: Potenziale und Grenzen geschlechtsbezogener Pädagogik und Didaktik
Ablauf Jungen als Bildungsverlierer? Wissenschaftlich-empirische Perspektive Pädagogische Perspektive
Jungen als Bildungsverlierer?
Diagnose: Benachteiligung Medien (Die ZEIT: Die Krise der kleinen Männer, Die Welt: Jungen sind die großen Bildungs-Verlierer ) Wissenschaft (Männerkongress 2010) Verbände (MANNdat) Modethema Sorge um Jungen aus der Mittelschicht (Fegter 2011)
Jungen im Bildungssystem Durchschnittlich ungünstigere Bildungskarrieren. Geringere Kompetenzen in Sprachen (und Biologie), höhere Kompetenzen in Mathematik und Physik. Zentral ist Motivation und Interesse Früh ausgeprägte Geschlechterreviere Verschärfung der Problemlagen in der Sek. I. Im Übergang von der Schule in den Beruf bei traditioneller Orientierung (meist) Vorteile der männlichen Jugendlichen. Milieuspezifische Ausdifferenzierung
Jungen und Unterricht Bedeutung der Peer-Group Anerkennungsraum (z.b. für Männlichkeit, Budde 2005) Performanzorientierung (z.b. Coolness) Schul- und Leistungsdistanz Underachievment, Angst vor Streber-Vorwurf Problematische soziale Verhaltensweisen Verweigerung Ungünstige Arbeitshaltung (z.b. offener Unterricht) Provokationen (z.b. im lehrerzentrierten Unterrichtsgespräch) Sexualisierungen gegen Mädchen
Männlichkeiten in der Schule Die Institution Schule ist an der Konstruktion von Männlichkeiten beteiligt, z.b. durch: Architektur, Medien, (vgl. Pech 2008), Schul- und Unterrichtskulturen, (Budde 2011) Beliefs, Zuschreibungen, Adressierungen (vgl. Hannover/Kessels 2004)
Zuschreibungen durch Lehrkräfte Bei gleichen Kompetenzen werden Mädchen besser benotet als Jungen. Jungen erhalten durchschnittlich schlechtere Kopfnoten. In MNT werden Jungen gefragt, wenn es um neue Sachverhalte geht. Mädchen werden eher gefragt, wenn Ergebnisse gesichert werden sollen (Jahnke-Klein 2003). Jungen werden eher für genial, Mädchen eher für fleißig gehalten. Bei Lehrkräften dominieren negative Erwartungen und Zuschreibung an Jungen vor allem bei Sprachen, Lesen und sozialem Verhalten.
Mädchen sind
Buben sind
Zuschreibungen durch Lehrkräfte Also das erste Halbjahr, war extrem ruhig, ja. also extrem ruhig, extrem leicht zu unterrichten, muss ich sagen. Ha m schön mitgemacht und jetzt merkt man halt, dass es doch äh... so lauter wird. Und ich finde schon, dass da die Buben schon, oder einige der Buben schon, äh, ja, so ein bisschen cool sein wollen, so ich sag's mal. Ja, und das hab ich auch gemerkt, als ich mit denen ein Plakat gemacht hab... gibt's ja zwei Plakate, "wir Mädchen sind", "wir Buben sind" und eins hab ich mit den Buben gemacht und, und da merkt man halt schon, dass sie halt sagen "jaaa, also wir sind cooler, wir... kommen auch ein bissel spät in den Unterricht, uns stört das weniger. Ja, also das merkt, das sind nicht so gewisse also das Klima hat sich da schon ein bisschen eindeutig verschlechtert, ja.
Positionierungen von Mädchen und Jungen (Budde u.a. 2008)
Wissenschaftlich-empirische Perspektive
Reifizierung (8. Jahrgang, Pausensituation) In der Pause schlagen sich A. und B. im Spaß. Sie nehmen dabei sehr viel Raum ein und drängeln C. vom Tisch weg. A. kommentiert, als B. fast bei C. auf dem Schoß landet: B., was machst du denn da mit C.?, C. lacht kurz, schlägt B. dann im Spaß und schiebt C. ruhig, aber energisch weg. A. scherzhaft zu B.: Du bist so pervers! B. jagt A. daraufhin durch die Klasse. Die beiden sind ziemlich laut. D. ist auch noch in der Klasse und wird auch vom Sitzplatz weggedrängt. D. s Federtasche fällt runter. D. sagt zweimal genervt, aber ziemlich leise: Oh, kannst Du nicht mal abhauen? A. und B. kümmern sich überhaupt nicht um D. [ ]
Reifizierung (8. Jahrgang, Pausensituation) C. drängt B. in eine Ecke, ohne B. zu berühren. B. weicht vor C. zurück, um C. nicht berühren zu müssen. Einige Minuten hält C. B. dort so fest und nutzt die Macht, triumphierend aus. C. setzt sich einfach vor B. auf einen Stuhl, B. käme nur vorbei, wenn B. C. berühren würde. E. kommt dazu und stellt sich neben B. in die Ecke. B. meint zu E.: Gut, dass du kommst. Der wandelnde Meter lässt mich nicht raus. C. zeigt keine Reaktion. A. kichert etwas unbeholfen und steht hinter den Dreien. Als B. weg will, haut C. B. auf den Hintern. C. hält kichernd die Hand vor den Mund und rennt aus der Klasse. B. lacht auch und verzieht halb scherzhaft, halb im Schmerz das Gesicht. E. greift kurze Zeit später, als C. und F. vor E. stehen, B. s Spruch noch einmal auf und kommentiert: Zusammen sind sie über zwei Meter.... C. und F. grinsen E. an und legen demonstrativ den Arm umeinander. C.: Zusammen sind wir stark! C. prügelt sich danach scherzhaft weiter mit B. BB90906K
Auflösung In der Pause schlagen sich Yutaka und Joe im Spaß. Sie nehmen dabei sehr viel Raum ein und drängeln Almut von ihrem Tisch weg. Yutaka kommentiert, als Joe fast bei Almut auf dem Schoß landet: Joe, was machst du denn da mit Almut?, Almut lacht kurz, schlägt Joe dann im Spaß. Und schiebt ihn ruhig, aber energisch weg. Yutaka zu Joe: Du bist so schwul, Mann! Joe jagt ihn daraufhin durch die Klasse. Die beiden sind ziemlich laut. Ilka, die als einzige neben Almut in der Klasse geblieben ist, wird auch von ihrem Platz weggedrängt. Ihre Federtasche fällt runter. Sie sagt zweimal genervt, aber ziemlich leise: Oh, kannst Du nicht mal abhauen? Die Jungen kümmern sich überhaupt nicht um sie. [ ]
Auflösung Almut drängt Joe in eine Ecke, ohne ihn zu berühren. Er weicht vor ihr zurück, um sie nicht berühren zu müssen. Einige Minuten hält sie ihn dort so fest und nutzt ihre Macht, triumphierend aus. Sie setzt sich einfach vor ihm auf einen Stuhl, er käme nur vorbei, wenn er sie berühren würde. Dirk kommt dazu und stellt sich neben Joe in die Ecke. Joe meint zu ihm: Gut, dass du kommst. Die Einmeterfrau lässt mich nicht raus. Almut zeigt keine Reaktion. Yutaka kichert etwas unbeholfen und steht hinter den Dreien. Als Joe weg will, tritt Almut ihm offenbar mehr aus Versehen in die Eier. Sie erschreckt sich selbst, hält kichernd die Hand vor den Mund und rennt aus der Klasse. Joe lacht auch und verzieht halb scherzhaft, halb im Schmerz das Gesicht. Dirk greift kurze Zeit später, als Almut und Stefanie vor ihm stehen, Joes Spruch noch einmal auf und kommentiert: Zusammen sind sie über zwei Meter.... Die beiden Mädchen grinsen ihn an und legen demonstrativ den Arm um die Schulter der jeweils anderen. Almut: Zusammen sind wir stark! Sie prügelt sich danach scherzhaft weiter mit Joe. BB90906K
Wie lässt sich Männlichkeit empirisch identifizieren? Variante A: Handlungen/Einstellungen von Jungen / männlichen Jugendlichen. Probleme: Wer/ was sind Jungen? Empirische Vielfalt Variante B: Männlich codierte Handlungen. Probleme: Was ist männlich? ( heroische Gewalt, kriegerische(r) Mut, sexuelle Potenz, Bourdieu 1997). Mädchen, die sich männlich verhalten
Pädagogische Perspektive
Aktuelle Lösungsstrategien Lösungs- strategien Getrennter Unterricht Männliche Lehrkräfte Jungengerechte Didaktik schulische Jungenarbeit
Jungengerechte Didaktik?
Jungengerechte Didaktik? (vgl. Budde i.e.) Jungen Mädchen Gesamt Abenteuer 26 Vereitelter Überfall 8 Eine aufregende Nacht 34 Phantasiefiguren 10 Drachen gegen Zwerge 22 Prinzessin Vera, Eine Hexe mit Erkältung Tiere 6 Der König der Tiere 21 Meine Stute Lili 27 Sport 17 Das Leiden eines 4 Hüpfen und springen 21 Fußballtrainers Das Fußballspiel Freundschaft 3 Der beste Freund 14 Annika und Lotte 17 haben sich lieb Entdecken 9 Die Pyramiden 4 Die Entdeckung 13 Amerikas Technik 8 Monstertrucks - - 8 Familie 4 Streit mit dem 2 Jule hilft im Garten 6 kleinen Bruder Schule 5 Eine spannende - - 5 Unterrichtsstunde Mode, Kleidung - - 4 Herrliche Haarpflege 4 31
Sozialpädagogische Jungenarbeit: Sicht der Pädagogen (Budde/Krüger 2010) Die Interaktionen der Jungenarbeiter tragen oftmals zur Rekonstruktion traditioneller Männlichkeit bei K. fragt danach, in welchen Studienfächern die wenigsten Männer sind. M. ergänzt: Ihr wollt im Studium eine Frau kennen lernen, wo habt ihr die geringste Konkurrenz? Es gibt keine Reaktion auf das Beispiel. Die Langeweile wird größer, die Jungen tun sich beim Raten der Studienplatzwahl schwer. (Beobachtungsprotokoll Praktikumsvorbereitung) Annahme: Jungen stehen weiblich konnotierten Bereichen ablehnend gegenüber Mit den Jungen der 9. Klasse kann man zum großen Teil Schnupperpraktika in Frauenberufen nicht machen, da gibt es zu viele Widerstände, die sind noch nicht so weit. Es wurde allen angeboten und vier machen das gerade, weil sie s gerne wollen, aber da gehört Mut zu, die werden als schwul und so bezeichnet. (Klassenlehrer am Jungenzukunftstag)
Sozialpädagogische Jungenarbeit: Sicht der Jungen (Budde et al. 2009; Budde/Krüger 2010) Viele Jungen weisen stereotype Geschlechterbilder zurück, zeigen kaum Distanz zu weiblich konnotierten Tätigkeiten und engagieren sich im sozialen Bereich. Im Bauraum steht eine Art Kaufmannsladen, an dem irgendwann Paul und Martin mit vier Kindern Kaufmannsladen spielen. Die Kinder sind begeistern von den Geschichten, die vor allem Paul um den Kaufmannsladen spinnt. Es werden immer mehr, zu einen einem gewissen Zeitpunkt sind es fünf Jungen und ein Mädchen, es sind eher die etwas schmächtigeren Kinder, die zurückhaltenden. (Beobachtungsprotokoll Kindergartenpraktikum) Jungen stehen vor allem ernsthaften Jungenförderangeboten positiv gegenüber. Felix, Vincent, Dominic vergeben Noten dafür, wie ihnen der Tag gefallen hat: 1, 2+ und wieder eine 1. Die Noten für die Frage, wie anstrengend sie den Tagen fanden, liegen zwischen 2 und 4. Alle könnten sich vorstellen, mal im Kindergarten zu arbeiten. (Beobachtungsprotokoll Praktikumsnachbereitung)
Lösungsstrategien Argumente: Aufwertung von Männlichkeit Jungenspezifische Interessen Kritik: Dramatisierung von Männlichkeit (vgl. Budde 2006; Baehr 2010) Begründung über Stereotype und Unterstellung homogener Interessen (vgl. Budde et al. 2008) Ablehnung durch die Schüler Unklare Effekte (vgl. z.b. Halpern 2011) Mögliche Abwertung der Arbeit von Lehrerinnen
Vorgehensweise für Forschung und Praxis (Budde/ Venth 2010)
Besten Dank für die Aufmerksamkeit Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Zentrum für Schul- und Bildungsforschung Juergen.budde@zsb.uni-halle.de