Epilepsie. Epilepsie (Krampfleiden, hirnorganisches Anfallsleiden, früher Fallsucht): Def.: Wiederholtes Auftreten zerebraler Krampfanfälle.

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Transkript:

(Krampfleiden, hirnorganisches Anfallsleiden, früher Fallsucht): Def.: Wiederholtes Auftreten zerebraler Krampfanfälle. Inzidenz: ca. 0,8 % der Gesamtbevölkerung. Ätiologie: Für nahe Verwandte von Epileptikern ist das Erkrankungsrisiko etwas erhöht, die ist jedoch - von seltenen formen abgesehen - keine Erbkrankheit.

Ätiologie Nach heutigem Kenntnisstand wirken bei allen n exogene Momente (z.b. Verletzungen, Schlafentzug) und endogene Faktoren (erbliche Veranlagung) zusammen. Trotzdem wird nach wie vor unterschieden zwischen der genuinen ohne erkennbare Ursache, die sich meist bis zum 20. Lebensjahr manifestiert, und der symptomatischen, bei der eine ursächliche Hirnschädigung feststellbar ist.

Symptome, Einteilung und Untersuchungsbefund Generalisierte Anfälle Bei den generalisierten Anfallsformen ist das gesamte Gehirn von der abnormen elektrischen Aktivität betroffen. Typische Bilder sind: Grand-mal- Sie ist die klassische Form der, bei der der Patient als erstes, evtl. mit einem Schrei (Initialschrei), bewusstlos zu Boden stürzt. Zunächst kommt es zur tonischen Phase mit steif gestreckten Gliedmaßen, Atemstillstand (Patient wird zyanotisch) und weiten, lichtstarren Pupillen. Nach Sekunden folgt die klonische Phase mit Zuckungen am ganzen Körper, häufig mit Urin- und Stuhlabgang. Der Patient hat Schaum vor dem Mund, und es besteht die Gefahr eines Zungenbisses.

Grand-mal-

Grand-mal- Nach wenigen Minuten hören die Zuckungen auf, und es setzt eine längere Schlafphase (Terminalschlaf) ein. Später erinnert sich der Patient nicht an den Anfall (Amnesie). Eine Bindung der Anfälle an eine bestimmte Tageszeit, häufig an die Aufwachphase, ist möglich. Dem Anfall kann eine Aura vorangehen, d.h. die Wahrnehmung z.b. eines Gefühls, Geruchs, Geschmacks oder von Lichtblitzen.

Absenzen (Absencen, gehören zu den Petit-mal-n). Absenzen sind kurz dauernde Bewusstseinsstörungen, bei denen der Betroffene aber nicht ohnmächtig wird. Sie können mit meist diskreten motorischen Phänomenen einhergehen, etwa Mundbewegungen oder Nesteln mit den Händen. Oft sind Kinder betroffen. Treten die Anfälle mehrfach in der Stunde auf, werden sie wegen ihrer kurzen Dauer oft als Konzentrationsstörung verkannt.

Fokale Anfälle Die fokalen (partiellen) Anfälle gehen immer von einer lokalen Veränderung des Gehirns aus, z.b. durch Tumoren, Verletzungen oder angeborene Fehlbildungen. Die wichtigsten fokalen Anfallsformen sind:

Fokale Anfälle Fokal motorische (sensible, somatosensorische) Anfälle. (Klonische) Zuckungen und/oder Parästhesien ( Pelzigsein ) in der von dem betroffenen Hirnbezirk versorgten Körperregion, z.b. einer Hand, in der Regel ohne Bewusstseinstrübung.

Fokale Anfälle Jackson-. Beginn der Zuckungen oder Sensibilitätsstörungen an einer bestimmten Körperregion, dann - bei erhaltenem Bewusstsein - Ausbreitung meist von distal nach proximal auf die benachbarten Regionen (March of convulsion)

Fokale Anfälle Psychomotorische (Schläfenlappenepilepsie, Dämmerattacken). Nach sehr unterschiedlicher Aura (etwa Wahrnehmung eines bestimmten Geruchs) kommt es zu einer Bewusstseinstrübung.

Diagnostik und Differentialdiagnose Da sich hinter jedem zerebralen Krampfanfall eine Gehirnerkrankung wie z.b. eine Gefäßfehlbildung oder ein Gehirntumor verbergen kann, muss jeder erstmalig auftretende Anfall diagnostisch abgeklärt werden: 1. EEG. Das EEG zeigt die für den entsprechenden Anfall typischen Veränderungen und ist oft auch zwischen den Anfällen pathologisch, vor allem bei Provokation durch flackerndes Licht, Schlafentzug oder bestimmte Arzneimittel 2. CCT, besser Kernspintomographie. Sie dienen der Suche nach möglichen Ursachen wie Tumoren, Gefäßveränderungen und posttraumatischen Narben 3. Angiographie. Eine Angiographie ist zur weiteren Abklärung nur selten, z.b. bei Gefäßfehlbildung und präoperativ (z.b. vor geplanter Tumorentfernung) angezeigt 4. Blutuntersuchungen. Sie sind z.b. bei Verdacht auf Niereninsuffizienz oder Alkoholmissbrauch erforderlich, die ebenfalls Ursache einer sein können.

Differentialdiagnostisch werden berücksichtigt: 1. Synkopen, die ebenfalls mit motorischen Phänomenen, z.b. leichten Armzuckungen, einhergehen können (konvulsive Synkope) 2. Hypo- und Hyperglykämien und Vergiftungen 3. Psychogene Anfälle, welche keiner der bekannten Anfallsformen zugeordnet werden können, sich oft vor Publikum ereignen und manchmal theatralisch verlaufen (früher bezeichnet als Hysterie oder hysterischer Anfall) 4. Hyperventilationstetanie, welche meist psychisch bedingt und durch klonisches, tetanisches Krampfen gekennzeichnet sind.

Behandlungsstrategie und Therapie Ein einzelner hirnorganischer Anfall bedarf im Allgemeinen keiner Behandlung sondern lediglich der diagnostischen Klärung. Meistens hört der Anfall von selbst wieder auf, oft bevor eine intravenöse oder rektale Arzneimittelgabe überhaupt möglich ist. Die Gabe z.b. von Diazepam erschwert aber sowohl die klinische Beurteilung (Zeitdauer bis zur völligen Orientiertheit des Patienten?) als auch die EEG-Diagnostik Bei einer genuinen mit mehr als zwei Anfällen jährlich ist in der Regel eine medikamentöse Behandlung mit Antiepileptika angezeigt, die über mindestens zwei Jahre, oft aber lebenslang, fortgeführt werden muss. Ergibt die Diagnostik eine symptomatische, steht die Beseitigung der Ursache im Vordergrund der Behandlung. Ist dies nicht möglich (z.b. bei einem inoperablen Tumor), wird medikamentös versucht, Anfallsfreiheit zu erreichen. Bei einer schweren, therapieresistenten kann oft die operative Ausschaltung des herdes helfen. Dies ist jedoch nur in speziellen epilepsie-chirurgischen Zentren möglich und erfordert eine umfangreiche Diagnostik zur sicheren Lokalisation des epileptogenen Herdes.

Behandlungsstrategie und Therapie

Arzneimittel zur Unterdrückung zerebraler Krampfanfälle heißen Antiepileptika (oder auch: Antikonvulsiva). Indiziert sind sie bei einem Status epilepticus oder als Prophylaxe bei mehr als zwei epileptischen Anfällen im Jahr. Es sollte immer versucht werden, mit einer Monotherapie, d.h. mit nur einem Arzneimittel, auszukommen. Ansetzen, Umstellen oder Absetzen einer bestimmten Medikation dürfen nie abrupt geschehen, sondern müssen immer schrittweise erfolgen ( Einschleichen und Ausschleichen ). Eine Arzneimittelspiegelkontrolle (Blutentnahme morgens nüchtern) kann bei der Dosisfindung helfen. Sie ist auch bei Verdacht auf Einnahmefehler oder Überdosierung angezeigt.

Pflegemaßnahmen im Notfall 1. Besonders bei noch unklarer Diagnose Arzt sofort benachrichtigen (lassen), Patienten möglichst nicht alleine lassen 2. Sicherheit des Patienten gewährleisten, z.b. Stühle oder scharfkantige Gegenstände aus der Umgebung des Patienten entfernen und Patienten von naher Treppe wegziehen. Das Schieben eines Gummikeils oder ähnlicher Gegenstände zwischen die Zähne wird heute nicht mehr empfohlen. Meist findet der Zungenbiss schon ganz am Anfang statt, und das Einschieben birgt nur eine zusätzliche Gefahr von Mundhöhlenverletzungen 3. Keine Flüssigkeiten oder Arzneimittel oral einflößen (> Aspirationsgefahr) 4. Patienten nach dem Anfall bis zur vollständigen Wiedererlangung des Bewusstseins in stabile Seitenlage bringen (Aspirationsprophylaxe). Nach Erbrechen während des Anfalls Mund auswischen 5. Während der ganzen Zeit Anfallstyp und -verlauf beobachten, da dies von erheblicher diagnostischer und therapeutischer Bedeutung sein kann. Uhrzeit zu Beginn und am Ende des Anfalls notieren.

Patienteninformation: Lebensführung des Epileptikers Meidung anfallsauslösender Faktoren wie Schlafentzug, flackernde Lichtreize und Alkohol Rücksicht im Beruf Richtlinien für Fahrverbot je nach Anfallsart und nach Anfallsfreiheit Sportarten Partnerschaft und Familiengründung Anfallskalender Merkblatt mit Erste-Hilfe-Maßnahmen Umgang mit Antiepileptika Neuer Arztkontakt Prognose 1. Die Prognose ist abhängig von der Ursache und der Anfallsform. Eine epileptische Wesensänderung als Folge der wird heute verneint. Anfallsbedingte Schäden des Gehirns sind jedoch möglich. 2. Ungefähr zwei Drittel der Patienten sind unter medikamentöser Behandlung anfallsfrei, nur ca. 10 % zeigen überhaupt keine Besserung.

Patienten ernst nehmen!