Kum Die Siedlung der Bernburger Kultur auf dem Jätchenberg Christoph Rinne, Göttingen, und Hanfried Schmidt, Putzbrunn Das Siedlungsareal auf dem Jätchenberg bei Westerhausen war über mehrere Jahrtausende beliebter Siedlungsplatz der vorgeschichtlichen Bevölkerung. So finden sich materielle Hinterlassenschaften von den Trägern der Kultur mit Linearbandkeramik (vgl. S. 65) über den zahlreichen mittelneolithischen Siedlungsniederschlag bis hin zur Spätbronzezeit. Bezüglich der mittelneolithischen Siedlung interessiert hier im Besonderen die Bernburger Kultur. Typisches Siedlungsmuster der Bernburger Kultur ist die Höhensiedlung (Abb. 1). Der überwiegende Teil aller bekannten Siedlungsplätze finden sich auf höher gelegenen Kuppen, zumeist umfasst von einer Doppelgrabenanlage zur Verteidigung gegen äußere Bedrohung (Abb. 2). Im Falle des Jätchenberges entstand im Kuppenbereich, bedingt durch zwei parallel laufenden Schichtrippen, eine Sedimentfalle, in der die ursprüngliche Siedlungsoberfläche zumindest teilweise erhalten ist (Abb. 3). Auch im Westeil der Fundstelle jenseits der Straße von Börnecke nach Westerhausen finden sich Bereiche originären Oberflächenniveaus. Der bedeutendste Befund ist eine siedlungsbegrenzende, hangparallele Doppelgrabenanlage. Dabei liegt der breitere und tiefere Graben außen, der schmalere, flachere Graben innen. Der äußere Graben besitzt zumeist einen wannenbis muldenförmigen Querschnitt (Abb. 4), selten ist die Sohle annähernd gerade. Vielleicht kultisch zu deuten ist ein Rinderschädel (Abb. 5), der auf dem Kopf liegend in der Grabenverfüllung angetroffen wurde. Möglicherweise deutet dieser Rinderschädel auf einen nahen Eingang zu dem Siedlungsbereich hin, allerdings könnte auch ein verlagerter Tierschädel in den Graben geschwemmt worden sein. Nahezu parallel zu Abb. 1 Fundstelle III mit farblich hervorgehobenen Befunden des Mittelneolithikums. Dieser Plan wurde mit einem GIS-Programm erstellt (vgl. S. 31), in dem Raumdaten (CAD-Plan) und Sachdaten (Datenbank) verknüpft werden. So lassen sich unterschiedliche Phasen schnell und unkompliziert darstellen. Archäologie in Sachsen-Anhalt Sonderband 4 2006 77
CHRISTOPH RINNE, HANFRIED SCHMIDT dem äußeren Graben verläuft der kleinere innere Graben, der teilweise nur noch fragmentarisch erhalten ist. Möglicherweise handelte es sich um ein Palisadengräbchen, in den Profilen findet sich jedoch kein Beleg für eingetiefte Pfosten. Im Gegensatz zum äußeren gruppieren sich auffallend viele Steine um den inneren Graben, evtl. ein konstruktives Element der Befestigung. Im Südostteil des Grabungsareals, nahe dem Steilabhang, konnte die Fortsetzung der Doppelgrabenanlage unter einer mächtigen Schwarzerdeschicht lokalisiert werden. Dabei liegt analog zu den beiden Gräben im Westen der breitere Graben außen und der deutlich schmalere innen (Abb. 1). Die leicht unregelmäßigen Gräben können in Richtung Norden nicht weiterverfolgt werden; durch die Erosion an der Flanke der östlichen Schichtrippe verlieren sich ihre Spuren in der abnehmenden Schwarzerdedecke. Im mittleren Bereich des inneren Grabens befinden sich auffallend viele Steine auf der Ostseite, hier ist parallel zum inneren Graben im Westteil mit Einbauten zu rechnen. Möglicherweise handelt es sich bei einem Befund außerhalb der östlichen Gräben um einen weiteren Graben, beziehungsweise einen Befund, der in direktem funktionalen Zusammenhang mit der Doppelgrabenanlage steht. Dies legen einerseits die längliche Form, andererseits das muldenförmige Profil nahe. Außerdem läuft der Befund exakt auf den Bereich des Grabens zu, an dem sich die signifikante Häufung an Steinen im Planum andeutet. Dort befindet sich ein bearbeiteter Stein (Abb. 6), der an einer Seite flach zugehauen ist. Abb. 2 Doppelgrabenanlage im Südteil der Siedlung. Zwischen den beiden Gräben lässt sich wenige Zentimeter tiefer eine nur bedingt abgrenzbare Grube lokalisieren, die in der Verfüllung neben Keramik auffallend viele Tierknochen von großen Wiederkäuern beinhaltete, darunter auch einige Rinderhörner. Auf der Sohle der Grube liegt ein weiteres Horn (Abb. 7). Obwohl diese Grube von den Gräben geschnitten wird, ist sie im Zusammenhang mit den Gräben zu sehen, evtl. auch mit dem oben genannten länglichen Befund. Dafür sprechen folgende Gründe: Rinderhörner finden sich regelhaft in Gräben, ein Rinderschädel im äußeren westlichen Graben der Siedlung ließe sich hier zwanglos einfügen. Die Grube befindet sich genau an der Stelle, an der die oben genannte Steinhäufung beginnt. Der zuvor erwähnte, inten- Abb. 3 Geländemodell der Fundstelle III mit den frühneolithischen Hausgrundrissen und mittelneolithischen Gräben. 2,5-fach überhöht. 78 Archäologie in Sachsen-Anhalt Sonderband 4 2006
SIEDLUNG BERNBURGER KULTUR tional zugehauene Stein liegt exakt an der Grenze von dem inneren Graben zu der Grube. Die Fortsetzung des länglichen Befundes zeigt fast genau auf die Grube mit den Hörnern und zusätzlich auf den großen, bearbeiteten Stein. Die Deponierung von Hörnern am Zusammentreffen von zwei oder evtl. drei Gräben, an einer Stelle, an der Steine konstruktiv verbaut worden sind und ein größerer Stein zugeschlagen wurde, ist wohl als kultisch zu bezeichnen und steht oft in Verbindung mit Tor- oder Eingangssituationen, die hier aber nicht nachweisbar sind. Außerhalb der umlaufenden Gräben findet sich nur eine Grube, die der Bernburger Kultur zuzuschreiben ist. Allein diese Tatsache verdeutlicht den eindeutigen Bezug von der Höhensiedlung der Bernburger Kultur zu dem umfassenden Grabensystem. Sehr fundreich zeigte sich eine bernburgzeitliche Grube östlich der Straße von Börneck nach Westerhausen. Dort fand sich eine große Menge an Keramik, darunter ein Trommelfragment (Abb. 9). Mittelneolitisch datiert ein Ofen westlich der Strasse, der sich aufgrund seiner massiven Lehmpackung bereits in der Schwarzerde als solcher zu erkennen gab (Abb. 8). Das Profil ist kastenförmig mit fast gerader Sohle. Deutlich erkennbar ist die rote bis karminrote Konzentration aus verbackenen Lehmflittern, darüber eine massive Packung aus herunter gebrochener Ofenwandung. Außergewöhnlich ist der als produktionstechnische Anlage anzusprechende Befund am nordöstlichen Grabungsrand. Ist das ca. 3,80 m auf 3,80 m unregelmäßig gerundete oberste Planum noch relativ unscheinbar, so zeigt sich im zweiten Planum ein partiell erhaltener Kranz aus verziegeltem Lehm, darin gelegentlich Keramik, Tierknochen und andere Fundgegenstände. Im untersten Horizont zeigt sich das bereits vermutete Bild einer technischen Anlage (Abb. 10). Wozu die Anlage im speziellen diente, lässt sich aus dem Befund nicht ablesen. Das umfangreiche Fundmaterial datiert die Anlage in eine frühe Phase der Bernburger-Kultur. Es ist davon auszugehen, dass die handwerklichen und produktionstechnischen Vorgänge zum überwiegenden Teil innerhalb des Siedlungsgeländes vorgenommen worden sind. Die zur Versorgung der Bevölkerung notwendige Nahrungs- Abb. 4 (oben rechts) Längen-und Querprofile des äußeren Grabens. Abb. 5 (oben links) Rinderschädel im äußeren Graben. Abb. 6 (oben) Profil 11 des inneren Grabens. Archäologie in Sachsen-Anhalt Sonderband 4 2 0 0 6 7 9
CHRISTOPH RINNE, HANFRIED SCHMIDT Beschaffung über Viehwirtschaft wird sicherlich außerhalb stattgefunden haben. Nicht zu vernachlässigen ist die Jagd auf Wildtiere, die in den unmittelbarer Umgebung erfolgt sein wird. Gräber der Bernburger Kultur finden sich nur in Ausnahmefällen innerhalb des Siedlungsareals, auch auf dem Jätchenberg kann keine mittelneolithische Bestattung nachgewiesen werden. Charakteristisch für diesen Zeithorizont waren Kollektivbestattungen, die an herausragenden Geländepunkten in mittelbarer Siedlungsnähe angelegt wurden. Aus der Sedimentfalle mit Schwarzerde konnten die Hinterlassenschaften zahlreicher Epochen geborgen werden. Ein Großteil der Funde entstammt der in Quadranten abgetragenen Schwarzerde, in der leider nur selten Befunde zu beobach ten waren. Das besonders reiche Fundaufkommen der Kuppe lässt sich nach Material, Form und Alter differenzieren und gibt in der räumlichen Verteilung ein Bild der einzelnen Besiedlungsabschnitte. Insgesamt wurden 286 849 Artefakte geborgen, davon 77% Keramik und 13% Knochen. Verziegelter Lehm, vermutlich Reste von Wandverputz, bilden noch 9 % des Fundaufkommens, der Rest entfällt fast ausnahmslos auf Steinartefakte. Von den Funden sind 221460 Artefakte datierbar, 59 % davon leider nur allgemein urgeschichtlich. Mit 28 % folgt das Mittelneolithikum (4000-2800 v.chr.), von dem ein gutes Prozent eindeutig der Walternienburger- oder Bernburger Kultur zugewiesen werden kann. Etwas über drei Prozent entfallen auf das Frühneolithikum (5 500-4 000 v. Chr.), wobei nahezu ausschließlich Keramik der Linienbandkeramik und nur wenige Fragmente der Rössener Kultur vorkommen. Zwei Materialgruppen verdienen an dieser Stelle eine Erwähnung. Es sind zum einen die Knochenartefakte, die durch einen sehr hohen Kalkgehalt des Bodens in ungewöhnlich großer Zahl erhalten geblieben sind. Es handelt sich um Spitzen, bei denen Gelenkenden oft zu handlichen Griffen umgearbeitet sind (137 Stück), um»meißel«mit einem breiten, oft spateiförmigen Ende (44 Stück) und sogenannte Flachshechel (73 Stück). Letztere sind aus Schulterblättern gefertigt und haben ihren Namen vom Trennen der Flachsfasern zur Leinengewinnung. Mit einer Schlaufe lose am Handgelenk befestigt ist der Flachshechel stets griffbereit und wird, wie ein Schwert, durch die hängenden Faserbündel geführt (Abb. 11). Diese Verwendung ist aber nicht gesichert, son- Abb. 7 (oben links) Grube mit Horn in originaler Lage. Abb. 8 (oben rechts) MittelneolithischerOfen. Abb. 9 (Mitte) Fragment einer Tontrommel. Abb. 10 (unten) Produktionstechnische Grube Planum 3. 80 Archäologie in Sachsen-Anhalt Sonderband 4 2006
- SIEDLUNG BERNBURGER KULTUR (j e rn nur plausibel. Flachshechel sind eine typische Geräteform der Bernburger Kultur. Zum anderen sollen die 58 Beile und 50 Bruchstücke aus»wiedaer Schiefer«bzw. Mikroquarziten erwähnt werden (Abb. 12). Auch diese sind ein charakteristischer Fundbestandteil Bernburger Siedlungen und treten besonders häufig im Nordharzvorland auf (vgl. S. 70, Karte). Vor allem die Bruchstücke und Trümmer sowie vier Halbfabrikate belegen die örtliche Produktion. Zusammen mit vergleichbaren Fundensemblen aus dem Umfeld, u.a. von den Spiegelsbergen bei Halberstadt, kann auf ein regionales Produkt und dessen Export geschlossen werden. Die mikroskopische Variabilität des Materials mahnt hier jedoch zur Vorsicht (vgl. S. 70). Die Funde werden nachfolgend in ihrer Verteilung auf der Kuppe betrachtet. Um das Verfahren und seine Möglichkeiten vorzustellen, soll zuerst ein Bild zur Verteilung der frühneolithischen linienbandkeramischen Irdenware, eine sehr qualitätvolle und charakteristisch verzierte Keramik, gezeigt werden. Es bilden sich deutliche Schwerpunkte um die erkannten Hausgrundrisse, so dass die jeweilige Wirtschaftseinheit deutlich hervortritt (Abb. 13). Die Verteilung der mittelneolithischen Keramik zeigt ein anderes Bild (Abb. 14). Zwei lange, leicht versetzt liegende Punktwolken streuen deutlich über die linienbandkeramischen Hausgrundrisse nach Osten, nicht ganz bis an den fundreichen Befestigungsgraben der Bernburger Siedlung. Nimmt man die eindeutig lokalisierten Mahlstei ne und Fragmente hinzu, es sind im gewählten Ausschnitt nur acht, liegen sieben recht gleichmäßig verteilt in je einer Hälfte der beiden lang gestreckten Wolken. Eine Hypothese zu vier Wirtschaftsarealen oder Höfen, analog zum linienbandkeramischen Befund, liegt auf der Hand und soll nachfolgend durch weitere Artefakte untermauert werde. Ergänzt werden zuerst die zuvor beschriebenen Flachshechel, die sich in drei Vierteln mit deutlichen Konzentrationen nahe den Mahlsteinen finden. Leider fällt das letzte Viertel aus, während die in der Keramikverteilung zu erkennende Verbindung durch die fundfreie Zone betont wird. Die Flachshechel, Werkzeuge potentiell häuslicher Tätigkeit, zeigen eine gegliederte Verteilung, die sich in die vorgestellte Hypothese gut einbinden lässt. Die Verteilung der Beile und Bruchstücke aus Mikroquarziten deckt sich weitgehend mit der Keramik und bestärkt das umrissene Bild. Die Suche nach weiteren mittelneolithischen Artefakten, die sich hier anführen lassen, gestaltet sich schwierig. Es sind die vier Äxte, von de- Abb. 11 Typische Flachshechel der Bernburger Kultur. Abb. 12 Beile aus Wiedaer Schiefer von der Fundstelle III. Archäologie in Sachsen-Anhalt Sonderband 4 2006 81
CHRISTOPH RINNE, HANFRIED SCHMIDT 1. " x _ # 6 Frühneolithische Keramik je 4x4 m 1-2 Fragmente 3-6 Fragmente 7-16 Fragmente 17-126 Fragmente 13 Mittelneolithische Funde je 4x4 m Keramik (1 bis 1921) 0 Mahlsteinfraement Flachshechel (1 bis 3) ^ Äxte O Wiedaer Schiefer Bruch (1 bis 6) A Pfeilspitzen * Querschneider 14 Mittelneolithische Funde je 4x4 m Keramik (1 bis 1921) Knochenspitzen (1 bis 5) Q Feuersteinklingen (1 bis 12) Beile (I bis 3) 15 nen zwei im nordöstlichen und je eine in den südlichen Vierteln liegen. Die Pfeilbewehrungen, zwölf Pfeilspitzen und vier Querschneider, können teilweise der südlichen Keramikkonzentration zugewiesen werden, finden sich aber gleichberechtigt auch im keramikfreien Zwischenraum. Die abschließende Betrachtung gilt der keramikarmen Mitte der Fundverteilung (Abb. 15). Die Kartierung zeigt neben der Keramik die Verteilung der Knochenspitzen mit einer deutlichen Konzentration in der Mitte und am Rand der südlichen Keramikkonzentration. Feuersteinklingen, sozusagen das Schweizer Taschenmesser der Steinzeit, sind in diesem Bereich gleichfalls sehr häufig vertreten, zudem kommen größere Stückzahlen auch im südöstlichen Viertel vor. Erwähnt sei nur, dass Feuersteinabschläge, Abfall und Halbfabrikate der Verarbeitung, eine identische Verteilung zeigen. Die Beile, in diesem Fall aus unterschiedlichen Gesteinsarten, treten rund um das Zentrum gleichfalls vermehrt auf. Die Verteilung der ausgewählten Fundstücke ist deutlich strukturiert und offensichtlich nicht gleichmäßig. Zudem bilden unterschiedliche Artefakte Gruppen oder schließen sich gegenseitig tendenziell aus. Die Ursache hierfür liegt in der ehemaligen Siedlungsstruktur und dem Verhal ten ihrer Bewohner. Insgesamt lassen sich vier Areale herausstellen, die, in Analogie zum Bild der linienbandkeramischen Funde, anhand der Keramik als häusliche Wirtschaftseinheit gedeu tet werden. Artefakte eines allgemeinen, alltäglichen Handwerks wie Klingen, Knochenspitzen und Beile zeigen dem entgegen eher einen Schwerpunkt im keramikarmen Zentrum. Hierin deutet sich ein durch die Gemeinschaft genutzter offener Raum an. Das hier vorgestellte Erklärungsmodell geht von der Gleichzeitigkeit der Wirtschaftseinheiten aus, deren Bestand anhand der Keramik auf mindestens 200 Jahre geschätzt wird. Für die linienbandkeramische Siedlung ist aufgrund von Überschneidungen eine Abfolge der drei Häuser zu erschließen, gleiches muss auch für das Modell der Bernburger Siedlung in Betracht gezogen werden. Andererseits sind rund 60000 auf gefundene Gefäßfragmente auf zwei Jahrhunderte verteilt, etwa 300 pro Jahr, eine sehr hohe Verlustrate an Geschirr für einen einzelnen Haushalt. Somit ergibt sich ein Hinweis auf mehrere, gleichzeitig existierende Wirtschaftseinheiten. Abb. 13-15 Kuppe der Fundstelle III mitfrühneolithischen Hausgrundrissen und Keramik (oben) und mit Funden der mittelneolithischen Besiedlung (mitte und unten). Fundraster 4 m x4m. ABBILDUNGSNACHWEIS i M.Melzer 4 H.Schmidt 9-12 K.Ulrich 2 H.Schmidt 5 K.Ulrich 13-15 C. Rinne 3 C.Rinne 6-8 H.Schmidt 82 Archäologie in Sachsen-Anhalt Sonderband 4 2006