Sprachheilschule St. Gallen: Externe Evaluation



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Sprachheilschule St. Gallen: Externe Evaluation Förderung und Betreuung von Kindern an einer Sprachheilschule (Aktenanalyse 1993-2000) Auftraggeber Sprachheilschule St. Gallen Auftragnehmerin Abteilung Forschung und Entwicklung der Schweizer Hochschule für Logopädie Rorschach (SHLR) M.A. Dipl. Inf. Wiss. E. Isele, Prof. Dr. S. Stieger Januar 2010 SHLR Forschung und Entwicklung Bericht

Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung und Zielsetzung 2 Methodisches Vorgehen 2.1 Vorstudie 2.2 Dokumentenanalyse und Gespräche mit der Schulleitung 2.3 Befragung aller Sprachheilschulen der Schweiz 2.3.1 Instrument 2.3.2 Ergebnisse der Befragung 2.3.3 Zusammenfassung der Befragung der Sprachheilschulen der Schweiz 3 Ergebnisse: Auswertung von 464 Akten der Sprachheilschule St. Gallen 3.1 Individuelles Profil 3.1.1 Geschlecht 3.1.2 Nationale Herkunft 3.1.3 Familiensprache 3.1.4 Sozioökonomischer Status der Eltern 3.1.5 Familienkonstellationen und besonderheiten 3.1.6 Geschwister 3.1.7 Diagnosen 3.1.8 Durchgeführte Therapien 3.1.9 Differentialdiagnostische Berichte 3.2 Schulbiographie 3.2.1 Eintrittsalter der Kinder 3.2.2 Überweisende Schulen 3.2.3 Eintrittsklasse 3.2.4 Aufenthaltsdauer 3.2.5 Internatsaufenthalt 3.2.6 Rückschulung 3.2.7 Schulnoten 3.2.8 Kinder, die an Sonderschulen oder Kleinklassen wechseln 3.3 Zusammenfassung der Ergebnisse SHLR Forschung und Entwicklung 2

4 Schlussfolgerungen 4.1 Erfolgreiche Schulbiographien an der Sprachheilschule 4.1.1 Rückschulung in den Regelkindergarten 4.1.2 Rückschulung in die Regelklasse 4.1.3 Rückschulung in die Realklasse 4.1.4 Rückschulung in die Sekundarklasse 4.1.5 Klassenrepetition beim Übertritt in die Regelschule 4.1.6 Eintritt in die Berufsausbildung 4.2 Passung zwischen Schülerschaft und Förderangebot 4.3 Fazit Literatur Anhang SHLR Forschung und Entwicklung 3

1 Einleitung und Zielsetzung Anlässlich ihrer Visitation vom 13. September 2007 empfahl die Sonderschulkommission des Kantons St. Gallen eine langfristige Untersuchung des Erfolgs der Förderung und Betreuung an einer Sprachheilschule zu erstellen 1. Eine grundlegende Voraussetzung zur Beantwortung der Frage, ob die Förderung und Betreuung von Schülerinnen und Schülern an einer Sprachheilschule erfolgreich ist, bzw. ob eine langfristige Wirksamkeit der Förderung und der Betreuung nachgewiesen werden kann, ist die Beschreibung der Schülerschaft, die die Sprachheilschule besucht. Um die Wirksamkeit einzuschätzen, muss einerseits der weitere Verlauf der Schulbiographie der einzelnen Schüler und Schülerinnen vor dem Hintergrund valider Indikatoren erhoben werden. Andererseits müssten die Lebenslage und die Verwirklichungschancen der Schülerinnen und Schüler im Erwachsenenalter hinsichtlich der Frage ihrer Integration in die Gesellschaft, insbesondere in die Arbeitswelt erfasst werden. Dieser Bericht beinhaltet Grundlagen, auf denen die Frage nach der Wirksamkeit des spezifischen Angebots der Sprachheilschule eingeschätzt werden kann: Eine vergleichende Rekonstruktion und Analyse der individuellen Profile der Schülerschaft sowie der weitere Verlauf der Schulbiographien von Schülerinnen und Schülern, die von 1993 bis 2000 an der Sprachheilschule gefördert und betreut wurden. Folgende Hauptfragen standen dabei im Vordergrund: Mittels welcher Merkmale lassen sich die individuellen Profile und die Schulbiographien ehemaliger Sprachheilschülerinnen und -schüler rekonstruieren und vergleichen? Welche Kombinationen von einzelnen Merkmalen ermöglichen eine erfolgreiche Laufbahn in der Sprachheilschule? Zur Beantwortung dieser Fragen wurden die folgenden, mit den Akteuren im System ausgehandelten, Hypothesen überprüft: Die Sprachheilschule beschult Kinder mit komplexen Störungen. Im Vordergrund stehen Funktionsstörungen (vgl. ICF 2 ), die eine altersgemässe Sprachentwicklung behindern. Die Sprachheilschule verfügt über das Angebot, um Kinder mit Sprachentwicklungs- und Kommunikationsstörungen gezielt zu beschulen. Die Sprachheilschule verfügt über Rahmenbedingungen, um Kinder mit komplexen Störungen gezielt zu beschulen. Zielsetzung dieser Evaluation ist demnach einerseits die Klärung, welche Merkmale von Kindern und deren System (individuelle Profile) zu einer Einweisung in eine Sonderschule führen. Andererseits wird anhand der Rekonstruktionen und der vergleichenden Analyse der Schulbiographien deutlich, welche Merkmale eine erfolgreiche Förderung und Betreuung überhaupt ermöglichen, weil die Passung zwischen individuellem Profil und dem Angebot der Sprachheilschule übereinstimmt. 1 Siehe Anhang: Visitationsbericht der Sonderschulkommission vom 20. November 2007:5. 2 ICF: Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, erarbeitet von der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Vgl. dazu www.dimdi.de/static/de/klassi/icf/index.htm SHLR Forschung und Entwicklung 4

Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass auch in Deutschland die Sprachheilschulen vor neuen Herausforderungen stehen. Manfred Grohnfeldt weist 2003 darauf hin, dass in den letzten Jahrzehnten eine grundlegende Veränderung der Schülerschaft in Sprachheilschulen zu beobachten ist. Insbesondere erwähnt Grohnfeldt die Zunahme von Schülern und Schülerinnen mit komplexen Sprachstörungen, die häufig zusammen mit gravierenden kognitiven Problemen auftreten. Die Ursachen für diese Zunahme sind vielfältig. Grohnfeldt hebt hervor, dass aufgrund der sogenannten flexiblen oder optimierten Schuleingangsphase, bei der Kinder zunächst in eine Grundschule für jeden aufgenommen werden, eine spezifische Sprachdiagnostik zu spät erfolgt. Gleichzeitig zeigen Grohnfeldts eigene Untersuchungen die Beliebtheit der Sprachheilschulen bei Eltern, weil sie als Durchgangsschulen mit hoher Rückschulungsquote eingeschätzt werden. SHLR Forschung und Entwicklung 5

2 Methodisches Vorgehen Im Zentrum dieser Untersuchung steht die Aktenauswertung. Zur Datenerhebung wurden 464 Akten der ehemaligen Sprachheilschülerinnen und -schüler, die in den Jahren 1993 bis 2000 aus der Sprachheilschule austraten 3, ausgewertet. Die Datenmaske für die Erhebung der 464 Akten wurde anhand einer Vorstudie erstellt und mittels nachfolgender Gespräche mit Expertinnen und Experten ergänzt. Die zu erfassenden Daten wurden der Fragestellung entsprechend in a) Merkmale des individuellen Profils und b) Merkmale der Schulbiographie eingeteilt. Ausschlaggebend für die Auswahl der Akten und die Entscheidung Akten aus den Jahren 1993 bis 2000 zu verwenden, war der Hintergrund des ursprünglichen zweistufigen Untersuchungsdesigns: Kinder und Jugendliche, die in dem untersuchten Zeitraum ausgetreten waren, sind heute in einem berufsfähigen Alter. Ursprünglich war es geplant, die erfassten Kinder und Jugendlichen im Hinblick auf ihre Lebenslage und ihren Berufserfolg nach zu verfolgen und entsprechend zu befragen. Dieser Untersuchungsschritt steht noch aus. Mittels einer Dokumentenanalyse, Gesprächen mit der Schulleitung und einer schriftlichen Befragung aller Sprachheilschulen der Schweiz wurden das Angebot und die Rahmenbedingungen der Sprachheilschule St. Gallen im Schweizer Kontext erfasst. 2.1 Vorstudie Um eine sinnvolle Datenmaske zu entwickeln, führten wir eine Vorstudie durch. Die Erhebung und Auswertung von 14 Akten aus den Jahren 1980 bis 2008 wurde mit der Leitung der Sprachheilschule St. Gallen und anderen Akteuren des Bildungssystems besprochen, um die Hauptuntersuchung erstens im Kontext der Schweizer Praxis zu verorten und zweitens valide Daten zu erheben. Die Auswahl der Akten für die Vorstudie erfolgte verteilt, aus jeder Dekade - von 1970 bis 2008 - wurden 5 exemplarische Akten ausgewählt und gesichtet (insgesamt 20 Akten). Hauptaugenmerk war dabei die Frage, inwieweit vergleichbare und somit erfass- und verarbeitbare Merkmale vorliegen. Die Daten der 6 Akten vor 1980 wurden aus zwei Gründen ausgeschlossen: zum einen weil die zu diesem Zeitpunkt verwendeten Formulare sich deutlich von den späteren unterschieden und somit keine vergleichbaren Daten erhebbar gewesen wären, zum anderen weil mit dem Jahr 1980 auch ein Direktionswechsel verbunden war. Die erfassten Daten stammen somit alle aus der Zeit, in der Bruno Schlegel Direktor der Sprachheilschule St. Gallen war. 3 Die SHS legt ihre Akten dann gesondert ab, wenn ein Kind die Schule verlassen hat. Aus diesem Grunde sind die vorliegenden Daten nach dem Austrittsjahr geordnet. SHLR Forschung und Entwicklung 6

Die Datenerhebung für die Vorstudie gab Auskunft darüber, welche Daten in den Akten mit welcher Konstanz zu finden sind. Die einzelnen Items entwickelten wir auf der Grundlage der Fragestellungen und der Hypothesen. Grob wurden die Daten in a) Merkmale des individuellen Profils und b) Merkmale der Schulbiographie eingeteilt. Die für die Untersuchung relevanten Daten finden sich in den Akten auf dem Deckblatt, im Anmeldebogen, im Austrittsbericht, in medizinischen Abklärungs-, sonstigen Abklärungsund Therapieberichten und im Abschlusszeugnis (hier werden Noten vergeben). Die Erfassungsmaske wurde im Laufe der Zeit mehrfach angepasst, weitestgehend um neue Felder anzulegen und darin neue Informationen zu erfassen. Die hier abgebildete Maske stammt aus der ersten Erfassungsphase. Die Datenmaske hat im Laufe der Zeit verschiedenste Veränderungen durchgemacht - auch im Hinblick auf logopädische Diagnosen. Um ein Beispiel zu nennen: die Diagnose Dysphonie taucht erst seit dem Jahr 1995 auf. Abbildung 1: Datenmaske der Vorstudie Aufgrund der Besprechung der Vorstudie mit Akteuren des Bildungssystems wurde die Datenmaske erweitert. SHLR Forschung und Entwicklung 7

Das Merkmal mitverursachende Behinderungen (Merkmal des individuellen Profils) sollte in der Hauptuntersuchung zusätzlich zur logopädischen Diagnose erfasst werden. Bei einigen Kindern war die Rubrik mitverursachende Behinderung alleine nicht ausreichend, weil bei ihnen mehrere Probleme festgestellt wurden, die als mögliche Ursache der Sprachbehinderung in Frage kommen. Aus diesem Grund wurde das neue Feld mitverursachende Behinderung (2) erstellt. So konnten beispielsweise die häufig vorkommende kombinierte Klassifizierung phonematisch-mnestische Schwäche und sprechmotorische Problematik gleichzeitig erfasst werden. Es stellte sich allerdings heraus, dass auch diese Kategorie in einigen Fällen nicht genügte. Deshalb wurde eine neue Variable weitere medizinische Probleme erfasst. Um diese zusätzlichen Behinderungen und medizinischen Probleme aus den Akten herauszulesen, war für die Hauptuntersuchung ein intensiveres Aktenstudium notwendig. Weitere neu zu erfassende Merkmale nach der Vorstudie waren solche, die das Familiensystem betreffen: Gesundheitszustand der Eltern (Krankheiten Mutter, Vater), Elterliche Gewalt, Adoption und Pflegefamilie. Nebst der Erweiterung der Datenmaske diente die Vorstudie auch dem Zweck, erste Vermutungen über die Schülerschaft anzustellen. So zeigte sich bezüglich Nationalität, dass die Kinder doch mehrheitlich aus der Schweiz stammen. Eine weitere Häufung zeigte sich bei Kindern italienischer Herkunft. Abbildung 2: Nationalität der Sprachheilschülerinnen und -schüler Bei der Vorstudie ist aufgefallen, dass Diagnosen teilweise auch historisch zu interpretieren sind. Einerseits werden in jüngerer Zeit weniger oft Zusammenhänge zwischen eingeschränkten Hirnfunktionen oder Teilleistungsstörungen und Sprachstörungen geäussert als noch in den Achtzigerjahren. Andererseits wird die Diagnose POS/ADS/ADHS heutzutage ausserordentlich häufig gestellt. SHLR Forschung und Entwicklung 8

Abbildung 3: Historischer Verlauf der Diagnosestellung Die endgültige Datenmaske beinhaltet die folgenden Items: Merkmale individuelles Profil Geschlecht Nationale Herkunft Familiensprache Sozioökonomischer Status der Eltern Familienkonstellationen und besonderheiten, Erkrankungen der Eltern Geschwister (Anzahl, Reihenfolge, Hör- und Sprachstörung bei Geschwistern) Logopädische Diagnosen (Dyslalie, Dysphasie, Dysgrammatismus, Sprachverständnisprobleme, Redeflussstörung, Dyslexie, Dysphonie) Hörstörungen, Sehbeeinträchtigungen, Gehörlosigkeit (Cochlea Implantat) Mitverursachende Behinderung (2 Felder) Medizinische Probleme, zusätzliche medizinische Probleme Merkmale Schulbiographie Eintrittsalter Überweisende Schule Eintrittsklasse Aufenthaltsdauer Austrittsklasse Austritt nach Klasse Schulnoten Therapieempfehlung nach Austritt Austrittsgrund Bemerkungen zum Austrittsgrund SHLR Forschung und Entwicklung 9

Abbildung 4: Aktuelle Datenmaske SHLR Forschung und Entwicklung 10

2.2 Dokumentenanalyse und Gespräche mit der Schulleitung Neben dem Aktenstudium machten wir uns kundig über das Angebot und die Rahmenbedingungen der Sprachheilschule, um später Aussagen über die Passung von individuellem Profil und Angebot machen zu können. Fachpersonen, welche die folgenden Leistungen garantieren, sind in die Arbeitsabläufe der Sprachheilschule St. Gallen integriert. Interdisziplinäre Teams ermöglichen die Vernetzung der einzelnen Angebote. Logopädische Therapie Tagesschule und Internat Kleine Klassen Psycho- und Ergotherapie Überwachung der Medikamentenabgabe Ernährungsspezialisten Audiopädagogische Dienste 2.3 Befragung aller Sprachheilschulen der Schweiz Um sich ein Bild über die Sprachheilschulen der deutschsprachigen Schweiz machen zu können und die Sprachheilschule St. Gallen bezüglich Grösse, Einzugsgebiet und Angebot mit anderen Sprachheilschulen vergleichen zu können, wurden alle Sprachheilschulen angeschrieben und entsprechende Informationen erfasst. Es handelt sich hierbei um die Fragen, wie viele Kinder insgesamt an der jeweiligen Schule betreut werden, welche Schulstufen vorhanden sind, welche Auslastung die Schulen haben und welche Klassengrössen für die jeweiligen Stufen vorgesehen sind. 2.3.1 Instrument Der Fragebogen setzte sich vorwiegend aus geschlossenen Fragen zusammen und bestand aus 3 Teilen. Im ersten Teil wurden der Name, das Gründungsjahr und die Leitungsperson der Sprachheilschule erfragt. Der zweite tabellarische Teil des Fragebogens hatte die angebotenen Schulformen, deren Kapazität und Auslastung zum Schwerpunkt. Im letzten tabellarischen Frageteil wurden die Klassengrössen der jeweiligen Stufen erfragt. Für etwaige Kommentare war ein freier Platz vorgesehen 4. Am 20.3.2009 wurde der Fragebogen allen Leitern der Sprachheilschulen vorgelegt, die an diesem Tag am Treffen der Sprachheilschulleiterinnen und leiter teilgenommen haben. Von den insgesamt 22 Institutionen haben 14 den Fragebogen zurückgesandt. Neben der Sprachheilschule St. Gallen und ihrer Niederlassung in Uznach, sind also 6 Fragebögen unbeantwortet geblieben. Die Rücklaufquote beträgt demnach 63.63%. Einige der Sprachheilschulen haben ausführliche Internetseiten. Soweit möglich wurde bei den fehlenden nicht zurückgesandten Fragebögen versucht, die Informationen den Internetseiten zu entnehmen. 4 Siehe Anhang: Fragebogen an die Sprachheilschulen der Schweiz. SHLR Forschung und Entwicklung 11

2.3.2 Ergebnisse der Befragung Ziel der Befragung war es einerseits, einen Überblick über die anderen schulischen Sprachheilangebote in der deutschsprachigen Schweiz zu erhalten, andererseits die Sprachheilschule St. Gallen mit anderen Sprachheilschulen im Hinblick auf Kapazitäten, angebotene Schulstufen, Internat und Klassengrössen miteinander zu vergleichen. Welche Sprachheilschulen dabei im Fokus standen zeigt die unten stehende Grafik auf. Abbildung 5: Übersicht über die Sprachheilinstitutionen der Schweiz (Quelle: http://www.sprachheilinstitutionen.ch/standorte.html) SHLR Forschung und Entwicklung 12

2.3.2.1 Gesamtkapazität Die Sprachheilschule St. Gallen ist die grösste Sprachheilschule in der deutschsprachigen Schweiz. Im unten stehenden Diagramm wurden nur diejenigen Sprachheilschulen berücksichtigt, für die Informationen bezüglich der Gesamtkapazität vorhanden waren. Auf der vertikalen Achse ist die Anzahl der angebotenen Plätze für Sprachheilschülerinnen und - schüler im Jahr 2008 vermerkt. Abbildung 6: Gesamtkapazitäten der deutschsprachigen Sprachheilschulen 300 270 250 200 160 150 100 93 100 104 110 121 129 135 50 30 30 48 53 59 60 64 67 0 2.3.2.2 Angebotene Stufen Nur eine Sprachheilschule, die Sprachheilschule Mariazell, bietet keine Kindergartenplätze an. Auffällig ist, dass alle Sprachheilschulen - von Winterthur, die erst dieses Jahr startet einmal abgesehen Primarschulplätze anbieten, jedoch nur einige Mittelstufenplätze und noch weniger Oberstufenplätze. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Sprachheilschule St. Gallen neben dem HPZ Hohenrain und der Sprachheilschule Wabern eine von drei Schulen, die alle Klassenstufen anbietet. SHLR Forschung und Entwicklung 13

2.3.2.3 Internatsplätze Nur 7 der 22 deutschsprachigen Sprachheilschulen bieten Internatsplätze an. Abbildung 7: Internatsplätze an Sprachheilschulen 300 250 200 150 100 50 0 Gesamtkapazität Internatskapazität 2.3.2.4 Klassengrössen Die Klassengrösse liegt bei durchschnittlich 10 Kindern. Nur die HPZ Hohenrain zeichnet sich dadurch aus, dass die Klassengrössen im Vergleich mit den anderen Schulen mit 5-9 doch als relativ klein bezeichnet werden können. 2.3.3 Zusammenfassung der Befragung der Sprachheilschulen der Schweiz Ziel der Befragung war es, die Sprachheilschule St. Gallen in der Schweizer Landschaft der Sprachheilschulen verorten zu können. Es zeigte sich, dass die Sprachheilschule St. Gallen, zusammen mit der Zweigstelle Uznach, die grösste Sprachheilschule der Schweiz ist, alle Schulstufen sowie Internatsplätze anbietet und über durchschnittliche Klassengrössen verfügt. SHLR Forschung und Entwicklung 14

3 Ergebnisse: Auswertung von 464 Akten der Sprachheilschule St. Gallen Im diesem Kapitel werden die Ergebnisse der Aktenauswertung präsentiert. Das Kapitel ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Abschnitt Individuelles Profil zeigt sich anhand der erhobenen Daten ein Bild der Schülerschaft an der Sprachheilschule St. Gallen in den Jahren 1993-2000. Merkmale typischer Schulbiographien ehemaliger Sprachheilschüler und -schülerinnen stehen im Fokus des zweiten Abschnitts. Die Ergebnisse in diesem Kapitel sind die Voraussetzung, um Vergleiche einzelner Indikatoren hinsichtlich der Fragestellungen und Hypothesen anzustellen. 3.1 Individuelles Profil 3.1.1 Geschlecht Die Geschlechtsverteilung der erfassten Kinder weist stärker als erwartet eine Häufung von männlichen Kindern auf. 78.2% der Kinder sind männlich, nur 21.8% weiblich. Dies bestätigt die Vermutung, dass Jungen anfälliger für Sprachprobleme sind als Mädchen. Geschlecht Kind Häufigkeit Prozent Gültige Gültig männlich 363 78.2 78.2 78.2 weiblich 101 21.8 21.8 100.0 Geschlechterverteilung männlich weiblich SHLR Forschung und Entwicklung 15

3.1.2 Nationale Herkunft Die Einteilung und Codierung der Herkunft erfolgte nach Sichtung der in den Akten vorhandenen Häufigkeiten. Ausserdem sind in den Arbeiten des Bundesamtes für Statistik vergleichbare Einteilungen zu finden. Dabei wurde die unten stehende Codierung für alle (Herkunft Kind, Mutter, Vater) verwendet. Die Rubrik sonstige Länder enthält Ländereinträge, die nur ein- oder maximal zwei Mal genannt wurden. Herkunft Kind Häufigkeit Prozent Gültige Gültig Schweiz 268 57.8 57.8 57.8 Italien 43 9.3 9.3 67.0 Balkan 5 54 11.6 11.6 78.7 Türkei 18 3.9 3.9 82.5 Portugal/Spanien 27 5.8 5.8 88.4 Asien 6 30 6.5 6.5 94.8 Südamerika 6 1.3 1.3 96.1 Deutschland/Österreich 9 1.9 1.9 98.1 sonstige Länder 7 9 1.9 1.9 100.0 Als erstes fällt auf, dass mehr als die Hälfte, nämlich 57.8% der ehemaligen Sprachheilschülerinnen und -schüler zwischen 1993 und 2000 sowie deren Eltern aus der Schweiz stammen. Verglichen mit dem Anteil Schülerinnen und Schülern Schweizer Herkunft an allen Schulen mit besonderem Lehrplan aus dem Jahr 1997/98 8 ist der Anteil der Sprachheilschülerinnen und -schüler Schweizer Herkunft im untersuchten Zeitraum minimal höher als in anderen Sonderschulen (vgl. Bundesamt für Statistik, Zeitreihe, 1997/98: Anteil Schweizer Schülerinnen und Schüler an Schulen mit besonderem Lehrplan: 55.2%). Im Verhältnis zu den Kindern ausländischer Herkunft in Regelschulen ist der Anteil Schweizer Kinder in der Sprachheilschule jedoch klein. In der Sprachheilschule sind 42.2% der Kinder ausländischer Herkunft; in der Regelschule sind 1997/98 nur 20.87% der Kinder ausländischer Herkunft (vgl. Kronig, Haeberlin, Eckhart 2000:18). Die Kinder aus einem Herkunftsland vom Balkan, insbesondere aus dem ehemaligen Jugoslawien, und aus Italien machen je etwa 10% der gesamten untersuchten Schülerschaft aus. Ihr Anteil an den Sprachheilschülerinnen und schülern ausländischer Herkunft machen 27% (ehemaliges Jugoslawien), resp. 22% (Italien) aus. Im Verhältnis zur 5 Jugoslawien (31), Kosovo (8), Kroatien (6), Mazedonien (2), Griechenland (1), Bosnien (4), Serbien (2) 6 China (1), Indien (1), Philippinen (1), Sri Lanka (14), Taiwan/Taipeh (1), Thailand (1), Vietnam (11) 7 Tunesien (2), Iran (2), Polen (2), jeweils 1 Kind aus den Niederlanden, Norwegen und Schweden 8 Die Zahlen aus dem Jahr 1997/98 wurden gewählt, weil sie in der Mitte des untersuchten Zeitraums liegen. SHLR Forschung und Entwicklung 16

ausländischen Wohnbevölkerung 1997, als 23% aus Staaten des ehemaligen Jugoslawien und 26% aus Italien stammten, fällt auf, dass Kinder aus Ex-Jugoslawien häufiger die Sprachheilschule besuchten, als solche aus Italien. Dies mag ein Hinweis darauf sein, dass die gesamtgesellschaftliche Integration der Personen aus Italien in diesem Zeitraum schon weiter fortgeschritten war, als diejenige der Menschen aus dem Balkan. Vergleich der Herkunftsländer von Kind und Eltern Die unten stehende Tabelle zeigt, dass einige Eltern der ehemaligen Sprachheilschülerinnen und -schüler eine binationale Ehe führen. Diese Information interessiert in dieser Untersuchung im Zusammenhang mit der Familiensprache. Kind Mutter Vater Häufigkeit Prozent Häufigkeit Prozent Häufigkeit Prozent Keine Angaben 2,4 16 3,4 Schweiz 268 57,8 259 55,8 253 54,5 Italien 43 9,3 41 8,8 48 10,3 Balkan 54 11,6 58 12,5 52 11,2 Türkei 18 3,9 17 3,7 19 4,1 Portugal/Spanien 27 5,8 29 6,3 25 5,4 Asien 30 6,5 34 7,3 29 6,3 Südamerika 6 1,3 2,4 1,2 Deutschland/Österreich 9 1,9 9 1,9 12 2,6 sonstige Länder 9 1,9 13 2,8 9 1,9 Gesamt 464 100,0 464 100,0 464 100,0 3.1.3 Familiensprache Knapp die Hälfte der untersuchten Schülerinnen und Schüler haben eine andere Familienund somit Erstsprache als Schweizerdeutsch. Sie erwarben die Zielsprache Schweizerdeutsch nicht im familiären Umfeld, sondern sukzessiv in der Begegnung mit Schweizer Institutionen. Der grössere Anteil der mehrsprachigen Kinder mit Migrationshintergrund spricht zu Hause nur eine Familiensprache. Es ist davon auszugehen, dass diese Erstsprache deshalb korrekt erworben werden konnte. 1.9% der Schülerinnen und Schüler waren bei Beginn des Spracherwerbs mit zwei verschiedenen Fremdsprachen konfrontiert. 5.2% haben einen Elternteil, der Schweizerdeutsch spricht. Diese Kinder erwarben die Fremdsprache und Schweizerdeutsch simultan, was laut verschiedener Untersuchungen zwar zu Verzögerungen, aber kaum zu Störungen im Erwerb des Schweizerdeutschen aufgrund der Mehrsprachigkeit führt. SHLR Forschung und Entwicklung 17

Familiensprache Häufigkeit Prozent Gültige Gültig Schweizerdeutsch 261 56.3 56.3 56.3 italienisch 39 8.4 8.4 64.7 osteuropäische Sprachen 9 52 11.2 11.2 75.9 Türkisch, aramäisch, armenisch 17 3.7 3.7 79.5 Spanisch und portugiesisch 25 5.4 5.4 84.9 asiatische Sprachen 10 29 6.3 6.3 91.2 gemischt: unterschiedliche Elternsprachen gemischt: ein Elternteil fremdsprachig 9 1.9 1.9 93.1 24 5.2 5.2 98.3 restliche Sprachen 8 1.7 1.7 100.0 9 Hauptsächlich Serbisch, Kroatisch, Bosnisch 10 Beispielsweise Vietnamesisch oder Tamil SHLR Forschung und Entwicklung 18

3.1.4 Sozioökonomischer Status der Eltern Der sozioökonomische Status der Eltern wurde über den Beruf von Mutter und Vater erfasst. Die Berufe wurden einerseits in ihrer kompletten Berufsbezeichnung erfasst, gleichzeitig wurden bei der Erfassung die Berufe (Wert von 1-9) kodiert. Die Kodierung 1 bis 5 erfolgte vor dem Hintergrund angenommener Bildungsabschlüsse. Die Tatsache, dass die Berufsbezeichnungen miterfasst wurden, erlaubte auch nachträgliche Änderungen an der Kodierung. Der Wert 7 war ursprünglich für die weitere Differenzierung der selbständigen Berufe reserviert. Aufgrund der geringen Häufigkeit (N=28) und der Schwierigkeit selbständige Berufe anhand ihrer Bezeichnung weiter zu differenzieren, wurde diese Idee nicht weiter verfolgt. Die Berufe wurden wie folgt kodiert: 1 Hilfsarbeiter und Hilfsarbeiterinnen 2 Anlehrberufe 3 Berufslehre 4 höhere Fachschule 5 Akademiker 6 Selbständige 8 Arbeitslose, Rentner 9 Hausfrauen 0 keine Angaben 3.1.4.1 Beruf der Mutter Auffällig ist bei den Frauenberufen der doch recht hohe Hausfrauenanteil (58.4%). Ausserdem fehlen die Kategorien Akademiker (5) und arbeitslos und Rente (8) vollständig. Nur 2.4% der Mütter haben eine höhere Fachschule besucht, 11.6% haben eine Berufslehre abgeschlossen. Berufe der Mütter Häufigkeit Prozent Gültige Gültig keine Angaben 32 6.9 6.9 6.9 Hilfsarbeiterinnen 46 9.9 9.9 16.8 Anlehrberufe 47 10.1 10.1 26.9 Berufslehre 54 11.6 11.6 38.6 höhere Fachschule 11 2.4 2.4 40.9 selbständig 3.6.6 41.6 Hausfrau 271 58.4 58.4 100.0 SHLR Forschung und Entwicklung 19

3.1.4.2 Beruf des Vaters Bei den Vätern fallen 45.3% unter die Rubriken 1 und 2, d.h. die Väter haben eine Anlehre absolviert oder verfügen über gar keine Berufsausbildung. 40.1% haben eine Lehre abgeschlossen, 5.8% eine Ausbildung auf Niveau einer höheren Fachschule und 1.9% sind Akademiker. Bei den 6% der Väter, die selbständig sind, lässt sich nur anhand der Spezifizierung der Selbständigkeit etwas über die sozioökonomische Lage aussagen. Die weitere Differenzierung dieser Rubrik, z.b. im Hinblick auf die Frage, welche der selbständigen Berufe wohl eher zu einer gutgestellten wirtschaftlichen Position führen würde, war angesichts der Anzahl nicht sinnvoll. In Betracht gekommen wären nur zwei Fällen: ein Bauunternehmer und selbständiger Transporteur. Diese Differenzierung wurde nach statistischen Gesichtspunkten als zu wenig aussagekräftig verworfen. Bei einigen Akten wurde die Bezeichnung selbständig nicht weiter ausgeführt, so dass hier keine Vermutungen über die dahinterstehenden sozioökonomischen Zusammenhänge möglich waren. Berufe der Väter Häufigkeit Prozent Gültige Gültig Keine Angaben 31 6.7 6.7 6.7 Hilfsarbeiter 40 8.6 8.6 15.3 Anlehre 139 30.0 30.0 45.3 Berufslehre 186 40.1 40.1 85.3 höhere Fachschule 27 5.8 5.8 91.2 Akademiker 9 1.9 1.9 93.1 selbständig 28 6.0 6.0 99.1 arbeitslos, Rentner 4.9.9 100.0 SHLR Forschung und Entwicklung 20

Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass sich der Grossteil der Eltern im unteren bis mittleren Einkommensbereich befindet. Verglichen mit den Bildungsabschlüssen der Gesamtbevölkerung allerdings ca. 10 Jahre später zeigen sich sehr deutliche Unterschiede der beruflichen und somit sozioökonomischen Situation der Eltern der ehemaligen Sprachheilschülerinnen und schüler. Abbildung 8: Höchste abgeschlossene Ausbildung Höchste abgeschlossene Ausbildung nach Geschlecht, 2008 25-64-jährige Wohnbevölkerung Männer % Frauen % Keine nach-obligatorische Ausbildung 9.6 16.8 Sekundarstufe II: Berufsbildung 42.5 47.4 Sekundarstufe II: Allgemeinbildung 6.3 10.2 Höhere Berufsbildung 13.9 6.9 Hochschule 27.7 18.9 Quelle: BFS SAKE, Bundesamt für Statistik, Neuchâtel 2009 Die Väter der ehemaligen Sprachheilschülerinnen und schüler haben in allen Kategorien niedrigere Abschlüsse. Besonders deutlich zeigen sich die Unterschiede bei der höheren Berufsausbildung und bei Hochschulabschlüssen. Noch gravierender ist das Verhältnis der Männer ohne Berufsabschluss: Während nur knapp 10% der Männer der Gesamtbevölke- SHLR Forschung und Entwicklung 21

rung über keinen Berufsabschluss (inkl. Anlehre) verfügt, ist dies bei knapp 40% der Väter der ehemaligen Sprachheilschülerinnen und schülern der Fall. Der Vergleich der Berufsabschlüsse der Frauen ist nicht weniger interessant. Insbesondere, wenn mit Ergebnissen neuerer Forschungen davon ausgegangen wird, dass der Beruf, resp. der Bildungsabschluss der Mutter einen signifikanten Einfluss auf den Spracherwerb der Kinder hat (vgl. Bornstein und Bradley 2003). Nur gerade 11.6% der untersuchten Mütter verfügen über eine abgeschlossene Berufslehre und 2.4% haben eine höhere Berufsausbildung absolviert. Knapp 60% der Mütter der ehemaligen Sprachheilschülerinnen und schüler geben als Beruf Hausfrau an. Wenn dieses Ergebnis mit der Kategorie Kein Berufsabschluss zusammengezählt wird, haben fast 80% der untersuchten Mütter keine nach-obligatorische Ausbildung absolviert und können deshalb als bildungsfern bezeichnet werden. Abbildung 9: Berufsabschlüsse der Eltern ehemaliger Sprachheilschülerinnen und schüler in Prozent 70 60 50 40 30 20 10 Kein Berufsabschluss Berufsausbildung Höhere Berufsausbildung Hochschule andere Hausfrau 0 Beruf Vater Beruf Mutter SHLR Forschung und Entwicklung 22

3.1.5 Familienkonstellationen und besonderheiten Im untersuchten Zeitraum waren 86.2% der Eltern verheiratet. Allerdings lässt sich bei 29 Fällen vermuten, dass die Eltern zwischenzeitlich getrennt leben. Diese Vermutung ist durch die Tatsache begründet, dass in den genannten 29 Fällen nur die Mutter im Telefonverzeichnis gefunden wurde. (Die Adressen der Kinder bzw. der Eltern wurde im Hinblick auf die Nachverfolgung erfasst und via Telsearch überprüft). Ebenso auffällig ist die Tatsache, dass nur 0.4% im Konkubinat leben und nur 8.4% der Eltern geschieden sind. Alleinerziehend waren 1.3% der Eltern, bis auf eine Ausnahme (allein erziehender Vater) alles allein erziehende Mütter. Familienkonstellation Häufigkeit Prozent Gültige Gültig verheiratet 400 86.2 86.2 86.2 geschieden 39 8.4 8.4 94.6 verwitwet 9 1.9 1.9 96.6 alleinerziehend 6 1.3 1.3 97.8 getrennt 5 1.1 1.1 98.9 in Scheidung 3.6.6 99.6 unverheiratete Partnerschaft 2.4.4 100.0 400 350 300 250 200 150 100 50 0 400 39 Familienkonstellation 9 6 5 3 2 Bei den geschiedenen Eltern fällt auf, dass 26 der Mütter aus der Schweiz stammen, 13 Mütter sind ausländischer Herkunft. Trotz der Scheidung der Eltern geben 18 der 39 Geschiedenen als Beruf Hausfrau an. Unter den 39 Geschiedenen befindet sich ein alleinerziehender Mann. SHLR Forschung und Entwicklung 23

Die elterliche Gewalt lag in 54.7% der Fälle bei beiden Eltern. Elterliche Gewalt Häufigkeit Prozent Gültige Gültig Vater und Mutter 254 54.7 54.7 54.7 Vater 66 14.2 14.2 69.0 Mutter 57 12.3 12.3 81.3 Vormundschaft 2.4.4 81.7 keine Angaben 85 18.3 18.3 100.0 In einigen Fällen war anhand der Akteneinträge ersichtlich, dass innerhalb der Familie eines bestimmten Kindes massive Probleme auftraten. Diese betrafen 74 Kinder. Die Merkmalsausprägungen sind: problematisch, schwieriges Milieu, Eltern überfordert und Scheidungsprobleme. Familiensituation Häufigkeit Prozent Gültige Gültig Ohne Hinweise auf Probleme 390 84.1 84.1 84.1 problematisch 53 11.4 11.4 95.5 schwieriges Milieu 10 2.2 2.2 97.6 Eltern überfordert 9 1.9 1.9 99.6 Scheidungsprobleme 2.4.4 100.0 SHLR Forschung und Entwicklung 24

3.1.6 Geschwister In den Akten finden sich 2 eineiige Zwillingspaare, 2 Zwillingspaare von denen nicht bekannt ist, ob sie eineiig oder zweieiig sind, sowie 4 weitere einzelne zweieiige Zwillinge. Die Gesamtzahl der Zwillinge ohne Berücksichtigung der Frage ob monozygotisch- oder dizygotisch beträgt 13. 108 Kinder hatten ein oder zwei Geschwister, die Sprachprobleme aufwiesen. In 72 Fällen (15.51%) war zumindest ein Geschwister des jeweiligen Kindes auch an der Sprachheilschule. Davon waren 60 (12.93%) verschwisterte Kinder zur gleichen Zeit an der Sprachheilschule und wurden in der Untersuchung erfasst. 5 Familien hatten während des Untersuchungszeitraumes 3 ihrer Kinder an der Sprachheilschule. Diese Zusammenhänge wurden auch schon von Grohnfeldt (1999:84) betont: Dagegen ist in Familien mit einem oder mehreren sprachauffälligen Kindern eine erhöhte Geschwisteranzahl und spezifische Geschwisterkonstellationen nachweisbar. Sprachentwicklungsgestörte Kinder sind überproportional häufig in der Stellung des Letztgeborenen (Grohnfeldt 1976). Ebenso weisen Spieker-Henke / Kunow (1977) darauf hin, dass Erstgeborene und Einzelkinder weniger Sprachstörungen haben als Nachgeborene. Von den 464 Kindern sind 9.1% Einzelkinder. 39.9% haben einen Bruder oder eine Schwester. 30.2% haben noch 2 weitere Geschwister. Von den Kindern, die Geschwister haben, finden sich in 23% aller Fälle auch Sprachprobleme bei einem der Geschwister. Diese Zahl kann sogar als noch höher angesehen werden: einige Eltern haben die entsprechende Rubrik auf dem Anmeldeformular nicht oder nicht vollständig ausgefüllt. Ausserdem scheint es den Eltern hier nicht so leicht zu fallen, Spracheinschränkungen eines ihrer anderen Kinder hier zuzugeben. Im Vergleich mit den Statistiken zur Familiengrösse und Anzahl der Kinder fällt auf, dass eine Häufung von Kindern aus eher kinderreichen Familien zu erkennen ist. Anzahl Geschwister Häufigkeit Prozent Gültige Gültig Keine 42 9.1 9.1 9.1 1 185 39.9 39.9 48.9 2 140 30.2 30.2 79.1 3 58 12.5 12.5 91.6 4 20 4.3 4.3 95.9 5 11 2.4 2.4 98.3 6 5 1.1 1.1 99.4 7 2.4.4 99.8 8 1.2.2 100.0 SHLR Forschung und Entwicklung 25

Abbildung 10: Frauen nach Geburtskohorten su-d-1.5.4.1.2.2 Frauen nach Geburtskohorten, Anzahl Kinder (in %) und endgültiger Nachkommenschaft, 2000 Generation Kein Kind 1 Kind 2 Kinder 3 Kinder 4 Kinder und mehr Endgültige Nachkomm enschaft 1930-1934 15.9 14.6 29.4 21.9 18.2 2.23 1935-1939 15.1 14.5 34.1 22.1 14.2 2.13 1940-1944 16.4 15.9 39.9 19.0 8.7 1.91 1945-1949 18.0 17.0 42.5 16.5 6.1 1.78 1950-1954 19.9 16.5 41.1 16.4 6.2 1.75 1955-1959 21.3 15.6 39.4 17.2 6.5 1.74 1960-1964 24.3 16.1 38.1 16.0 5.5 1.64 Quelle: BFS/VZ 2000 Auskunft: Informationszentrum, Sektion Demografie und Migration, 032 713 67 11, info.dem@bfs.admin.ch BFS - Familien in der Schweiz Im Vergleich mit der durchschnittlichen Anzahl Kinder von Müttern, die zwischen 1955-1964 geboren wurden nämlich 1,69 Kinder liegt die Anzahl Kinder pro Familie der untersuchten Kinder deutlich höher: nämlich 2,78 Kinder. Jedes Sprachheilschul-Kind hat durchschnittlich 1,78 Geschwister. Die Annahme, dass Erstgeborene weniger Sprachstörungen aufweisen, als die Letztgeborenen unter mehreren Geschwistern (vgl. Grohnfeldt, 1999:84) lässt sich bedingt bestätigen. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Daten in diesem Fall einer Momentaufnahme gleichkommen: es ist nicht auszuschliessen, dass nach Eintritt der Kinder weitere Geschwister geboren wurden, was zu Verschiebungen in der Geschwisterreihenfolge geführt haben mag. SHLR Forschung und Entwicklung 26

Geschwisterreihenfolge Häufigkeit Prozent Gültige Gültig keine Angaben 18 3.9 3.9 3.9 jüngstes Kind 190 40.9 40.9 44.8 mittleres Kind 64 13.8 13.8 58.6 ältestes Kind 150 32.3 32.3 90.9 Einzelkind 42 9.1 9.1 100.0 Zusammen mit den Daten des Kindes erfasst die Sprachheilschule auch die Anzahl der Geschwister und ob Geschwister auch an einer Hör- oder Sprachstörung leiden. Die Daten für maximal zwei Geschwister wurden in Bezug auf Hören und Sprechen erfasst. Geschwister 1 Sprachprobleme Häufigkeit Prozent Gültige Gültig Fehlende Angaben 72 15.5 15.5 15.5 keine Sprachprobleme 303 65.3 65.3 80.8 Sprachprobleme 89 19.2 19.2 100.0 SHLR Forschung und Entwicklung 27

Geschwister 2 Sprachprobleme Häufigkeit Prozent Gültige Gültig Fehlende Angaben 251 54.1 54.1 54.1 keine Sprachprobleme 176 37.9 37.9 92.0 Sprachprobleme 37 8.0 8.0 100.0 3.1.7 Diagnosen 305 der 464 untersuchten Kinder wurden vom Schulpsychologischen Dienst abgeklärt und an die Sprachheilschule St. Gallen überwiesen. Sprachprobleme sind multikausaler Art. Aus diesem Grunde gibt es in den Akten der Sprachheilschule auch nicht eine Diagnose, sondern meist mehrere in Kombination. Zu Beginn der Erfassung wurden 6 Kategorien für die Diagnosen vorgesehen. Im Laufe der Zeit und in Anbetracht der Angaben auf dem Deckblatt der Akte wurden die Diagnosekategorien entsprechend erweitert (Hörstörung, Dyskalkulie [erstes Auftreten 1994], Dysphonie). Die Kategorisierung der Diagnosen ist also nicht theoriengeleitet, was aus fachlicher Perspektive wünschenswert wäre, sondern orientiert sich an der Empirie. Dieses für das individuelle Profil der Sprachheilschülerinnen und schüler zentrale Merkmal Diagnose muss einerseits vor dem Hintergrund eines fehlenden vergleichbaren Abklärungsinstruments, andererseits im Rahmen historischer und gesellschaftlicher Veränderungen verstanden werden. Es stellte sich allerdings heraus, dass diese Kategorie in einigen Fällen nicht ausreichend war. Deshalb wurde eine neue Variable weitere medizinische Probleme erfasst. SHLR Forschung und Entwicklung 28

3.1.7.1 Logopädische Diagnosen Um auch differenzierte Diagnosen einordnen zu können, wurden die unten stehenden Hauptkategorien 1 9 gebildet, unter die sich mehrere Unterkategorien subsummieren. Zur Erfassung vermuteter hirnorganischer Ursachen wurden weitere Indikatoren gefunden: mitverursachende Behinderung (1 und 2) und medizinische Probleme, sowie die Tatsache, dass ein EEG (1) und/oder ein SchlafentzugsEEG (2) durchgeführt wurden. In einigen wenigen Fällen wurden auch bildgebende Methoden der Computertomografie hinzugezogen. Phonematisch-mnestische Störungen und Dyspraxien wurden als mitverursachende Behinderungen erfasst. Die logopädischen Diagnosen wurden wie folgt aufgegliedert: 1. Dyslalie: Lautbildungsstörung, Artikulationsstörung, phonetische Störung, Dysarthrie, multiples Stammeln, Rhinolalie, Sigmatismus 2. Dysphasie: eingeschränkter Wortschatz, Sprachentwicklungsstörung, Spracherwerbsstörung, Sprachentwicklungsverzögerung, Dysnomie (Störung des Wortgebrauchs), Aphasiesyndrom 3. Dysgrammatismus: morphologisch-syntaktische Störung, Dysphrasie 4. Sprachverständnis-Probleme 5. Dyslexie: Störung des Lesens und Schreibens, Legasthenie, Dysorthographie, Schriftspracherwerbsstörung, Dysgraphie 6. Redefluss-Störung: Stottern, Poltern, Dysfluenz 7. Dyskalkulie 8. Dysphonie: Stimmstörung 9. Hörstörung Dyslalie Häufigkeit Prozent Gültige Gültig 0 135 29,1 29,1 29,1 1 329 70,9 70,9 100,0 Gesamt 464 100,0 100,0 Dysphasie Häufigkeit Prozent Gültige Gültig 0 112 24,1 24,1 24,1 1 352 75,9 75,9 100,0 Gesamt 464 100,0 100,0 SHLR Forschung und Entwicklung 29

Dysgrammatismus Häufigkeit Prozent Gültige Gültig 0 96 20.7 20.7 20.7 1 368 79.3 79.3 100.0 Sprachverständnisprobleme Häufigkeit Prozent Gültige Gültig 0 450 97.0 97.0 97.0 1 14 3.0 3.0 100.0 Dyslexie Häufigkeit Prozent Gültige Gültig 0 287 61.9 61.9 61.9 1 177 38.1 38.1 100.0 Redefluss-Störung Häufigkeit Prozent Gültige Gültig 0 400 86.2 86.2 86.2 1 64 13.8 13.8 100.0 SHLR Forschung und Entwicklung 30

Dyskalkulie Häufigkeit Prozent Gültige Gültig 0 430 92.7 92.7 92.7 1 34 7.3 7.3 100.0 Dysphonie Häufigkeit Prozent Gültige Gültig 0 450 97.0 97.0 97.0 1 14 3.0 3.0 100.0 Hörstörung Häufigkeit Prozent Gültige Gültig 0 431 92.9 92.9 92.9 1 33 7.1 7.1 100.0 Die logopädischen Diagnosen Dysphasie, Dyslalie und Dysgrammatismus kommen am häufigsten vor. Diese Störungen gelten als Leitsymptome für Spezifische Sprachentwicklungsstörungen (SSES). Grimm (2003) nennt die Prävalenzzahl von 8% der dreijährigen Kinder mit SSES eine konservative Schätzung. Steiner (2008) zeigt, dass die Hälfte aller Kinder, die mit drei Jahren eine SSES haben, bis ins Erwachsenenalter Probleme in unterschiedlichen Bereichen wie Sprachkompetenz, Lesen und Rechtschreiben, Verhalten, Schulerfolg und berufliche Integration haben. In dieser Untersuchung wird deutlich, dass bei 38% der Kinder auch eine Lese-Rechtschreib-Schwäche vorliegt. Die Auswertung und Interpretation der logopädischen Diagnosen ist statistisch relativ aufwändig. Im folgenden Beispiel einer Kreuztabelle zeigt sich allerdings doch recht deutlich, dass gerade mehrsprachige Kinder (alle, die nicht der Kategorie 1=Schweizerdeutsch entsprechen) häufig die Diagnose Dysgrammatismus haben. Bei den Schweizer Kindern ist es nur etwa die Hälfte der Kinder, die diese Diagnose haben. SHLR Forschung und Entwicklung 31

Kreuztabelle Dysgrammatismus 0 1 Gesamt Familiensprache Schweizerdeutsch Anzahl 79 182 261 Erwartete Anzahl 54.0 207.0 261.0 % der Gesamtzahl 17.0% 39.2% 56.3% italienisch Anzahl 3 36 39 Erwartete Anzahl 8.1 30.9 39.0 % der Gesamtzahl.6% 7.8% 8.4% osteuropäische Sprachen Anzahl 2 50 52 Erwartete Anzahl 10.8 41.2 52.0 % der Gesamtzahl.4% 10.8% 11.2% Türkisch, aramäisch, armenisch Anzahl 2 15 17 Erwartete Anzahl 3.5 13.5 17.0 % der Gesamtzahl.4% 3.2% 3.7% Spanisch und portugiesisch Anzahl 3 22 25 Erwartete Anzahl 5.2 19.8 25.0 % der Gesamtzahl.6% 4.7% 5.4% asiatische Sprachen Anzahl 2 27 29 Erwartete Anzahl 6.0 23.0 29.0 % der Gesamtzahl.4% 5.8% 6.3% gemischt: unterschiedliche Elternsprachen Anzahl 0 9 9 Erwartete Anzahl 1.9 7.1 9.0 % der Gesamtzahl.0% 1.9% 1.9% gemischt: ein Elternteil fremdsprachig Anzahl 5 19 24 Erwartete Anzahl 5.0 19.0 24.0 % der Gesamtzahl 1.1% 4.1% 5.2% restliche Sprachen Anzahl 0 8 8 Erwartete Anzahl 1.7 6.3 8.0 % der Gesamtzahl.0% 1.7% 1.7% Gesamt Anzahl 96 368 464 Erwartete Anzahl 96.0 368.0 464.0 % der Gesamtzahl 20.7% 79.3% 100.0% SHLR Forschung und Entwicklung 32

3.1.7.2 Mitverursachende Behinderungen Für die mitverursachenden Behinderungen wurde zuerst eine Grobkategorisierung erstellt, die dann später weiter ausdifferenziert wurde. Die Tatsache, dass die Daten in einer Datenbank (und nicht in Excel) erfasst wurden, erlaubte ein sukzessives Anwachsen der Unterkategorien unter Beibehaltung der ursprünglichen Information, so dass auch Zuordnungsfehler prinzipiell korrigierbar gewesen wären. Die Grobkategorien waren wie folgt verteilt: Grobkategorien 1 zentral auditive Verarbeitung und Wahrnehmung 2 andere motorische Bereiche 3 Affektivität 4 Soziales Umfeld 5 andere Wahrnehmungsbereiche 6 Sprechmotorik 7 Lippen-Kiefer-Gaumenspalte 0 keine Angaben SHLR Forschung und Entwicklung 33

Mitverursachende Behinderung 1 Häufigkeit Prozent Gültige Gültig Keine Behinderung 140 30.2 30.2 30.2 zentral-auditive Verarbeitung und Wahrnehmung 243 52.4 52.4 82.5 andere motorische Bereiche 10 2.2 2.2 84.7 Affektivität 15 3.2 3.2 87.9 Soziales Umfeld 19 4.1 4.1 92.0 andere Wahrnehmungsbereiche 12 2.6 2.6 94.6 Sprechmotorik 18 3.9 3.9 98.5 LKG 7 1.5 1.5 100.0 Bei mehr als der Hälfte der untersuchten Kinder (52.4%) wurde eine zentral-auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung 11 als mitverursachende Behinderung diagnostiziert. Unter den Begriff (Z)AVWS wurden ältere Bezeichnungen wie phonematischmnestische Störung oder phonematische Gedächtnisschwäche subsummiert. Interessant ist, dass bei 30.2% der Kinder keine mitverursachende Behinderung gefunden wurde. Die anderen erfassten Kategorien machen zusammen nur 17.2% aus, wobei am meisten Probleme im sozialen Umfeld und in der Sprechmotorik vorkommen. Da sich doch in einigen Fällen (51) mehr als eine mitverursachende Behinderung in den Akten der jeweiligen Kinder fand, wurde ein zweites Feld mit verursachende Behinderung 2 angelegt, und die entsprechenden Daten hier erfasst. Es zeigt sich, dass motorische, resp. sprechmotorische Probleme die häufigste mitverursachende Behinderung 2 sind. 11 Im aktuellen Konsensus-Papier der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie aus dem Jahr 2006 wird die AVWS so definiert: Eine Auditive Verarbeitungs- und/oder Wahrnehmungsstörung (AVWS) liegt vor, wenn bei normalem Tonaudiogramm zentrale Prozesse des Hörens gestört sind. Zentrale Prozesse des Hörens ermöglichen u.a. die vorbewusste und bewusste Analyse, Differenzierung und Identifikation von Zeit-, Frequenzund Intensitätsveränderungen akustischer oder auditivsprachlicher Signale sowie Prozesse der binauralen Interaktion (z.b. zur Geräuschlokalisation, Lateralisation, Störgeräuschbefreiung, Summation) und der dichotischen Verarbeitung. SHLR Forschung und Entwicklung 34

Mitverursachende Behinderung 2 Häufigkeit Prozent Gültige Gültig Keine Behinderung 406 87.5 87.5 87.5 zentral-auditive Wahrnehmung und Verarbeitung 3.6.6 88.1 andere motorische Bereiche 14 3.0 3.0 91.2 Affektivität 10 2.2 2.2 93.3 Soziales Umfeld 8 1.7 1.7 95.0 andere Wahrnehmungsbereiche 6 1.3 1.3 96.3 Sprechmotorik 17 3.7 3.7 100.0 In der folgenden Tabelle sind beide mitverursachenden Behinderungen gemeinsam dargestellt. Die am häufigsten vorkommende mitverursachende Behinderung, die zentral auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung, resp. die phonematisch-mnestische Störung wurde immer nur im ersten Feld erfasst und fehlt deshalb in der Rubrik mitverursachende Behinderung 2 komplett. Die anderen Störungen (mit Ausnahme der Lippen- Kiefer-Gaumenspalte) können sowohl im einen als auch im anderen Feld vorkommen. Mitverursachende Behinderungen Häufigkeit MB1 Häufigkeit MB2 Summe Keine Behinderung 140 408 zentral-auditive Verarbeitung und Wahrnehmung 244 244 andere motorische Bereiche 10 14 24 Affektivität 14 11 25 Soziales Umfeld 19 8 27 andere Wahrnehmungsbereiche 12 6 18 Sprechmotorik 18 17 35 LKG 7 7 Gesamt 464 464 928 SHLR Forschung und Entwicklung 35

400 Mitverursachende Behinderungen 1+2 350 300 250 200 150 100 50 0 Häufigkeit MB1 Häufigkeit MB2 Summe 3.1.7.3 Medizinische Probleme Zur Erfassung der medizinischen Probleme wurden die folgenden Felder angelegt. Medizinische Probleme Häufigkeit Prozent Gültige Gültig ohne medizinische Probleme 357 76.9 76.9 76.9 POS ADS ADHS 54 11.6 11.6 88.6 Epilepsie 34 7.3 7.3 95.9 Gehirn-Symptomatiken 19 4.1 4.1 100.0 Im Untersuchungszeitraum wurden keine Kinder mit Diabetes betreut. 54 Kinder litten unter frühinfantilen organischen Störungen oder POS, ADS und ADHS. 34 Kinder hatten eine diagnostizierte Epilepsie, die entsprechend medikamentös behandelt wurde. Die kontrollierte Medikamentenabgabe und die Absprachen mit den Ärzten sind in den Akten dokumentiert, wurden aber nicht extra erfasst. Bei mehr als 75% der ehemaligen Sprachheilschüler- und schülerinnen wurden keine medizinischen Probleme diagnostiziert. SHLR Forschung und Entwicklung 36

3.1.7.4 Hinweise auf genetische Störungen Hinweise auf genetische Zusammenhänge, sind über folgende Indikatoren möglich: Geschwister, die Sprachstörungen aufweisen: In 46 Fällen konnten den Akten Störungen bei Geschwistern entnommen werden. Diese sind zu vielfältig, um sie hier im Einzelnen aufzuführen. Entsprechende Störungen, die schon die Eltern in ihrer Kindheit hatten: Die Akten mussten um die entsprechenden Informationen zu erhalten, genau studiert werden. Es bleibt zu vermuten, dass die hier genannten und dokumentierten Störungen auf Seiten der Eltern nur die Spitze des Eisberges sind. Bei 39 Vätern und bei 23 Müttern wurden entsprechende Einträge vorgenommen. Einige Kinder erbten von beiden Eltern entsprechende Vorbelastungen und somit genetische Dispositionen. In 12 Fällen hatte schon der Vater eine Sprachentwicklungsstörung, in 8 Fällen war der Vater Legastheniker. Gehörstörungen traten bei beiden Eltern in 5 Fällen auf. 8 Väter sind durch Alkoholismus aufgefallen. Psychische Störungen finden sich nur bei den Müttern (5). Geschwister, die die Sprachheilschule besucht haben: In 72 Fällen (15.51%) war zumindest ein Geschwister des jeweiligen Kindes auch an der Sprachheilschule. Davon waren 60 (12.93%) verschwisterte Kinder zur gleichen Zeit an der Sprachheilschule und wurden in der Untersuchung erfasst 12. 3.1.8 Durchgeführte Therapien Grundsätzlich besuchen alle Kinder an der Sprachheilschule St. Gallen drei bis vier Mal pro Woche eine logopädische Therapieeinheit. Zudem zeichnet sich der schulische Unterricht dadurch aus, dass er auf die sprachtherapeutischen Bedürfnisse der Kinder ausgerichtet ist. In den Akten war ersichtlich, ob die Kinder eine weitere Therapieart erhalten haben. Erfasst wurde Physiotherapie, Ergotherapie und Psychotherapie. Physiotherapie Gültige Häufigkeit Prozent Gültig Ohne 383 82.5 82.5 82.5 Mit 81 17.5 17.5 100.0 Ergotherapie Häufigkeit Prozent Gültige Gültig Ohne 424 91.4 91.4 91.4 Mit 40 8.6 8.6 100.0 12 Diese 12,93% sind in einer Hinsicht auswertungstechnisch problematisch: Die Eltern dieser Kinder sind mehrfach erfasst. SHLR Forschung und Entwicklung 37

Psychotherapie Häufigkeit Prozent Gültige Gültig Ohne 394 84.9 84.9 84.9 Mit 70 15.1 15.1 100.0 81 Kinder wurden zusätzlich zur logopädischen Therapie physiotherapeutisch (bzw. psychomotorisch) behandelt, 40 Kinder erhielten Ergotherapie und 70 Kinder waren in Psychotherapie. 3.1.9 Differentialdiagnostische Berichte Zusätzlich zu den tatsächlich durchgeführten Therapien wurden bei einigen Kindern Abklärungen vom Neuropädiater, vom Ophtalmologen oder vom Psychologen durchgeführt. Auch wurden Gehörtests und Anpassungen der Gehörgeräte vorgenommen. Obwohl diese zusätzlichen Untersuchungen nur einen kleinen Teil der Kinder betreffen, macht das Vorhandensein von Abklärungen deutlich, dass die Sprachheilschule bei Therapiestagnation oder Verschlechterung der Symptomatik entsprechende differentialdiagnostische Abklärungen vornehmen lässt, um weitere mögliche Ursachen zu erfassen und weitere Therapien zu ermöglichen und zu begründen. Ophthalmologische Gutachten Häufigkeit Prozent Gültige Gültig 0 434 93.5 93.5 93.5 1 30 6.5 6.5 100.0 Bei 30 Kindern bestand der Verdacht, dass ihre schlechten Leseleistungen auch mit den Leistungen ihrer Augen, insbesondere mit offenem oder verdecktem Schielen und starker Kurz- oder Weitsichtigkeit zusammenhängen könnten. Aus diesem Grunde wurde ein ophthalmologisches Gutachten erstellt und die Kinder wurden, falls nötig, zu einem Sehtraining geschickt. SHLR Forschung und Entwicklung 38

Unter leichten bis schweren Beeinträchtigungen ihrer Sehleistung litten 7.3% der Schüler. Sehbeeinträchtigungen Häufigkeit Prozent Gültige Gültig 0 430 92.7 92.7 92.7 1 34 7.3 7.3 100.0 Neuropädiatrisches Gutachten Häufigkeit Prozent Gültige Gültig 0 369 79.5 79.5 79.5 1 95 20.5 20.5 100.0 Bei 95 Kindern (20.5% der Gesamtanzahl) wurde ein neuropädiatrisches Gutachten erstellt. Oft wurden hier auch weitere Massnahmen wie ein EEG oder ein Schlafentzugs-EEG in die Wege geleitet. EEG Test Häufigkeit Prozent Gültige Gültig Ohne Test 350 75.4 75.4 75.4 normales EEG 70 15.1 15.1 90.5 Schlafentzugs-EEG 44 9.5 9.5 100.0 Bei 70 Kindern wurde ein normales EEG erstellt. Bei denjenigen, die epilepsie-spezifische Potentiale aufwiesen, wurde ausserdem ein Schlaf-Entzugs-EEG vorgenommen. Im Falle einer Bestätigung der Epilepsie wurden die Kinder entsprechend medikamentös behandelt. Etwa ein Viertel der Kinder (N=103, 22.2%) wiesen Verhaltensauffälligkeiten auf und wurden aus diesem Grunde von einem Psychologen oder Psychiater abgeklärt. Im Falle eines nachgewiesenen psychischen Leidens wurden entsprechende Kostengutsprachen eingeholt und in den meisten Fällen wurde eine Therapie in Angriff genommen. SHLR Forschung und Entwicklung 39