen zur Anzahl der Hausbesuche aus den Modellregionen zeigen, dass im Mittel ca. 50 Hausbesuche (± 20 Hausbesuche) pro Vollzeitstelle bis Mai 2016 durchgeführt wurden. Die Zugangs- und Informationswege zu den Seniorinnen und Senioren sind in den einzelnen Modellregionen recht unterschiedlich. In allen Modellregionen wird, wie dargestellt, intensive Öffentlichkeitsarbeit durchgeführt. Hauptzugangswege zur Zielgruppe sind die Vorstellung bei Seniorenveranstaltungen, Netzwerkpartner, Ortsbürgermeister, in den Ortschaften ehrenamtlich engagierte Bürgerinnen und Bürger sowie die Sozialdienste der Krankenhäuser. Zahlreiche Informationsschreiben an die Zielgruppe zur Vorstellung und Information über das Angebot haben sieben der neun Modellregionen versendet. Wie die einzelnen Maßnahmen wirken, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abgeschätzt werden. Ein Vergleich mit den Quoten zum Erreichen der Zielgruppe mit unterschiedlichen Zugangsund Informationswegen erlaubt das Münchner Projekt zu Präventiven Hausbesuchen (Dill et al., ohne Jahr). In München wurden die Informations- und Zugangswege für 152 Personen im letzten Modelljahr dokumentiert. Beschäftigt waren 4 Beraterinnen in unterschiedlichen Stadtteilen mit jeweils einer halben Stelle. Hinzu kam eine Projektleitung mit ebenfalls einer 50%- Stelle. Es zeigte sich, dass die Informationsschreiben die meisten Nachfragen für Hausbesuche auslösten, gefolgt von der Vermittlung durch das soziale Netz und die professionellen Netzwerke (ebd.). Die Autoren des Abschlussberichts zum Modellprojekt Präventive Hausbesuche für ältere Münchnerinnen und Münchner kommen zu dem Schluss, dass INFOPOST ein sinnvoller und zielführender Ansatz sei. In München haben 4,75 % der angeschriebenen Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung (DIP) zum Projekt Gemeindesschwester plus im Mai 2016 Seite 21

Personen einen Hausbesuch nachgefragt. Dies ist ein ähnlicher Prozentsatz wie in dem vom DIP wissenschaftlich begleiteten Projekt in Siegen-Wittgenstein. Hier meldeten sich in der ersten Welle rund 6 % der angeschrieben Personen aus der Zielgruppe mit einem Hausbesuchswunsch (Cullmann & Gebert 2009). Überträgt man einen Prozentsatz von 5 % Nachfrage auf Informationsschreiben des Projektes Gemeindeschwester plus, bedeutet dies, dass bei 1.000 versendeten Briefen mit ca. 50 Anfragen zu rechnen ist. Die Erfahrungen des DIP aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein zeigen zudem, dass die Nachfragerate auch innerhalb eines Landkreises stark variieren kann. In den zehn beteiligten Kommunen des Landkreises war die prozentuale Spanne der Hausbesuchsanfragen auf die Informationsschreiben von 0 % bis 14 % (Cullmann & Gebert 2009). Ein weiterer Punkt, der mit Blick auf das Erreichen der Zielgruppe von Bedeutung ist und beobachtet werden muss, bezieht sich auf die bereits vorhandenen Infrastrukturen und etablierten Angebote. So zeichnet sich ab, dass in Kommunen und Ortschaften mit geringerer seniorenbezogener Infrastruktur die Etablierung des neuen Angebotes schwieriger ist als in Kommunen mit sehr aktiver Seniorenarbeit. Gerade in Regionen mit weniger aktiver Seniorenarbeit ist es daher wichtig, Zugangswege zur Zielgruppe zu eröffnen und so einen Prozess der Entwicklung anzustoßen. 8.5 Weitere Aktivitäten der Fachkräfte im Projekt Gemeindeschwester plus Das Spektrum weiterer Aktivitäten in den Modellkommunen der Fachkräfte ist breit angelegt und an den Bedarfen vor Ort angepasst. Aus den Gesprächen mit Ortsbürgermeistern, Multiplikatoren oder auf Anregung von Senioren wurden folgende Angebote initiiert: - Gesangskreis - Mittagstische - Seniorentreffs - Seniorentelefonketten - Stammtisch Männersache - begleitete Spaziergehgruppen, auch für ältere Menschen mit Rollator (rollatortaugliche Wege, mit Sitzmöglichkeit und WC) - Seniorenturnen und autogenes Training Darüber hinaus wurden von den Gemeindeschwestern plus niedrigschwellige Dienstleistungsangebote initiiert, wie Taschengeldbörsen (zwei Kommunen) oder eine ehrenamtliche Nachbarschaftshilfe. Bewährt haben sich darüber hinaus regelmäßige Sprechstunden in bekannten Einrichtungen, wie z.b. Seniorencafés. Die Überführung der initiierten Angebote an ehrenamtlich Engagierte oder die Integration dieser in bestehende Strukturen stellt nun die nächste Herausforderung dar. Erste Rückmeldungen der Fachkräfte sind, dass das ehrenamtliche Engagement bei bestimmten Personen in den Ortschaften kumuliert und diese häufig bereits ausgelastet sind. Bislang nicht ehrenamtliche tätige Personen für die kontinuierliche und verantwortliche Begleitung von Vor-Ort-Aktivitäten zu gewinnen, gestaltet sich schwierig. Die weitere Entwicklung dieser Schnittstelle muss im Verlauf des Projektes weiter bearbeitet werden. Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitung (DIP) zum Projekt Gemeindesschwester plus im Mai 2016 Seite 22