Automatisches Fahren gut für den Fahrer?

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Transkript:

V Ingenieur- und erkehrspsychologie Automatisches Fahren gut für den Fahrer? 1. Warum könnte automatisches Fahren gut sein? Automatisches Fahren ist momentan in aller Munde. Der deutsche Verkehrsminister erwartet, dass automatisches Fahren die Verkehrssicherheit deutlich erhöht. Die Logik ist einfach: Da bei den meisten Unfällen Fehler des Fahrers eine wesentliche Rolle spielen (z.b. Statistisches Bundesamt, 2015: bei 63% der Unfälle sind menschliche Fehler die Unfallursache), müssten die Unfallzahlen drastisch zurückgehen, wenn nicht mehr der Fahrer, sondern ein automatisches System fährt. Dies setzt aber natürlich voraus, dass das automatische System tatsächlich besser fährt als der menschliche Fahrer. Die aktuell bereits im Verkehr aktiven Vorstufen des automatischen Fahrens lassen in Bezug auf diese Voraussetzung durchaus Zweifel wach werden. Im Sommer 2016 wurde bekannt, dass ein Tesla-Fahrer bei einem schweren Verkehrsunfall gestorben war. Dieser Fahrer war mit der Autopilot-Funktion des Tesla unterwegs. In diesem Modus fährt der Tesla prinzipiell alleine, aber der Fahrer muss das System dennoch ständig überwachen. An einer Kreuzung bog ein entgegenkommender Lkw plötzlich und unerwartet nach links ab und kreuzte den Weg des Tesla, ohne die Vorfahrt des Tesla zu berücksichtigen. Das automatische System erkannte den Lkw nicht und auch der Fahrer konnte nicht mehr eingreifen, so dass es zu dem schweren Zusammenstoß kam. Wie auch bei menschlichen Fahrern, scheinen komplexe, unerwartete Situationen für technische Systeme schwer zu beherrschen zu sein. Vor diesem Hintergrund wird im folgenden Abschnitt etwas genauer untersucht, unter welchen Bedingungen man tatsächlich erwarten kann, dass die Verkehrssicherheit durch Automation gesteigert wird. Hier spielen verschiedene Stufen der Automation eine wesentliche Rolle. Ein System wie der Tesla wird als teilautomatisiertes Fahren bezeichnet. Dies ist im Moment die Variante, die tatsächlich von verschiedenen Herstellern in den Verkehr eingeführt wird. Deshalb wird in einem nächsten Abschnitt untersucht, welche Veränderungen sich bei teilautomatisiertem Fahren für den menschlichen Fahrer ergeben und wie diese Ausprägung für den Fahrer und die Verkehrssicherheit zu bewerten ist. In einem dritten Teil geht es dann um die nächste Stufe des automatischen Fahrens. Beim hochautomatisierten Fahren gerade bei Langstrecken hat der Fahrer für längere Abschnitte die Möglichkeit, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen, während die Automation selbstverantwortlich fährt. Ein Ausblick über die weitere Entwicklung unter psychologischen Gesichtspunkten schließt den Beitrag ab. 2. Automation und Verkehrssicherheit In der Diskussion über Automation wird häufig nicht klar beschrieben, welche Stufe von Automation angesprochen ist. Wichtig sind im Wesentlichen 3 Stufen: Teilautomation: Das System fährt alleine, aber der Fahrer muss das System überwachen und jederzeit eingreifen können, wenn das System eine Situation nicht bewältigt. Hochautomation: Das System fährt zuverlässig in bestimmten Situationen alleine. Der Fahrer kann sich mit anderen Dingen beschäftigen. Das System gibt frühzeitig Bescheid, wenn der Fahrer wieder die Fahrt übernehmen muss. Vollautomation (autonomes Fahren): Es gibt keinen Fahrer mehr, nur noch Passagiere. Das Fahrzeug transportiert Menschen oder Güter über bestimmte Strecken.

2 Tesla mit seiner Version des Autopiloten ist ein Beispiel für Teilautomation. Die Definition zeigt auch die Problematik im Hinblick auf die Verkehrssicherheit: Man geht davon aus, dass das System noch nicht 100% zuverlässig ist. Es gibt Systemgrenzen, an denen es nicht funktioniert, z.b. bei Schnee, wenn die Spurmarkierungen nicht gut erkannt werden können. Es gibt Systemfehler, z.b. wenn in Baustellen nicht die gelben Spurmarkierungen erkannt werden, sondern auf die alten, weißen Markierungen geregelt wird. Weil das System fehlerbehaftet ist, muss der Fahrer dieses System überwachen. Möglicherweise wird dieses System bestimmte Fehler nicht machen, die ein Fahrer machen würde. Es würde sich z.b. nicht ablenken lassen, keinen Alkohol trinken und nicht zu schnell fahren. Auf der anderen Seite wird es Fehler machen, die ein Fahrer nicht machen würde. Letztlich handelt es sich hier nicht um ein Sicherheitssystem, sondern ein Komfortsystem, das dem Fahrer das Fahren abnimmt, sodass dieser entspannter ankommen kann. Aber ist es wirklich entspannend, ein solches System die ganze Zeit zu überwachen und auf die Systemfehler zu warten? Dies wird im folgenden Abschnitt genauer untersucht. Auch bei der Hochautomation ist die Frage, ob diese Art von Systemen die Verkehrssicherheit erhöht. Zunächst wird diese Art von Systemen nur in sehr einfachen Situationen wie auf gut ausgebauten Autobahnen funktionieren. Dort sind aber auch menschliche Fahrer sehr gut. Nach der amtlichen Unfallstatistik wurden 2014 235 Milliarden Kilometer auf deutschen Autobahnen zurückgelegt. In dieser Zeit gab es 19 000 Unfälle mit Personenschaden, also einen Unfall mit Personenschaden auf 12 Millionen gefahrene Kilometer. Ein solches Niveau der Zuverlässigkeit muss ein technisches System erst einmal erreichen. Auch der Nachweis dieser Zuverlässigkeit ist nicht unproblematisch. Und gerade die Unfälle innerorts, die ungefähr zwei Drittel aller Unfälle mit Personenschaden ausmachen, geschehen in Situationen, die momentan für automatische Systeme noch nicht sicher zu bewältigen sind. Also ist auch Hochautomation eine Art der Automation, die für den Fahrer neue Freiräume während der Fahrt schafft. Die Sicherheit im Verkehr wird sich dadurch aber nicht erhöhen. Damit bleibt die Vollautomation als Möglichkeit zur Erhöhung der Sicherheit. Diese Systeme müssen tatsächlich alle Situationen im Verkehr sicher beherrschen. Der Anspruch ist, dass sie dies besser tun als der Mensch. Wenn man alle Unfälle mit Personenschaden betrachtet, erreichen menschliche Fahrer immerhin ein Sicherheitsniveau von einem Unfall auf 2.5 Millionen km. Auch dies ist eine Vorgabe, die durch technische Systeme erst erreicht werden muss. Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Der Effekt hängt davon ab, wie viele Fahrzeuge automatisch fahren. Erst wenn alle Fahrzeuge automatisch fahren, ist die volle Wirkung zu erwarten. Selbst wenn jedes Neufahrzeug verpflichtend automatisch fahren müsste, würde es je nach Kaufverhalten 30 bis 50 Jahre dauern, bis dies erreicht ist. Insgesamt ist so die Hoffnung, in wenigen Jahren durch Automation eine deutliche Zunahme der Verkehrssicherheit zu erreichen, unrealistisch. Für die Vollautomation ist die Perspektive der Sicherheitserhöhung sicherlich eine sinnvolle Vision. Man sollte aber die Erwartungen nicht zu hoch setzen, um nicht schnell enttäuscht zu werden. Aber wenn nicht die Sicherheit im Vordergrund steht, welchen Nutzen können dann die verschiedenen Automationsstufen für den menschlichen Fahrer haben? 3. Kann der Mensch mit Teilautomation fahren? Das Fahren mit Teilautomation soll den Fahrer entlasten und zu einem entspannten Fahren führen. Es wird allerdings häufig übersehen, dass der Fahrer nicht nur entlastet wird (er muss nicht mehr selbst manuell fahren), sondern gleichzeitig neue Aufgaben erhält. Er muss jetzt das System permanent überwachen und eingreifen, wenn das System Fehler macht oder ausfällt. Damit muss er jederzeit verstehen, was das System gerade tut. Dies wird momentan noch weitgehend vernachlässigt: Anzeigen des Systemzustands und der Systemaktionen sind auf das Nötigste beschränkt und häufig nur für den Fachmann zu verstehen. Außerdem ist die

3 Entscheidung, ob das System richtig oder falsch agiert, nur zu treffen, wenn auch die Umwelt überwacht wird. Welche Geschwindigkeitsbegrenzung gilt gerade? Kann man wirklich gefahrenfrei die Spur wechseln? Ist die Ampel grün? Der Fahrer muss also permanent entscheiden, ob es irgendwelche Reize in der Umwelt gibt, die eine Aktion erfordern und dann prüfen, ob sich das System tatsächlich entsprechend verhält. Psychologisch gesehen handelt es sich bei dieser Art von Tätigkeit um eine Überwachungsaufgabe, bei der Daueraufmerksamkeit (Vigilanz) gefordert ist. Diese Art von Aufgaben wird bereits seit 1948 beginnend mit Mackworth intensiv untersucht. Ein wesentliches Ergebnis ist, dass Menschen nicht gut geeignet sind, um diese Aufgaben zuverlässig durchzuführen. Bereits in den ersten 30 Minuten werden nur 85% von relevanten Reizen auch entdeckt. Die Leistung fällt dann mit zunehmender Beobachtungsdauer weiter ab. Damit ist zu erwarten, dass auch beim Fahren mit Teilautomation eine ganze Reihe von Systemfehlern gar nicht oder erst sehr spät entdeckt werden. Vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, dass der Fahrer des Tesla im Beispiel am Anfang eigentlich keine Chance hatte. Er hätte entdecken müssen, dass der Tesla nicht richtig reagiert und dann von der Überwachungsaufgabe umschalten müssen zu einem Eingriff. Die kritische Situation ließ dazu mit Sicherheit nicht genügend Zeit. Dies ist aber vermutlich typisch für Situationen, in denen Teilautomation versagt. Der Fahrer hat schon Schwierigkeiten, nach längerer Überwachungszeit überhaupt den Fehler zu bemerken. Es bleibt ihm dann aber kaum noch Zeit zu reagieren, da sich die Situationen im Verkehr in der Regel sehr schnell kritisch entwickeln. Schon die Reaktionszeiten von menschlichen Fahrern liegen bei ungefähr einer Sekunde, nachdem ein kritisches Objekt (z.b. ein Fußgänger, der plötzlich die Straße quert) auftaucht. Um zu bemerken, dass ein System nicht reagiert und einzugreifen, wird sicherlich mindestens eine weitere Sekunde benötigt. Dann sind aber bereits 2 Sekunden vergangen, sodass nur in den seltensten Situationen ein erfolgreicher Eingriff möglich sein wird. Teilautomation ist aus dieser Sicht ein Irrweg. Man möchte den Fahrer entlasten und die Fahrt einfacher machen, hofft außerdem, dass dies sicherer ist. Dass man eine höhere Sicherheit nicht erwarten kann, hatte der vorige Abschnitt gezeigt. Die Fahrt mit Teilautomation als Entlastung und ein komfortables Fahren zu beschreiben, ist aber auch falsch. Wenn der Fahrer diese Aufgabe ernst nimmt, muss er das System permanent überwachen, was anstrengend und schwierig ist. Und wer einen Systemfehler schon einmal erlebt hat, schwebt in der ständigen Angst, dass das System einen weiteren Fehler machen wird, er aber kaum eine Chance hat, rechtzeitig einzugreifen. Wenn der Fahrer das System versteht, ist es deshalb unattraktiv. Versteht er die Gefahren nicht und verlässt sich auf das System, werden die Systemfehler, die der Fahrer dann sicherlich nicht beherrscht, zu neuen Unfällen im Verkehr führen. Auch dies erscheint für den menschlichen Fahrer wenig attraktiv. Ein Ausweg kann hier das hochautomatisierte Fahren sein. Dies wird im nächsten Abschnitt diskutiert.

4 4. Die Vorteile der Bahn im Auto Gerade für lange Fahrten auf der Autobahn erscheint hochautomatisiertes Fahren als interessante Entwicklung. Der Fahrer hat alle Vorteile seines individuellen, flexiblen Fahrzeugs, kann sich aber über längere Zeiträume hinweg anderen Tätigkeiten widmen. Er kann arbeiten, lesen, Videos anschauen, möglicherweise sogar schlafen. Bei dieser Art von Fahrten in einfachen, kontrollierten Umgebungen, die auch menschliche Fahrer sehr sicher beherrschen, ist auch davon auszugehen, dass hochautomatisierte Fahrzeuge zumindest ebenso sicher fahren wie menschliche Fahrer. Gerade bei diesen langweiligen Fahrtanteilen lassen sich menschliche Fahrer ablenken oder werden müde. Dies kann man bei hochautomatisierten Fahrzeugen vermeiden. So könnte für diese Fahrtabschnitte das Fahren tatsächlich sicherer werden. Die verkehrspsychologische Frage ist hier, wie lange der Fahrer braucht, um aus diesem entspannten Zustand heraus das Fahrzeug wieder selbst zu übernehmen. Eine Vielzahl von Studien hat dies inzwischen unter verschiedenen Bedingungen untersucht. Dabei werden Mittelwerte von 5 bis 7 Sekunden berichtet, nach denen Fahrer nach einer entsprechenden Aufforderung durch das System das Fahrzeug wieder selbst sicher übernehmen können. Bei dieser Argumentation wird aber gerne übersehen, dass die Orientierung an Mittelwerten hier schwierig ist. Es genügt eben nicht, wenn die meisten Fahrer das Fahrzeug sicher übernehmen, es sollten schon alle sein. Wie eigene Studien zeigen, braucht man dann eher 10 bis 15 Sekunden, um wirklich auf der sicheren Seite zu sein und alle Fälle zu berücksichtigen. Weiter lässt sich zeigen, dass Fahrer dann zwar die manuelle Fahrt übernommen haben, aber häufig noch nicht völlig über die Umwelt orientiert sind. Spiegelblicke sind auf der Autobahn ein ganz wichtiges Verhalten, um die aktuelle Situation wirklich gut einschätzen zu können. Hier ist man dann schnell bei 15 bis 20 Sekunden, bis sich tatsächlich alle Fahrer entsprechend orientiert haben. In vielen Übergabesituationen sind diese Zeiten auch völlig unproblematisch. Wenn der Fahrer die Autobahn verlassen soll, wenn ein schlecht ausgebauter Abschnitt erreicht wird, lässt sich mit Hilfe von Kartendaten frühzeitig erkennen. Schwierig wird es bei dynamischen Ereignissen, z.b. Wanderbaustellen, plötzlicher Nässe oder Schnee etc. Wenn dies durch die bordeigene Sensorik erkannt wird, bleiben häufig nicht mehr 5 Sekunden, bis das System nicht mehr zuverlässig funktioniert. Die große Herausforderung für das hochautomatisierte Fahren ist damit die Vorhersage der Zukunft: Kann man garantieren, dass das System in den nächsten 20 Sekunden noch zuverlässig funktionieren wird? Um dies zu garantieren, muss man möglicherweise den Einsatzbereich dieser Systeme sehr stark einschränken. Insgesamt erscheinen damit diese hochautomatisierten Systeme zwar sehr attraktiv. Unklar ist aber, wie schnell diese Anforderungen erfüllt werden können und wie groß damit der Einsatzbereich dieser Systeme ist. Hier spielt auch eine Rolle, dass dies zum Teil durch Infrastruktur (z.b. Straßenmarkierungen, Informationen über die Umwelt) geleistet werden müsste, was wiederum nicht in der Hand der Hersteller liegt. Und diese Systeme werden nicht billig sein. Von da her bleibt abzuwarten, wie schnell und in welchem Umfang sich hochautomatisiertes Fahren wirklich im Markt durchsetzt.

5 5. Ein Blick in die Zukunft Zusammenfassend bleibt ein etwas kritischer Blick auf die Automation: Automation wird in den nächsten 10 Jahren die Verkehrssicherheit nicht substanziell verbessern. Es bleibt vielmehr abzuwarten, inwieweit nicht sogar neue Arten von Unfällen durch Automation geschehen. Es ist dringend abzuraten von Teilautomation, die jetzt schon in Serie verfügbar ist. Wenn der Fahrer die teilautomatischen Systeme ernst nimmt, sind sie nicht attraktiv. Wenn der Fahrer die teilautomatischen Systeme als Entlastung begreift, entstehen neue Sicherheitsrisiken. Hochautomation ist eine sehr gute Alternative bei Langstreckenfahrten, um Effekte von Müdigkeit und Ablenkung zu vermeiden und dem Fahrer die Möglichkeit zu geben, sich anderweitig zu beschäftigen. Hochautomation wird wenig Einfluss auf die Sicherheit haben, da sie in einem Bereich eingesetzt wird, bei dem auch Menschen sehr sicher fahren. Hochautomatisierung erscheint eher als Nischenprodukt für wenige (Viel-)Fahrer, die bereit sind, entsprechende Anschaffungskosten zu finanzieren. Vollautomation ist eine faszinierende Vision, die die Mobilität insgesamt verbessern kann. Bis so viele Fahrzeuge vollautomatisch fahren, dass sich die Unfallzahlen substanziell ändern, sind einige Jahrzehnte notwendig. Bis Vollautomation tatsächlich alle im Verkehr vorkommenden relevanten Situationen einschließlich Mischverkehr und schwächeren Verkehrsteilnehmern beherrscht, sind weitreichende Neuentwicklungen notwendig. Insgesamt erscheint so Automation beim Fahren als interessante Möglichkeit, um die Verkehrssicherheit, aber auch die Mobilität zu verbessern. Man sollte aber keine kurzfristigen positiven Effekte im Hinblick auf die Verkehrssicherheit erwarten. Außerdem sollten darüber nicht andere Alternativen vernachlässigt werden. Gerade Assistenzfunktionen, die gezielt bei Fehlern des Fahrers eingreifen, sonst aber den Fahrer manuell fahren lassen, haben ein deutlich größeres Potenzial, die Verkehrssicherheit kurzfristig zu verbessern. Die Notbremsfunktionen, die zunächst für Autobahn und Landstraße entwickelt wurden und jetzt auch in der Stadt verfügbar sind, sind ein sehr gutes Beispiel. Vor der Diskussion um automatisches Fahren geraten diese Systeme momentan etwas in den Hintergrund. Dies geschieht völlig zu unrecht. Deshalb der Appell: Kauft mehr Sicherheitssysteme! Prof. Dr. Mark Vollrath Lehrstuhl für Ingenieur- und Verkehrspsychologie Technische Universität Braunschweig Gaußstr. 23 D-38106 Braunschweig E-Mail: mark.vollrath@tu-braunschweig.de