Elternunterhalt. RA Jochem Schausten. - Fachanwalt für Familienrecht -



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Transkript:

Elternunterhalt RA Jochem Schausten - Fachanwalt für Familienrecht -

I n h a l t s v e r z e i c h n i s A. Vorbemerkung 9 B. Wesentliche Gesetzesänderungen im Hinblick auf den Elternunterhalt 10 C. Anspruchsvoraussetzungen 12 I. Unterhaltstatbestand...12 1. Allgemeines...12 2. Unterhaltsberechtigte...12 3. Unterhaltsverpflichtete...13 4. Sonderregelungen...14 a) Haftung des Ehegatten 1608 I 2 BGB, 63 I 2 EheG...14 b) Ersatzhaftung und Forderungsübergang 1607 II BGB...14 c) Unterhaltsverzicht gegenüber dem Ehegatten 1585 c BGB, 72 EheG...15 d) Verwirkung des Ehegattenunterhalts 1579 BGB...15 e) Rangfolge gemäß 60 EheG...16 II. Bedarf...16 1. Bedarfsbestimmung...16 2. Krankheitsbedingter Mehrbedarf...17 3. Taschengeld nach 35 II 1 SGB XII (ehemals 21 III BSHG)...19 III. Bedürftigkeit...20 1. eigenes Einkommen...20 2. fiktives Einkommen / Erwerbsobliegenheit...21 3. Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung...21 4. eigenes Vermögen...22 5. Praxishinweis Sterbegeldversicherung...23 6. Ansprüche gegen Dritte...23 a) Monetarisierung von Pflegeversprechen...24 b) Umgang mit Wohnrechten...24 c) Umgang mit Nießbrauchsvorbehalt...25 d) Schenkungsrückforderung gemäß 528 BGB...25 7. Grundsicherung im Alter...27 8. Pflegewohngeld...29 9. Sonstiges...29 IV. Leistungsfähigkeit...30 3

1. Einkommen...31 a) Einkommensermittlung...31 (a) Arbeitseinkommen...31 (b) Steuererstattung aus dem letzten Kalenderjahr...32 (c) Kapitaleinkünfte...33 (d) Einkünfte aus Vermietung/Verpachtung...33 (e) fiktives Einkommen...34 (f) sonstige Einnahmen...35 b) Einkommensbereinigung/Abzugsposten...35 (a) Altersvorsorge des Unterhaltspflichtigen...36 (b) Altersvorsorge des Ehegatten des Pflichtigen...39 (c) Zins- und Tilgungslasten für fremdvermietete Immobilien...40 (d) Vorsorge gegen Arbeitslosigkeit...40 (e) Kranken- und Pflegevorsorge...41 (f) berufsbedingte Aufwendungen...43 (g) Schuldnerverbindlichkeiten, Konsumentenkredite...43 (h) Vorrangige Unterhaltsverpflichtungen...43 (i) sonstige besondere Belastungen...44 (j) Zusätzliche Ausgaben für den Unterhaltsberechtigten...44 (k) Fahrtkosten für Heimbesuche...45 (l) Erwerbstätigenbonus...45 c) Sonderfall: Haus- und Wohnungseigentum, Wohnvorteil...45 d) Individueller (Familien-)Selbstbehalt...48 2. Vermögen...49 a) Vermögensverwertung und Altersvorsorge...50 b) Vermögensverwertung bei Einkommen unter dem Selbstbehalt...52 c) Vermögensverwertung bei rechtlicher Unmöglichkeit...52 d) Vermögensverwertung bei Unwirtschaftlichkeit...52 e) Vermögensverwertung im übrigen...53 f) Rücklagenbildung (Notgroschen)...53 g) Zusammenfassung...55 h) Verwertung von ungeschütztem Vermögen...55 i) Verwertung von Altersvorsorgevermögen...56 j) Darlehensaufnahme...57 3. Selbstbehalt...58 a) Selbstbehalt des Unterhaltsverpflichteten...58 4

b) Selbstbehalt des Ehegatten/Berücksichtigung des Familienbedarfs...59 (a) Halbteilungsgrundsatz...59 (b) Latente Unterhaltslast...60 c) Änderung des Selbstbehalts aufgrund von Unterkunftskosten, gemeinsame Haushaltsführung...64 d) Erhöhung des Selbstbehalts aufgrund eines Wohnvorteils...65 4. Fallgruppen mit Berechnungsbeispielen...65 a) Grundfall: Unterhaltspflichtiger nicht verheiratet...66 b) Alleinverdienerehe, Verdiener unterhaltspflichtig...66 (a) BGH-Berechnungsweise 2003...66 (b) Alternative Berechnungsmöglichkeit nach Literatur:...67 (c) Zusammenfassung...67 c) Alleinverdienerehe, Nichtverdiener unterhaltspflichtig (Taschengeldanspruch)...68 d) Doppelverdienerehe, Mindestselbstbehalt nicht überschritten...70 e) Doppelverdienerehe, Hauptverdiener unterhaltspflichtig, Mindestselbstbehalt überschritten...71 f) Doppelverdienerehe, Geringverdiener unterhaltspflichtig, Mindestselbstbehalt überschritten...72 (a) Korrektur Steuerklasse...72 (b) Überobligatorische Leistungen / grobes Missverhältnis...73 g) Zusammenfassung...73 D. Ausschlusstatbestände (Verwirkung) 76 I. Verwirkung gemäß 1611 BGB...76 1. Voraussetzungen...76 a) Sittliches Verschulden...76 b) Vernachlässigung eigener Unterhaltspflicht...76 c) Schwere Verfehlung...77 2. Billigkeitsprüfung und Rechtsfolgen...79 3. Prozessuales...79 II. Allgemeine Verwirkung gemäß 242 BGB (durch Zeitablauf)...80 E. Haftung Mehrerer, Auskunftsansprüche 82 I. Haftung Mehrerer / Bestimmung der Haftungsanteile...82 1. Haftung aller Kinder nur aus Einkommen...82 2. Aufteilung bei Haftung aus Einkommen und Vermögen...83 II. Auskunftsansprüche...84 1. Auskunftsanspruch gegenüber den Geschwistern...84 5

2. Auskunftsanspruch gegenüber den Ehegatten der Geschwister...85 3. Darlegungsprobleme der Sozialhilfeträger bzgl. Haftungsanteile...86 4. Auskunftsansprüche des Sozialhilfeträgers...87 F. Unterhalt für die Vergangenheit, 1613 I BGB, 94 IV SGB XII 90 I. Geltendmachung durch den Unterhaltsberechtigten...90 1. 1613 I BGB...90 a) Auskunftsverlangen...91 b) Verzug...91 c) Rechtshängigkeit...92 2. 1613 II BGB...92 a) Sonderbedarf...92 b) Verhinderung...92 c) Härtefälle...93 II. Geltendmachung durch den Sozialhilfeträger/Rechtswahrungsanzeige...93 G. Probleme beim Anspruchsübergang auf den Sozialhilfeträger 95 I. Anspruchsübergang gemäß 94 SGB XII...95 II. Ausschluss des Anspruchsübergangs gemäß 94 III SGB XII...95 1. Voraussetzungen...95 a) Grundlagen...96 b) Insbesondere beim Elternunterhalt...97 c) Literaturstimmen...99 2. Rechtsfolgen...99 III. Verweis auf Selbsthilfe... 100 IV. Prozessuales: Aktivlegitimation, Kosten... 101 1. Unterhaltsheranziehung durch den Hilfeempfänger... 101 a) Vor Rechtshängigkeit... 101 b) Nach Rechtshängigkeit... 101 2. Unterhaltsheranziehung durch den Sozialhilfeträger... 102 H. Anhänge 103 I. Anhang: Sterbetafeln 2009/2011... 103 II. Anhang: Verrentungstabelle... 108 III. Anhang: Aufzinsungsfaktoren zur Berechnung des Altersvorsorge-schonvermögens 110 IV. Anhang: BGH-Rechtsprechungsübersicht... 112 Stand: 16.02.2015 6

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A. V o r b e m e r k u n g Die immer mehr an Bedeutung gewinnende Thematik des Elternunterhalts lässt sich auf Dauer kaum noch aus dem Praxisalltag des Familienrechtsanwaltes ausklammern. Dass immer mehr Personen im Alter auf Unterhaltszahlungen ihrer eigenen Abkömmlinge angewiesen sind, hängt mit der gesellschaftlich stetig steigenden Anzahl älterer Menschen ohne entsprechenden Zuwachs der Personen im arbeitsfähigen Alter, sowie den geringeren Renten und der zunehmenden Erschöpfung der staatlichen Mittel der Sozialhilfeträger zusammen. Das zahlenmäßige Ungleichgewicht zwischen jung und alt in unserer Gesellschaft wird sich in Zukunft nochmals verstärken. Im Jahr 2050 wird nach der neuesten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes jeder Dritte in Deutschland 60 Jahre oder älter sein. Die eigenen Mittel der älteren Personen, meist aus Leistungen der Altersversorgung und Pflegeversicherung, reichen oftmals nicht mehr aus, um die hohen Kosten einer Heimunterbringung zu decken. Sofern der Sozialhilfeträger die ungedeckten Heimkosten trägt, nimmt er gleichsam über 94 SGB XII (ehemals 91 BSHG) Rückgriff bei den unterhaltspflichtigen Kindern. Neben den Fällen der Heimunterbringung bilden dabei ältere Frauen, die wegen Kinderbetreuung keine ausreichende Altersversorgung erwerben konnte, eine weitere unterhaltsrelevante Gruppe. So kommt es, dass immer mehr von der gesetzlich verankerten Solidarität Gebrauch gemacht wird und die Großelterngeneration auf Unterhaltsleistungen der eigenen Kinder angewiesen ist. Dabei ist die schwierige Situation der Kinder als Zwischengeneration zu berücksichtigen, die grundsätzlich darauf vertraut haben, dass ihre Eltern selbst für ihren Lebensbedarf im Alter vorgesorgt haben. Neben der Unterhaltsverpflichtung gegenüber den eigenen Abkömmlinge, kommt für die Kinder nun als finanzielle Belastung noch die Unterhaltsverpflichtung gegenüber den eigenen Eltern hinzu (so genannte Sandwichgeneration), während sie zugleich durch Rentenbeträge noch die allgemeine Altersversorgung zu tragen haben. Der Praktiker begegnet im Hinblick auf das Thema Elternunterhalt vor allem der Schwierigkeit, einen zusammenfassenden Überblick über die höchstrichterlichen Grundsatzentscheidungen zu gewinnen und unter derer Berücksichtigung die Vielzahl der möglichen Fallgestaltungen einer praktischen Lösung zuzuführen. Das vorliegende Buch gibt dabei durch eine systematische verständliche Zusammenstellung eine praktische Orientierungs- und Argumentationshilfe. 9

Wesentliche Gesetzesänderungen im Hinblick auf den Elternunterhalt B. W e s e n t l i c h e G e s e t z e s ä n d e r u n g e n i m H i n b l i c k a u f d e n E l t e r n u n t e r h a l t (BSHG / SGB XII seit 01.01.2005) Sofern der häufige Fall eintritt, dass ein Elternteil in einem Pflegeheim untergebracht wird, werden die hohen Kosten der Heimunterbringung in vielen Fällen zunächst vom Sozialhilfeträger übernommen, der seinerseits wieder Rückgriff bei den Verwandten bzw. Kindern nimmt, soweit diese gesetzlich verpflichtet sind, ihren Eltern Unterhalt zu gewähren. Der grundlegenden Änderung des Sozialrechts seit 01.01.2005 kommt mithin auch im Hinblick auf die Thematik des Elternunterhaltes große Relevanz zu und sollte insoweit bekannt sein. Die Sozialhilfegewährung war seit dem 01.06.1962 durch das BSHG geregelt. Dabei diente die Sozialhilfe ursprünglich einem kleinen Personenkreis in außergewöhnlichen Notlagen. Der gesellschaftliche und wirtschaftliche Wandel führte jedoch zu einer stark ansteigenden Anzahl von Hilfeempfängern. Dabei sind als Hauptursachen für den Sozialhilfebezug Arbeitslosigkeit und unzureichendes Erwerbseinkommen zu nennen. Weitere Ursachen sind fehlende Schul- und Berufsabschlüsse, veränderte Familienstrukturen, Überschuldung etc. Obgleich das BSHG im Laufe der Zeit zahlreiche Änderungen erfuhr, war eine grundlegende Reform der Sozialhilfe erforderlich, um sich den veränderten Strukturen dieses nunmehr großen Empfängerkreises anzupassen. Dementsprechend erfolgte durch das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung aufgrund einer entsprechenden Koalitionsvereinbarung (zwischen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen) im Sommer 2003 der Entwurf eines Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch. Der Bundestag nahm am 17.10.2003 den Gesetzentwurf in zweiter und dritter Lesung an. Nach Ablehnung durch den Bundesrat am 07.12.2003 und nach Durchführung eines Vermittlungsverfahrens, welches eine Reihe von Änderungen mit sich brachte, verabschiedete der Bundestag am 19.12.2003 erneut das Gesetz, welches nunmehr die Zustimmung des Bundesrates erfuhr. Das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch wurde am 30.12.2003 im Bundesgesetzblatt verkündet und trat zum 01.01.2005 in Kraft. Daraufhin erfolgte eine umfassende Reform des Sozialhilferechts und dessen gleichzeitige Eingliederung als zwölftes Buch in das SGB. Das Gesetz zur Grundsicherung im Alter (GSiG) wurde als viertes Kapitel in das SGB XII ( 41-43) inhaltlich unverändert integriert. Das GSiG bringt für Menschen, die 65 Jahre alt oder dauer- 10

haft voll erwerbsgemindert sind und nicht über eigene Mittel verfügen, eine eigenständige Sozialleistung. Der Höhe nach entsprechen sie etwa der Sozialhilfe. Die aktuellen Gesetzesänderungen seit 01.01.2005 sind hier - jeweils unter Hinweis auf die alte Rechtslage - berücksichtigt. 11

Anspruchsvoraussetzungen C. A n s p r u c h s v o r a u s s e t z u n g e n I. Unterhaltstatbestand 1. Allgemeines Nach 1601 BGB sind Verwandte in gerader Linie ( 1589 I BGB) verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Diese Unterhaltspflicht erstreckt sich auf alle in gerader ab- und aufsteigender Linie miteinander Verwandten. Gegenüber Geschwistern und Verschwägerten besteht keine Unterhaltsverpflichtung. In einigen Vorschriften werden lediglich unterhaltsähnliche Leistungen an diesen Personenkreis vorgesehen 1371 IV, 1649 II, 1969 I BGB. 2. Unterhaltsberechtigte Gemäß 1602 I BGB ist unterhaltsberechtigt, wer außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Bei mehreren Bedürftigen regelt 1609 BGB die Rangfolge. Danach sind als Unterhaltsberechtigte vorrangig vor den Eltern zu beachten: Die unverheirateten minderjährigen und privilegierten volljährigen Kinder, 1609 Nr. 1 BGB. Elternteile, die wegen der Betreuung eines Kindes unterhaltsberechtigt sind oder im Fall einer Scheidung wären, sowie Ehegatten und geschiedene Ehegatten bei einer Ehe von langer Dauer; bei der Feststellung einer Ehe von langer Dauer sind auch Nachteile im Sinne des 1578b Abs. 1 Satz 2 und 3 zu berücksichtigen, 1609 Nr. 2 BGB Ehegatten und geschiedene Ehegatten, die nicht unter Nummer 2 fallen, 1609 Nr. 3 BGB Volljährige Kinder, 1609 Nr. 4 BGB Enkelkinder und weitere Abkömmlinge, 1609 Nr. 5 BGB Daran zeigt sich, dass der Unterhaltsanspruch der Eltern rechtlich vergleichsweise schwach ausgestaltet ist. Sofern aufgrund mangelnder Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten die Verteilungsmasse nicht für alle Bedürftigen ausreicht, erhalten gleichrangig Berechtigte Unter- 12

Unterhaltstatbestand haltsbeiträge entsprechend dem Verhältnis ihres individuellen Bedarfs zum Gesamtbedarf der gleichrangig Berechtigten. Ein nachrangiger Unterhaltsberechtigter hat nur in dem Umfang einen Anspruch gegen den Unterhaltsverpflichteten, in dem dieser nach vollständiger Erfüllung aller Ansprüche der vorrangig Berechtigten noch leistungsfähig ist. Auf vorrangig Unterhaltsberechtigte kann sich der Unterhaltsverpflichtete allerdings nur berufen, wenn diese ihre Ansprüche auch tatsächlich geltend machen. 3. Unterhaltsverpflichtete Aus den gesetzlichen Regelungen ergibt sich zunächst für die Unterhaltsverpflichteten folgende Rangfolge, wobei auch auf die Vorschriften des EheG hinzuweisen ist. Letzteres wurde zwar aufgehoben, findet jedoch auf Scheidungen, die vor dem 01.07.1977 erfolgten, noch Anwendung. Bedenkt man, dass der potentiell elternunterhaltsberechtigte Personenkreis der heutigen Großelterngeneration entspringt, kann das EheG daher durchaus noch von Bedeutung sein. Vor Verwandten haftet der Ehegatte, auch bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe 1608, 1584, 1318 BGB, 26, 27, 39, 63 EheG. Vor Verwandten der aufsteigenden Linie haften die Abkömmlinge, 1606 I BGB. Von Verwandten der aufsteigenden Linie und Abkömmlingen haften jeweils die Näheren vor den Entfernteren, 1606 II BGB. D.h. grundsätzlich die Eltern vor den Großeltern, die Kinder vor den Enkeln. Soweit ein Verwandter gemäß 1603 BGB nicht unterhaltspflichtig ist, hat der nach ihm haftende Verwandte den Unterhalt zu gewähren, 1607 I BGB. Hauptursache der Ersatzhaftung ist hierbei die fehlende Leistungsfähigkeit des vorrangig Verpflichteten, da andere Gründe einer fehlenden Unterhaltsverpflichtung entweder nicht in Betracht kommen, z.b. Unzulässigkeit eines Unterhaltsverzichts gemäß 1614 BGB, oder auch eine Haftung der nachrangigen Verpflichteten mit ausschließt, z.b. Verwirkung 1611 III BGB. Liegt ein Fall der Ersatzhaftung vor, besteht mit Ausnahme des 1607 II, III BGB grundsätzlich kein Ersatzanspruch gegen den vorrangig Verpflichteten. 13

Anspruchsvoraussetzungen Gleichnahe Verwandte sind keine Gesamtschuldner, sondern haften als Teilschuldner anteilig und gleichrangig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen, 1606 III 1 BGB. 4. Sonderregelungen Hinsichtlich der Rangfolge sind zudem folgende Sonderprobleme zu beachten: a) Haftung des Ehegatten 1608 I 2 BGB, 63 I 2 EheG Gemäß 1608 I 2 BGB haften die Verwandten ausnahmsweise vor dem Ehegatten, sofern der Ehegatte bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Dies gilt aber nur für den Teil des Unterhaltsbedarfs, den der Ehegatte nicht decken kann, ohne hierbei seinen eigenen angemessenen Unterhalt zu gefährden. Für einen darüber hinaus gehenden Bedarf bleibt der Ehegatte vorrangig verpflichtet. Sind die Verwandten gleichsam nicht in der Lage, den Unterhaltsbedarf zu decken, haftet wiederum der Ehegatte, wobei sich der Unterhalt des Berechtigten nunmehr nach Billigkeit bestimmt 1581 1 BGB. Dabei ist hinsichtlich des billigen Selbstbehaltes eine individuelle Bemessung vorzunehmen, die sich in der Regel - wie in den Unterhaltsleitlinien der Oberlandesgerichte vorgesehen - zwischen dem notwendigen und dem angemessenen Selbstbehalt des Ehegatten bewegen wird. Dabei ist zudem beachten, dass sich der angemessene Unterhalt des Ehegatten nach den ehelichen Lebensverhältnissen bestimmt gemäß 1361 I 1, 1578 I 1, 1581 I BGB. Gegenüber seinen Verwandten bzw. Kindern bestimmt sich das Maß des Unterhaltsbedarfs dagegen nach der Lebensstellung des Bedürftigen gemäß 1610 I BGB. Daher ist bei einer Inanspruchnahme der Verwandten auch zu berücksichtigen, inwieweit der Bedarf des Unterhaltsberechtigten gegenüber seinem Ehegatten, dem Unterhaltsbedarf gegenüber seinen Kindern entspricht. b) Ersatzhaftung und Forderungsübergang 1607 II BGB Nach 1607 II haftet ein nachrangiger Verwandter, wenn die Rechtsverfolgung eines vorrangig haftenden Verwandten (im Inland) ausgeschlossen oder erheblich erschwert ist. Im Falle dieser Ersatzhaftung normiert 1607 II BGB einen gesetzlichen Forderungsübergang auf den leistenden Verwandten und räumt diesem einen Ersatzanspruch gegen den vorrangig Verpflichteten ein. 14

Unterhaltstatbestand Da ein Unterhaltsanspruch gegen den vorrangig verpflichteten Ehegatten besteht, bestimmen 1608 3, 1584 3 BGB die Anwendbarkeit des 1607 II BGB auch im Rahmen des Ehegattenunterhalts. Auf den Fall des Elternunterhalts bezogen bedeutet dies, dass der Anspruch des unterhaltsberechtigten Elternteils gegen seinen Ehegatten auf die Kinder übergeht, sofern diese als nachrangig Haftende Unterhaltsleistungen erbringen müssen, weil die Rechtsverfolgung gegen den Ehegatten im Inland ausgeschlossen oder erheblich erschwert ist. c) Unterhaltsverzicht gegenüber dem Ehegatten 1585 c BGB, 72 EheG Grundsätzlich schließt ein gegenüber dem Ehegatten erklärter wirksamer Unterhaltsverzicht des Berechtigten die nachrangige Haftung der Verwandten bzw. des Sozialhilfeträgers nicht aus 1. Hierbei erscheint es problematisch, dass ein solcher Verzicht - über den Rechtskreis der am Scheidungsverfahren beteiligten Parteien hinaus - zu Lasten unbeteiligter Dritter Wirkung entfalten kann. Jedoch kann auch die nachrangige Haftung der Verwandten nicht ebenso ausgeschlossen und eine tatsächlich bestehende Bedürftigkeit ignoriert werden. 1585 c BGB soll eine umfassende Regelung der Scheidungsfolgen ermöglichen und gibt bewusst den Schutz des 1614 BGB auf. Es ist demnach im Einzelfall zu beurteilen, ob der Verzicht bewusst oder erkennbar zu Lasten Dritter gehen sollte (insbesondere im Hinblick auf den Sozialhilfeträger) und somit wegen 138, 242 BGB als unwirksam anzusehen ist. Dies ist zu bejahen, sofern der Verzicht zwangsläufig eine Inanspruchnahme von Sozialleistungen zur Folge hätte 2. Von einem wirksamen Verzicht, mithin einer nachrangigen Haftung der Verwandten, ist hingegen auszugehen, wenn eine später eintretende Bedürftigkeit zum Zeitpunkt der Verzichtserklärung noch nicht absehbar war 3. d) Verwirkung des Ehegattenunterhalts 1579 BGB Es ist gesetzlich nicht geregelt, wie sich eine Verwirkung des Ehegattenunterhalts gemäß 1579 BGB auf die Unterhaltspflicht der nachrangig haftenden Verwandten auswirkt. Der direkte Anwendungsbereich des 1611 III BGB umfasst nur den Verwandtenunterhalt. Da der 1 Wendl/Pauling 2 Rdnr. 606. 2 BGH Urt.v. 17.09.1986, FamRZ 1987, 40; NJW 1987, 1546. 3 BGH Urt.v. 09.07.1992, FamRZ 1992, 1403; NJW 1992,3164. 15

Anspruchsvoraussetzungen Unterhaltsberechtigte jedoch die Folgen seines unterhaltsschädlichen Verhaltens nicht auf die Verwandten abwälzen können soll, geht die h.m. in den Fällen des 1579 BGB (mit Ausnahme des 1579 Nr. 1 BGB) von einer analogen Anwendung des 1611 III BGB aus 4. Zumindest gilt dies unstreitig, sofern ein Verhalten, das dem Ehegatten gegenüber einen Verwirkungsgrund gemäß 1579 BGB darstellt, auch nach den Tatbestandsvoraussetzungen des 1611 I BGB eine Verwirkung zur Folge hätte. Dann ist neben der planwidrigen Lücke auch die rechtliche Vergleichbarkeit gegeben, welche eine Analogie rechtfertigt 5. e) Rangfolge gemäß 60 EheG 60 EheG bestimmt für Scheidungen vor dem 01.07.1977, dass dem Ehegatten, der sich nicht selbst unterhalten kann, ein Beitrag zu seinem Unterhalt zugebilligt wird, wenn und soweit dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des anderen Ehegatten und der nach 63 EheG unterhaltspflichtigen Verwandten des Bedürftigen der Billigkeit entspricht. Diese Vorschrift ändert jedoch dem Grunde nach nichts an der vorrangigen Haftung des Ehegatten, sondern bezieht sich nur auf die Höhe des nach Billigkeit zu bestimmenden Unterhaltsanspruchs 6. II. Bedarf 7 1. Bedarfsbestimmung Der unterhaltsrechtliche Bedarf der Eltern bestimmt sich nach 1610 I BGB. Danach ist die eigene Lebensstellung des Bedürftigen maßgeblich, welche sich nach dessen Einkommensund Vermögensverhältnissen bestimmt. Dabei sei hier auf den Unterschied gegenüber dem Bedarf des Ehegatten nach 1578 BGB hingewiesen, der sich - wie schon durch die Formulierung des 1578 I 2 BGB zeigt - nach den ehelichen Lebensverhältnissen bestimmt. Nachteilige Veränderung der Einkommensverhältnisse können nach einer gewissen Übergangszeit auch eine Veränderung der Lebensstellung nach 1610 I BGB und somit des Bedarfs zur Folge haben, z.b. nach Eintritt in den Ruhestand, Arbeitslosigkeit oder Krankheit. Ein mögliches Verschulden des Bedürftigen ist hierbei unerheblich. 4 Wendl/Pauling 2 Rdnr. 606. 5 Palandt 1611 Rdnr. 8. 6 BGH Urt.v. 12.01.1983, FamRZ 1983,258; NJW 1983, 2379; a.a. Palandt/Lauterbach ( 31. Auflage) 60 EheG Rdnr. 3. 7 BGH Urt.v. 19.02.2003, FamRZ, 2003, 860; NJW 2003, 1660. 16

Bedarf Aber auch bei einkommens- und vermögenslosen Personen mit einer Lebensstellung einfachster Art, deren Unterhaltsbedarf mit dem Existenzminimum gleichzusetzen ist, ist ein Mindestbedarf anzusetzen. Dabei wird vom BGH unbeanstandet - auf die gemäß den unterhaltsrechtlichen Leitlinien angenommenen Mindestbedarfsätze zurückgegriffen. Dabei sind entsprechend der Düsseldorfer Tabelle (Stand 01/15) 880,00 für Nichterwerbstätige bzw. 1.080,00 für Erwerbstätige anzusetzen. Die Sätze sind am sozialhilferechtlichen Existenzminimum ausgerichtet. Hinzuzurechnen sind die Kosten für Kranken- und Pflegeversicherung. Dabei ist der Auffassung des BGH zuzustimmen, die Bedarfsbemessung nicht nach dem Bedarfssatz für volljährige Kinder auszurichten, da die unterhaltsberechtigten Eltern ihre Lebensstellung nicht von den Eltern ableiten, sondern eine eigenständige Lebensstellung entwickelt haben. Die besondere Situation der Kinder als Zwischengeneration führt dazu, dass neben der Unterhaltsverpflichtung gegenüber ihren Abkömmlingen nun noch die Unterhaltsverpflichtung gegenüber den eigenen Eltern hinzutritt, während sie zugleich durch Rentenbeträge zudem noch die allgemeine Altersversorgung zu tragen haben 8. 2. Krankheitsbedingter Mehrbedarf Krankheitsbedingter Mehrbedarf erhöht den elterlichen Bedarf. Im Falle einer Heimunterbringung reicht die Sicherstellung des Existenzminimums alleine nicht aus. Hier ist eine individuelle Bedarfsbestimmung notwendig, die sich nach den Heimunterbringungskosten sowie einem angemessenen Taschengeld richtet (vgl. 35 SGB XII). Die Aufwendungen für die Heimunterbringung gehören zum Lebensunterhalt gemäß 1610 II BGB und sind aufgrund ihrer Regelmäßigkeit und als existenzielles Bedürfnis nicht als Sonderbedarf i.s. 1613 II Nr. 1 BGB anzusehen 9. Der Bedarf ergibt sich dann aus der Differenz zwischen den Heimund Pflegekosten einerseits und den Einkünften des Unterhaltsberechtigten (Rente, Pflegeversicherung) andererseits 10, wobei die Heimkosten notwendig und angemessen sein müssen. Beachtenswert sind dazu die Ausführungen des BGH in seiner Entscheidung vom 21.11.2012 11 : Im Hinblick auf die Notwendigkeit der Kosten können sozialhilferechtliche Kriterien zwar einen Anhalt für die Angemessenheit bieten. Aus der sozialhilferechtlichen Aner- 8 BGH Urt.v. 19.02.2003, FamRZ 2003, 860; NJW 2003, 1660.. 9 Wendl/Pauling 2 Rdnr. 636; a.a. AG Hagen, FamRZ 1988, 755, 756. 10 BGH Urt.v. 23.10.2002, FamRZ 2002, 1698; NJW 2003, 128; BGH Urt.v. 25.06.2003, FamRZ 2004, 186.. 11 BGH Urt. v. 21.11.2012, FamRZ 2013,203; NJW 2013, 301. 17

Anspruchsvoraussetzungen kennung der Kosten folgt indessen noch nicht zwingend auch deren unterhaltsrechtliche Notwendigkeit. Wegen der bestehenden Bandbreite von der Sozialhilfe anerkannter Pflegekosten und Kosten der Unterkunft und Verpflegung (sogenannte Hotelkosten) sowie der unterschiedlichen Investitionskosten können sozialrechtlich und unterhaltsrechtlich anzuerkennende Kosten vielmehr voneinander abweichen. Ein an der früher besseren Lebensstellung des Elternteils orientierter höherer Standard ist grundsätzlich nicht mehr angemessen im Sinne von 1610 Abs. 1 BGB. Denn der angemessene Lebensbedarf der Eltern richtet sich nach deren konkreter (aktueller) Lebenssituation. Ist der Elternteil im Alter sozialhilfebedürftig geworden, so beschränkt sich sein angemessener Lebensbedarf auf das Existenzminimum und damit verbunden auf eine ihm zumutbare einfache und kostengünstige Heimunterbringung. Dass das unterhaltspflichtige Kind selbst in besseren Verhältnissen lebt, hat auf den Unterhaltsbedarf des Elternteils schließlich keinen Einfluss. Denn die Lebensstellung der Eltern ist eine selbständige und leitet sich nicht von derjenigen ihrer Kinder ab. Stand dem Elternteil ein preisgünstigeres Heim zur Verfügung, so sind allerdings auch höhere Kosten der Heimunterbringung vom Unterhaltspflichtigen ausnahmsweise dann zu tragen, wenn dem Elternteil die Wahl des preisgünstigeren Heims nicht zumutbar war. Das kann der Fall sein, wenn Eltern ihre Heimunterbringung zunächst noch selbst finanzieren konnten und - etwa aufgrund der Einordnung in eine höhere Pflegestufe - erst später dazu nicht mehr in der Lage sind. Darüber hinaus kann das unterhaltspflichtige Kind auch dann nicht einwenden, es habe eine kostengünstigere Unterbringung offen gestanden, wenn es selbst die Auswahl des Heims beeinflusst hat und sein Einwand infolgedessen im Einzelfall gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens verstoßen würde. Praxishinweis: Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen kann es also durchaus Sinn machen, wenn der Unterhaltspflichtige sich bei anderen Heimen in der Umgebung nach den dortigen Preisen umhört. Denn möglicherweise kann so die Höhe des Bedarfs in Frage gestellt werden. Erste Hinweise zu den Kosten liefert auch der Pflegeheimnavigator der AOK, im Internet unter http://www.aok-pflegeheimnavigator.de/ zu finden. Den Berechtigten trifft hierbei die Pflicht, die Notwendigkeit (Pflegestufe) einer Heimunterbringung darzulegen und die Kosten der Heimunterbringung im Rahmen des Zumutbaren so 18

Bedarf gering wie möglich zu halten. Bei der Zumutbarkeitsprüfung ist anhand einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen, inwieweit durch den vielfachen Mangel an Heimpflegeplätzen überhaupt eine Wahlmöglichkeit des Bedürftigen besteht. Des Weiteren können regionale Aspekte eine Rolle spielen, wie z. B die räumliche Nähe zu Verwandten. Damit die bei der Heimunterbringung entstehenden Kosten bedarfsprägend sind, muss eine Heimunterbringung überhaupt notwendig sein. Den Unterhaltsberechtigten trifft die Obliegenheit, eine Belastung des Unterhaltspflichtigen soweit als möglich zu vermeiden. In den Fällen der Altenheimunterbringung ist daher stets zu überprüfen, ob diese notwendig und erforderlich ist. Dies ist nur dann zu bejahen, wenn dem Unterhaltsbedürftigen eine Selbstversorgung in einer eigenen Wohnung nicht mehr möglich ist, wohingegen die präventive Unterbringung in einem Altenheim keinen unterhaltsrechtlichen Bedarf auslöst All dies ist durch den Unterhaltsberechtigten im Einzelnen darzulegen. Von der Notwendigkeit einer Heimunterbringung ist in aller Regel dann auszugehen, wenn der Elternteil in einer Pflegeeinrichtung untergebracht ist und ihm Pflegegeld gezahlt wird. Umgekehrt ist die Nichtgewährung von Pflegegeld ein Indiz dafür, dass eine Heimunterbringung nicht notwendig ist 12. Der Unterhaltsverpflichtete ist berechtigt, die Aufschlüsselung der Heimkosten zu verlangen, um diese gegebenenfalls auf ihre Notwendigkeit und Angemessenheit hin zu überprüfen. Hierbei ist eine Orientierung an der Pflegestatistik des Statistischen Bundesamtes hilfreich, welche im Internet zur Einsicht zur Verfügung steht. Je nach Bundesland zeigen sich hierbei im Kostenvergleich deutliche Unterschiede. Ein Umzug in ein anderes Heim, nur um mit Eintritt in die Pflegestufe III Kosten zu sparen, ist einem Demenzkranken in der Regel nicht zuzumuten 13. 3. Taschengeld nach 35 II 1 SGB XII (ehemals 21 III BSHG) Der notwendige Lebensunterhalt in Einrichtungen ist nunmehr generell in 35 SGB XII geregelt. Gemäß 35 Abs. 1 SGB XII umfasst der notwendige Lebensunterhalt in Einrichtungen den darin erbrachten, sowie in stationären Einrichtungen zusätzlich den weiteren notwendigen Lebensunterhalt. 12 Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 09.12.2008, FamRZ 2010, 991; Hauß, Elternunterhalt: Grundlagen und Strategien, 3. Aufl. 2010, Rdnr. 47. 13 OLG Schleswig-Holstein Urt. 19.01.2009, FamRZ 2009, 1751; NJW-RR 2009, 1369. 19

Anspruchsvoraussetzungen Dabei regelt nunmehr 35 Abs. 2 SGB XII die Gewährung des Grundbarbetrages zur persönlichen Verfügung als Bestandteil des notwendigen Lebensunterhalts. Der nicht bedarfsbezogene Zusatzbarbetrag (ehemals 21 III 4 BSHG) ist ersatzlos gestrichen worden. Damit sollte die bestehende Ungleichbehandlung von Leistungsberechtigten in und außerhalb von Einrichtungen beendet werden. In Höhe des Barbetrags und des Zusatzbarbetrags ( 133a SGB XII) ist auch unterhaltsrechtlich ein Bedarf anzuerkennen. Der in einem Heim lebende Unterhaltsberechtigte ist darauf angewiesen, für seine persönlichen, von den Leistungen der Einrichtung nicht umfassten Bedürfnisse über bare Mittel verfügen zu können. Andernfalls wäre er nicht in der Lage, etwa Aufwendungen für Körper- und Kleiderpflege, Zeitschriften und Schreibmaterial zu bestreiten und sonstige Kleinigkeiten des täglichen Lebens zu finanzieren 14. Leistungsberechtigte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, erhalten danach einen Barbetrag in Höhe von mindestens 26 % des Eckregelsatzes. Für Leistungsberechtigte, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, setzen die zuständigen Landesbehörden oder die von ihnen bestimmten Stellen für die in ihrem Bereich bestehenden Einrichtungen die Höhe des Barbetrages fest. Der Barbetrag wird gemindert, soweit dessen bestimmungsgemäße Verwendung durch oder für den Leistungsberechtigten nicht möglich ist. III. Bedürftigkeit Aus 1602 I BGB folgt, dass nur dann eine Unterhaltsberechtigung besteht, wenn der Unterhaltsbegehrende nicht in der Lage ist, seinen Unterhaltsbedarf durch eigenes Einkommen oder Vermögen zu decken. Bei der Bestimmung der anzurechnenden Einkünfte gelten spiegelbildlich dieselben Grundsätze wie für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten. Dabei sind beim Elternunterhalt v.a. folgende Faktoren zu berücksichtigen, die eine Bedürftigkeit möglicherweise entfallen lassen: 1. eigenes Einkommen Eigene Einkünfte des unterhaltsberechtigten Elternteils mindern seinen Bedarf. Dazu gehören Renten, Pensionen, Leistungen der betrieblichen oder möglicherweise auch der privaten Altersvorsorge. Ein Elternteil, dem Hilfe zur Pflege nur deshalb gewährt wird, weil sein Ein- 14 BGH Urt. v. 28.07.2010, FamRZ 2010, 1535; NJW 2010, 3161. 20

Bedürftigkeit kommen mit Rücksicht auf die mit seinem Ehegatten bestehende Bedarfsgemeinschaft seitens des Sozialhilfeträgers nur teilweise angerechnet wird, ist im Verhältnis zu einem Abkömmling nicht unterhaltsbedürftig, wenn sein Einkommen zzgl. Leistungen aus der Pflegeversicherung ausreicht, den eigenen Bedarf zu decken 15. Diese sozialhilferechtliche Berechnungsweise ist unterhaltsrechtlich nicht maßgebend. Denn durch eine möglicherweise bestehende Verpflichtung des Elternteils gegenüber seinem Ehegatten auf Familienunterhalt wird der Unterhaltsbedarf des berechtigten Elternteils nicht erhöht. 2. fiktives Einkommen / Erwerbsobliegenheit Im Rahmen des Elternunterhaltes scheidet eine Erwerbsobliegenheit meist krankheits- oder altersbedingt aus. Sollte doch ausnahmsweise ein Erwerbseinkommen vorhanden sein, wird eine Werbungskostenpauschale nur anerkannt, sofern der Unterhaltsberechtigte konkrete Anhaltspunkte für berufsbedingte Aufwendungen darlegt 16. 3. Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung Die Zahlungen der gesetzlichen Pflegeversicherung mindern den Bedarf, dies gilt bei noch zu Hause lebenden Eltern auch für das Pflegegeld. Durch das Erste Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften - Erstes Pflegestärkungsgesetz - wurden die Pflegeleistungen zum 01. Januar 2015 angepasst. Das Pflegegeld kann in Anspruch genommen werden, wenn Angehörige oder Ehrenamtliche die Pflege übernehmen. Das Pflegegeld kann auch mit Pflegesachleistungen kombiniert werden. Pflegegeld für häusliche Pflege Stufe der Pflegebedürftigkeit Leistungen ab 2015 pro Monat (Angaben in Euro) Leistungen 2014 pro Monat (Angaben in Euro) Pflegestufe 0 (mit Demenz) 123 120 Pflegestufe I 244 235 Pflegestufe I (mit Demenz) 316 305 Pflegestufe II 458 440 Pflegestufe II (mit Demenz) 545 525 15 BGH Urt. v. 07.07.2004, FamRZ 2004, 1370; NJW-RR 2004, 1300. 16 BGH Urt. v. 19.02.2003, FamRZ 2003, 860; NJW 2003, 1660. 21

Anspruchsvoraussetzungen Pflegestufe III 728 700 Pflegestufe III (mit Demenz) 728 700 Durch Leistungen der vollstationären Pflege werden Pflegebedürftige, die zum Beispiel in einem Pflegeheim leben, unterstützt. Leistungen bei vollstationärer Pflege Stufe der Pflegebedürftigkeit Leistungen ab 2015 pro Monat (Angaben in Euro) Leistungen 2014 pro Monat (Angaben in Euro) Pflegestufe 0 0 0 Pflegestufe I 1.064 1.023 Pflegestufe II 1.330 1.279 Pflegestufe III 1.612 1.550 Härtefall 1.995 1.918 4. eigenes Vermögen Vorrangig kommt dabei eigenes verwertbares Vermögen des Unterhaltsbegehrenden in Betracht. Eine dem 1577 III BGB vergleichbare Regelung, wonach Vermögen gegenüber dem Ehegatten aus Billigkeitsgründen oder Unwirtschaftlichkeit der Verwertung nicht eingesetzt werden muss, besteht für den Elternunterhalt nicht. Ebenso greifen die großzügigeren Maßstäbe nicht, die beim Elternunterhalt auf den Unterhaltsverpflichteten Anwendung finden. Das Vermögen ist grundsätzlich vollumfänglich zu verwerten, da das Vermögen nicht mehr zum Aufbau oder Erhalt einer eigenen Lebensstellung benötigt wird. Auch die Verwertung eines selbstgenutzten Hauses wird regelmäßig verlangt werden können, wenn es von den Eltern wegen der anderweitigen Unterbringung nicht mehr bewohnt wird 17. Hat der Unterhaltsbegehrende bewusst Vermögen in Kenntnis der künftigen oder bestehende Unterhaltsbedürftigkeit unvernünftig verbraucht, kommt sogar eine fiktive Vermögensan- 17 Wendl/Pauling 2 Rdnr. 614. 22

Bedürftigkeit rechnung in Betracht. Eine Verwertung kommt nur dann nicht in Betracht, wenn sie unmöglich oder offensichtlich unwirtschaftlich wäre, wobei hier strenge Maßstäbe anzulegen sind 18. Kleinere Kapitalreserven hingegen schließen die Bedürftigkeit nicht aus 19. Diese Notgroschen entsprechen dem sozialrechtlichen Schonvermögen nach 90 II Nr. 9 SGB XII i.v.m. DVO (ehemals 88 II Nr. 8 BSHG i.v.m. DVO), derzeit ein Betrag von 2.600,00. Dabei ist dieses Schonvermögen nicht als generelle Freigrenze zu betrachten, sondern je nach Einzelfall zu bewerten. Diese kleinen Beträge werden aber in der Regel als Vermögensreserve für Fälle plötzlichen Sonderbedarfs anzuerkennen sein, wobei bei älteren Personen u.a. auch an die Bestattungskosten nach dem Ableben gedacht werden muss. 5. Praxishinweis Sterbegeldversicherung In der Praxis spielen häufig Sterbegeldversicherungen eine Rolle. Viele ältere Menschen haben solche Versicherungen abgeschlossen. Wird für diese Menschen laufende Hilfe zum Lebensunterhalt beantragt, verweigern die Sozialhilfeträger die Bewilligung der Hilfe regelmäßig mit dem Argument, die Rücklagen in der Sterbegeldversicherung überstiegen das sozialhilferechtliche Schonvermögen nach 90 II Nr. 9 SGB XII. Dabei vergessen die Sozialhilfeträger gerne die Regelung in 90 III SGB XII, wonach eine Verwertung des Vermögens dann nicht verlangt werden kann, soweit durch den Einsatz des Vermögens die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde. In einigen gerichtlichen Entscheidungen 20 werden Sterbegeldversicherungen genau dieser Vorschrift unterworfen, so dass das darin angesammelte Vermögen zusätzlich zu dem sonstigen Schonvermögen die Gewährung von Sozialhilfe nicht ausschließt. Wenn dieses Vermögen aber als schutzwürdig anerkannt wird, führt dies natürlich auch zu einem früher einsetzenden Sozialhilfeanspruch des Unterhaltsberechtigten und damit auch zu einer früheren Inanspruchnahme auf Elternunterhalt. 6. Ansprüche gegen Dritte Des Weiteren sind vorrangig Ansprüche gegenüber Dritten oder den Kindern selbst zu beachten, sofern die Eltern zu Lebzeiten Eigentum übertragen oder Schenkungen getätigt haben. Hat der Unterhaltsberechtigte Vermögen verschenkt, kommt eine Rückforderung nach 18 OLG Düsseldorf, FamRZ 1990, 1137. 19 BGH Urt.v. 17.12.2003, FamRZ 2004, 370; NJW 2004, 677.. 20 SG Karlsruhe Urt. v. 27.04.2010, S 4 SO 3120/08, juris; VG Münster Urt. v. 09. Juni 2009 6 K 2159/07, juris; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urt. v. 19.03.2009 L 9 SO 5/07, juris. 23

Anspruchsvoraussetzungen 528, 530 BGB Rückforderung wegen Verarmung des Schenkers oder wegen groben Undanks in Betracht. Erst müssen alle diese Ansprüche realisiert werden, bevor eine Bedürftigkeit eintritt. a) Monetarisierung von Pflegeversprechen Oftmals werden im Rahmen von Grundstücksübertragungen sogenannte Pflegeversprechen beurkundet. Diese können im Falle eines Umzugs nicht einfach monetarisiert werden: Kann ein Familienangehöriger, der als Gegenleistung für die Übertragung eines Grundstücks die Pflege des Übergebers übernommen hat, seine Leistung wegen Umzugs des Übergebers in ein Pflegeheim nicht mehr erbringen, wird sich dem im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung zu ermittelnden hypothetischen Parteiwillen im Zweifel nicht entnehmen lassen, dass an die Stelle des ersparten Zeitaufwands ein Zahlungsanspruch des Übergebers treten soll 21. Sind die Vertragsparteien allerdings bei Abschluss des Übergabevertrages übereinstimmend davon ausgegangen, dass der Übernehmer hierfür eine Hilfskraft engagiert und bezahlt, zählt das Entgelt für die Hilfskraft zu den infolge des Heimaufenthalts ersparten Aufwendungen. b) Umgang mit Wohnrechten Häufig wird bei Übergabeverträgen ein Wohnrecht ( 1093 BGB) zwischen dem Übergeber und dem Übernehmer vereinbart. Im Rahmen des Elternunterhalts stellt sich die Frage, was mit einem solchen Wohnrecht geschieht, wenn der Übergeber auf Grund seines gesundheitlichen Zustandes nicht mehr in der Lage ist, das Wohnrecht persönlich auszuüben, weil er in ein Pflegeheim umziehen musste. Derartige Wohnrechte sind grundsätzlich nicht monetarisierbar. Weder hat der Übergeber i.d.r. einen Anspruch gegen den Übernehmer, das ihm die Vermietung der dem Wohnrecht unterliegenden Räume gestattet wird, noch hat der Übernehmer i.d.r. einen Anspruch, dass er die nicht mehr durch den Übergeber genutzten Räume nun selber nutzen oder selber vermieten darf. Tut er dies allerdings trotzdem, resultiert daraus kein Anspruch des Übergebers auf Auszahlung der erlangten Mieten 22, es sei denn, dem Vorgehen des Übernehmers lag eine Absprache mit dem Übergeber zu Grunde 23. Ebenso wird im Zweifel nicht anzunehmen sein, dass ein dem Wohnungsberechtigten nahestehender Eigentümer verpflichtet 21 BGH Urt. v. 29.01.2010, FamRZ 2010, 554; NJW 2010, 2694. 22 BGH Urt. v. 13.07.2012, FamRZ 2012, 1708; NJW 2012, 3572. 23 BGH Urt. v. 19.01.2007, FamRZ 2007, 632; NJW 2007, 1884. 24

Bedürftigkeit sein soll, ein Nutzungsentgelt an den Wohnungsberechtigten zu zahlen, wenn er die Wohnung für eigene private Zwecke nutzt oder wenn er sie einem nahen Familienangehörigen zur Nutzung überlässt 24. Die familiäre Verbundenheit wird häufig, wenn auch nicht zwingend, die Annahme rechtfertigen, dass eine Nutzung der Wohnung innerhalb der Familie unentgeltlich erfolgen sollte. Eine Überleitung eines Wohnungsrechtes auf den Sozialhilfeträger kommt dementsprechend grundsätzlich nicht in Betracht 25. Eine Berechtigung des Sozialhilfeträgers, die Wohnung selbst zu nutzen, würde nicht nur dem Wesen des höchstpersönlichen Wohnungsrechts widersprechen, das dadurch gekennzeichnet ist, dass allein der Berechtigte das Wohnungsnutzungsrecht ausüben darf. Es wäre auch mit der Überleitungsvorschrift des 94 SGB XII nicht vereinbar. Da 94 SGB XII bestimmt, dass eine Überleitung "nur bis zur Höhe" der Aufwendungen des Sozialhilfeträgers in Frage kommt, wird bereits mit dieser Formulierung deutlich, dass nur Ansprüche, die auf eine Geldleistung gerichtet sind, übergeleitet werden können. Eine Überleitung von Ansprüchen auf Naturalleistungen wie das Wohnen kommt erst in Betracht, wenn ein solcher Anspruch in einen Geldanspruch umgewandelt ist 26. c) Umgang mit Nießbrauchsvorbehalt Viele Sozialhilfeträger vertreten die Auffassung, der Eigentümer müsste sich um die Vermietung der mit dem Nießbrauch belasteten Räume kümmern und erzielbare Einnahmen abführen. Diese Rechtsauffassung ist zurückzuweisen. Es ist nämlich allein Sache des Nießbrauchers einer Immobilie, die ihm zustehenden Nutzungen zu ziehen und das von ihm nicht bewohnte Objekt zu vermieten. Der Eigentümer schuldet daher keinen abstrakten Nutzungsersatz i.h. des Mietwerts, sondern hat nur die aufgrund einer möglicherweise bestehenden Vermietungsvereinbarung tatsächlich erhaltenen Mieten an den Nießbraucher herauszugeben 27. d) Schenkungsrückforderung gemäß 528 BGB Soweit der Schenker nach der Vollziehung der Schenkung außerstande ist, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten und die ihm seinen Verwandten, seinem Ehegatten, seinem Lebenspartner oder seinem früheren Ehegatten oder Lebenspartner gegenüber gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht zu erfüllen, kann er von dem Beschenkten die Herausgabe 24 BGH Urt. v. 09.01.2009, FamRZ 2009, 598; NJW 2009, 1348. 25 OLG Braunschweig Beschl. v. 11.09.1995, FamRZ 1997, 27. 26 OLG Köln Urt. v. 08.01.1997, FamRZ 1998, 43. 27 OLG Köln Beschl. v. 24.06.2011, NJW-Spezial 2011, 712. 25

Anspruchsvoraussetzungen des Geschenkes nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern. Der Beschenkte kann die Herausgabe durch Zahlung des für den Unterhalt erforderlichen Betrags abwenden ( 528 BGB). Die Übergabe einer Immobilie durch einen Elternteil kann ganz oder teilweise unentgeltlich erfolgt sein, der Umfang der Schenkung ist vom Schenker (also im Regelfall dem Sozialhilfeträger) darzulegen und nachzuweisen. Die Vereinbarung von Wohnrechten, Pflegeleistungen oder Rentenzahlungen stehen einer Unentgeltlichkeit der Übertragung ganz oder teilweise entgegen 28. Die Pflege und Versorgung kann nicht als Gegenleistung gemäß 516 BGB für die (im Wege der vorweggenommenen Erbfolge vorgenommene) Übertragung eines Hausgrundstücks angesehen werden, wenn die Übereinkunft nicht in die notarielle Urkunde aufgenommen wurde 29. Der Anspruch auf Herausgabe des Geschenkes ist ausgeschlossen, wenn der Schenker seine Bedürftigkeit vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat oder wenn zur Zeit des Eintritts seiner Bedürftigkeit seit der Leistung des geschenkten Gegenstandes zehn Jahre verstrichen sind ( 529 Abs. 1 BGB). Bei der Übergabe eines Grundstücks beginnt diese Frist mit der Übereignung des Grundstücks, auch wenn der Eigentümer sich den Nießbrauch vorbehalten hat 30. Der Anspruch auf Herausgabe des Geschenkes ist ferner ausgeschlossen, soweit der Beschenkte bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, das Geschenk herauszugeben, ohne dass sein standesmäßiger Unterhalt oder die Erfüllung der ihm kraft Gesetzes obliegenden Unterhaltspflichten gefährdet wird (Bedürftigkeitseinrede - 529 Abs. 2 BGB). Der standesgemäße Unterhalt entspricht dem angemessenen Unterhalt im Sinne der familienrechtlichen Vorschriften, in den Fällen des Elternunterhalts ist also bei der Ermittlung des angemessenen Unterhalts die Rechtsprechung zur Leistungsfähigkeit des Kindes zu berücksichtigen 31. Als Voraussetzung der Einrede des Beschenkten aus 529 Abs. 2 BGB reicht die bloße Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts oder der Erfüllung der gesetzlichen Unterhaltspflichten des Beschenkten aus. Zwar hat der Beschenkte zur Erfüllung seiner Unterhaltspflichten auch den Stamm seines Vermögens einzusetzen. Er braucht den Stamm seines Vermögens aber jedenfalls dann nicht zu verwerten, wenn 28 OLG Frankfurt a.m. Urt. 04.02.1999, FamRZ 2000, 878. 29 OLG Oldenburg Urt. v. 21.11.1997, FamRZ 1999, 123. 30 OLG Köln Beschl. v. 24.06.2011, NJW-Spezial 2011, 712. 31 BGH Urt. v. 11.07.2000, FamRZ 2001, 21; NJW 2000, 3488. 26

Bedürftigkeit dies für ihn mit einem wirtschaftlich nicht mehr vertretbaren Nachteil verbunden wäre 32. Ferner dürfte eine Verwertung des Stamms seines Vermögens außer Betracht bleiben, soweit dieses seinen Schonvermögensbetrag im Verhältnis zu seinem Elternteil nicht überschreitet. Zwar hat der BGH in der Entscheidung v. 11.07.2000 geurteilt, dass das Gesetz eine allgemeine Billigkeitsgrenze für den Vermögenseinsatz, wie sie beim Ehegattenunterhalt gelte, nicht vorsehe diese Rechtsprechung dürfte aber spätestens seit der BGH-Entscheidung vom 30.08.2006 zum Schonvermögen im Elternunterhalt überholt sein. 7. Grundsicherung im Alter Das Inkrafttreten des Grundsicherungsgesetzes über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter (GSiG, seit 01.01.2005 4. Kapitel SGB XII) am 01.01.2003 führte zumindest zu einer teilweisen Entlastung der Unterhaltspflichtigen. Nach dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung soll der Zweck des Gesetzes darin bestehen, für alte Menschen eine eigenständige soziale Sicherung vorzusehen, die den grundlegenden Bedarf sicherstelle. Durch diese Leistung solle im Regelfall die Gewährung von Sozialhilfe vermieden werden. Außerdem habe vor allem ältere Menschen die Furcht vor dem Unterhaltsrückgriff auf ihre Kinder oftmals vom Gang zum Sozialamt abgehalten. Anders als bei der Sozialhilfe handelt es sich bei der Grundsicherung nicht um eine subsidiäre Sozialleistung. Es gibt auch keinen Anspruchsübergang wie in 91 BSHG. Antragsberechtigt sind gemäß 41 I SGB XII Personen, mit gewöhnlichem Aufenthaltsort in der BRD, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, und volljährige Kinder mit krankheitsbedingter Erwerbsminderung gemäß 43 II SGB VI. Im Hinblick auf Leistungen werden Einkommen des nicht getrenntlebenden Ehegatten bzw. Lebenspartners sowie des Partners einer eheähnlichen Gemeinschaft angerechnet, jedoch bleiben Unterhaltsansprüche gegenüber Kindern und Eltern gemäß 43 II SGB XII unberücksichtigt, sofern deren jährliches Gesamteinkommen einen Betrag von 100.000 nicht überschreitet. Gemäß 16 SGB IV ist das Gesamteinkommen die Summe der Einkünfte im Sinne des Einkommensteuerrechts, also das Bruttoeinkommen. Hierfür gilt eine gesetzliche Vermutung, die bei entsprechenden Anhaltspunkten vom Sozialhilfeträger zu widerlegen ist und diesem hierzu einen entsprechenden Auskunftsanspruch einräumt, 43 II 2-6 SGB XII. Allerdings dienen die Leistungen nach 42 SGB XII nur der Grundsicherung des notwendigen Lebensunterhalts. Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung umfassen hierbei gemäß 42 S.1 SGB XII: 32 BGH Urt. v. 15.01.2002 X ZR 77/00 juris. 27

Anspruchsvoraussetzungen den für den Antragsberechtigten maßgebenden Regelsatz nach 28 SGB XII ( 28 II, 40 SGB XII i.v.m. DVO zu 28 SGB XII Regelsatzverordnung) die angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung entsprechend 29 SGB XII, bei Leistungen in einer stationären oder teilstationären Einrichtung sind als Kosten für Unterkunft und Heizung Beträge in Höhe der durchschnittlichen angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für die Warmmiete eines Einpersonenhaushalts im Bereich des nach 98 SGB XII zuständigen Trägers der Sozialhilfe zu Grunde zu legen, die Mehrbedarfe sowie die einmaligen Bedarfe entsprechend 30, 31 SGB XII, Übernahme von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen entsprechend 32 SGB XII, Hilfe zum Lebensunterhalt in Sonderfällen nach 34 SGB XII. Reichen die Leistungen nach Satz 1 nicht aus, um den Bedarf des Antragsberechtigten zu decken, können weitere Leistungen als ergänzende Darlehen entsprechend 37 SGB XII erbracht werden. Darüber hinaus gehender Bedarf aufgrund von Pflegebedürftigkeit o.ä. wird nicht umfasst. Dadurch bleibt die Unterhaltsverpflichtung im Hauptanwendungsfalle der Unterhaltsbedürftigkeit infolge von Heimunterbringung weitestgehend bestehen und bringt für die unterhaltsverpflichteten Kinder insoweit nur eine geringfügige Entlastung. Soweit Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz gewährt werden, sind diese aber bedarfsdeckend von dem Unterhaltsberechtigten in Anspruch zu nehmen, sodass sich dessen Bedürftigkeit der Höhe nach auf den dann noch ungedeckten Restbedarf beschränkt 33. Im Hinblick auf die vorrangig in Anspruch zu nehmende Hilfe nach dem Grundsicherungsgesetz sind dem Unterhaltsberechtigten fiktive Einkünfte zuzurechnen, wenn er es leichtfertig versäumt, diese Ansprüche durchzusetzen 34. Entsteht im Verhältnis zu dem Unterhaltspflichtigen ein Unterhaltsanspruch nur deshalb, weil ein Geschwister Einkünfte oberhalb von 100.000 erzielt und dem Elternteil deshalb keine 33 OLG Oldenburg Urt. v. 18.11.2003, FamRZ 2004, 364. 34 OLG Saarbrücken Urt. v. 24.06.2004, OLGR Saarbrücken 2005, 88. 28

Bedürftigkeit Grundsicherung gewährt wird, ist die Unterhaltspflicht trotzdem unter Berücksichtigung fiktiv gewährter Grundsicherung zu berechnen 35. 8. Pflegewohngeld Die Bedürftigkeit eines im Pflegeheim lebenden Unterhaltsberechtigten kann unter bestimmten Voraussetzungen auch durch die Inanspruchnahme von Pflegewohngeld verringert werden. Pflegewohngeld ist eine finanzielle Leistung, um die Investitionskosten eines Pflegeheims (die Kosten, die der Träger der Pflegeeinrichtung aufbringen muss, um Gebäude und Material zu erstellen, anzuschaffen oder instand zu halten) zu decken. Pflegewohngeld wird für Bewohnerinnen und Bewohner von vollstationären Alten- und Pflegeeinrichtungen auf Antrag gewährt, wenn diese auf Dauer in der Einrichtung leben, sie pflegebedürftig im Sinne des Pflege- Versicherungsgesetzes sind (d.h. es müssen mindestens Leistungen der Pflegestufe I bezogen werden) und bestimmte Einkommens- und Vermögensgrenzen nicht überschritten werden. In dem nordrhein-westfälischen Landespflegegesetz ist z.b. geregelt, dass das Vermögen eines Pflegebedürftigen und des nicht getrennt lebenden Ehegatten bis zu einer Grenze von 10.000,00 geschont wird. Der Antrag wird grundsätzlich von dem Pflegeheim gestellt, an welches das Pflegegeld auch ausgezahlt wird. Besteht ein Anspruch auf Pflegewohngeld, besteht auch die unterhaltsrechtliche Obliegenheit des Berechtigten, Pflegewohngeld in Anspruch zu nehmen. Neben Nordrhein-Westfalen gewähren bisher Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg, das Saarland und Mecklenburg-Vorpommern Pflegewohngeld. 9. Sonstiges - Erhält der Unterhaltsberechtigte noch anderweitig Unterhaltsleistungen, sind diese voll anzurechnen, sofern der Unterhalt leistende Dritte dem auf Unterhalt in Anspruch Genommenen im Rang vorgeht. Leistet ein nachrangiger Verpflichteter freiwillig, kommt eine Minderung des Bedarfs nicht in Betracht. Gleiches gilt bei freiwilligen Leistungen sonstiger Dritter, sofern sie nicht das Ziel haben, die Bedürftigkeit zu mindern um den potentiellen Unterhaltsschuldner zu entlasten. Dies bedarf im Einzelfall der Auslegung, wobei in der Regel eine Anrechnung nicht gewollt ist. Es ist in diesen Fällen ggf. relevant, inwieweit der Dritte beim Unterhaltsschuldner Regress nehmen kann. 35 OLG Hamm Beschl.v. 17.12.2013, FamRZ 2014, 1710. 29