BGH, Urteil vom 5. Juli 1983, BGHSt 32, 38 Sirius-Fall Sachverhalt: Anton unterhält eine Beziehung mit der ihm hörigen Berta. Im Mittelpunkt ihrer Beziehung stehen Gespräche über Psychologie und Philosophie. Anton wird für Berta zum Lehrer und Berater in allen Lebenslagen. Dabei beginnt er ihr vorzuspiegeln, er sei ein Abgesandter vom Stern Sirius und hätte den Auftrag, vor dem Untergang der Erde einige wertvolle Menschen darunter natürlich Berta zu retten. Nach dem völligen Zerfall des Körpers in der hiesigen Welt könnte Berta in einem neuen Körper auf einem anderen Planeten weiterleben. Zuvor sei es jedoch schon zu Lebzeiten auf der Erde notwendig, den alten Körper durch einen neuen zu ersetzen. Da sie aber auch in ihrem neuen Leben Geld benötige, solle Berta eine Lebensversicherung abschließen und Anton als alleinigen Bezugsberechtigten einsetzen. Berta will an sich zwar keinen Selbstmord begehen, willigt aber ein, weil sie annimmt, sich lediglich ihres bisherigen Körpers zu entledigen. Anton trägt ihr dazu auf, einen Unfall vorzutäuschen, indem sie sich in ihre Badewanne setzen und einen eingeschalteten Fön ins Wasser werfen soll. Nach diesem Unfall würde sie in einem neuen Körper erwachen. Berta tut wie ihr geheißen. Jedoch führt der Kontakt des eingeschalteten Föns anders als erwartet nicht zu dem tödlichen Stromschlag für Berta. Diese verspürt lediglich ein leichtes Kribbeln. Wie hat sich Anton strafbar gemacht? Thema: Abgrenzung Tötung in mittelbarer Täterschaft (straflose) Teilnahme an fremder Selbsttötung Materialien: Arbeitsblatt AT 34
Lösungsübersicht: Strafbarkeit Antons wegen Mordes in mittelbarer Täterschaft gemäß 212, 211, 25 I Alt. 2, 22, 23 I StGB I. Vorprüfung 1. Nichtvollendung der Tat: Berta überlebte (+) 2. Strafbarkeit des Versuchs: hier Verbrechen (+) II. Tatentschluss 1. Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft gemäß 25 I Alt. 2 StGB: Hauptproblem des Falles! Entschluss zur täterschaftlichen Tötung ( 212 StGB) Bertas oder nur zur straflosen Anstiftung zur Selbsttötung? a) Bezugselement: Anton kommt als mittelbarer Täter in Betracht (+) b) Zwischenschaltungselement: Anton benutzte Berta als Werkzeug (+) c) Steuerungselement: Anton hatte überlegene Stellung aufgrund Bertas Irrtums (+) 2. Subjektives Mordmerkmal: Habgier gemäß 211 II StGB (+) III. Unmittelbares Ansetzen gemäß 22 StGB (+) IV. Rechtswidrigkeit (+) V. Schuld (+)
Lösungsvorschlag: Strafbarkeit Antons wegen versuchten Mordes in mittelbarer Täterschaft gemäß 212, 211, 25 I Alt. 2, 22, 23 I StGB Anton könnte sich wegen eines versuchten Mordes in mittelbarer Täterschaft gemäß 212, 211, 25 I Alt. 2, 22, 23 I StGB strafbar gemacht haben, indem er Berta dazu anhielt, einen eingeschalteten Fön in das Badewasser zu werfen, während sie sich selbst in der Badewanne befand. I. Vorprüfung 1. Nichtvollendung der Tat Die Tat wurde nicht vollendet, Berta überlebte. 2. Strafbarkeit des Versuchs Der Versuch müsste strafbar sein. Gemäß 23 I StGB ist der Versuch eines Verbrechens stets strafbar. Laut 12 I StGB ist diejenige Straftat ein Verbrechen, welche im Mindestmaß ein Jahr Freiheitsstrafe vorsieht. Sowohl Mord ( 211 StGB) als auch Totschlag ( 212 StGB) sehen eine Mindeststrafe von weit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe vor. Folglich stellen beide Tatbestände Verbrechen gemäß 12 I StGB dar. II. Tatentschluss Anton müsste hinreichenden Entschluss zu einer Tötung Bertas gehabt haben. Der Tatentschluss ist die Vorstellung des Täters von der Tat. Der Tatentschluss muss daher, um eine Versuchsstrafbarkeit zu begründen, alle objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale enthalten. 1. Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft gemäß 25 I Alt. 2 StGB Als relevante Tötungshandlung kommt vorliegend das Werfen des eingeschalteten Föns in die gefüllte Badewanne in Betracht. Diese Hand-
lung führte jedoch nicht Anton selbst, sondern Berta aus. Fraglich ist daher, ob Anton hinreichenden Tatentschluss zur Tötung Bertas als eigene Tat i.s.v. 212 StGB hatte, oder ob er Berta lediglich zur Selbsttötung als deren eigene Tat anstiften wollte. Da Anton nicht selbst handelte, müssten um ihn wegen täterschaftlicher Tatbegehung bestrafen zu können die Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft gemäß 25 I Alt. 2 StGB vorgelegen haben. Sollten die Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft jedoch zu verneinen sein, bliebe Anton im Ergebnis straffrei. Denn bei dem Nichtvorliegen einer mittelbaren Täterschaft, käme lediglich noch eine Teilnahme Antons an Bertas Selbsttötungsversuch in Form der Anstiftung gemäß 26 StGB in Betracht. Die Teilnahmestrafbarkeit setzt aber regelmäßig eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat voraus, an der es hier mangeln würde, da die Selbsttötung keine Straftat ist. Entscheidend für die mittelbare Täterschaft ist, dass der mittelbare Täter die tatbestandliche Handlung durch einen von ihm beherrschten Tatmittler in Gestalt eines menschlichen Werkzeuges vornehmen lässt. Dabei muss er das Gesamtgeschehen kraft seines planvoll lenkenden Willens vollständig in der Hand halten. a) Bezugselement Da der mittelbare Täter nicht selbst handelt, müssen sich sämtliche objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale auf ihn beziehen bzw. übertragen lassen, d.h. eine mittelbare Täterschaft ist nur dann möglich, wenn auch eine Täterschaft möglich wäre. Diese scheidet aus bei eigenhändigen Delikten, Sonderdelikten und Fahrlässigkeitsdelikten. Die vorsätzliche Tötung eines Menschen ist weder ein Sonder-, noch ein eigenhändiges Delikt. Die Tatbestandsverwirklichung des 212 StGB lässt sich damit auf Anton übertragen. Mithin kommt selbiger als mittelbarer Täter in Betracht. b) Zwischenschaltungselement Dem Wesen der mittelbaren Täterschaft entspricht es, dass sich der Hintermann (= mittelbarer Täter) zur Begehung der Tat eines Vordermanns
als Werkzeug bedient. Dies ist hier der Fall, da Anton die Berta zur Tötung ihrer selbst, also eines Menschen i.s.v. 212 StGB, eingesetzt hat. c) Steuerungselement Der Tatmittler als menschliches Werkzeug muss einen Defekt aufweisen, weswegen er strafrechtlich zumindest im Hinblick auf dieses Delikt nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. Genau diesen Umstand muss sich der mittelbare Täter zu Nutze machen, indem er dem Tatmittler gegenüber eine besondere Wissens- oder Willensposition einnimmt. Vorliegend stellte die Tat für Berta einen straflosen Selbsttötungsversuch dar. Ihr Defekt bestand also darin, dass sie weder objektiv noch subjektiv tatbestandsmäßig i.s.v. 212 StGB handelte. Um Anton dieses Handeln als strafbaren Fremdtötungsversuch zurechnen zu können, müsste dieser Berta gegenüber eine überlegene Stellung gehabt und sie so zu ihrem Handeln veranlasst haben. Das Werfen des Föns in die Badewanne müsste also seinem Verantwortungsbereich zuzuschreiben sein. Diesbezüglich kommt die Täuschung Bertas über die Folgen ihres Handelns in Betracht. Anton rief in ihr die irrige Annahme hervor, sie werde nicht sterben, sondern in einem neuen Körper erwachen und ihr Leben auf einem anderen Planeten fortsetzen können. Nach Ansicht der Rechtsprechung soll ein Irrtum des Tatmittlers jedoch nicht pauschal zur Annahme einer überlegenen Stellung des Hintermanns führen. Vielmehr sei eine Einzelfallbetrachtung hinsichtlich Art und Tragweite des Irrtums erforderlich. Hiernach ist eine überlegene Stellung des Hintermannes gegeben, wenn der Getäuschte nicht weiß, dass er sich durch seine Handlung das Leben nimmt und dieser Irrtum bewusst und gewollt vom Hintermann ausgelöst wurde. Nach diesen Grundsätzen hatte Anton der Berta gegenüber eine überlegene Wissensmacht, denn sie erkannte nicht, dass sie tatsächlich sterben könnte, wenn sie den Fön in die Badewanne fallen lässt, sondern sie rechnete fest mit dem Erwachen in einem neuen Körper. Im Ergebnis war Anton somit mittelbarer Täter, denn kraft seiner Irrtumsherrschaft über Berta war er ihr überlegen und konnte sie so hinsichtlich der Begehung der Tat steuern.
2. Subjektives Mordmerkmal Vorliegend kommt das subjektive Mordmerkmal der Habgier in Betracht. Habgier ist das gesteigerte unnatürliche Gewinnstreben um jeden Preis, auch um den eines Menschenlebens. Anton handelte hier habgierig, denn es kam ihm ausschließlich darauf an, die Zahlung der Versicherungssumme aus Bertas Lebensversicherung nach deren Ableben zu erhalten. Mithin hatte Anton einen hinreichenden Tatentschluss. Dieser beinhaltete sowohl die Tötung Bertas in mittelbarer Täterschaft, als auch das subjektive Mordmerkmal der Habgier. III. Unmittelbares Ansetzen gemäß 22 StGB Anton müsste weiterhin gemäß 22 StGB zur Ausführung der Tat unmittelbar angesetzt haben. Wann ein unmittelbares Ansetzen bei mittelbarer Täterschaft vorliegt, ist umstritten. Es stehen sich mehrere Ansätze gegenüber. Nach einer Ansicht setzt der Hintermann bereits dann unmittelbar an, wenn er mit seiner Einwirkung auf den Tatmittler beginnt beziehungsweise diese Einwirkung abgeschlossen hat. Denn Tathandlung des mittelbaren Täters sei gerade die Einwirkung auf das Werkzeug. Nach anderer Ansicht setzt der Hintermann (nach den Grundsätzen der Gesamtlösung) erst in dem Moment zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar an, in dem das Werkzeug zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar ansetzt. Denn der mittelbare Täter handle gerade durch das Werkzeug und nicht früher. Nach der dritten Ansicht, der auch die Rechtsprechung und die h.m. in der Literatur folgt, liegt ein unmittelbares Ansetzen dann vor, wenn der mittelbare Täter nach seiner Vorstellung die nötige Einwirkung auf den Tatmittler abgeschlossen hat, so dass dieser im unmittelbaren Anschluss die Tat ausführt und das Rechtsgut dadurch unmittelbar gefährdet ist. Entscheidend ist also das Vorliegen einer unmittelbaren
Rechtsgutsgefährdung, die auch dann gegeben ist, wenn der mittelbare Täter das Geschehen aus der Hand gibt und daher jederzeit mit der Tatbestandsverwirklichung durch das Werkzeug rechnen muss. Im vorliegenden Fall ist eine Streitentscheidung jedoch entbehrlich, da nach allen Ansichten ein unmittelbares Ansetzen Antons zu bejahen ist, denn auch nach der strengeren Gesamtlösung haben hier sowohl Anton als auch Berta alle relevanten Beiträge zur Verwirklichung der Tat erbracht. IV. Rechtswidrigkeit Anton handelte auch rechtswidrig. V. Schuld Zudem handelte Anton auch schuldhaft. VI. Ergebnis Anton hat sich wegen eines versuchten Mordes in mittelbarer Täterschaft gemäß 212, 211, 25 I Alt. 2, 22, 23 I StGB strafbar gemacht, indem er die Berta durch Täuschung dazu brachte, eine zur Tötung geeignete Handlung an sich selbst vorzunehmen.