DER QUANTENKOSMOS. Von der zeitlosen Welt zum expandierenden Universum. Claus Kiefer. Institut für Theoretische Physik Universität zu Köln

Ähnliche Dokumente
DER QUANTENKOSMOS. Von der zeitlosen Welt zum expandierenden Universum. Claus Kiefer. Institut für Theoretische Physik Universität zu Köln

DER QUANTENKOSMOS. Von der zeitlosen Welt zum expandierenden Universum. Claus Kiefer. Institut für Theoretische Physik Universität zu Köln

DAS WELTBILD DER MODERNEN PHYSIK

DAS WELTBILD DER MODERNEN PHYSIK

DER QUANTENKOSMOS. Von der zeitlosen Welt zum expandierenden Universum. Claus Kiefer. Institut für Theoretische Physik Universität zu Köln

Gravitation und Kosmologie

Quantengravitation und Quantenkosmologie

Standardmodell der Kosmologie

Und es werde Licht. Die kosmische Hintergrundstrahlung

Zahlen in der Physik:

Schwarze Löcher, Zeitmaschinen und der Anfang der Welt

Die Schöpfung aus physikalischer Sicht Das frühe Universum

Der Urknall. Wie unser Universum aus fast Nichts entstand

Die dunkle Seite der Kosmologie

Die einfachsten Lösungen sind auch die wichtigsten

Zeitreise durch das Universum - Wo Physik auf das fast Unvorstellbare trifft

Kai Zuber Institut für Kern- und Teilchenphysik TU Dresden

Stringtheorie: Auf der Suche nach der Weltformel

Die Entstehung des Universums - was wir wissen und wo wir rätseln

Das dunkle Universum

Über die Vergangenheit und Zukunft des Universums

Kai Zuber Institut für Kern- und Teilchenphysik TU Dresden

Kosmologie. Eine kurze Einführung. Rolf Landua CERN

Ursprung und Entwicklung des Universums: Voraussetzungen für unsere Existenz

DIE THERMISCHE GESCHICHTE DES UNIVERSUMS & FREEZE-OUT. 14. Dezember Kim Susan Petersen. Proseminar Theoretische Physik & Astroteilchenphysik

Sterne, Galaxien und das Universum

Relativitätstheorie und Kosmologie Teil 2 Unterricht

Inhaltsverzeichnis Vorwort Einleitung Kapitel 1: Sonnensystem Kapitel 2: Sterne, Galaxien und Strukturen aus Galaxien

Gravitationstheorie: nach Newton und nach Einstein

Hauptseminar: Neuere Entwicklungen der Kosmologie

Proseminar: Kosmologie und Astroteilchen Wintersemester 2011/12 Tobias Behrendt. Kosmologisches Standardmodell

Ort: Raum in der Mittelspange. Zeit: Mo 15-17h Mi 15-17h. Beginn Mo d

Das Moderne Universum II

Dunkle Materie und dunkle Energie

Kosmologie. der Allgemeinen Relativitätstheorie. Das Standard-Modell der. Kosmologie

Dunkle Materie und Dunkle Energie. Claus Grupen 2014

Urknall und Entwicklung des Universums

Die Rolle der Zeit in der Kosmologie

Extradimensionen und mikroskopische schwarze Löcher am LHC. Anja Vest

Urknall und. Entwicklung des Universums. Grundlegende Beobachtungen Das Big-Bang Modell Die Entwicklung des Universums 1.1

Quanten - Gravitation

Dunkle Energie Und was Physiker damit meinen

Kosmologie. Eine kurze Einführung. Sarah Aretz CERN

Aus was besteht unser Universum?

Quanten und Superstrings

Kosmologie. Wintersemester 2014/15 Vorlesung # 4,

Raum, Zeit, Universum Die Rätsel des Beginns. Bild : pmmagazin

Einführung in die Astronomie und Astrophysik II

7 Teilchenphysik und Kosmologie

Dunkle Energie, Dunkle Materie und Urknall wie unser Universum zusammenpasst

String Theorie - Die Suche nach der großen Vereinheitlichung

Kosmologie. der Allgemeinen Relativitätstheorie. Das frühe Universum

Die beschleunigte Expansion

Die Entwicklung der Urknalltheorie. Manuel Erdin Gymnasium Liestal, 2012

Kosmologie: Die Expansion des Universums

Vom Urknall. bis heute Zeit. Kosmologie. Christian Stegmann Universität Erlangen-Nürnberg

Einstein: die naechste Schritte. Bernard Schutz AEI

Das dunkle Universum

Moderne Kosmologie. Michael H Soffel. Lohrmann Observatorium TU Dresden

Ist das Universum ein 3-Torus?

Schwarze Löcher. Sackgassen in der Raumzeit. Franz Embacher. Fakultät für Physik der Universität Wien

Der Urknall und die Kosmische Hintergrundstrahlung

Moderne Methoden/Experimente der Teilchen- und Astroteilchenphysik

Karl-Heinz Spatschek. Astrophysik. Eine Einführung in Theorie und Grundlagen. 2. Auflage. 4^ Springer Spektrum

Die seltsame Rezeptur

Die Entwicklung des Universums

Wie schwarz sind schwarze

10. Kosmologie. Kosmologie = Lehre vom Bau des Weltalls kosmologische Weltmodelle = zeitliche & räumliche Entwicklung des Weltalls

Warum ist die RAUMZEIT gekrümmt? Was ist eigentlich Gravitation?

Das neue kosmologische Weltbild zum Angreifen!

Semestereinführung WS 2016/2017

Das Konzept der Raumzeit-Krümmung

Alles aus Nichts: der Ursprung des Universums. Simon White Max Planck Institute for Astrophysics

Dunkle Energie ein kosmisches Rätsel

Exkurs: Schwarze Löcher (3)

Vom Kleinsten zum Größten von den Elementarteilchen zum Universum. Andreas Wipf

Neues aus Kosmologie und Astrophysik 1.0

Kosmologie. Eine kurze Einführung. Sarah Aretz CERN

Modelle des Universums. Max Camenzind Akademie HD Januar 2015

7. Einführung in die Kosmologie

Physics at LHC Mini Schwarze Löcher am ATLAS-Detektor

Schwarze Löcher Staubsauger oder Stargate? Kai Zuber Inst. f. Kern- und Teilchenphysik TU Dresden

Kosmische Strukturbildung im Grossrechner. Simon White Max Planck Institut für Astrophysik

Die Urknalltheorie. KIT Universität des Landes Baden-Württemberg und nationales Forschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft.

Was ist Gravitation?

11.4 Dunkle Materie und Dunkle Energie. Seite 38 Kapitel 11.

Kosmologische Konstante. kosmischer Mikrowellen-Hintergrund. Strukturbildung im frühen Universum

Das Standardmodell der Kosmologie

Hauptseminar Der Urknall und seine Teilchen KIT SS Die Urknalltheorie. Katharina Knott

Kosmische Evolution: der Ursprung unseres Universums

Das Moderne Weltmodell

v = z c (1) m M = 5 log

Heute vor 100 Jahren zwischen Spezieller und Allgemeiner Relativitätstheorie (und danach)

Hauptseminar Der Urknall und seine Teilchen im SS Die Temperaturentwicklung des Universums

Mittwochsakademie WS 15/16 Claus Grupen

Die Entwicklung des Universums vom Urknall bis heute

Die dunkle Seite der Kosmologie

Kosmologie. der Allgemeinen Relativitätstheorie. Das frühe Universum

Semestereinführung SS 2017

Standardmodell der Materie und Wechselwirkungen:

Transkript:

DER QUANTENKOSMOS Von der zeitlosen Welt zum expandierenden Universum Claus Kiefer Institut für Theoretische Physik Universität zu Köln

Inhaltsverzeichnis Unser Universum Relativitätstheorie Die Welt der Quanten Quantengravitation Quantenkosmologie

Unser Universum Ein Blick in das frühe Universum:

Das Jahr der Astronomie Das Jahr 1609 ist eines der wichtigsten für die Astronomie: Johannes Kepler (1571 bis 1630) veröffentlicht seine Astronomia Nova; sie enthält die beiden ersten Keplerschen Gesetze

1609 Galileo Galilei (1564 bis 1642) benutzt als erster ein Fernrohr für astronomische Beobachtungen (Jupitermonde, Mondoberfläche,... ) Peter Paul Rubens, Selbstbildnis im Kreis der Mantuaner Freunde, um 1604 (Wallraf-Richartz-Museum, Köln)

Warum ist es nachts dunkel? Kepler an Galilei 1610: Wenn das wahr ist, und wenn jene Sonnen von gleicher Beschaffenheit sind wie die unsrige, weshalb übertreffen dann alle jene Sonnen insgesamt an Glanz nicht unsere Sonne?

Wichtige Beobachtungen Dunkelheit des Nachthimmels Rotverschiebung der Galaxien Supernovae vom Typ Ia Spektrum der Kosmischen Hintergrundstrahlung Großräumige Verteilung der Struktur (Galaxien, Galaxienhaufen) Häufigkeit der leichten Elemente im Universum (Wasserstoff, Helium, Lithium,... )

Die theoretischen Grundlagen der Kosmologie Wichtigste theoretische Grundlage: Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie R µν 1 2 g µνr + Λg µν = 8πG c 4 T µν Die experimentell bewährten Theorien der Kern- und Teilchenphysik Für das sehr frühe Universum ( inflationäre Phase ) benötigt man auch spekulative Theorien

Hermann Minkowski, Köln, 21.9.1908: Meine Herren! Die Anschauungen über Raum und Zeit, die ich Ihnen entwickeln möchte, sind auf experimentell-physikalischem Boden erwachsen. Darin liegt ihre Stärke. Ihre Tendenz ist eine radikale. Von Stund an sollen Raum für sich und Zeit für sich völlig zu Schatten herabsinken und nur noch eine Art Union der beiden soll Selbständigkeit bewahren.

Allgemeine Relativitätstheorie Äquivalenzprinzip: Beschleunigung und Gravitation sind lokal äquivalent.

Die geometrische Natur der Gravitation Gravitation ist Ausdruck der Geometrie von Raum und Zeit; zentrale Gleichungen: Einsteinsche Feldgleichungen

Die Schwarzschild-Lösung Geometrie in der Umgebung eines kugelförmigen Sterns: Stern Die Schwarzschild-Lösung ist die einzige statische Lösung der Einstein-Gleichungen im Vakuum

Zur Beobachtung Schwarzer Löcher Die supermassiven Schwarzen Löcher der Galaxie NGC 6240

Gravitationswellen

Kosmologie Kosmologisches Prinzip: Wir befinden uns im Universum nicht an einem ungewöhnlichen Ort Hieraus folgen auf sehr großen Skalen die Homogenität (Gleichförmigkeit) und Isotropie (gleicher Anblick in alle Richtungen) des räumlichen Universums

Ebene Zylinder Torus Möbius Band Kleinsche Flasche Die fünf möglichen flachen Räume in zwei Dimensionen

Nordpol Äquator Kugeloberfläche und Pseudosphäre

Ein konsistentes Bild unseres Universums Das Universum ist etwa 13,7 Milliarden Jahre alt; es expandiert mit einer Rate von etwa 71 Kilometer pro Sekunde und Megaparsec; es expandiert heute mit einer positiven Beschleunigung; es ist räumlich ungefähr flach; es besteht hauptsächlich aus:

Die zeitliche Entwicklung unseres Universums von null bis 10 43 Sekunden Quantengravitation zwischen ca. 10 34 und 10 32 Sekunden Beschleunigte Expansion ( Inflation ) 10 6 Sekunden Erzeugung der Baryonen (vor allem Protonen und Neutronen); es gibt ein wenig mehr (ca. 10 9 ) Baryonen als Antibaryonen 1 Sekunde Vernichtung der Antimaterie 1 Sekunde bis 3 Minuten Entstehung der leichten Elemente 380 0 Jahre Entkopplung von Strahlung und Materie 1 Millionen Jahre Entstehung der ersten Galaxien 13,7 Milliarden Jahre Heute Skalenfaktor "heute" Zeit

Die Grenzen der klassischen Kosmologie Roger Penrose und Stephen Hawking 1970: Unter sehr allgemeinen Annahmen ist Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie unvollständig; sie kann den Anfang des Universums nicht beschreiben ( Singularitätentheoreme ) QUANTENGRAVITATION?

Quantentheorie Superpositionsprinzip Die Summe zweier physikalischer Quantenzustände (Wellenfunktionen) ist wieder ein physikalisch erlaubter Zustand; Ψ = αψ 1 + βψ 2

Die Unbestimmtheitsrelation x p 2

Das Meßproblem Objekt Apparat Ideale Messung eines Quantensystems durch einen Meßapparat, bei dem sich makroskopische Superpositionen ergeben können

Schrödingers Katze

Entstehung klassischer Eigenschaften Objekt Apparat Umgebung Realistische Erweiterung des von Neumannschen Meßmodells, bei der die Umgebung des Apparats einbezogen wird

Klassische Eigenschaften entstehen durch Dekohärenz, der irreversiblen und unvermeidlichen Wechselwirkung mit der Umgebung Ort

Warum Quantengravitation? Vereinheitlichung aller Wechselwirkungen Singularitätentheoreme Schwarze Löcher Urknall Das Problem der Zeit Das Scheitern von Alternativen

Albertus Magnus (um 12-1280): Ergo esse temporis non dependet ab anima, sed temporis perceptio.

Max Planck, Über irreversible Strahlungsvorgänge, Sitzungsberichte der königlich-preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, phys.-math. Klasse, Seiten 440 80 (1899)

Planck-Einheiten l P = t P = l P c = m P = l P c = G c 3 1,62 10 35 Meter G c 5 5,40 10 44 Sekunden c G 2,17 10 8 19 GeV Kilogramm 1,22 10 c 2 Max Planck (1899): Diese Grössen behalten ihre natürliche Bedeutung so lange bei, als die Gesetze der Gravitation, der Lichtfortpflanzung im Vacuum und die beiden Hauptsätze der Wärmetheorie in Gültigkeit bleiben, sie müssen also, von den verschiedensten Intelligenzen nach den verschiedensten Methoden gemessen, sich immer wieder als die nämlichen ergeben.

Die Zeitlosigkeit der Quantengravitation ĤΨ = 0 (Wheeler-DeWitt-Gleichung) Auf der fundamentalen Ebene der Quantengravitation ist die Zeit völlig verschwunden. Nur unter wohldefinierten speziellen Umständen ergibt sich ein approximativer Zeitbegriff, der mit dem Zeitbegriff in der Relativitätstheorie übereinstimmt

Der Vorschlag von Hartle und Hawking Zeit Imaginäre Zeit Stephen Hawking, Vatikankonferenz 1982: Die Randbedingungen des Universums müssen sehr speziell sein, und was kann spezieller sein als die Bedingung, daß es keinen Rand gibt.

Schwarzer Löcher: Schlüssel zur Quantengravitation? Schwarze Löcher strahlen mit einer Temperatur ( Hawking-Temperatur ) proportional zum Planckschen Wirkungsquantum ; die Temperatur steigt mit abnehmender Masse T SL = c 3 8πGk B M 6,2 10 8M M Kelvin Schwarze Löcher haben eine endliche Lebensdauer: τ SL ( M0 m p ) 3 ( ) 3 t p 10 65 M0 Jahre M Das Endstadium der Verdampfung kann nur im Rahmen der Quantengravitation beschrieben werden Benötige zur Beobachtung leichte Schwarze Löcher (primordiale Löcher oder am LHC erzeugte Löcher)

Suche nach primordialen Schwarzen Löchern Primordiale Schwarze Löcher entstehen aus Dichtefluktuationen im frühen Universum (mit Massen von 1 Gramm aufwärts); primordiale Schwarze Löcher mit einer Anfangsmasse von M 0 5 10 14 Gramm würden heute zerstrahlen typisches Spektrum von Gammastrahlen Fermi Gamma-ray Space Telescope; Start: Juni 28

Quantenkosmologie Gell-Mann und Hartle 1990: Die Quantenmechanik selbst kann man am besten und grundlegendsten im Rahmen der Quantenkosmologie verstehen. Universell gültige Quantentheorie: Anwendung auf das Universum als Ganzes als dem einzigen streng abgeschlossenen System Wellenfunktion des Universums Benötige Quantentheorie der Gravitation, da diese auf kosmischen Skalen dominiert

Was soll die Quantenkosmologie leisten? Vollständiges Bild für die Entstehung und Entwicklung des Universums ohne Singularitäten Ursprung der Zeitrichtung Strukturentwicklung aus Quantenfluktuationen (sehr wichtig: Dekohärenz) Lösung der Rätsel von Dunkler Materie und Dunkler Energie? Tieferes Verständnis der Quantentheorie

Ursprung der Zeitrichtung Fundamentale Asymmetrie der Wheeler-DeWitt-Gleichung bezüglich der Größe des Universums (der inneren Zeit ): größere Entropie bei größerem Universum? Expansion des Universums definiert Zeitrichtung Ist die Expansion des Universums eine Tautologie?

0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 1 1 1 1 1 1 1 0 0 0 0 1 1 1 1 0 0 0 0 1 1 1 1 Big Bang Big Crunch black holes Hawking radiation black holes Radius zero Radius zero Hawking radiation Hawking radiation maximal extension

Beobachtungen? Enthält das Anisotropiespektrum der Hintergrundstrahlung Information über die Quantengravitation? Mit Spannung erwartet: Ergebnisse des PLANCK-Satelliten (Start: Mai 29)

Quo vadis? Albert Einstein 1953: Es hat schweren Ringens bedurft, um zu dem für die theoretische Entwicklung unentbehrlichen Begriff des selbständigen und absoluten Raumes zu gelangen. Und es hat nicht geringerer Anstrengung bedurft, um diesen Begriff nachträglich wieder zu überwinden ein Prozeß, der wahrscheinlich noch keineswegs beendet ist. Literatur C. Kiefer, Der Quantenkosmos (S. Fischer 28).