Ferkelkastration gegen Ebergeruch

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Transkript:

PROVIEH Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.v. Küterstraße 7 9 24103 Kiel Telefon 0431. 24828-0 Telefax: 0431. 24828-29 info@provieh.de www.provieh.de Ferkelkastration gegen Ebergeruch Aktuelle Sachlage: 20 bis 25 Millionen männliche Ferkel werden in Deutschland jährlich ohne Betäubung und ohne Schmerzbehandlung während des Heilungsprozesses kastriert. Die Annahme, Ferkel seien weniger schmerzempfindlich als ältere Tiere, ist inzwischen überholt. Es ist wissenschaftlich belegt, dass Ferkel sogar schmerzempfindlicher sind als ausgewachsene Tiere und dass sie bei der betäubungslosen Kastration erhebliche Schmerzen und Stress empfinden. Grund für die Kastration ist, dass einige Eber vor der hierzulande üblichen Schlachtreife den sogenannten Ebergeruch entwickeln würden. Etwa 75 Prozent der Menschen können Ebergeruch wahrnehmen. Verbraucher in deutschsprachigen Ländern, Asien und einigen anderen Regionen der Welt empfinden ihn meist als unangenehm. Weltweit werden deswegen über 600 Millionen Ferkel, davon allein in der EU rund 100 Millionen, jährlich kastriert. Über die Anzahl der Tiere, deren Fleisch mit Ebergeruch belastet ist, gehen die Schätzungen weit auseinander. Sie liegen zwischen unter fünf und bis zu 25 Prozent. Neueste Untersuchungen legen nahe, dass die niedrigeren Schätzwerte der Wahrheit näher kommen. Siehe dazu: http://www.pigprogress.net/home/id1602-51530/boar_taint_doubted_in_dutch_research.html http://www.lei.dlo.nl/publicaties/pdf/2008/2008-018.pdf Ebergeruch ist hauptsächlich auf drei Substanzen zurückzuführen: Androstenon, Skatol und Indol. Androstenon wird im Hoden der Eber produziert. Sein Gehalt im Fettgewebe der Tiere nimmt mit dem Alter zu und ist daher bei älteren Tieren höher als bei jüngeren. Skatol und Indol entstehen bei der Verdauung von Eiweiß. Während bei weiblichen und kastrierten männlichen Tieren Skatol und Indol in der Leber abgebaut werden, bremsen bei unkastrierten Ebern die Geschlechtshormone den Abbau. Die Einlagerung von Skatol und Indol ins Fettgewebe kann durch gezielte Fütterung und

PROVIEH VgtM e.v. Seite 2 gute Stallhygiene vermindert werden, die Einlagerung von Androstenon hingegen nicht. Alternativen: Es gibt theoretisch mehrere Alternativen zur betäubungslosen Kastration: - Spermasexing, d.h. Geburt nur von weiblichen Tieren - Enzymblockade durch Futterzusätze - Züchtung von Ebern ohne Ebergeruch - Kastration mit Betäubung (und idealerweise mit anschließender Schmerzbehandlung) - Kastration durch Impfung ( Immunokastration ) - Mast unkastrierter männlicher Schweine (Jungebermast) Das Spermasexing, die Enzymblockade durch Zusätze im Futtermittel und die Züchtung von Ebern ohne Ebergeruch sind allerdings noch keine echten Alternativen, da bisher keine praxistauglichen Verfahren existieren. Die Herstellung einer einzigen Besamungsportion zur ausschließlichen Erzeugung weiblicher Nachkommen durch Trennung von Samenzellen dauert derzeit noch mehrere Tage, die Zeit bis zur Marktreife dieser Technik wird noch auf etwa 10 Jahre geschätzt. Die Herstellung von speziellen Wirkstoffen, die den männlichen Tieren zur Vermeidung des Ebergeruchs über das Futter verabreicht werden könnten, steckt ebenfalls noch in der Forschungsphase; über mögliche Kosten gibt es bisher noch keine Informationen. Das Gen für Ebergeruch haben niederländische Forscher allerdings bereits entdeckt, so dass praktische Anwendungsmöglichkeiten für die selektive Züchtung von Ebern ohne Ebergeruch für 2015 in Aussicht gestellt werden. Siehe dazu: Genetic Opportunities for Pork Production without Castration by J.W.M. Merks, K.A. Engelma, S. Bloemhof, E.F. Knol vom IPG (Institute for Pig Genetics B.V.), Beuningen, Niederlande. Eine Kastration mit Betäubung kann derzeit nur durch einen Tierarzt durchgeführt werden und verursacht daher einen höheren Zeit- und Kostenaufwand. Allerdings ist in der Schweiz, wo die betäubungslose Kastration ab 1. Januar 2010 gesetzlich verboten ist, ein neues Narkosegerät zur Gasbetäubung entwickelt worden, das leicht zu handhaben ist. Es wird in der Schweiz ca. 15.000 Schweizer Franken (9.500 Euro) kosten, in den Niederlanden dagegen nur etwa 1.250 Euro. Die niederländischen Landwirte werden seit Mitte September 2008 auch schon geschult, damit sie die Betäubung selbst vornehmen können. Der Einzelhandel hat dort zudem einen Fonds zur Finanzierung der Mehrkosten für die Schweinemäster angelegt, wobei die Kosten über den Verkaufspreis an die Verbraucher weitergegeben werden. In Deutschland hat der NEULAND-Verband inzwischen die Kastration unter Betäubung eingeführt. Um auch die Schmerzen des Heilungsprozesses nach dem Eingriff zu mildern, wird den Ferkeln zudem ein Schmerzmittel verabreicht.

PROVIEH VgtM e.v. Seite 3 Der Interessenverband der Schweinehalter Deutschlands (ISN) und der Deutsche Bauernverband (DBV) propagieren dagegen weiterhin die Kastration ohne Betäubung als zurzeit einzig gangbare Methode. Als größtes derzeit mögliches Zugeständnis stellen sie eine einfache (und billige) Schmerzbehandlung gegen den Wundschmerz in Aussicht. Dabei kritisieren sie den NEULAND-Verband für die Kastration unter Betäubung scharf zum Teil mit sehr fraglichen Argumenten. So sei das verwendete Narkosegas ein Klimakiller. Das Gas Isofluran, das auch in der Humanmedizin als Narkosemittel angewendet wird, ist zwar tatsächlich klimaschädlich; aber bei richtiger Handhabung der Apparatur wird das überschüssige Gas durch einen Schlauch in einen Filter geleitet und gelangt daher nicht in die Atmosphäre. Schwierigkeiten dieser Methode bestehen allerdings darin, dass die Apparate mit ca. 10.000 Euro sehr teuer sind und außerdem schwer zu kontrollieren ist, ob die Kastration tatsächlich unter wirksamer Betäubung durchgeführt wurde. Das Gebot könnte also in der Praxis leicht umgangen werden. In den Niederlanden hat sich der Lebensmittelhandel gemeinsam mit den Schweineerzeugern zu einem freiwilligen Verzicht auf die betäubungslose Kastration entschlossen. Ab 1. März 2009 wollen die niederländischen Supermarktketten kein Fleisch mehr von betäubungslos kastrierten Schweinen anbieten. Und auch die zunächst von der Regelung ausgenommenen für den Export bestimmten Ferkel sollen nun binnen Jahresfrist nur noch unter Betäubung kastriert werden. Die niederländische Regierung geht aufgrund der bisherigen Entwicklungen davon aus, dass diese Ziele ohne gesetzliche Regelungen erreicht werden können. Erfahrungen aus Norwegen, wo die Kastration ohne Betäubung bereits seit 2003 verboten ist, zeigen außerdem, dass die Landwirte häufig nicht die 7 bis 8 Minuten Wirkungszeit der dort praktizierten Lokalanästhesie abwarten, sondern zu früh das Messer ansetzen, so dass die Ferkel doppelt leiden: Einmal bei der nachweislich sehr schmerzhaften Injektion in den Hoden zur lokalen Betäubung und dann noch einmal bei der Kastration. Umfragen in den EU-Mitgliedsstaaten haben zudem ergeben, dass häufig vorbeugend Antibiotika zur Vermeidung von Infektionen der Kastrationswunde gegeben werden. Informationen zum Schmerzempfinden von Ferkeln bei der Kastration und zur Kastration mit Betäubung s. M. Kluivers-Poodt, H. Hopster, H.A.M. Spoolder: Castration under anaesthesia and/or analgesia in commercial pig production. Animal Sciences Group van Wageningen UR 2007; http://www.asg.wur.nl/nr/rdonlyres/f81d8745-6596-4296-a292-8553950e2b98/57959/85.pdf Aber die Kastration der männlichen Ferkel - mit oder ohne Betäubung - beeinträchtigt nicht nur das Wohlergehen der Tiere durch Schmerz, Stress und ein höheres Infektionsrisiko, sondern es entstehen auch gewichtige ökonomische Nachteile durch diesen Eingriff: Denn die Futterverwertung (Futterverbrauch je Kilogramm Gewichtszunahme) ist bei unkastrierten Tieren besser als bei Kastraten nach neueren Erkenntnissen mit bis zu 15 Prozent Effizienzgewinn was angesichts der derzeit hohen und weiter steigenden Futtermittelpreise besonders ins Gewicht fällt. Man schätzt die Kosten durch verminderte Futterverwertung kastrierter Schweine allein in

PROVIEH VgtM e.v. Seite 4 den USA (mit ca.10 % der weltweiten Schweineerzeugung) auf über 300 Millionen Dollar pro Jahr. Zudem ist auch die Fleischqualität bei unkastrierten Tieren erheblich besser (weniger Fett, mehr Muskelfleisch) und sie wachsen schneller. Eine Impfung gegen Ebergeruch ( Immunokastration ), wie sie in einigen Ländern bereits seit Jahren problemlos praktiziert wird, könnte eine Zwischenlösung darstellen; allerdings gibt es erhebliche Bedenken bezüglich der Akzeptanz vor allem seitens der Verbraucherinnen und Verbraucher. Bei diesem Impfstoff handelt es sich zwar nicht um ein aktives Hormon, das dem Schwein gespritzt wird, es löst aber im Tier eine Autoimmunreaktion aus; d.h. das Immunsystem wird so manipuliert, dass es sich gegen körpereigene Substanzen richtet und die Hodenfunktion der Eber einschränkt. Dadurch wird die Anreicherung von Androstenon im Fettgewebe während der Endmast verhindert. Auch die Testosteronmenge sinkt auf ein für kastrierte Schweine typisches Niveau, wodurch auch die Aggressivität der Eber gesenkt wird. Zwei Impfungen sind dafür erforderlich: Die erste (zur Sensibilisierung ) muss bis zur 14. Lebenswoche stattfinden, die zweite mit der die Hodenfunktion unterdrückt wird vier bis sechs Wochen vor der Schlachtung. Daraus ergeben sich ökonomische Vorteile gegenüber der chirurgischen Kastration: Das Schwein wächst die längste Zeit seines Lebens als Eber auf. Dadurch wächst es schneller und verwertet das Futter besser. Zudem lagert das Muskelgewebe weniger Fett ein, so dass sich der Magerfleischanteil erhöht. Allerdings ist gerade in der Endphase der Mast die Tageszunahme beim Schwein am höchsten. Dadurch ist die Jungebermast aus ökonomischer Sicht und in Bezug auf die Fleischqualität gegenüber der Immunokastration klar im Vorteil. Bei der Bewertung der Lebensmittelsicherheit haben die Behörden der Länder, in denen die Impfung bereits praktiziert wird, keine Wartezeiten zwischen der Verabreichung und dem Verzehr vorgeschrieben. Dieser Bewertung hat sich auch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit angeschlossen. Die Impfung mit Improvac beinhaltet also nach amtlicher Einschätzung keine Gefährdung der Lebensmittelsicherheit Studien über mögliche Langzeitwirkungen existieren aber bisher keine. Der Pharmakonzern Pfizer (Karlsruhe), der dieses Präparat weltweit vertreibt, hat bei der zuständigen EU-Behörde einen Antrag auf Zulassung gestellt. Ein Bescheid wird für 2009 erwartet. Improvac ist weltweit bereits in 9 Ländern zugelassen. Wie die zehnjährige Erfahrung aus Australien und Neuseeland zeigt, ist die Anwendung für den Landwirt einfach und ungefährlich. Improvac wird zwar in Europa verschreibungspflichtig sein, der Landwirt kann die Impfung aber selbst vornehmen. Versehentliche Mehrfachimpfungen sind relativ unschädlich; und auch bei einer versehentlichen einmaligen Selbstinjektion ist keine Wirkung zu erwarten. Trotzdem sind viele eher skeptisch gegenüber diesem Eingriff in den natürlichen Hormonhaushalt der Tiere und seinen Folgen; Japan und Singapur beispielsweise importieren kein australisches Schweinefleisch von Tieren, die

PROVIEH VgtM e.v. Seite 5 mit Improvac behandelt wurden. In der Schweiz, wo die Kastration ohne Betäubung ab 2010 verboten wird, ist das Mittel seit Anfang 2007 auf dem Markt. Schon heute können sich dort die Schweinemäster also zwischen Immunokastration, chirurgischer Kastration mit Betäubung oder der Ebermast entscheiden. Fleisch von Schweinen, die einer Immunokastration unterzogen wurden, wird allerdings laut Umfragen bei den schweizerischen Verbraucherinnen und Verbrauchern so wenig akzeptiert, dass die beiden marktbeherrschenden schweizerischen Supermarktketten Migros und COOP den Verkauf solcher Erzeugnisse ablehnen. Weitere Informationen: www.shl.bfh.ch/?id=694 http://www.shl.bfh.ch/index.php?id=879 http://www.improvac.com/ Die beste Alternative ist daher die Mast unkastrierter männlicher Schweine (Jungebermast), die in anderen Ländern bereits angewendet wird. Jungebermast: Bei dieser Methode wachsen die männlichen Schweine unkastriert auf und werden vor der Geschlechtsreife (nach etwa 6 Monaten) geschlachtet. Ein geringer Prozentsatz des Fleisches (durchschnittlich ca. 4 Prozent) ist bei dieser Methode trotzdem mit Ebergeruch belastet, weil einige Tiere die Geschlechtsreife vor dem Schlachttermin erreichen. Da der Geruch aus dem Fleisch aber nur durch Erhitzen freigesetzt wird, kann es problemlos zum Beispiel zu Salami oder Räucherschinken verarbeitet werden. Die Arbeitsprozesse im Schlachthaus müssten allerdings dafür eingerichtet werden, dass dieses Fleisch einer anderen Verarbeitungsform zugeführt wird. Mit einem Kochtest oder einer elektronischen Nase kann man den Ebergeruch erkennen und das entsprechende Fleisch für die Herstellung von geeigneten Produkten aussortieren. Die elektronische Nase befindet sich bereits im fortgeschrittenen Stadium der Entwicklung, ist derzeit aber für den Praxisbetrieb noch nicht vollständig ausgereift. Der in den Niederlanden zur Erkennung angewendete Kochtest im Schlachthof kostet den Erzeuger ca. 3 Euro pro Schwein, während in der Schweiz das Fünffache berappt wird. Aus Tierschutzsicht besteht der einzige Nachteil der Jungebermast darin, dass wegen des geringeren Schlachtgewichts bei konstanter Erzeugungsmenge mehr Schweine gemästet werden müssten. Allerdings weisen laufende Studien darauf hin, dass das Schlachtgewicht durch gezielte Züchtung und Fütterung durchaus von derzeit z.b. in Spanien und Dänemark gängigen 85 Kilogramm auf über 90 Kilogramm gebracht werden kann, ohne dass der Anteil an Tieren mit Ebergeruch erheblich ansteigt. Zudem ist es unter tierschützerischen, ökologischen, gesundheitlichen und humanitären Gesichtspunkten ohnehin wünschenswert, den derzeit übermäßigen Fleischkonsum in Deutschland und anderen Industrienationen zu reduzieren. Siehe dazu: http://www.provieh.de/downloads/positionspapier_deutsch_sept07.pdf

PROVIEH VgtM e.v. Seite 6 In Großbritannien, Irland, Spanien und Portugal (sowie seit einigen Jahren zum Teil auch in Dänemark) werden männliche Schweine traditionell unkastriert gemästet, was beweist, dass dies sehr wohl möglich ist. Gesetzliche Regelung in Deutschland: 5 Tierschutzgesetz verbietet schmerzhafte Eingriffe an Tieren ohne Betäubung. Für die Ferkelkastration bis zum achten Lebenstag (und zahlreiche weitere chirurgische Eingriffe an Nutztieren) gibt es jedoch eine Ausnahmeregelung. Diese Regelung ist wissenschaftlich nicht zu rechtfertigen und dient allein ökonomischen Zwecken. Die Meinung der Verbraucher: TNS Opinion & Social erstellte 2007 ein Eurobarometer zur Bedeutung des Tierschutzes für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Dafür wurden knapp 30.000 Bürger in 25 Mitglieds- und vier Beitrittsländern interviewt. Das Eurobarometer zeigte, dass den europäischen Verbraucherinnen und Verbrauchern das Thema Tierschutz wichtiger wird. Sie sind bereit, für tierfreundlich hergestellte Erzeugnisse mehr zu bezahlen und würden sogar ihre Einkaufsgewohnheiten dafür ändern. Quellen: -Eurobarometer 2007: http://www.tnsopinion.com/show_doc.php?link=docs/pdf/2007/attitudes_of_eu_citizens_towards_a nimal_welfare_report_en.pdf&size=1.28 - C.J. Lagerkvist et al. 2006: Swedish Consumer Preferences for Animal Welfare and Biotech: A Choice Experiment. AgBioForum 9(1): S. 51 58. Politische Diskussion: Schon in der letzten Legislaturperiode haben die Regierungen Deutschlands, Belgiens, der Niederlande, Dänemarks und Finnlands Gespräche miteinander aufgenommen, um die Alternativen zum betäubungslosen Kastrieren zu evaluieren. Das europäische PIGCAS-Projekt erforscht derzeit die Sachlage zum Thema Ferkelkastration. Es geht zurück auf den Auftrag der europäischen Tierschutzrichtlinie zur Schweinehaltung, nach Alternativen zur chirurgischen Kastration zu suchen. Bis Ende 2008 soll PIGCAS die kontroversen Standpunkte der Beteiligten zu Empfehlungen für die Kommission zusammenführen. Schweinezüchterverbände betonen in diesem Zusammenhang gern, es gebe keine praktikable Alternative zur betäubungslosen Kastration. Angesichts der jahrzehntelangen Erfahrungen mit der Mast männlicher unkastrierter Schweine in vielen Ländern sowie der Erfahrungen mit Impfungen in anderen Ländern ist diese Behauptung allerdings nicht haltbar. Quellen: - Tierschutz-Aktionsplan: http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/f82003.htm - PIGCAS: http://w3.rennes.inra.fr/pigcas/index.htm - Schweiz: http://bvet.kaywa.ch/p43.html

PROVIEH VgtM e.v. Seite 7 Ausblick Die Erzeugerpreise für Schweinefleisch sind zurzeit absurd niedrig. In der Folge haben bereits viele kleine bäuerliche Betriebe aufgegeben. Gleichzeitig entstehen immer mehr riesige industrielle Schweinemastanlagen, begünstigt durch eine verfehlte Subventionspolitik. Das schadet nicht nur dem Wohlergehen der Tiere und der Umwelt, sondern auch dem Arbeitsmarkt und dem Tourismus in den betroffenen Regionen. Die Schweinezüchter und -mäster befürchten, dass die zusätzlichen Kosten durch Jungebermast oder die Impfung allein an ihnen hängen bleiben. Ein Großteil der Verbraucher würde aber längst höhere Fleischpreise akzeptieren, wenn an der Kennzeichnung der Ware im Supermarkt zu erkennen wäre, dass die Mehrkosten dem Wohlergehen der Tiere zugute kommen. Auch andere Verbesserungen der Haltungsbedingungen wie z.b. die viel artgerechtere Freilandhaltung (nicht nur) von Schweinen wären im Interesse der Verbraucher. Die von der EU-Kommission bereits wohlwollend diskutierte Tierschutzkennzeichnung würde es daher deutlich erleichtern, höhere Erzeugerkosten für Jungebermast im Paket mit anderen Tierschutzmaßnahmen an die Verbraucher weiter zu geben. Das Kastrieren ist nur eine von vielen chirurgischen Maßnahmen an Nutztieren, die ohne Betäubung durchgeführt werden, weil sie routinemäßig das heißt: sehr häufig vorgenommen werden und deshalb keine Kosten verursachen sollen. 5 Tierschutzgesetz enthält eine Vielzahl solcher Ausnahmen vom Betäubungsgebot. Beispielsweise werden auch das Kupieren von Schwänzen sowie das Abschleifen von Zähnen bei Schweinen und die Amputation von Schnäbeln und Zehengliedern bei Hühnern ohne Betäubung durchgeführt. Diese durch gesetzliche Ausnahmeregelungen legitimierten tierquälerischen Praktiken, die ohne Not allein zur Vergrößerung der Profite der Agrarindustrie jährlich millionenfach vorgenommen werden, sprechen dem Staatsziel Tierschutz in Deutschland Hohn.