Hammer HF. Das Symptom Obstipation. Journal für Ernährungsmedizin 2008; 10 (1), 6-11

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Hammer HF Das Symptom Obstipation Journal für Ernährungsmedizin 2008; 10 (1), 6-11 For personal use only. Not to be reproduced without permission of Verlagshaus der Ärzte GmbH.

6 W I S S E N S C H A F T L I C H E A R B E I T E N Das Symptom Obstipation D ie Ur s achen d er Obs t ipation kö nnen au f s e hr ver s c hiedenen Ebenen liegen. Im Sinn einer optimalen T herapie sind ein umf assendes Ver s t ändnis und eine rationelle Abklär ung er forderlich. 3 H E I N Z F. H A M M E R * A B S T R A C T S During the last decades our understanding of constipation and its underlying mechanisms has substantially increased. This work gives an overview of our current knowledge on diagnosis and therapy of constipation. Therapy may include dietary fibres, osmotic and stimulating laxatives, enemas and botulinus toxin. In some cases with mechanical causes a surgical intervention may be indicated. Methods of complementary medicine as Maier-regimen or colonic irrigation can generally not be recommended. K e y w o r d s : Constipation, Colon, stool, digestive problem, defaecation In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Verständnis der Mechanismen, die der Obstipation zugrunde liegen, wesentlich erweitert. Die vorliegende Arbeit fasst den aktuellen Stand in Diagnose und Therapie zusammen. Die Therapiemaßnahmen umfassen die Zufuhr von Ballaststoffen, osmotische und stimulierende Laxantien, Einläufe sowie Botulinustoxin-Injektionen. Bei einigen mechanischen Ursachen der Obstipation ist eine chirurgische Behandlung die Methode der Wahl. Von komplementärmedizinischen Verfahren wie der Maier-Kur oder Darmspülungen sollte dem Stand des Wissens zufolge Abstand genommen werden. S c h l ü s s e l w ö r t e r : Obstipation, Kolon, Stuhl, Verdauungsbeschwerden, Defäkation Die Obstipation kann Symptom einer Vielzahl von Erkrankungen sein (Tab. 1), als Komplikation einer medikamentösen Therapie auftreten (Tab. 2) oder Ausdruck einer primären oder sekundären Funktionsstörung des Kolons oder Anorektums sein (Tab. 3). Entgegen einer weit verbreiteten Meinung ist die Obstipation kein Symptom, das erst in den letzten Generationen als Folge der modernen Lebens- und Ernährungsweise entstanden ist. Bereits in ägyptischen Papyri und medizinischen Texten aus dem antiken Griechenland sind eine Reihe von Darmreinigungsmittel und Mittel zur Darmentleerung aufgeführt. Auch in der europäischen Kunst und Literatur finden sich seit dem Mittelalter zahlreiche Hinweise auf die Obstipation. Statistische Untersuchungen haben gezeigt, dass sich die Prävalenz der Obstipation in den vergangenen 30 Jahren nicht geändert hat. Die Prävalenz der Obstipation ist bei Frauen dreimal so hoch wie bei Männern, nimmt mit dem Alter zu, und ist bei Personen mit niedrigem Einkommen, kurzer Ausbildungsdauer und Zugehörigkeit zu unteren sozialen Schichten höher. Die größte Risikogruppe für die Entwicklung einer Obstipation sind Patienten mit neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen. Bei älteren Patienten kann die Obstipation zu schweren oder lebensbedrohlichen Komplikationen, wie Stuhlimpaktierung, Inkontinenz, Megakolon und Kolonperforation, führen. D e f i n i t i o n d e r O b s t i p a t i o n Die Obstipation wird üblicherweise definiert als eine Stuhlfrequenz unter drei pro Woche. Für Patienten können aber andere Symptome im Vordergrund stehen: zum Beispiel beim Stuhlgang pressen zu müssen, das Gefühl der inkompletten Stuhlentleerung, Schwierigkeiten oder Schmerzen bei der Stuhlentleerung, oder harter Stuhl. Tagebuchaufzeichnungen im Rahmen von Studien haben gezeigt, dass Patienten im Allgemeinen ihre Stuhlfrequenz unterschätzen. Zwischen 30 und 50 Prozent der älteren Bevölkerung verwendet Laxantien regelmäßig; der Grund dafür ist in der überwiegenden Zahl der Fälle die Notwendigkeit zum Pressen beim Stuhlgang und nicht eine niedrige Stuhlfrequenz. P h y s i o l o g i e u n d P a t h o p h y s i o l o g i e d e r S t u h l e n t l e e r u n g Voraussetzungen einer ungestörten Stuhlentleerung sind: 1) ein ausreichendes Stuhlvolumen, damit eine adäquate Stimulation der Kolonperistaltik und des rektalen Entleerungsreflexes erfolgen kann, 2) ein ungestörter Ablauf der Dünndarm- und Kolonmotilität, um Stuhl zum Rektum zu transportieren, 3) eine normale Sensibilität des Anorektums, um die Gegenwart von Stuhl zu erkennen und den Entleerungsreflex in Gang zu setzen. Die Stuhlentleerung ist ein komplexer Reflexmechanismus, der Zentren des Rückenmarkes und des Gehirnes involviert und die Koordination zwischen Anstieg des intraabdominellen Druckes durch Kontraktion der Bauchwandmuskulatur, 1 2008 ernährungsmedizin

W I S S E N S C H A F T L I C H E A R B E I T E N 7 Mechanische Metabolische Intestinale Intestinale Obstruktionen Erkrankungen Myopathien Neuropathien Anderes Kolonkarzinom Diabetes mellitus Amyloidose Morbus Parkinson Depression Externe Kompression Hypothyreose Sklerodermie Rückenmarks- Anorexia nervosa Striktur: Divertikulitis, Hyperkalzämie Mixed Connective verletzung oder Autonome Neuropathie post-ischämisch, Hyperpara- Tissue Disease Tumor Immobilität post-chirurgisch, thyroidismus Myopathische Zerebral vaskuläre Demenz Crohn Phäochromocytom Pseudoobstruktion Erkrankung Herzerkrankung Adhäsionen Hypokaliämie Chagas Multiple Sklerose Schwangerschaft Intussuszeption Hypomagnesämie Erkrankung Neuropathische Idiopathisches Kolonvolvulus Urämie Pseudoobstruktion Megacolon Endometriose Schwermetall- Hirschsprung Schmerzhafte Hernie vergiftung anale Erkrankung Rektumprolaps Porphyrie (entzündete Hämorr- Rektozele hoiden, Fissur, Abszess) Tab. 1: Obstipation als Symptom einer zugrundeliegenden Erkrankung Entspannung der Beckenbodenmuskulatur und der analen Sphinkter und Öffnung des anorektalen Winkels regelt. Wichtige Eigenschaften einer normal funktionierenden intestinalen Motilität sind das Ansteigen der propulsiven Motorik nach dem morgendlichen Aufwachen sowie die postprandial gesteigerte kontraktile Aktivität des Kolons (gastrocolonischer Reflex). Das chronische Unterdrücken des Dranges zum Stuhlgang führt zu einer Verlangsamung der Kolontransitzeit und kann zum Verlernen der Relaxation des Beckenbodens sowie der Koordination zwischen Kontraktion der Bauchwandmuskulatur und Relaxation der Beckenbodenmuskulatur führen. Opiate Antikonvulsiva Anticholinergika Gangliumblocker Trizyklische Diuretika Antidepressiva Antihistaminika Kalziumkanalblocker Antazida Sympathomimetika Kalziumsupplemente Antipsychotika Eisensupplemente Anti-Parkinson- Nicht-steroidale Medikamente Antirheumatika Tab. 2: Medikamentöse Ursachen der Obstipation K l i n i s c h e E v a l u i e r u n g Die Anamnese trägt wesentlich zur Erstellung einer Verdachtsdiagnose und zur Auswahl der weiterführenden Diagnostik sowie der Therapie bei. Als erstes muss der Patient ersucht werden die Obstipation zu definieren, um Missverständnisse zwischen dem Patienten und dem Arzt zu vermeiden. Des Weiteren muss abgeklärt werden, ob es sich um eine akut einsetzende Obstipation, um eine Zunahme oder Veränderung des Symptombildes bei chronischer Obstipation, oder um eine stabile chronische Obstipation handelt. Bei den ersten beiden Fällen muss eine spezifische Befragung des Patienten angeschlossen werden, deren Ziel es ist, die in Tabelle 1 angeführten Ursachen der Obstipation näher einzugrenzen und eine entsprechende rationelle und rationale Abklärung einzuleiten. Bei einer stabilen chronischen Obstipation muss man eher mit einer funktionellen Ursache, wie in Tabelle 3 angeführt, rechnen. Bei der stabilen chronischen Obstipation ermöglichen die vorliegenden Symptome häufig eine Differenzierung zwischen Kolonfunktionsstörungen und anorektalen Ursachen der Obstipation (Tab. 4). Allgemeines Ballaststoffarme Ernährung Exsikkose (Altersheim!) Inaktivität (Altersheim!) Unterdrücken des Stuhldranges Motilitätsstörung des Kolons Verzögerter Kolontransit (Kolonträgheit) Obstipations-prädominantes Reizdarmsyndrom Anorektale Fehlfunktion ( Outlet Obstruction ) Anismus Beckenbodendeszensus Puborectalis Dysfunktion (Beckenbodenfehlfunktion oder -spasmus) Hirschsprung Verringerte Rektumsensibilität Megarektum Tab. 3: Funktionelle Ursachen der chronischen Obstipation ernährungsmedizin 1 2008

8 W I S S E N S C H A F T L I C H E A R B E I T E N Schmerzen: Schmerzen bei Defäkation, in Verbindung mit anderen Symptomen einer gestörten anorektalen Funktion, sprechen für eine Fissur, wenn die Schmerzen scharf und brennend sind, und für eine perianale Entzündung, wenn diese als dumpf empfunden werden. Schmerzen beim spastischen Puborectalissyndrom (Beckenbodenspasmus) werden ebenfalls als dumpf empfunden, sind in der Regel aber Motilitätsstörung des Kolons Harter und kleiner Stuhl Seltene Defäkation Fehlender Drang zur Defäkation Anorektale Fehlfunktion Dünner Stuhl Widerstand bei Defäkation Pressen bei Defäkation Gefühl inkompletter Entleerung Anale Schmerzen bei Defäkation Manuelle Schienung des Perineums bei Defäkation Digitale Schienung der hinteren Vaginalwand bei Defäkation Digitale Stuhlausräumung Inkomplette oder fehlende Entleerung eines Einlaufes Reizdarmsyndrom Kleine, harte Stühle Abdomineller Schmerz gebessert durch Defäkation Wechselndes Stuhlverhalten Gefühl inkompletter Stuhlentleerung Tab. 4: Symptome bei den häufigsten Ursachen der chronischen Obstipation Inspektion Abdominelle Distension Perianale Fissur, Entzündung oder Narbe Beckenbodendeszensus Verringerte Beweglichkeit des Perineums Rektumprolaps Palpation Tastbarer Tumor, abdominell oder rektal Stuhlimpaktion Analstriktur Hoher Analkanaltonus Schmerzhafter Analkanal Schmerzen am Rand des Musculus puborectalis Rectocele Tab. 5: Mögliche Befunde der körperlichen Untersuchung episodisch auftretend und selbstlimitiert. Schmerzen, die durch den Stuhlgang erleichtert werden, sprechen für ein Reizdarmsyndrom. Blut: Bei Blutbeimengungen zum Stuhl muss man an Tumor, Divertikulose, Darmischämie oder Mukosaläsionen durch Intussuszeption, Rektumprolaps oder Einläufe denken. Bei der Anamnese sind auch mögliche psychische und psychiatrische Ursachen der Obstipation abzuklären. Physikalische Untersuchung Auf Vorhandensein der in Tabelle 5 angeführten morphologischen oder funktionellen Befunde ist zu achten. Die Beweglichkeit des Perineums wird in der Linksseitenlage untersucht. Der Patient wird angehalten, wie zum Stuhlgang zu pressen und anschließen zu Kneifen, wie um einen Stuhlgang zu verhindern. Bei diesen Manövern soll sich das Perineum um etwa 2 cm bewegen. Eine verringerte Beweglichkeit spricht für eine Beckenbodenfehlfunktion, eine verstärkte Beweglichkeit hingegen für einen Beckenbodendeszensus. Laboruntersuchungen Bei Patienten mit akutem Beginn oder Verschlechterung einer bestehenden Obstipation sind jene Laboruntersuchungen durchzuführen, die für die weitere Abklärung der in Tabelle 1 gelisteten Ursachen der Obstipation notwendig sind. Bei jedem Patienten mit Obstipation sollte ein Nachweis auf okkultes Blut im Stuhl durchgeführt werden. Abdomen-Leer-Röntgen Im Abdomen-Leer-Röntgen können Gasverteilungsmuster, die als Hinweis auf Vorliegen einer Pseudoobstruktion, eines Morbus Hirschsprung, einer Stenose oder eines Dickdarmvolvulus gedeutet werden können, nachweisbar sein. Des weiteren kann man die Menge und die Verteilung des Stuhls im Kolon abschätzen. Bei Verdacht auf Vorliegen einer Stenose im Dickdarm empfiehlt sich die Durchführung eines Kontrastmitteleinlaufes des Kolons. Sonst ist zur diagnostischen Abklärung des Kolons der Koloskopie der Vorrang zu geben, da damit eine bessere Beurteilung des Rektums erfolgen kann. Ein Kontrastmitteleinlauf des Kolons muss auf alle Fälle durch eine Rektosigmoidoskopie ergänzt werden. Die Notwendigkeit zur Durchführung anderer bildgebender Untersuchungstechniken ergibt sich bei vorliegenden spezifischen Verdachtsdiagnosen zum Ausschluss beziehungsweise Nachweis dieser Erkrankungen. Spezialisier te diagnostische Untersuchungen Wenn eine chronische Obstipation resistent gegenüber einer, unten beschriebenen, symptomadaptierten symptomatischen Therapie ist, soll der Patient zur weiteren Abklärung einem spezialisierten Zentrum zugewiesen werden. Mit Hilfe verschiedener Funktionsuntersuchungen wie der anorektalen Funktionstestung (bestehend aus Manometrie, Sensibilitätstestung, Reflextestung, Ballonexpulsionstest), der Kolontransitzeitbestimmung (mit Markermethode oder szintigraphisch) und der Defäkographie ist eine genauere 1 2008 ernährungsmedizin

W I S S E N S C H A F T L I C H E A R B E I T E N 9 (3) MEDIZINISCHE UNIVERSITÄTSKLINIK GRAZ Abb. 3: Darminhalt läßt sich durch radioaktiven Tracer markieren. Damit kann man Stuhl durch die verschiedenen Kolonregionen verfolgen. Dies erlaubt eine Bestimmung sowohl der totalen als auch der regionalen Kolontransitzeit. Ursachen der Obstipation bei 70 Patienten 6% 11% 1% Abb. 1: Verteilung röntgendichter Marker (zum Beispiel hergestellt durch Zerschneiden einer Magensonde in etwa 2 mm dicke kreisförmige Stücke) im Kolon bei verzögertem Kolontransit (links) und anorektaler Funktionsstörung (rechts). Jeweils 20 Marker werden an drei aufeinanderfolgenden Tagen jeweils zur gleichen Uhrzeit eingenommen. Am vierten Tag wird zur gleichen Uhrzeit ein Abdomen-Leer-Röntgen angefertigt. Ein verzögerter Kolontransit kann als primäre Funktionsstörung auftreten, oder Folge einer mechanischen oder funktionellen Obstruktion im Anorektum sein. Ansimus Rektozele Beckenbodenfehlfunktion IBS langsamer Colontransit Beckenbodenfehlfunktion mit exzessivem Beckenbodendeszensus oder Ansimus 27% 23% 31% Abb. 4: Als funktionelle Ursachen der chronischen Obstipation fanden sich bei 70 konsekutiven Patienten Beckenbodenfehlfunktion bei 31 Prozent, langsamer Kolontransit bei 27 Prozent, Reizdarmsyndrom (IBS) bei 23 Prozent, Anismus bei 11 Prozent, Rektozele bei 1 Prozent und eine kombinierte Störung der Beckenbodenfunktion bei 6 Prozent. Die Hälfte der Patienten mit Beckenbodenfehlfunktion hatte einen reflektorisch verlangsamten Kolontransit. Stuhlgewicht (g/d) 1.750 1.500 1.250 1.000 750 500 250 0 0 100 200 300 400 mosmol/d HAMMER HF ET AL, J.CLIN. INVEST. 1989 PEG (Macrogol) Laktulose Abb. 2: Im Rahmen einer Defäkographie kommt es bei dieser Patientin zur Ausstülpung einer vorderen Rektozele, sowie zu einer bandförmigen Einschnürung des Rektums von hinten, die bei dieser lateralen Aufnahme als scharf begrenzte halbkugelige Einbuchtung der Rektumkontur erkenntlich ist. Abb. 5: Osmotische Laxantien wie Macrogol und Laktulose erhöhen den Wassergehalt des Stuhles. Lineare Beziehung zwischen eingenommener Menge von Macrogol und Stuhlgewicht. Im Gegensatz zu Laktulose ist unter Einnahme von Macrogol der Effekt auf das Stuhlgewicht gut vorherzusagen. ernährungsmedizin 1 2008

10 W I S S E N S C H A F T L I C H E A R B E I T E N Charakterisierung der zugrundeliegenden Funktionsstörung und eine gezieltere Therapie möglich. Abbildung 1 zeigt eine schematische Darstellung der Ergebnisse einer Kolontransitzeitbestimmung nach Einnahme von Markern. Abbildungen 2 und 3 zeigen eine Defäkographie und eine szintigraphische Kolontransitzeitbestimmung. Die Durchführung und Interpretation dieser Untersuchungen sollten aufgrund ihrer Komplexität erfahrenen Spezialisten vorbehalten bleiben, da sehr häufig verschieden Funktionsstörungen in Kombination auftreten und somit das klinische Bild verkomplizieren. Mit Hilfe derartiger Funktionstestungen Vorhandensein von Warnsymptomen Akuter Beginn der Obstipation Veränderung der Symptome bei chronischer Obstipation Gewichtsverlust Blutungszeichen Bauchschmerzen Auftreten von Kolonkarzinomen in der Familie Persistierende, eventuell druckempfindliche, tastbare Resistenz Alter über 40 Jahre bei Beginn der Symptome Therapieversagen Keine Besserung unter medikamentöser Therapie Chronischer Bedarf an hohen Laxantiendosen Tab. 6: Indikationen zur endoskopischen und funktionellen Abklärung Bei Verdacht auf Beckenbodenfehlfunktion Ballaststoffarme Ernährung Macrogol, saline Laxantien Wiedererlernen der Entleerungsfunktion Eventuell Glycerin-Suppositorium oder Klysma bei Bedarf Bei resistenten Formen: Biofeedback Verzögerter Kolontransit Ballaststoffreiche Ernährung Macrogol, saline Laxantien Subtotale Kolonresektion oder Ileostoma, nur bei Therapieresistenz Irritables Darmsyndrom Ballaststoffreiche Ernährung, falls sie vertragen wird Macrogol, saline Laxantien Vorsicht mit spasmolytischen Medikamenten Trizyklische Antidepressiva bei Schmerzprädominanz Tab. 7: Symptomangepasste Behandlung der chronischen Obstipation konnten wir, wie in Abbildung 4 ersichtlich, Beckenbodenfehlfunktionen als die häufigste Ursache der chronischen Obstipation feststellen, gefolgt von isoliert verzögertem Kolontransit und Reizdarmsyndrom. B e h a n d l u n g Wenn eine behandelbare Ursache der Obstipation ausgeschlossen wurde, und keines der in Tabelle 6 angeführten Warnsymptome vorliegt, soll die symptomatische Behandlung mit ballaststoffreicher Ernährung und körperlicher Aktivität eingeleitet werden. Allgemeine Therapiemaßnahmen Patienten mit Symptomen einer anorektalen Funktionsstörung sollen über die Bedeutung des gastrocolonischen Reflexes informiert werden und darin unterrichtet werden, diesen für die Stuhlentleerung zu nutzen. Das heißt, dass, ohne Zeitdruck, nach dem Frühstück Zeit für das Aufsuchen der Toilette reserviert werden soll. Der gastrocolonische Reflex kann durch die Verabreichung eines Glycerinsuppositoriums, welches die Rektumkontraktilität steigert, unterstützt werden. Des Weiteren soll der Stuhlwassergehalt durch Verabreichung von salinen Laxantien gesteigert werden. Bei resistenten Funktionsstörungen kann Biofeedback beim Wiedererlernen der normalen Funktionen der Beckenbodenmuskulatur, der analen Sphinkteren und der Rektumsensibilität helfen. Medikamentöse Therapie Bei Notwendigkeit zur medikamentösen Therapie der chronischen Obstipation sollen die Medikamente nach den in Tabelle 7 gezeigten Indikationsgruppen ausgewählt werden. Ballaststof fe Ballaststoffe in einer Dosierung von 10 16 g/d, verbunden mit ausreichender Flüssigkeitszufuhr, können dann eingesetzt werden, wenn sich der Patient aufgrund von Geschmackspräferenzen nicht auf eine ballaststoffreiche Ernährung umstellen will. Ballaststoffe können Blähungen und Krämpfe verursachen, zur Malabsorption von Eisen und Kalzium führen, sowie bei Vorliegen von Stenosen oder einer anorektalen Funktionsstörung die Obstipation noch verstärken. Osmotische Laxantien Osmotische Laxantien, wie die salinen Laxantien, Laktulose oder Macrogol erhöhen den Wassergehalt des Stuhls. Macrogol wird seit über 15 Jahren in hohen Dosen zur Vorbereitung des Kolons vor Koloskopien oder Darmoperationen verwendet. In niedrigen Dosen wird es, unter anderem in Deutschland, seit mehreren Jahren auch zur Therapie der Obstipation eingesetzt. Macrogol hat gegenüber der Laktulose den Vorteil, dass es nicht zu den für Laktulose typischen Blähungen führt und dass die Beziehung zwischen Dosis und Wirkung einen linearen Charakter hat (Abb. 5) und somit die Wirkung beim Patienten besser abzuschätzen ist. Macrogol wird, im Gegensatz zu magnesium-, sulfat- oder 1 2008 ernährungsmedizin

W I S S E N S C H A F T L I C H E A R B E I T E N 11 natriumhältigen salinen Laxantien nicht resorbiert und kann daher auch bei Patienten mit Herzinsuffizienz oder Niereninsuffizienz angewendet werden. Stimulierende Laxantien Stimulierende Laxantien, wie Bisacodyl, Anthrachinon und Rizinusöl sollen nur zur symptomatischen Behandlung akuter Verstopfungen verwendet werden, da sie bei chronischer Anwendung zu einem Circulus vitiosus führen können. Einläufe Einläufe sollen ebenfalls nur zur Akutbehandlung der Obstipation eingesetzt werden. Als Nebenwirkung können mechanische und chemische Schädigung der Rektumschleimhaut sowie Hyperphosphatämie auftreten. Botulinustoxin-Injek tionen Botulinustoxin-Injektionen in die Beckenbodenmuskulatur können bei Anismus die Symptome bessern. Die Erfahrungen damit sind aber gegenwärtig noch begrenzt. Diese Behandlung, sowie die Behandlung von Beckenbodenfunktionsstörungen durch Biofeedback sollten erst nach genauer Charakterisierung des zugrundeliegenden Funktionsdefektes durchgeführt werden. Chirurgische Behandlung Die chirurgische Behandlung ist bei einigen mechanischen Ursachen der Obstipation die Therapie der Wahl. Für die Behandlung der chronischen Obstipation spielt sie dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Bei therapieresistenter Kolontransitzeitverzögerung und nach Ausschluss einer anorektalen Funktionsstörung kann eine subtotale Kolonresektion mit ileorektaler Anastomose die Obstipation und ihre Begleitsymptome wie Übelkeit und Erbrechen lindern. Dieser Eingriff soll jedoch bei Patienten mit klinisch dominanten Bauchschmerzen oder mit Hinweis auf Vorliegen einer generalisierten Motilitätsstörung des Gastrointestinaltraktes nicht durchgeführt werden. Von Kolonsegmentresektionen ist abzuraten, da sie zu keiner bleibenden Besserung der Obstipation führen, mit Ausnahme beim isolierten Megasigmoid. Eine chirurgische Verkürzung eines röntgenologisch nachgewiesenen zu langen Kolons (Dolichocolon) ist nicht erfolgversprechend. Eine chirurgische Alternative bei schweren Symptomen stellt die Anlegung eines Ileostomas dar. Rektozelen sollen nur operiert werden, wenn sie größer als 2 3 cm sind, sich während der Defäkographie nicht entleeren und dabei die Symptome des Patienten reproduzieren. Komplementärmedizinische Ver fahren Komplementärmedizinische Verfahren wie Maier-Kur oder verschiedene Methoden der Darmspülung sind für den Patienten mit Kosten und eventuell sogar bedrohlichen Nebenwirkungen wie Darmperforation verbunden, ohne zu einer bleibenden Beseitigung der Beschwerden zu führen. Diese Maßnahmen und Radikalkuren therapieren an den zugrundeliegenden Funktionsstörungen vorbei und sollten entsprechend dem in den letzten Jahren wesentlich erweiterten Verständnis der Obstipationen zugrunde liegenden Mechanismen nicht mehr durchgeführt werden. Auch durch eine Veränderung der bakteriellen Flora des Darms ist keine dauerhafte Verbesserung der Obstipation zu erreichen. Literatur beim Verfasser * Univ.-Prof. Dr. Heinz F. Hammer, Medizinische Universitätsklinik, Auenbruggerplatz 15, 8036 Graz, Fon (0316) 385-2648, Fax (0316) 385-3062 Wissenschaft lebt durch den Diskurs Wir bieten die Plattform Nützen Sie das Journal für Ernährungsmedizin als Forum für Ihre wissenschaftlichen Arbeiten, für Ihre Berichte oder Ihre Kommentare. Wir freuen uns auf Ihre Texte Wissenschaftliche Arbeiten: Berichte & Kommentare: Österreichisches Akademisches CR Dr. Karin Gruber Institut für Ernährungsmedizin (ÖAIE) Verlagshaus der Ärzte Neulerchenfelder Straße 6 8 Nibelungengasse 13 1160 Wien 1010 Wien Fon: ++43 1 402 64 72 Fon: ++43 1 512 44 86-23 Fax: ++43 1 402 92 22 Fax: ++43 1 512 44 86-64 E-Mail: office@oeaie.org ernährungsmedizin 1 2008