Prof. Dr. Mohssen Massarrat

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Transkript:

Prof. Dr. Mohssen Massarrat 24.09.2001 Die Reduktion des internationalen Terrorismus auf den Islam führt in die Sackgasse Was ist das für eine Religion, die solche Monster hervorruft, fragte zwei Tage nach dem Inferno in New York die Redakteurin eines liberalen und einflussreichen deutschen Rundfunksenders einen Islamexperten. Welche Naivität und welche Unwissenheit! Die Journalistin steht aber gerade für die Unwissenheit des Westens über die tiefgreifenden Hintergründe des Massenmords. Die allgemeine Ahnungslosigkeit in Verbindung mit dem Vorpreschen der militärisch-geostrategischen Kreise in den USA und der Nato, die ihre Stunde für eine weitere Militarisierung der internationalen Beziehungen für gekommen sehen und nicht davor zurückschrecken, die weltweite Betroffenheit und Trauer um die Opfer des Terrors in den USA für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, droht zu einem gefährlichen Gemisch zu werden, das der Gewalteskalation einen neuen Schub mit ungeahnten Folgen geben dürfte. Um es klar zu sagen: ein groß angelegter Krieg gegen die Taliban-Regierung in Afghanistan mit Hilfe Pakistans könnte einen Flächenbrand auslösen, der den brüchigen pakistanischen Staat destabilisieren und auch Saudi-Arabien erfassen könnte. Die mit den Taliban ethno-kulturell verbundenen Paschtunen stellen in Pakistan eine bedeutende Minderheit dar. Ein durch die USA bzw. die Nato unterstützter Krieg der afghanischen Nordallianz gegen die Taliban dürfte den über eineinhalb Jahrzehnte andauernden innerafghanischen Bürgerkrieg nur noch verlängern und der geschundenen afghanischen Zivilbevölkerung weitere Opfer hinzufügen. Die Auswirkungen einer Gewalteskalation reichen weit über die arabisch-islamische Welt hinaus. Bei aller Trauer um die Opfer des Terroranschlages in den USA dürfen wir nicht über die Tatsache hinwegsehen, dass viele Menschen in der Dritten Welt sich nicht über die Massenmorde selbst, sehr wohl aber über die Zerstörung der Symbole des Reichtums und der Macht in der globalisierten Welt klammheimlich freuen. Abertausende von ihnen könnten alsbald die Schwelle von passiver Zustimmung zum aktiven terroristischen Handeln überschreiten und überall in der Welt mit neuen Mitteln den gerade begonnenen globalisierten Partisanenkrieg weiterführen. Die Zerstörung der Legende von der Unver-wundbarkeit der mit Abstand größten Militärmacht der Welt dürfte bei der großen Masse von Entrechteten und Gedemütigten dieser Welt zu einer Welle von terroristischen Nachahmern in den nächsten Jahren führen. Nur zur Erinnerung: Die Zerstörung der Legende von der Unverwundbarkeit des durch die USA bis zu den Zähnen aufgerüsteten Schah- Regimes im Iran vor 22 Jahren hat in der islamischen Welt und darüber hinaus eine Welle von antiwestlichen Rebellionen ausgelöst. Die Welt befindet sich jetzt in einer äußerst kritischen Situation. Durch den ersten Krieg dieses Jahrhunderts (George W. Busch) würde der Krieg der Zivilisationen wahrscheinlicher, allerdings nicht in Huntingtons Sinne, sondern als ein Krieg, den die extremistischen Eliten der armen und der reichen Welt durch die Instrumentalisierung der jeweiligen kulturellen Werte für die eigenen Zwecke gegeneinander ausfechten. Die eigentlichen Opfer dieses Krieges wären auf beiden Seiten die Zivilbevölkerung, die Demokratie, andere zivilisatorische Errungenschaften und die Um- 1

welt. Die Verhinderung dieses Szenarios ist daher m.e. die dringlichste politische Aufgabe. Dazu gehört die gründliche Analyse der Ursachen des globalen Terrorismus, den die Anhänger Osama Bin Ladens logistisch perfekt in New York und Washington inszeniert haben. Die Versuche in diese Richtung als Rechtfertigung des Terrorismus zu diffamieren, was dazu dient, die Komplexität des Problems auf das Böse, auf das Krebsgeschwür zu reduzieren und das politische Handeln auf die militärische Auslöschung des Bösen zu lenken, kommt einem Denkverbot gleich. Wir dürfen dieses Denkverbot nicht hinnehmen. Woher aber kommt der offenbar über Jahrzehnte aufgestaute antiamerikanische Hass in der arabisch-islamischen Welt und in der Dritten Welt insgesamt? Ich möchte dazu vier fundamentale Aspekte skizzieren: Erstens: Der Israel-Palästina-Konflikt ist dabei zweifelsohne der wichtigste Kristallisationspunkt, aus dem alle antiwestlich arabisch-nationalistischen und islamischfundamentalistischen Bewegungen Kraft und Legitimation schöpfen. Israel ist die größte, auch mit Atomwaffen ausgerüstete Militärmacht im Nahen und Mittleren Osten und weigert sich, gerade wegen seiner militärischen Überlegenheit, seine Besatzungspolitik in Palästina zu beenden. Vielmehr stellt dieses Land tagtäglich seine Überlegenheit als Besatzungsmacht demonstrativ zur Schau, indem es palästinensische Häuser zerstört, palästinensischen Grund und Boden beschlagnahmt und die Palästinenser demütigt. Dadurch fühlen sich auch Millionen von Menschen in der arabisch-islamischen Welt gedemütigt. Die Palästinenser reagieren auf die von ihnen empfundene Ungerechtigkeit und Ohnmacht mit der Intifada bzw. mit terroristischen Anschlägen. Bei den Arabern und Moslems in der ganzen Welt verursacht die Demütigung der Palästinenser Wut und Ohnmachtsgefühle, die sich bisher im eigenen Land in terroristischen Anschlägen gegen westliche Touristen (z.b. in Ägypten) und gegen eigene korrupte Regierungen entluden, die sich mit Rücksicht auf die USA gegenüber dem Israel-Palästina-Konflikt eher in Zurückhaltung üben. Nun ist es Osama Bin Laden gelungen, die angestaute Wut durch die im Zusammenhang mit dem zweiten Golfkrieg gegen den Irak gegründete internationale Brigade der arabischen Afghanen in einen modernen Partisanenkrieg gegen die Weltmacht USA zu kanalisieren. Amerika gilt in den Augen der arabisch-islamischen Völker als entscheidende Schutzmacht der israelischen Besatzungspolitik und daher mitverantwortlich für die Demütigung der Araber und Moslems. Zu den schmerzlichen Wahrheiten des auch nach dem Terroranschlag gegen die USA weiter eskalierenden Israel-Palästina-Konflikts gehört, dass Israel offensichtlich der Fortsetzung des gegenwärtigen Zustands der Besatzung auf der einen und der Intifada und des islamistischen Terrors auf der anderen Seite einen höheren Rang beimisst als der Aufgabe seiner Besatzungsmacht und der Schaffung eines dauerhaften Friedens. Die islamisch-fundamentalistische Hamas wurde ursprünglich nachweislich durch Israel unterstützt. Die Al-Fatah und Arafat sollten dadurch geschwächt und die Palästinenser gespalten werden. Nun wird Arafat für die Terroranschläge von Hamas verantwortlich gemacht, um den 1991 in Madrid begonnenen Friedensprozess zu torpedieren. Auch die Vereinigten Staaten haben offensichtlich an einem dauerhaften Nahost-Frieden kein ernsthaftes Interesse. Ich glaube seit längerem nicht an die Mär von der jüdischen Lobby in Amerika als eigentlichem Hindernis für die aktivere Rolle der USA im Friedensprozess. Vielmehr verstecken sich alle US-Regierungen 2

hinter dieser Legende, weil Konflikteskalationen im Nahen Osten besser in die US- Geostrategie passen als ein dauerhafter Frieden. Zweitens: Die USA verfolgen seit einem halben Jahrhundert im Nahen und Mittleren Osten eine Politik der Destabilisierung und Konflikteskalation mit kalkulierbarem Risiko (low intensity war) dazu gehört zentral der Israel-Palästina-Konflikt und sie fördern und stärken durchweg nur korrupte und diktatorische Regime. Es gibt kein einziges Beispiel dafür, dass die USA demokratische Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten unterstützt haben, ganz im Gegenteil. Sie haben 1953 die demokratisch gewählte Regierung Mossadegh im Iran mit Hilfe von CIA und Pentagon gestürzt (vor einem Jahr bezeichnete Madlin Albright diese Aktion als einen Fehler), den Schah an die Macht zurückgeholt, dessen Regime zu einer militärisch-regionalen Supermacht aufgerüstet und dadurch einerseits einen gigantischen Rüstungswettlauf am Persischen Golf entfesselt und andererseits den islamischen Fundamentalismus im Iran gestärkt und indirekt der islamischen Revolution den Weg bereitet. Der Rüstungswettlauf entlud sich 1980 und 1989 in zwei Golfkriegen. Im ersten Golfkrieg unterstützten die USA Saddam Hussein im Krieg gegen den Iran, machten den Irak zur stärksten Militärmacht am Persischen Golf und führten dann im zweiten Golfkrieg gegen das Regime von Saddam Hussein einen Krieg mit UN- Mandat als dieser glaubte, die USA weiterhin auf seiner Seite zu wissen und daher Kuwait und dessen Ölquellen ungestraft annektieren zu können. Im Krieg Afghanistan gegen die Sowjetunion unterstützte der CIA den islamisch-afghanischen Widerstand, gewährte Partisanen, u.a. auch Osama Bin Laden, militärische Ausbildung und unterstützte später die mit pakistanischer Hilfe kreierte Talibanbewegung, als Afghanistan im geostrategischen Puzzlespiel der USA als Durchgangsterritorium zur Verlegung von Pipelines für die Erdgastransporte der Kaspischen-Meer-Region durch Pakistan bis zum Indischen Ozean als eine attraktive Option gehandelt wurde. Islamische Fundamentalisten im Iran, der Panarabist Saddam Hussein, das Taliban-Regime, aber auch die islamistische Bewegung um Osama Bin Laden und vor allem die Aggressivität dieser Herrschaften sind Produkte der amerikanischen Konflikt- und Eskalationspolitik im Mittleren Osten. Alle diese Phänomene haben die Demokratisierung in der Region um Jahrzehnte zurückgeworfen und den Völkern im Nahen und Mittleren Osten beträchtlichen Schaden zugefügt, den kurzfristigen amerikanischen und westlichen Interessen jedoch nicht geschadet, ganz im Gegenteil. Es gibt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen den nationalistisch-fundamentalistischen Regimen, den beiden Golfkriegen, den gigantischen Rüstungsexporten in die Persische Golf-Region in den letzten 30 Jahren und den sinkenden Ölpreisen. Letztere gelten bekanntlich als wichtigster Stabilitätsfaktor für die florierenden Volkswirtschaften kapitalistischer Industrieländer. Nun hat sich durch den Terroranschlag auf das World Trade Center und auf das Pentagon das Konzept einer Destabilisierungsstrategie mit "kalkulierbarem Risiko" als Bumerang erwiesen. Die auf eigenen kurzfristigen ökonomischen und geostrategischen Interessen basierende Politik der USA und des Westens wird durch den globalisierten Terrorismus eingeholt. Wie die drohende Klimakatastrophe als Reaktion der Natur auf ein nur kurzsichtig ausgerichtetes ökonomisches Handeln der reichen Eliten in den Industrie- und Entwicklungsländern gesehen werden muss, ist der globalisierte Terrorismus die politische Reaktion auf die Art und Weise der Aufrechterhaltung und 3

Absicherung des Systems. Insofern tragen alle westlichen Staaten, allen voran die USA, eine beträchtliche Mitverantwortung für das Desaster in New York und Washington und für Tausende Opfer unter den Trümmern des World Trade Centers. Drittens: In der islamischen wie in der gesamten Dritten Welt vollzieht sich gegenwärtig eine historisch längst fällige gesellschaftliche Transformation und Industrialisierung, die mit tiefgreifenden sozialen Brüchen, mit Entfremdung, Entwurzelung und individuellen Identitätskrisen einhergeht. Der Globalisierungsdruck verstärkt diesen Prozess. Die nachhaltigste Form soziokultureller und sozialpsychologischer Aufarbeitung dieses unabdingbaren und konfliktträchtigen Prozesses, der in Europa über einen Zeitraum von zwei Jahrhunderten stattgefunden hat, ist die Demokratisierung und Selbstbestimmung. Durch Einmischung, Intervention und Unterstützung korrupter und diktatorischer Regime, so die Verhinderung der in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts begonnenen Demokratisierung, und durch Aufpfropfen eigener Industrialisierungsmuster haben die großen westlichen Industriestaaten, allen voran aber die USA, mit dazu beigetragen, dass die sozialpsychologische und soziokulturelle Aufarbeitung der gesellschaftlichen Transformation unterbrochen und verzerrt wurde bzw. überhaupt nicht stattfand. Die große Masse der Entwurzelten durch alle sozialen Gruppen hindurch empfindet so die dabei erlittene Identitätskrise als einen fremdgesteuerten Angriff auf eigene kulturelle Werte und ist daher dazu prädestiniert, Feindbildern zu folgen, ihr Heil in nationalistischen bzw. fundamentalistischen Perspektiven zu suchen und gleichzeitig das Ausland, den Westen und Amerika für das eigene Leid verantwortlich zu machen. Viertens: Die von der reichen Elite in der Welt, den internationalen Konzernen und den ihnen nahestehenden Finanzinstitutionen gelenkte ökonomische Globalisierung hat die ungleiche Einkommensverteilung in der Welt in den letzten Jahrzehnten vergrößert. Über eine Milliarde Menschen in der Dritten Welt kämpfen um das tägliche Brot und fristen verzweifelt ihr Dasein. Die in dieser Ungerechtigkeit schlummernden sozialen und politischen Instabilitätsfaktoren können unmöglich militärisch eingedämmt werden. Die zahlreichen amerikanischen Militärstützpunkte in der Dritten Welt befinden sich somit auf einem Pulverfass. Die bittere Armut und kulturelle Entwurzelung bei gleichzeitiger Zurschaustellung des Reichtums der Eliten in den globalisierten Kommunikationssystemen stellen den fruchtbarsten Nährboden für den neuartigen globalen Terrorismus der Zukunft dar. Die oben dargestellten Thesen, die für den tiefen antiamerikanischen Hass nicht nur in der islamischen Welt Anhaltspunkte liefern, entspringen nicht einer verschwörungstheoretischen Sichtweise, weil sie teilweise als unvorstellbar erscheinen. Sie sind jedoch alle durch systematische Auswertung der Ereignisse und Fakten wissenschaftlich nachweisbar. Auf dieser Grundlage soll nahegelegt werden, dass die Reduktion der Ursachen des internationalen Terrorismus auf den Islam in die Irre führt. Vielmehr sind es die sozioökonomischen und kulturellen Defizite, Ungerechtigkeiten und Demütigungen sowie die Missachtung politischer, ökonomischer und kultureller Selbstbestimmung der Menschen, die den Extremismus und Gewaltbereitschaft hervorrufen und im islamischen Fundamentalismus und arabischen Nationalismus im Nahen und Mittleren Osten, im serbischen Nationalismus auf dem Balkan, im hinduistischen Fundamentalismus in Indien, in religiös kanalisierten Ge- 4

waltausbrüchen in Indonesien und im christlichen Fundamentalismus in den USA selbst ihre Ausdrucksform finden. Die Vorstellung der US-Regierung und einiger Regierungen der Nato, den internationalen Terrorismus mit militärischen Mitteln auszumerzen, ist völkerrechtswidrig, entspricht der Logik einer Lynchjustiz und verletzt alle rechtsstaatlichen Prinzipien, ist auch in der Sache absurd und erfüllt im Wesentlichen den Zweck, von der eigenen Mitverantwortung für den Terrorismus abzulenken. Alle Versuche in diese Richtung sind geeignet, die globalen Instabilitäten, Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten zu verschärfen und neue Generationen von Terroristen zu erzeugen. Andererseits rechtfertigen die objektiven Ursachen des Terrorismus moralisch, politisch und rechtlich in keiner Weise terroristisches Handeln. Daher müssten die Verantwortlichen für den terroristischen Angriff auf die USA ohne Wenn und Aber vor einem internationalen Gericht zur Rechenschaft gezogen werden. Dieses Ziel darf allerdings nur auf diplomatischem Wege und mit nichtmilitärischen Mitteln verfolgt werden. Was aber, wenn man so der Täter nicht habhaft werden könnte? Sollten wir dann zuschauen, wie die Terroristen ungestraft davon kommen und in Ruhe weitere Anschläge planen? Gerechtigkeit durch Strafe für verbrecherisches Handeln ist sicherlich wichtig. Viel wichtiger ist jedoch, auf welche Weise die moralische Legitimation des internationalen Terrorismus am schnellsten, am wirksamsten und ohne Schaden für die Zivilbevölkerung erschüttert und dessen harter Kern isoliert werden kann. Dieses übergeordnete Ziel kann aus meiner Sicht, so unwahrscheinlich es auch auf den ersten Blick erscheinen mag, am besten durch den freiwilligen Verzicht auf Krieg gegen die Taliban-Regierung in Afghanistan und durch die moralische Begründung dieses Verzichts mit Respekt vor dem Leben der Zivilbevölkerung und mit Verweis auf die Unteilbarkeit der Menschenwürde und Trauer um die Opfer der Gewalt erreicht werden. Diese Alternative mag zunächst den harten Kern der Terroristen unbeeindruckt lassen, von diesen gar als Schwäche des Westens und als Beleg für die Richtigkeit des eigenen Handelns aufgefasst und auch als Sieg gefeiert werden. Wie aber würden die antiwestlich eingestellten Milliarden von Menschen in der islamischen Welt und in der Dritten Welt insgesamt, aus deren Mitte schon jetzt die nächsten Terroristengenerationen im Begriff sind hervorzugehen, auf diese Friedensbotschaft der Amerikaner und des Westens reagieren? Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass diese Menschen keine andere Wahl hätten, als durch die Ausstrahlung der moralischen Stärke dieser Friedensbotschaft ergriffen zu werden, dieser Botschaft Respekt zu zollen und daraus auch für ihre eigene Zukunft Hoffnung zu schöpfen. Damit erschiene weltweit eine neuartige moralische Koalition gegen den Terrorismus und die Gewalt als eine nachhaltig wirkende, und im Gegensatz zu einer Koalition von halbherzig die Kriegsstrategie der USA mittragenden Regierungen unvergleichbar stärkere Alternative, die Milliarden Menschen mit Herz und Seele mittragen könnten. Die Friedensbotschaft dürfte selbst beim harten terroristischen Kern ihre Wirkung nicht verfehlen, das antiwestliche Feindbild würde anfangen zu bröckeln, Selbstzweifel und eine Abkehr vom Terrorismus dürften auch bei ihnen nicht ausbleiben. Somit ist die zentrale politische Frage von heute nicht, ob es zum Krieg gegen den internationalen Terrorismus eine Alternative gibt, sondern die: Ist die US-Regierung, sind die Nato-Staaten selbst wirk- 5

lich zivilisiert und verfügen sie über die moralisch-zivilisatorische Größe und Fähigkeit für diese richtungsweisende Friedensbotschaft? Mittel- und langfristig müsste allerdings dieses erste Signal mit umfassenden Reformen der Weltwirtschaft untermauert werden. Den egoistischen und offenbar unter Realitätsverlust leidenden reichen Eliten der Welt müsste nunmehr begreiflich gemacht werden, dass die Beibehaltung ihres Lebensstils und der globalen Ungerechtigkeiten nicht nur ökologische, sondern auch soziale und politische Katastrophen heraufbeschwört und dass im eigenen Interesse dieser Eliten eine Wende in den globalen Beziehungen auf der politischen Agenda steht. Die USA und andere Großmächte müssten umgehend ihre Destabilisierungs- und Konflikteskalationspolitik in der ganzen Welt aufgeben, die israelische Besetzung Palästinas muss beendet und ein dauerhafter Frieden im Nahen Osten hergestellt werden. Langfristig müsste die Globalisierung im Sinne des Abbaus der ungerechten Reichtums- und Machtverteilung in der Welt unter Beteiligung der Zivilgesellschaft reguliert und gestaltet werden. Dabei fällt Europa eine historische Vorreiterrolle zu, die allerdings voraussetzt, sich nicht länger wie bisher hinter der Nah- und Mittelostpolitik der USA zu verstecken. Reformkräfte in Europa müssten erkennen, dass ein dauerhafter Frieden im Nahen und Mittleren Osten, eine nachhaltige Energieversorgung Europas, die bisher durch die USA torpedierte Klimapolitik und europäische Nahost-, Außen- und Friedenspolitik miteinander in einem inneren Zusammenhang stehen und dass sie - um aus dieser Erkenntnis für Europa eine selbständige Handlungsperspektive zu entwikkeln - zuallererst die US-amerikanische Zwangsjacke abzulegen hätten. 6