Lebenswelt und Pflegewelt Pflegearrangements aus lebensweltlicher und professioneller Perspektive
Einstiegsszene.... wenn Pflegewelt auf Lebenswelt trifft...
Kooperation lebensweltlicher und professioneller Helfer Warum werden professionelle Hilfen trotz der hohen Belastungen Angehöriger häufig gar nicht oder nur zögerlich in Anspruch genommen? Was zeichnet die lebensweltliche bzw. die professionelle Perspektive jeweils aus? Was sollten professionelle Helfer sich bewusst machen, wenn sie ein informelles Pflegearrangement unterstützen wollen? Wie müssen Unterstützungsangebote gestaltet sein, damit sie als hilfreich erlebt werden? Welche strukturellen Veränderungen im Gesundheitssystem könnten die Kooperation fördern? Welche Chancen beinhaltet eine gute Kooperation?
Charakteristika der Lebenswelt Lebenswelt als die die Subjekte umgebende Wirklichkeit unter Einschluss anderer Personen, mit denen sie durch eine Wir-Beziehung verbunden sind (Otto & Bauer 2004: 195) - hineingeboren / sozialisiert / fraglos gegeben - Teil des Netzwerkes / Zugang zu Ressourcen (z.b. Sprache, Einkommen) - Teil gemeinsamer Geschichte - gemeinsame Werte und Normen - tradierte Verhaltensmuster
Charakteristika der Pflegewelt => professionelle Perspektive - erworben (Berufssozialisation) - Basis: wiss. Regelwissen / objektive Fachlichkeit - Berufsethos - Teil des hierarchisch geregelten Versorgungssystems - Außenperspektive - rationale und funktionale Handlungsorientierung => Analyse
Perspektiven und Logiken der Akteure Warum werden professionelle Hilfen trotz der hohen Belastung Angehöriger häufig nicht oder nur zögerlich in Anspruch genommen? Es gibt grundlegende Unterschiede der Perspektiven z.b. in Bezug auf: - die Bedeutung von Pflegebedürftigkeit - Ziele und Qualitätskriterien - Kontext und Motivation - Problemlösungsstrategien und Coping
Bedeutung von Pflegebedürftigkeit Lebensweltliche Sicht Statuspassage: Normalhaushalt wird Pflegehaushalt Störung gewohnter Abläufe in der Alltagsorganisation Notwendigkeit die Rollen im Beziehungsgeflecht neu zu definieren Verlust an Stabilität im Familiensystem Teil alltäglicher Sorgearbeit Professionelle Sicht Funktionseinschränkung Bedarf an spezifischen Unterstützungsleistungen bzw. (auch) professionellen Hilfen ein neuer Arbeitsauftrag
Ziele => Qualitätskriterien Lebensweltliche Sicht Erhaltung von Normalität, Identität und Autonomie - Beibehaltung gewohnter und bewährter Strukturen und Abläufe - Zuhause als Ort der persönlichen Regeneration für alle Familienmitglieder erhalten erlebte Entlastung Überschaubarkeit der Leistungen (Minimierungsbedürfnis) => subjektiv / selbst definiert Professionelle Sicht optimale medizinischpflegerische Versorgung Effektivität, funktionale Organisation ökonomische Effizienz => objektiv / standardisiert
Lebensweltliche Sicht Kontext => Motivation Professionelle Sicht Mein Vater ist an einer Demenz erkrankt. Die Pflege von Herrn Meier mit einer Demenz. persönliche Bindung affektive Solidarität/ Reziprozität/ moralische Verpflichtung biografische Bezüge emotionale Orientierung der Beziehung Vertrauensbeziehung vorhanden professionelle Beziehung persönliche Distanz keine persönliche Involviertheit Broterwerb rationale Orientierung der Beziehung Vertrauen aufbauen
Problemlösungsstrategien / Coping Lebensweltliche Reaktion diffus, unbewusst, wenig transparent, unausgesprochen emotional geprägte Beziehungsdynamik Rückgriff auf bewährte Muster ggf. Überredung, stillschweigende Übereinkünfte, u.u. auch Zwang Suche nach Lösungen innerhalb des informellen Netzwerkes Professionelle Intervention fachlich begründete Einschätzung / Entscheidung klare Absprachen rationale Verhandlungen Personaleinsatz / Aufgabenzuteilung nach Qualifikation Nutzung der bestehenden Versorgungsstruktur Instrumentalisierung der Familie als Supportsystem
Warum ist die Auseinandersetzung mit der lebensweltlichen Perspektive für Professionelle so wichtig? Ziel: besseres Verständnis des lebensweltlichen Kontextes - um gemischte Pflegearrangements mit Synergie- Effekten zu fördern - für eine qualitativ bessere und effektivere Pflege - zur Unterstützung und Entlastung der lebensweltlichen Helfer - für die gesellschaftlich notwendige Erhaltung der lebensweltlichen Pflegepotenziale
Konsequenzen Was sollten professionelle Helfer sich bewusst machen, wenn sie ein informelles Pflegearrangement unterstützen wollen? - lebensweltliche Helfer setzten Prioritäten anders als Professionelle - die Anerkennung des Expertentums und der Leistungen des lebensweltlichen Systems (keine Entwertung!) - der Hilfebedarf wird aus lebensweltlicher Sicht definiert - familiäre Muster und Problemlösestrategien sollten erkannt und respektiert werden - Hilfen auch für die lebensweltlichen Helfer (care for the caregivers) - geheime Hierarchien in professionellen Kooperationskonzepten (informelle Helfer als Ressource, Mitarbeiter oder zusätzliche Klienten) sind abwertend und kontraproduktiv - professionelles Selbstverständnis: informelle und formelle Hilfen sollen sich ergänzen, nicht ersetzen
Konsequenzen Wie müssen gemischte Pflegearrangements gestaltet sein, damit sie als hilfreich erlebt werden? - Unterschiede müssen erkannt und als Ressource genutzt werden - Abgrenzung der Aufgaben => Ergänzung - hohes Maß an gegenseitiger Anerkennung und Toleranz - Raum für extrafunktionale Kommunikation / Kommunikation auf Metaebene als Puffer und zur Sicherung notwendiger Hilfen - weder die professionelle noch die lebensweltliche Perspektive dominiert, Art und Umfang der Hilfeleistungen werden ausgehandelt und angepasst - Ziel: Hilfe zur Selbsthilfe / Stärkung des lebensweltlichen Systems und seiner Autonomie - Voraussetzungen für den Aufbau von Vertrauen und tragfähigen Beziehungen sind personelle Kontinuität und Zuverlässigkeit
Konsequenzen Welche strukturellen Veränderungen im Gesundheitssystem fördern die Kooperation? Anerkennung, Etablierung und Finanzierung lebensweltorientierter Pflegearrangements (z.b. Case Management) auch von Seiten der Politik und der Kostenträger Verbesserung der fachlichen Qualifikationen / Erweiterung der Perspektiven im Bereich der Kommunikation, Beziehungsorientierung und Interaktion Integration einer lebensweltorientierten Herangehensweise in die Ausbildung => Wandel des beruflichen Selbstverständnisses und der öffentlichen Wahrnehmung Förderung innovativer lebensweltorientierter Konzepte (z.b. im Rahmen von Modellprojekten)
Welche Chancen beinhaltet eine gelungene Kooperation zwischen Lebenswelt und Pflegewelt psychosoziale Entlastung für alle Beteiligten Ergänzung der Ressourcen: - gegenseitige Information und gemeinsame Auswertung - gemeinsame Entwicklung und Umsetzung eines Handlungsplans - gegenseitiges Feedback zum Umgang mit Problemen geben - gegenseitige Stärkung der Fähigkeiten zur Bewältigung schwieriger Situationen optimale Unterstützung durch beide Hilfesysteme Sicherung des Pflegearrangements / der Versorgung
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Fragen?
Literatur Bauer, P. & Otto, U. (2004). Lebensweltorientierte Soziale Arbeit mit älteren Menschen. In H. Thiersch & K. Grunwald (Hrsg.), Praxis lebensweltorientierter sozialer Arbeit. Handlungszugänge und Methoden in unterschiedlichen Arbeitsfeldern (S. 195-212). Weinheim und München: Juventa. Bosch, C.F.M. (1998). Vertrautheit. Studie zur Lebenswelt dementierender alter Menschen. [Übers.: U. Skutta-Pluim. Bearb.: W. Schnepp.] Wiesbaden: Ullstein Medical Büscher, A. (2007). Negotiating Helpful Action. A Substantive Theory on the Relationship between Formal and Informal Care. Tampere: University Press. Emmerich, D. (2002): Wie Pflegekräfte die Angehörigenpflege sehen. In W. Schnepp (Hrsg.), Angehörige pflegen (S.310-334). Bern: Huber. Frey, C. (2010). Helfer, Hilfen und Demenz. Angehörige Demenzkranker im Kontext formeller und informeller Hilfen. Dissertation Katholische Universität Ingolstatt-Eichstätt. Verfügbar unter http://www.opus-bayern.de/kueichstaett/volltexte/2011/83 [23.05.2013]. Klie, T. & Monzer, M. (2008). Case Management in der Pflege. Die Aufhgabe personen- und familienbezogener Unterstützung bei Pflegebedürftigkeit und ihre Realisierung in der Reform der Pflegeversicherung. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 41, 92-105. Kraus, B. (2004). Lebenswelt und Lebensweltorientierung eine begriffliche Revision als Angebot an eine systemischkonstruktivistische Sozialarbeitswissenschaft. Verfügbar unter http://www.sozialarbeit.ch/dokumente/lebensweltorientierung.pdf [10.05.2013]. Walther Nufer, T. & Spichiger, E. (2011). Wie Angehörige von Patientinnen mit Demenz deren Aufenthalt auf einer Akutstation und ihre eigene Zusammenarbeit mit Fachpersonen erleben: Eine qualitative Studie. Pflege, 24 (4), S.229-237. Wehrmann, A. (2002): Zur Gestaltung häuslicher Pflegearrangements. In W. Schnepp (Hrsg.), Angehörige pflegen (S. 283-309). Bern: Huber. Zemann, P. (2005). Pflege in familialer Lebenswelt. In: K. R. Schroeter & T. Rosenthal (Hrsg.), Soziologie in der Pflege. Grundlagen, Wissensbestände und Perspektiven (S. 247-262). Weinheim und München: Juventa. Zemann, P. (2002). Makro- und Mikropolitik des Alters. In C. Tesch-Römer (Hrsg.), Gerontologie und Sozialpolitik ( S. 175-195) Stuttgart: Kohlhammer. Zemann, P. (1997): Häusliche Altenpflegearrangements. Interaktionsprobleme und Kooperationsperspektiven von lebensweltlichen und professionellen Helfersystemen. In U. Braun & R. Schmidt (Hrsg.), Entwicklung einer lebensweltlichen Pflegekultur (S. 97-112). Regensburg :Transfer Verlag.