Mitglieder der Arbeitsgruppe 1: 1

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Transkript:

Bericht der Arbeitsgruppe 1 Regionale Arbeitsmärkte - Wirtschaftsstrukturpolitik der Kommission Anforderungen aus dem zweiten Bayerischen Sozialbericht Mitglieder der Arbeitsgruppe 1: 1 Prof. Dr. Uwe Blien, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB): Leitung und Koordinierung der Arbeitsgruppe 1 Martin Becher, Aktionsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (afa) in der Evang.-Luth. Kirche in Bayern Dr. Thomas Beyer, MdL, Landesvorsitzender Arbeiterwohlfahrt Landesverband Bayern e.v. für die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Bayern (LAGFW) Bernhard Dausend, Aktionsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (afa) in der Evang.- Luth. Kirche in Bayern Lutz Eigenhüller, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) Robert Günthner, Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) Bezirk Bayern Ralf Holten, Christlicher Gewerkschaftsbund (CGB) Bayern Prof. Dr. Markus Promberger, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) Walter Schmid, Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen (StMAS) Ingo Schömmel, vbw Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. Fritz Schösser Dr. Claudia Wöhler, vbw Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. 1 Besonderer Dank für die Mitarbeit an der Erstellung des Berichtstextes gebührt Stefan Hell, Tobias Pickelmann und Norbert Schanne (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung), Dr. Johann Schachtner (Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie) und Hubert Ulber (Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie). I-1

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung... 9 2. Ausgangslage... 10 3. Disparitäten zwischen regionalen Arbeitsmärkten... 11 3.1 Untersuchung regionaler Disparitäten des Beschäftigungswachstums in Bayern... 11 3.1.1 Zum Modell, der Datenbasis und dem Einfluss verschiedener Komponenten auf die Beschäftigungsentwicklung... 13 3.1.2 Beschäftigungsentwicklung und Einfluss der Komponenten in den bayerischen Landkreisen und kreisfreien Städten... 21 3.1.3 Zusammenfassung... 33 3.2 Weitere regionale Disparitäten - Arbeitslosigkeit, Armut und Abwanderung...... 36 4. Bayerische Wirtschafts-, Struktur- und Arbeitsmarktpolitik... 42 4.1 Programme und Maßnahmen der Regionalpolitik auf dem Feld der Wirtschaftsund Strukturpolitik... 44 4.2 Programme und Maßnahmen im Bereich der Arbeitsmarktpolitik... 48 5. Schlussfolgerungen... 54 5.1 Integrierte Regionalpolitik... 54 5.2 Maßnahmen der Wirtschaftsstrukturpolitik...... 57 5.3 Maßnahmen zur Verbesserung der Qualifikationsstruktur... 60 5.4 Weitere Maßnahmen überregionale Zusammenarbeit, Umgang mit dem demografischen Wandel, Zuwanderung... 62 Anhang... 73 I-2

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung (svb) und der Arbeitslosigkeit (Alo) in den Städten München und Nürnberg (Index: 1994 = 100)... 41 Kartenverzeichnis Karte 1: Arbeitslosenquoten in den bayerischen Landkreisen und kreisfreien Städten im Jahresdurchschnitt 2010... 76 Karte 2: SGB II-Arbeitslosenquoten in den bayerischen Landkreisen und kreisfreien Städten im Jahresdurchschnitt 2010... 77 Karte 3: Beschäftigungsentwicklung 1993 bis 2008 (jahresdurchschnittliche Wachstumsrate in %)... 78 Karte 4: Einfluss der Branchenkomponente in den bayerischen Landkreisen und kreisfreien Städten... 79 Karte 5: Einfluss der Betriebsgrößenkomponente in den bayerischen Landkreisen und kreisfreien Städten... 80 Karte 6: Einfluss der Qualifikationskomponente in den bayerischen Landkreisen und kreisfreien Städten... 81 Karte 7: Einfluss der Standortkomponente in den bayerischen Landkreisen und kreisfreien Städten... 82 Karte 8: Bevölkerungsentwicklung (in der Altersgruppe 15 bis unter 65 Jahre) in den bayerischen Landkreisen und kreisfreien Städten 2008 zu 1993 (Veränderung in %)... 83 Karte 9: Pendlerverflechtungen zwischen den bayerischen und den angrenzenden Landkreisen und kreisfreien Städten im Jahr 2008... 84 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Branchenstruktur Effekt der Branchen auf das Beschäftigungswachstum ( Koeffizient ) und durchschnittliche Anteile der Beschäftigten für den Zeitraum 1993 bis 2008 nach Branchen in Westdeutschland... 16 Tabelle 2: Betriebsgrößenstruktur Effekt der Betriebsgröße auf das Beschäftigungswachstum ( Koeffizient ) und durchschnittliche Anteile der Beschäftigten für den Zeitraum 1993 bis 2008 nach Betriebsgrößenklassen in Westdeutschland... 18 Tabelle 3: Qualifikationsstruktur Effekt der Qualifikationsstruktur auf das Beschäftigungswachstum ( Koeffizient ) und durchschnittliche Anteile der Beschäftigten nach Qualifikationsstufen für den Zeitraum 1993 bis 2008 in Westdeutschland... 20 Tabelle 4: Branchenstruktur durchschnittliche Anteile der Beschäftigten nach Branchen für den Zeitraum 1993 bis 2008 in Bayern und Differenz zu Westdeutschland... 24 I-3

Tabelle 5: Betriebsgrößenstruktur durchschnittliche Anteile der Beschäftigten nach Betriebsgrößenklassen für den Zeitraum 1993 bis 2008 in Bayern und Differenz zu Westdeutschland... 27 Tabelle 6: Qualifikationsstruktur durchschnittliche Anteile der Beschäftigten nach Qualifikationsstufen für den Zeitraum 1993 bis 2008 in Bayern und Differenz zu Westdeutschland... 29 Tabelle 7: Landkreise und kreisfreie Städte Bayerns nach siedlungsstrukturellem Kreistyp und Effekt des Kreistyps auf das Beschäftigungswachstum ( Koeffizient ) 32 Tabelle 8: Beschäftigungsentwicklung für den Zeitraum 1993 bis 2008 (jahresdurchschnittliche Wachstumsrate in %) und Einfluss der verschiedenen Komponenten in den bayerischen Landkreisen (Lkr) und kreisfreien Städten (KS).. 73 I-4

Zusammenfassung Dieser Bericht der Arbeitsgruppe 1 Regionale Arbeitsmärkte - Wirtschaftsstrukturpolitik der Kommission Anforderungen aus dem zweiten Bayerischen Sozialbericht beschäftigt sich mit der Aufarbeitung von Besonderheiten Bayerns und der bayerischen Politik im Hinblick auf wichtige Aspekte des Arbeitsmarkts und der Wirtschaft. Den regionalen Unterschieden innerhalb Bayerns, die im Sozialbericht nicht ausführlich behandelt werden, wird dabei besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Dies erfolgt auf der Grundlage einer ökonometrischen Analyse der Disparitäten der Beschäftigungsentwicklung in den bayerischen Landkreisen und kreisfreien Städten, bei der die Einflüsse von Branchen-, Betriebsgrößen-, Qualifikationsstrukturen sowie von Standortkomponenten auf das Beschäftigungswachstum untersucht werden. Die Studie zeigt, dass die Standortkomponente für die regionale Entwicklung bedeutsam ist und einen wichtigen Ansatzpunkt zur Einflussnahme darstellt. Dazu müssen die regionalen Standortfaktoren genau bestimmt und ihre Auswirkungen identifiziert werden. Differenzierte lokale Förderkonzepte sollten dann bestehende positive Faktoren stärken bzw. negativ wirkende Bedingungskonstellationen aufbrechen. Potenzial für Beschäftigungsgewinne weist in Bayern der dynamische Bereich der wirtschaftsnahen Dienstleistungen auf, wofür die starke industrielle Basis eine gute Grundlage darstellt. Die wissensintensiven Dienstleistungen, die den Einsatz (hoch-) qualifizierter Beschäftigter erfordern, sowie Gesundheits- und soziale Dienstleistungen sind zukunftsträchtige Beschäftigungsfelder, die auch außerhalb der Agglomerationen gestärkt werden sollten. Die Beschäftigungswirkungen, die sich für Niedrigqualifizierte in Dienstleistungsbranchen ergeben können, sind ebenfalls nicht zu unterschätzen. In Regionen, die durch einen eher altindustriellen, traditionellen Branchenmix gekennzeichnet sind, sollten Maßnahmen zur Umorientierung und zur Unterstützung des Strukturwandels getroffen werden. Auch in diesen Branchen können sich Teilbereiche bzw. Unternehmen finden, die (international) konkurrenzfähig sind. Unterstützt durch die Investition in passend qualifiziertes Personal und Infrastruktur könnten diese einen Beitrag leisten, schmerzhafte Anpassungsprozesse durchzustehen und perspektivisch Chancen für die Region zu eröffnen. Die festgestellte deutlich positive Wirkung eines hohen I-5

Qualifikationsniveaus untermauert zudem die Forderung, auf die Bildungschancen und die Qualifikationsmöglichkeiten der Menschen besonderen Wert zu legen. Außerdem zeigt der für kleinere und mittlere Betriebe vorhandene positive Effekt, dass die Pflege und Unterstützung solcher Betriebe sinnvoll ist. Durch den Ausbau der Förderung des Wissenstransfers in diese Unternehmen, könnten sie noch stärker von der Wissensproduktion profitieren und ihre wichtige Rolle im Strukturwandel und Beschäftigungsaufbau ausbauen. Der Überblick über die regionalen Unterschiede bei Arbeitslosigkeit, Armut, Bevölkerungsentwicklung und Mobilität trägt zum einen auf einer deskriptiver Ebene dazu bei, die regionalen Disparitäten des Beschäftigungswachstums und hinter der Standortkomponente liegende Einflüsse weiter aufzuklären. Dies gilt für den Zusammenhang der Beschäftigungsentwicklung mit der Bevölkerungsentwicklung und den Pendlerverflechtungen. Zum anderen ergeben sich aber auch weitere Forschungsfragen, u. a. hinsichtlich des Phänomens der hohen Arbeitslosigkeit und Armut innerhalb bestimmter Stadtviertel oder auch den Ausprägungen und Erklärungen für Arbeitslosigkeit und Armut in peripheren Regionen. Die Darstellung wichtiger Programme und Maßnahmen der Wirtschafts-, Strukturund Arbeitsmarktpolitik zeigt sowohl die Vielfalt der in diesen Bereichen bereits existierenden Ansätze, als auch den Umgang mit dem für die Regionalpolitik so wichtigen Spannungsfeld zwischen Ausgleichs- und Wachstumsziel. Dies betrifft die eigenen landespolitischen Programme und die Programme des Bundes und der Europäischen Union. Während bei zurückbleibenden Regionen im Rahmen des Ausgleichsziels geholfen werden muss, überhaupt Produktion aufzubauen und dadurch Wachstumspotentiale zu entwickeln, geht es in bereits entwickelten Regionen im Rahmen des Wachstumsziels um die Beschleunigung des Strukturwandels und um den optimalen Einsatz vorhandener Kapazitäten. In diesem Sinne sind die beiden Ziele komplementär zueinander und nicht konkurrierend. Basierend auf den Ergebnissen der Analyse zur regionalen Beschäftigungsentwicklung, dem Überblick über weitere Disparitäten auf dem Arbeitsmarkt sowie der Darstellung regionalpolitischer Programme und Maßnahmen ergeben sich die folgenden wichtigen Schlussfolgerungen: I-6

Als zentrales Element zur Ausgestaltung und Koordination der Förderung von Regionen wird eine Integrierte Regionalpolitik vorgeschlagen, die soziale und wirtschaftspolitische bzw. wirtschaftsstrukturpolitische Aspekte umfasst, indem ressortübergreifend Schwerpunkte der Förderung gebildet werden, um Regionen entsprechend ihrer Stärken strategisch zu unterstützen. Als Grundlage hierfür ist eine darauf zielende Bestandsaufnahme und Durchleuchtung der Regionen und der relevanten Politikbereiche bzgl. ihrer raumwirksamen Maßnahmen vorzunehmen. Bereits vorhandene Materialien zu regionalen Strukturen wie auch bereits existierende Beispiele einer auf regionale Besonderheiten abgestimmten ressortübergreifenden Politik können für eine Systematisierung dieser Ansätze im oben skizzierten Sinne die Grundlage bilden. Förderung sollte sich dabei regional nicht nur auf (potenzielle) Wachstumszentren beschränken, sondern, unter Berücksichtigung vorhandener Stärken, gerade auch die abseits der Zentren gelegenen Regionen berücksichtigen. Hierzu sollen die lokalen Akteure bei der Erstellung von Konzepten eingebunden werden, die dann ggf. mit übergeordneten Ebenen verzahnt werden können bzw. auf übergeordneter Ebene zu Vergleichszwecken und im Sinne von best practice transparent gemacht werden können. In den Regionen sollte die Zusammenarbeit über administrative Grenzen hinweg weiter gestärkt werden, da wirtschaftliche Verflechtungen und Arbeitsmärkte über diese Grenzen häufig hinausreichen. Gleiches gilt hinsichtlich der Bewältigung der Folgen des demographischen Wandels für Wirtschaft und Arbeitsmarkt wie auch für die soziale und kulturelle Infrastruktur in Regionen. Von besonderer Bedeutung ist die Verzahnung der regionalen Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik. Die Bundesagentur für Arbeit verfügt über Konzepte und Fördermittel, die mit anderen Programmen integriert zum Ausgleich der Disparitäten beitragen können. Zur Begleitung des wirtschaftlichen Strukturwandels bzw. zur Abfederung seiner negativen Folgen erscheint es sinnvoll, vorzugsweise Branchen mit elastischer Güternachfrage sowie den Dienstleistungsbereich zu unterstützen, ohne dabei die Qualitätsaspekte der Arbeit (z. B. Arbeitsbedingungen und Löhne) aus den Augen zu verlieren. Von technischem Fortschritt bzw. von Produktivitätsgewinnen als Folge I-7

staatlicher Programme können nur dort Beschäftigungsgewinne erwartet werden, wo die Güternachfrage elastisch ist, das heißt stark auf Preisveränderungen reagiert. Ist dies nicht der Fall, wird technischer Fortschritt nur zur Einsparung von Arbeitskräften beitragen. Investitionen in verschiedene Infrastrukturbereiche sowie in die Qualifikation von Arbeitskräften sind wichtige Bestandteile der Förderung, ebenso die Unterstützung der Wissenstransfers zwischen Unternehmen, insbesondere zwischen kleinen und mittleren Unternehmen und von Forschungseinrichtungen. Hochschulen sind Zentren der Forschung und der Ausbildung von Arbeitskräften und können intensive positive Ausstrahlungseffekte auf die regionale Wirtschaft entfalten. Unter beiden Gesichtspunkten scheint es sinnvoll, die Einbindung der Hochschulen in die Regionen weiter zu verstärken und eine Profilbildung der Hochschulen zu fördern, auch um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Generell bedarf es einer regionalund personenabhängigen zielgenauen und abgestimmten Qualifizierungspolitik des Landes, der Bundesagentur für Arbeit und anderer Akteure. Dazu gehört auch eine systematische Weiterbildung unter Einbeziehung der Erwartungen und Bedürfnisse derjenigen, die bisher von Weiterbildung ausgenommen bleiben bzw. sich davon zurückziehen. Neben Maßnahmen zur Stärkung der Ausbildungseinrichtungen sowie der Güte der Qualifikation der Bevölkerung, dürfte aber auch einem veränderten Umgang mit Zuwanderung eine wichtige Rolle bei der Stärkung des Landes und der Regionen sowie der Milderung der Folgen des demographischen Wandels zukommen. Den Chancen, die sich aus Zuwanderung ergeben, und der Verantwortung, die die Zuwanderung mit sich bringt, sollte ein im Vergleich zu der Diskussion der Risiken höherer Stellwert als bisher eingeräumt werden. I-8

1. Einleitung Die soziale Lage der Bevölkerung und die darauf bezogene Sozialpolitik im bayerischen Rahmen werden im zweiten Sozialbericht der Staatsregierung und in der Schrift Soziale Lage in Bayern 2010 dargestellt. Zum Thema der Arbeitsgruppe Regionale Arbeitsmärkte Wirtschaftsstrukturpolitik ergeben sich enge und notwendige Beziehungen, weil das Thema Determinanten der sozialen Lage einer großen Mehrheit der Bevölkerung beschreibt. Für die weitere Darstellung stellt sich angesichts der Grundstruktur der Sozialpolitik in Deutschland zunächst die Frage, welcher genuine Aufgabenbereich einer bayerischen Politik in diesem Feld zukommen könnte, soweit die spezifische Wechselwirkung mit dem Arbeitsmarkt und vor allem mit der Arbeitslosigkeit betroffen ist. Denn Arbeitslosenversicherung, Arbeitsvermittlung und aktive Arbeitsmarktpolitik sind vor allem Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) bzw. im Bereich des Sozialgesetzbuchs (SGB) II der BA und/oder der Kommunen und werden lokal umgesetzt, das Niveau der Grundsicherung für Erwerbsfähige ist bundeseinheitlich geregelt, die Daseinsvorsorge wird kommunal erbracht, und das Niveau der Arbeitslosigkeit und des Grundsicherungsbezugs ist im bayerischen Gesamtdurchschnitt eher niedrig, verglichen mit anderen Bundesländern bzw. mit dem Bundesdurchschnitt. Ein Blick auf die landkreisspezifischen Arbeitslosenquoten (vgl. Karte 1) sowie auf andere Indikatoren zur wirtschaftlich-sozialen Lage enthüllt jedoch innerhalb Bayerns beträchtliche regionale Disparitäten. Zudem gibt es Zuständigkeiten der Landespolitik bei wichtigen, die Sozialpolitik berührenden Politikfeldern, nicht zuletzt bei der Regionalpolitik und auch bei der Arbeitsmarktpolitik. Schwerpunktmäßige Aufgabe der vorliegenden Ausarbeitung der Arbeitsgruppe 1 zum Bayerischen Sozialbericht ist nach dem Verständnis der Autoren dieses Textes demgemäß die Aufarbeitung der Besonderheiten von Bayern und der bayerischen Politik im Hinblick auf soziale Aspekte von Arbeitsmarkt und Wirtschaft, ohne dabei jedoch die Einbindung in bundesdeutsche und europäische Zusammenhänge zu vernachlässigen. Hintergrund ist die aus dem Grundgesetz und der Bayerischen Verfassung ableitbare Anforderung an die Politik, für Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen und gleiche Chancen für die Bürgerinnen und Bürger Bayerns zu sorgen. I-9

Im nächsten Abschnitt des vorliegenden Papiers werden einige Aspekte der Ausgangslage aufgegriffen, die sich im zweiten Sozialbericht der Staatsregierung (SLB09) und in der Darstellung Soziale Lage in Bayern 2010 (SLB10) finden. Der Fokus der beiden Berichte liegt vor allem auf der Darstellung der Situation im Bundesland insgesamt. Die Beschreibung der regionalen Disparitäten im Freistaat ergänzt diese Darstellung, ist jedoch nicht der zentrale Focus. Der vorliegende Beitrag konzentriert sich dagegen auf die regionalen Disparitäten innerhalb Bayerns und sucht dabei insbesondere die vertiefte Ursachenanalyse. Im Folgenden werden nach einem kurzen Überblick über die Ausgangslage (Abschnitt 2) die regionalen Disparitäten der Beschäftigungsentwicklung in Bayern in einem Modell untersucht, das insbesondere die Wirtschaftsstruktur als zentrale Einflussgröße enthält (Abschnitt 3). Dieses Modell verwendet extrem differenzierte Daten und ein hochentwickeltes ökonometrisches Instrumentarium. Im nächsten Schritt wird der Fokus ausgeweitet, indem weitere Aspekte des Arbeitsmarktes einbezogen sowie verschiedene politische Bereiche diskutiert werden (Abschnitt 4). In Abschnitt 5 werden die Schlussfolgerungen dargelegt, die sich aus den Ergebnissen der Analyse in den vorhergehenden Abschnitten ziehen lassen. 2. Ausgangslage Der SLB09 enthält als Gemeinsamkeit mit dem SLB10 neben den unmittelbar für die Sozialpolitik wichtigen Zusammenhängen auch eine Darstellung des relevanten ökonomischen Rahmens. In dieser Darstellung wird deutlich, dass sich die Ökonomie Bayerns in jüngerer Zeit positiv entwickelt hat, sodass viele soziale Probleme leichter lösbar werden. Insbesondere ist das reale Bruttoinlandsprodukt in Bayern stärker gewachsen als in anderen Bundesländern (von 1999 bis 2009 um 16,1 %, vgl. SLB10: 7). Die Arbeitslosenquote war 2009 mit 4,8 % niedriger als in allen anderen Bundesländern, selbst Baden-Württemberg konnte unterboten werden (vgl. SLB10: 156). Die Berichte zeigen aber auch, dass zwischen den Regionen Bayerns bei verschiedenen Indikatoren zum Teil beträchtliche Unterschiede bestehen (regionale Disparitäten). Dies betrifft die regionalen Arbeitsmärkte und die wirtschaftliche I-10

Entwicklung gemessen durch BIP-Entwicklung, Arbeitslosenquoten, Anteile der Arbeitslosen im SGB II, Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung etc. In Bayern zeigen sich die regionalen Disparitäten sozialer Lagen zunächst in parallel ungünstig ausgerichteten Indikatorwerten. So kombinieren sich in Ostbayern, Nordostbayern, aber auch in Teilen Westmittelfrankens und Schwabens höhere Arbeitslosen- und Grundsicherungsquoten (vgl. SLB10: 154), sowie niedrigere Einkommen (vgl. SLB09: 98 ff.), unterdurchschnittliches Beschäftigungswachstum (vgl. SLB09: 202) und niedriges Bruttoinlandsprodukt je Einwohner (vgl. SLB 09, SLB10: 8 f.). Hinzu kommen noch negative und selektive Wanderungssalden: Der Landkreis Tirschenreuth verlor von 1993 bis 2008 rund 5 % der Wohnbevölkerung und 7 % der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 65 Jahren, der Landkreis Hof gar 10 % der Bevölkerung und 14 % der 15 bis 65-Jährigen (eigene Berechnungen, vgl. auch SLB09: 60; SLB10: 16 u. 32). In einer langjährigen Betrachtung ordnen sich die Regionen mit überdurchschnittlichen sozialen Problemen als Glocke von Landkreisen an, die den besser gestellten Großraum München in größerem Abstand von Westen, Norden und Osten her umgibt. In den letzten Jahren ist von dieser Glocke nur die östliche Hälfte übriggeblieben; sie stellt eine nach unten gekrümmte, an der Landesgrenze liegende Banane dar, die aus den nordost- und ostbayerischen Landkreisen besteht (vgl. die Karten 1 und 2). 3. Disparitäten zwischen regionalen Arbeitsmärkten Im Zentrum der folgenden Problemanalyse steht die Untersuchung der regionalen Unterschiede des Beschäftigungswachstums in den bayerischen Landkreisen und kreisfreien Städten (Abschnitt 3.1). Daran anschließend werden außerdem weitere Aspekte des bayerischen Arbeitsmarkts unter dem Gesichtspunkt regionaler Disparitäten beschrieben und miteinander in Verbindung gesetzt (Abschnitt 3.2). I-11

3.1. Untersuchung regionaler Disparitäten des Beschäftigungswachstums in Bayern In modernen marktwirtschaftlichen Erwerbsgesellschaften werden gesellschaftliche Teilhabechancen für den größten Teil der Bevölkerung direkt oder indirekt über den Arbeitsmarkt verteilt und realisiert. Dieser ist wiederum eng an die Strukturen und Dynamiken der Ökonomie gekoppelt. Die Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ist in diesem Zusammenhang ein zentraler Indikator, der in der Diskussion um gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Landesteilen Bayerns und um gleiche Chancen auf die Teilhabe am Erwerbsleben und damit in der Gesellschaft zu berücksichtigen ist. Im Folgenden werden die regionalen Unterschiede der Beschäftigungsentwicklung in den bayerischen Landkreisen und Städten für den Zeitraum 1993 bis 2008 untersucht. Dafür wird ein Modell verwendet, bei dem die regional unterschiedliche Beschäftigungsentwicklung zur Wirtschaftsstruktur in Beziehung gesetzt wird. Das verwendete Modell erlaubt die Identifikation des Beitrags, den verschiedene Determinanten zur Beschäftigungsentwicklung in einer Region leisten. Daraus ergeben sich Ansatzpunkte für die Diskussion struktureller und individueller Vor- und Nachteile der Regionen und entsprechender Handlungsmöglichkeiten. In diesem Sinne sollen regionale Disparitäten im Rahmen unseres vergleichenden Ansatzes genutzt werden, um zielführende und tragfähige wirtschaftspolitische Strategien zu identifizieren. Im nächsten Abschnitt wird zunächst kurz auf das Modell und die Datenbasis eingegangen. Im Anschluss daran werden die Variablen, die in dem Modell zur Analyse der Beschäftigungsentwicklung verwendet werden, beschrieben und ihre allgemeine Wirkung erläutert. Dann werden die Ergebnisse der Analyse für die bayerischen Kreise und Städte präsentiert. Schließlich werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst und erste Gedanken zu Handlungsmöglichkeiten vorgestellt, die sich aus den Ergebnissen ergeben. I-12

3.1.1. Zum Modell, der Datenbasis und dem Einfluss verschiedener Komponenten auf die Beschäftigungsentwicklung Das Ziel der vorliegenden Untersuchung ist eine theoriegestützte empirische Analyse regionaler Disparitäten der Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung auf der Ebene von Landkreisen und kreisfreien Städten in Bayern. Dazu wird die Wachstumsrate der Beschäftigung mittels einer sogenannten erweiterten Shift-Share-Regression (vgl. Möller/Tassinopoulos 2000, Blien/Wolf 2002) in strukturelle Komponenten und eine lokale Komponente zerlegt. Es ist möglich, theoriegeleitete Hypothesen über die Determinanten der Arbeitsmarktentwicklung zu testen. Die Untersuchung steht damit in der Nachfolge der Projekte Entwicklung der ostdeutschen Regionen (vgl. Blien et al. 2003) und Vergleichende Analyse von Länderarbeitsmärkten (VALA) 2 (vgl. Amend/Otto (2006) für den theoretischen Hintergrund und Ludsteck (2006) zum ökometrischen Modell). Die aktuellen Rechnungen wurden von Norbert Schanne (IAB) vorgenommen (Schanne/Hell 2010). Die strukturelle Komponente der klassischen Shift-Share-Analyse ist definiert als die regionale Entwicklung, die zu erwarten wäre, wenn die Branchenstruktur in der Region genau der durchschnittlichen Branchenstruktur auf gesamtwirtschaftlicher Ebene entspräche. In dem für diese Untersuchung genutzten erweiterten Ansatz der Shift-Share-Regression werden neben der Branchenstruktur als weitere strukturelle Komponenten die Betriebsgrößenstruktur und die Qualifikationsstruktur einbezogen. 3 Die lokale Komponente ist die Entwicklung, die von dieser erwarteten Entwicklung abweicht, und steht für lokale Besonderheiten einer Region. Im Folgenden bezeichnen wir diese Komponente auch als Standortkomponente. Hinter der Standortkomponente kann sich eine Vielzahl von lokalen Faktoren verbergen, die sich als günstig oder ungünstig für die Beschäftigungsentwicklung erweisen. 2 Die Analysen zu den Bundesländern wurden 2006 in den Heften 11 und 12 der Zeitschrift Sozialer Fortschritt (55. Jg.) veröffentlicht. Ausführlichere Analysen sind außerdem in der Reihe IAB regional des Regionalen Forschungsnetzes (RFN) des IAB erschienen. Die Hefte sind über die einzelnen Forschungseinheiten des RFN im Internet frei zugänglich (http://www.iab.de/124/section.aspx/bereichsnummer/54). 3 Zudem wurde auch der Lohn als eigene Komponente in die Regression einbezogen. Allerdings fiel die Höhe der errechneten Einflüsse so gering aus, dass wir auf eine Darstellung verzichten. I-13

Im Folgenden werden detaillierte Analysen durchgeführt, deren Anlage und deren Analyse exakt beschrieben werden. Die verwendete Schätzgleichung lautet gemäß den obigen Ausführungen: mit Branche i = 1; ; I, Kreis r = 1; ;R, Jahr t = 1996; ; 2008. Dabei steht g für das Beschäftigungswachstum, q steht für Qualifikation, s für Betriebsgröße und w für den Lohn (vgl. Schanne 2009). 4 Die Schätzung der Regressionsgleichung gibt Auskunft über die Stärke und die Richtung der Wirkung, welche die ausgewählten Variablen (Komponenten) auf die Beschäftigungsentwicklung haben. Die Ergebnisse für die einzelnen Variablen zeigen an, wie das Beschäftigungswachstum reagiert, wenn sich der Wert einer dieser Variablen ändert und die restlichen konstant gehalten werden. Dies wird als ceteris paribus Annahme bezeichnet. So ist es möglich, die Wirkung einer Variablen rein zu betrachten, da die Wirkung aller anderen Variablen herausgerechnet wird. Das Modell wird auf der Grundlage aller westdeutschen Kreise berechnet. Daher beziehen sich die Ergebnisse hinsichtlich Stärke und Richtung des Zusammenhangs (Koeffizienten) zwischen dem Beschäftigungswachstum und den Komponenten zunächst auf Westdeutschland. Durch die Verknüpfung der Koeffizienten mit den jeweiligen regionalen Ausprägungen bzw. Anteilswerten der Komponenten, erhält man Effekte der Komponenten auf die Beschäftigung in einer Region. Damit beantwortet das Modell Fragen der Art welchen Einfluss hat die Qualifikationsstruktur (die Betriebsgrößenstruktur ) auf die Beschäftigungsentwicklung in der Stadt/im Landkreis XY? Als Datenbasis der Analyse der Beschäftigungsentwicklung und ihrer Komponenten dienen die Daten der Beschäftigungsstatistik der BA bzw. der Beschäftigten-Historik des IAB für den Zeitraum 1993 bis 2008. Bei den verwendeten Beschäftigungsdaten handelt es sich um Volumendaten, d. h. die durchschnittliche Zahl der Beschäftigten in einem Betrieb pro Jahr. Um Verzerrungen durch die Zunahme von Teilzeitarbeitsverhältnissen zu vermeiden, wurden für die Analyse die Beschäftigtenzahlen auf der Basis der Arbeitsstunden zu Vollzeitäquivalenten 4 Die Gleichung wird unter linearen Restriktionen geschätzt, die den Effekt haben, dass für jede der strukturellen Komponenten die Abweichungen bei der Beschäftigungsentwicklung relativ zum Mittelwert zu interpretieren sind. I-14

zusammengefasst. Da keine detaillierten Angaben über Arbeitszeiten vorliegen, sondern nur eine Einteilung der Beschäftigten in drei Gruppen (18 Stunden pro Woche, 18 Stunden pro Woche bis Vollzeit, Vollzeit), wurden jeweils Mittelwerte von 16, 24 und 39 Stunden pro Woche angenommen und diese Arbeitszeiten anschließend in Vollzeitäquivalente umgerechnet. Im Folgenden wird kurz erläutert, warum die ausgewählten Variablen Einfluss auf die Beschäftigungsentwicklung ausüben und daher Aufnahme in die Schätzgleichung fanden. Außerdem werden die Ergebnisse für Westdeutschland präsentiert, da diese als Grundlage für die Erklärung und die Darstellung der regionalen Ebene dienen. Branchenstruktur Da sich bestimmte Branchen häufig in einer Region konzentrieren, ist das Beschäftigungswachstum in den Regionen stark von der Entwicklung der Arbeitskräftenachfrage der dort angesiedelten Branchen abhängig. Die Branchenstruktur ist daher eine wichtige Komponente der Beschäftigungsentwicklung einer Region. Ein Ansatz zur Erklärung dieses Zusammenhangs ist der von Appelbaum und Schettkat (1999). Sie zeigen, dass von Branchen bzw. Industrien, die am Anfang ihres Produktlebenszyklus stehen, ein Beschäftigungswachstum ausgeht, während in Branchen, die an dessen Ende gelangen, die Beschäftigung zurückgeht. Der Grund dafür ist die unterschiedliche Elastizität der Nachfrage bei Preisänderungen. Werden Produktivitätssteigerungen in Form niedrigerer Preise an die Kunden weitergegeben, so reagieren Märkte, in denen die Branche noch am Anfang ihres Lebenszyklus steht und die Nachfrage noch nicht gesättigt ist, mit höherer Nachfrage, die wiederum zusätzliche Beschäftigung schafft. Umgekehrt aktivieren Produktivitätssteigerungen und anschließende Preissenkungen in gesättigten Märkten keine zusätzliche Nachfrage. Stattdessen wird aufgrund der höheren Produktivität lediglich Beschäftigung freigesetzt (vgl. auch Blien/Sanner 2006; Cingano/Schivardi 2004). Die Dynamiken des technischen Fortschritts und der Güternachfrage erklären dann den Auf- und Abstieg von Industrien und von Regionen, in denen diese lokalisiert sind. Generell verlief die Entwicklung der einzelnen Branchen in Deutschland sehr unterschiedlich. Wobei im Zuge des Strukturwandels der Anteil der Beschäftigten in I-15

den Branchen des Dienstleistungssektors tendenziell zunahm, während der Anteil der Beschäftigten im produzierenden Gewerbe und in der Landwirtschaft eher abnahm. Auch in unseren Analysen errechnet sich für den Beobachtungszeitraum vor allem für Branchen aus dem Dienstleistungsbereich eine positive Wirkung auf die quantitative Beschäftigungsentwicklung. Tabelle 1 zeigt die Effekte der 26 Branchen 5 für Westdeutschland im Einzelnen. Die mit großem Abstand stärkste positive Wirkung (Koeffizient) ergibt sich für die Zeitarbeit, die insbesondere in der zweiten Hälfte des Beobachtungszeitraums einen Boom erlebte, wenngleich ihr Anteil an der Gesamtbeschäftigung immer noch vergleichsweise gering ist. Weitere Beispiele für Branchen mit einem relativ starken positiven quantitativen Effekt sind sowohl die einfachen als auch die wissensintensiven unternehmensnahen Dienstleistungen und das Gesundheits- und Sozialwesen. Gerade in Zusammenhang mit dem starken positiven Effekt der Zeitarbeit ist allerdings zu beachten, dass auch in Wachstumsbranchen die Qualität der Arbeit (Arbeitsbedingungen, Einkommen etc.) zu berücksichtigen ist, da diese maßgeblich den Lebensstandard i. w. S. und die Chancen der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeinflusst. Für Branchen des produzierenden Gewerbes errechnet sich überwiegend ein negativer Effekt, der am stärksten für die Branche Textil & Leder ausfällt. Auch die Branchen Holz und Glas, Keramik, Bauerden haben einen deutlich negativen Effekt. Die einzige Branche des produzierenden Gewerbes mit einem signifikant positiven Effekt auf die Beschäftigungsentwicklung ist der Fahrzeugbau. Tabelle 1: Branchenstruktur Effekt der Branchen auf das Beschäftigungswachstum ( Koeffizient ) und durchschnittliche Anteile der Beschäftigten für den Zeitraum 1993 bis 2008 nach Branchen in Westdeutschland Westdeutschland Koeffizient Signifikanz Anteil in % 1 Landwirtschaft & Fischerei -0,83 ** 0,83 2 Bergbau, Mineralöl & Kohle, Energie -1,66 *** 1,86 5 Zugrunde liegt bei allen Branchen, mit Ausnahme der Gruppe KA, die NACE-Klassifikation (rev. 1.1) auf Ebene der Doppelbuchstaben, die über die WZ93 und die WZ03 nahezu identisch geblieben sind. In der Gruppe KA wurde noch zwischen einfachen, wissensintensiven (bzw. höherwertigen) unternehmensnahen Dienstleistungen und der Zeitarbeit differenziert, um deren heterogener Struktur Rechnung zu tragen. I-16

3 Nahrung & Genussmittel -1,27 *** 2,78 4 Textil & Leder -6,06 *** 1,03 5 Holz -2,04 *** 0,70 6 Papier, Verlagswesen -1,62 *** 2,25 7 Chemie und Kunststoffe 0,02 4,00 8 Glas, Keramik, Bauerden -2,30 *** 1,06 9 Metallerzeugung und -bearbeitung -0,01 4,91 10 Maschinenbau 0,16 4,85 11 Elektrotechnik -0,35 ** 4,73 12 Fahrzeugbau 1,72 *** 4,01 13 sonstiges VG, inkl. Recycling -2,14 *** 1,21 14 Baugewerbe -3,81 *** 7,03 15 Handel & Reparatur -0,95 *** 15,12 16 Gastgewerbe -0,82 *** 2,33 17 Verkehr & Nachrichtenübermittlung 1,05 *** 5,44 18 Finanzgewerbe 0,05 4,28 19 einfache Unternehmensnahe DL 3,16 *** 2,47 20 wissensintensive unternehmensnahe DL 2,47 *** 6,47 21 Zeitarbeit 14,30 *** 1,24 22 Sozialversicherung, Staat, Exterritoriales -0,59 *** 5,79 23 Erziehung & Unterricht 0,49 * 2,38 24 Gesundheits- & Sozialwesen 1,63 *** 9,32 25 sonstige Dienstleistungen 0,15 3,77 26 Private Haushalte -1,99 ** 0,14 Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit und IAB-Beschäftigten-Historik; eigene Berechnungen. Signifikanzniveau: * 95 %, ** 99 %, *** 99,9 %. Im Folgenden wird für die Kreise und Städte jeweils ein summarischer Brancheneffekt ausgewiesen. Der Brancheneffekt gibt dann an, wie dort das Beschäftigungswachstum vom durchschnittlichen westdeutschen Beschäftigungswachstum abweicht, weil sich der Branchenmix vom durchschnittlichen westdeutschen Branchenmix unterscheidet. Ein positiver (negativer) Brancheneffekt ergibt sich, wenn in einer Region solche Branchen überdurchschnittlich stark vertreten sind, die einen positiven (negativen) Effekt auf das Beschäftigungswachstum ausüben. I-17

Betriebsgrößenstruktur In den letzten Jahrzehnten ist für die westlichen Industrienationen tendenziell eine wachsende Bedeutung kleiner und mittlerer Unternehmen zu beobachten. Dazu haben verschiedene Entwicklungen beigetragen. So führte der technologische Wandel dazu, dass Transport- und Kommunikationskosten erheblich sanken, gleichzeitig wuchs der internationale Wettbewerbsdruck, der mit sich schnell wandelnden Nachfragebedingungen erheblichen Anpassungsdruck auf Unternehmen ausübte. Größere Unternehmen reagierten darauf u. a. durch die Einführung neuer, schlanker und flexiblerer Organisations- und Managementstrukturen sowie Produktions- und Prozesstechniken, wie just-in-time Systemen. Außerdem lagerten im Zuge des Outsourcings viele Unternehmen Dienstleistungsbereiche aus, wodurch sich eine dezentralere Unternehmensstruktur entwickelte, die kleinere und mittlere Betriebsgrößeren begünstigt. Im Sinne einer flexiblen Spezialisierung, die ein schnelles Reagieren auf veränderte Nachfrage und spezifische Kundenwünsche ermöglicht, sollten diese besser auf die oben geschilderten veränderten Rahmenbedingungen reagieren können. Auch gestiegene Gründungsaktivitäten und die Beschäftigungsexpansion des Dienstleistungssektors mit vielen kleineren Betrieben können Erklärungen für die wachsende Bedeutung kleinerer Betriebe sein (vgl. Amend/Otto 2006 für ausführlichere Erläuterungen und Literatur). Für die quantitative Analyse wurden die Betriebe in drei Größenklassen eingeteilt: kleinere Betriebe (bis 50 Beschäftigte), mittlere Betriebe (51 bis 250 Beschäftigte) und größere Betriebe (mehr als 250 Beschäftigte). Tabelle 2: Betriebsgrößenstruktur Effekt der Betriebsgröße auf das Beschäftigungswachstum ( Koeffizient ) und durchschnittliche Anteile der Beschäftigten für den Zeitraum 1993 bis 2008 nach Betriebsgrößenklassen in Westdeutschland Westdeutschland Koeffizient Signifikanz Anteil in % kleinere Betriebe (bis zu 50 Beschäftigte) 1,28 *** 36,19 mittlere Betriebe (51 bis 250 Beschäftigte) 0,39 * 25,98 größere Betriebe (mehr als 250 Beschäftigte) -1,49 *** 37,83 Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit und IAB-Beschäftigten-Historik; eigene Berechnungen. Signifikanzniveau: * 95 %, ** 99 %, *** 99,9 %. I-18

Die Ergebnisse der Regressionsanalyse für Westdeutschland entsprechen insoweit den Erwartungen als sie einen signifikanten positiven Effekt kleinerer und mittlerer Betriebe, sowie einen signifikant negativen Effekt größerer Betriebe auf die Beschäftigungsentwicklung zeigen. Der Betriebsgrößeneffekt für eine Region gibt an, wie das Beschäftigungswachstum vom durchschnittlichen westdeutschen Beschäftigungswachstum abweicht, wenn in dem betreffenden Kreis bzw. der betreffenden Stadt die Betriebsgrößenstruktur von der durchschnittlichen westdeutschen Betriebsgrößenstruktur abweicht. Qualifikationsstruktur Wie in vielen Ländern ist auch in Deutschland eine Verschiebung der Arbeitsnachfrage hin zu hoch qualifizierten Arbeitskräften zu beobachten. Ein Erklärungsansatz hierfür ist der so genannte Skill Biased Technological Change, demzufolge der technische Fortschritt zu immer komplexeren Produktionstechnologien und verfahren führt, weswegen die Nachfrage nach (hoch) qualifizierten Arbeitskräften steigt (vgl. Acemoglu 2002). Auch die Zunahme des internationalen Handels wird als Begründung für den Trend zu hoch qualifizierten Arbeitskräften in entwickelten Ländern angeführt. Der Ausgangspunkt dieser Überlegung ist, dass durch die Intensivierung des Handels eine Spezialisierung der Produktion gefördert wird, bei der die industrialisierten Länder vor allem Produkte herstellen, die hoch qualifizierte Arbeit erfordern, während andere Länder eher Produkte mit niedrig qualifizierten Arbeitskräften herstellen. Neuere Ansätze berücksichtigen außerdem, dass der technische Fortschritt nicht nur zum Abbau bzw. der Verlagerung von Einfacharbeitsplätzen insbesondere im produzierenden Gewerbe - für Niedrigqualifizierte führen kann, sondern auch Routinetätigkeiten im mittleren Qualifikationssegment betroffen sein können (vgl. Autor/Levy/Murnane 2003). Vor diesem Hintergrund kann die Ausstattung mit Humankapital als wichtiger Faktor für die regionale Entwicklung gesehen werden (vgl. Badinger/Tondl 2005), weswegen die Qualifikationsstruktur als weitere Variable in die Regressionsgleichung aufgenommen wurde. Differenziert wird dabei nach gering qualifiziert (ohne abgeschlossene Berufsausbildung), mittel qualifiziert (abgeschlossene Berufsausbildung, Fachschulabschluss, Meister/Techniker) und hoch qualifiziert I-19

(Fachhochschul- oder Hochschulabschluss). Zudem wurden auch diejenigen berücksichtigt, die in der Beschäftigtenstatistik ohne Angabe der Qualifikation geführt werden. Als Ergebnis der Berechnungen ergibt sich eine starke positive Wirkung für die Ausprägung hoch qualifiziert, eine ebenfalls positive Wirkung für diejenigen, deren Qualifikation nicht bekannt ist, sowie jeweils eine signifikant negative Wirkung für die Niedrigqualifizierten und diejenigen mit einer abgeschlossen Berufsausbildung. Die Ergebnisse für die niedrig qualifizierten Beschäftigten und für die hoch qualifizierten Beschäftigten entsprechen sicherlich den Erwartungen. Der signifikant negative Effekt für das mittlere Qualifikationsniveau ist zunächst überraschend, allerdings fällt er im Vergleich zu den Effekten für die anderen Qualifikationsgruppen relativ gering aus und könnte zum Teil durch den oben beschriebenen Verlust von Routinearbeitsplätzen auch auf dieser Qualifikationsstufe erklärt werden. Der Effekt für diejenigen, deren Qualifikation nicht bekannt ist, ist schwierig zu interpretieren. 6 Tabelle 3: Qualifikationsstruktur Effekt der Qualifikationsstruktur auf das Beschäftigungswachstum ( Koeffizient ) und durchschnittliche Anteile der Beschäftigten nach Qualifikationsstufen für den Zeitraum 1993 bis 2008 in Westdeutschland Westdeutschland Koeffizient Signifikanz Anteil in % ohne abgeschlossene Berufsausbildung -2,18 *** 14,47 abgeschlossene Berufsausbildung -0,34 ** 66,81 Hochqualifizierte (FH-/Uni-Abschluss) 3,82 *** 8,45 Qualifikation unbekannt 2,16 *** 10,27 Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit und IAB-Beschäftigten-Historik; eigene Berechnungen. Signifikanzniveau: * 95 %, ** 99 %, *** 99,9 %. Der Qualifikationseffekt, der im Folgenden für ein Bundesland oder einen Kreis ausgewiesen wird, gibt an, wie sich das Beschäftigungswachstum vom durchschnittlichen westdeutschen Beschäftigungswachstum unterscheidet, wenn in der betreffenden Region die Qualifikationsstruktur von der durchschnittlichen westdeutschen Qualifikationsstruktur abweicht. 6 Die positive Ausprägung deutet darauf hin, dass hier nicht nur niedrig Qualifizierte erfasst sind, sondern Personen aus allen Qualifikationsstufen, auch Hochqualifizierte. Diese Annahme unterstützen Analysen bei denen die Berufe derjenigen mit Qualifikation unbekannt ausgewertet werden. Es handelt sich keineswegs nur um Hilfstätigkeiten. I-20

Regionale Standortbedingungen Der Standorteffekt fängt einen systematischen Einfluss der betreffenden Region auf, der von den anderen Variablen nicht erklärt wird. Dahinter verbergen sich spezifische regionale Bedingungskonstellationen. Dabei kann es sich z. B. um eine besonders günstige Kombination von Branchen in der Region handeln, die dazu führt, dass die gesamte Wirtschaft von spillover Effekten profitiert, während in der vorliegenden Untersuchung nur die einzelnen Wirtschaftszweige betrachtet werden. Ein anderes Beispiel sind spezielle Qualifikationen der Beschäftigten, die nicht durch die hier verwendete Darstellung der formalen Qualifikationsstruktur abgebildet werden. Auch die Bevölkerungsentwicklung bzw. ob es sich um eine Zu- oder Abwanderungsregion handelt ist im Kontext der Standortkomponente zu bedenken. Weitere Gründe können die Nähe zu großen Absatz- und Beschaffungsmärkten, die Infrastrukturausstattung und die Erreichbarkeit einer Region sowie die Ausstattung mit Institutionen aus dem Bereich Forschung und Entwicklung sein. Aber auch die geographische Lage und natürliche Ausstattung eines Raumes, die Öffnung einer Grenze oder die Schließung bzw. Ansiedlung eines für die Region wichtigen Betriebs können eine Rolle spielen. In Frage kommen außerdem spezielle wirtschafts- bzw. arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und weiche Standortfaktoren wie die Lebensqualität oder der Ruf einer Region hinsichtlich der Wirtschaftsfreundlichkeit (vgl. z. B. Blume/Eickelpasch/Geppert 2003). 3.1.2. Beschäftigungsentwicklung und Einfluss der Komponenten in den bayerischen Landkreisen und kreisfreien Städten Das Bundesland Bayern verzeichnete im Zeitraum 1993 bis 2008 ein durchschnittliches jährliches Wachstum der Beschäftigung von 0,01 %. Für alle anderen westdeutschen Länder ergab sich dagegen ein Beschäftigungsrückgang. Allerdings zeigen die Berechnungen auch große Unterschiede in der Beschäftigungsentwicklung zwischen den bayerischen kreisfreien Städten und Landkreisen (vgl. Karte 3 7 ), auf die auch die beiden Berichte zur sozialen Lage in Bayern hinweisen (vgl. SLB09: 201 f.; SLB10: 125). Gleichwohl fand in der Mehrzahl 7 Zur Bildung der Klassengrenzen wurden ausgehend vom Mittelwert aller westdeutschen Landkreise und kreisfreien Städte je eine halbe und eine Standardabweichung addiert bzw. subtrahiert. I-21

der Regionen zwischen 1993 und 2008 eine positive Entwicklung statt. Von den 96 Kreisen und Städten verzeichneten 54 eine mehr oder minder ausgeprägte Zunahme der Beschäftigung. Eine Tabelle, die für alle Kreise und Städte die Werte des Beschäftigungswachstums sowie für die einzelnen Komponenten enthält, findet sich im Anhang dieses Berichts (Tabelle 8). Sie zeigt, dass die Beschäftigung in den Kreisen Erlangen-Höchstadt und Freising am stärksten wuchs - im Jahresdurchschnitt jeweils um mehr als zwei Prozent. Dies sind auch im westdeutschen Vergleich die beiden größten Wachstumsraten. Weitere oberbayerische Kreise wie Eichstätt, München und Ebersberg verzeichneten ebenfalls eine sehr günstige Beschäftigungsentwicklung. Darüber hinaus gibt es aber auch in nahezu allen anderen Landesteilen Kreise und Städte mit Beschäftigungszuwächsen. Zum Beispiel liegen die Landkreise Regensburg und Würzburg mit Wachstumsraten von 1,4 % bzw. 1,31 % sehr gut. Als erfreulich kann außerdem die relativ günstige Beschäftigungsentwicklung in Teilen Ostbayerns - in der Oberpfalz und in Niederbayern - bezeichnet werden, die in früheren Jahren als zurückbleibende Räume galten. Beispiele hierfür sind die Landkreise Cham und Schwandorf mit einem Plus von 0,87 % und 0,63 %. Gleichzeitig gibt es jedoch auch Regionen, in denen sich die Beschäftigung ungünstig entwickelte. Am stärksten war hiervon der Nordosten Bayerns mit weiten Teilen Oberfrankens betroffen. Am deutlichsten fiel der Beschäftigungsverlust im Kreis Wunsiedel im Fichtelgebirge aus, wo die Beschäftigung im Jahresdurchschnitt um fast zwei Prozent zurückging. Abgesehen vom Nordosten finden sich aber auch im Übrigen Bayern Kreise und Städte mit ungünstiger Beschäftigungsentwicklung. Dazu zählen so unterschiedliche Regionen wie Bad Kissingen in Unterfranken (- 1,18 %), die Stadt Fürth im mittelfränkischen Ballungsraum (-1,14 %), die Stadt Kaufbeuren in Schwaben (-1,25 %) und Garmisch-Partenkirchen in Oberbayern (- 1,44 %). Zudem reihen sich an der östlichen Grenze Bayerns einige Kreise auf, in denen die Beschäftigung ebenfalls rückläufig war, jedoch nicht so deutlich wie in Oberfranken. Ein Gefälle zwischen Süd- und Nordbayern lässt sich für die Beschäftigungsentwicklung in den Jahren 1993 bis 2008 insofern nachvollziehen, als I-22

einerseits, Nordostbayern vergleichsweise viele der Regionen mit den stärksten Beschäftigungsverlusten stellt und sich andererseits in Oberbayern sieben der zehn Kreise mit der stärksten Beschäftigungszunahme befinden. Eine zu starke Fokussierung auf diese Süd-Nord-Unterscheidung wird allerdings der Realität nicht gerecht, da die Entwicklung innerhalb aller Landesteile erhebliche Unterschiede aufweist. Hinsichtlich Stadt und Land lässt sich für die Beschäftigungsentwicklung kein durchgängiges Muster feststellen. Im Ballungsraum München befinden sich einige der Landkreise mit der besten Beschäftigungsentwicklung. Diese dürften von Agglomerationsnachteilen Münchens profitieren, wie der schlechteren Verfügbarkeit von Flächen bei gleichzeitig sehr hohen Bodenpreisen. Dem Ballungsraum München insgesamt können außerdem positive Ausstrahlungseffekte zugeschrieben werden, von denen mindestens auch Teile Schwabens oder Niederbayerns profitieren (vgl. Abschnitt 3.2). Für den Ballungsraum Nürnberg erscheint die Entwicklung zweigeteilt. Einerseits zeigt sich eine günstige Entwicklung für Erlangen und insbesondere den Kreis Erlangen-Höchstadt. Andererseits ergeben sich eher ungünstige Werte für die Städte Nürnberg, Fürth und Schwabach, aber auch die direkt angrenzenden Umlandkreise Fürth und Nürnberger Land. Im Vergleich mit dem Ballungsraum München fällt der positive Einfluss der (kleineren) Agglomeration in Mittelfranken auf andere Regionen daher begrenzt aus. Bei den Städten außerhalb der beiden Agglomerationen z. B. Ober- und Mittelzentren im eher ländlichen Raum - ist es unterschiedlich, ob die Städte oder die umliegenden Kreise besser abschneiden. In einem ungünstigen Umfeld entwickelten sich beispielsweise die Stadt Bayreuth und insbesondere die Stadt Coburg besser als die umliegenden Landkreise. Gleiches gilt in einem günstigeren Umfeld für Aschaffenburg, Ansbach oder Memmingen. Ungünstiger als das Umland schnitten dagegen beispielsweise die Städte Würzburg, Amberg, Kaufbeuren oder Rosenheim ab. Nach diesem Überblick über das Beschäftigungswachstum in den bayerischen Regionen wird im Folgenden darauf eingegangen, welchen Einfluss die bereits eingeführten Variablen Branchenstruktur, Betriebsgrößenstruktur, I-23

Qualifikationsstruktur und regionale Standortfaktoren auf die unterschiedliche Beschäftigungsentwicklung hatten. Einfluss der Branchenkomponente in den bayerischen Regionen Der Einfluss der Branchenstruktur auf das Beschäftigungswachstum Bayerns fällt leicht negativ aus (-0,08 Prozentpunkte), wobei die Unterschiede in der Branchenstruktur zwischen Bayern und Westdeutschland, gemessen an den Beschäftigungsanteilen, generell eher gering sind (vgl. Tabelle 4). Der negative Einfluss des bayerischen Branchenmix geht darauf zurück, dass der Beschäftigungsanteil in vielen Branchen des verarbeitenden Gewerbes überdurchschnittlich ist und diese Branchen mit unterdurchschnittlichem Beschäftigungswachstum verknüpft sind. Am deutlichsten ist der Unterschied zwischen Bayern und Westdeutschland bei der Branche Elektrotechnik, in welcher der bayerische Anteil mit 6,8 % zwei Prozentpunkte höher ausfällt als in Westdeutschland. Außerdem sind Dienstleistungsbranchen, für die sich positive Effekte auf die Beschäftigungsentwicklung errechnen, im Freistaat tendenziell unterrepräsentiert. Tabelle 4: Branchenstruktur durchschnittliche Anteile der Beschäftigten nach Branchen für den Zeitraum 1993 bis 2008 in Bayern und Differenz zu Westdeutschland Bayern Anteil in % Differenz zu WD 1 Landwirtschaft & Fischerei 0,72-0,11 2 Bergbau, Mineralöl & Kohle, Energie 1,44-0,43 3 Nahrung & Genussmittel 3,22 0,45 4 Textil & Leder 1,41 0,37 5 Holz 0,89 0,19 6 Papier, Verlagswesen 2,41 0,17 7 Chemie und Kunststoffe 3,39-0,62 8 Glas, Keramik, Bauerden 1,64 0,58 9 Metallerzeugung und -bearbeitung 3,23-1,68 10 Maschinenbau 5,27 0,42 11 Elektrotechnik 6,76 2,03 12 Fahrzeugbau 4,48 0,47 13 sonstiges VG, inkl. Recycling 1,47 0,26 14 Baugewerbe 7,47 0,44 I-24

15 Handel & Reparatur 14,53-0,60 16 Gastgewerbe 2,84 0,51 17 Verkehr & Nachrichtenübermittlung 4,76-0,68 18 Finanzgewerbe 4,33 0,05 19 einfache Unternehmensnahe DL 2,32-0,15 20 wissensintensive unternehmensnahe DL 6,10-0,37 21 Zeitarbeit 1,20-0,04 22 Sozialversicherung, Staat, Exterritoriales 5,31-0,48 23 Erziehung & Unterricht 2,27-0,11 24 Gesundheits- & Sozialwesen 8,91-0,40 25 sonstige Dienstleistungen 3,45-0,33 26 Private Haushalte 0,18 0,04 Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit und IAB-Beschäftigten-Historik; eigene Berechnungen. Unterdurchschnittlich stark sind z. B. das Gesundheits- und Sozialwesen, Wissensintensive unternehmensnahe Dienstleistungen oder Einfache unternehmensnahe Dienstleistungen vertreten. Auch bei der Zeitarbeit, der Branche mit dem stärksten positiven Koeffizienten, ist der Beschäftigungsanteil in Bayern kleiner als in Westdeutschland, allerdings nur um 0,04 Prozentpunkte. Dass Bayern dafür vom positiven Effekt des Fahrzeugbaus aufgrund eines vergleichsweise hohen Beschäftigtenanteils profitiert, kann diesen Rückstand bei den Dienstleistungsbranchen und die überdurchschnittlichen Beschäftigungsanteile in anderen Branchen des Verarbeitenden Gewerbes nicht kompensieren. Auf der Ebene der Städte und Landkreise fällt bezüglich des Effekts der Branchenkomponente auf das Beschäftigungswachstum (vgl. Karte 4) vor allem ein Stadt-Land-Unterschied ins Auge. Positive Effekte der Branchenkomponente ergeben sich vor allem für Städte. Am stärksten fiel der Einfluss in Ingolstadt (+1,12 Prozentpunkte), Regensburg (+0,65 Prozentpunkte) und München (+0,55 Prozentpunkte) aus. Zurückzuführen ist dieses positive Ergebnis für die Städte in erster Linie darauf, dass dort Dienstleistungsbranchen überrepräsentiert sind. Beispiele hierfür sind München und Nürnberg mit deutlich überdurchschnittlichen Werten bei den Wissensintensiven Dienstleistungen (12,4 % bzw. 10,4 %). In Coburg fällt das Finanzgewerbe mit einem Beschäftigungsanteil von etwas mehr als 16 % auf, in Würzburg und in Straubing das Gesundheits- und Sozialwesen in dem 16,4 % bzw. 15,1 % der Beschäftigten tätig waren. Auch die Zeitarbeit spielt in I-25