Die Hartz-Gesetze auf dem Prüfstand Ergebnisse der Begleitforschung Forderungen Perspektiven des DGB Bad Herrenalb,15. Juli 2009
Gliederung Grundzüge der Hartz-Reformen Hartz - Gesetze eine Bilanz Überblick Ergebnisse der Begleitforschung Forderungen Perspektiven des DGB
Grundzüge der Hartz-Reformen Mit dem Job-AQTIV-Gesetz von 2002 zeichnete sich der Wandel von der aktiven zur aktivierenden Arbeitsmarktpolitik ab Die infolge des Vermittlungsskandals eingerichtete Kommission für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz-Kommission) legte im August 2002 ihren Abschlussbericht vor, der (modifiziert) in vier Gesetze mündete Mit den sog. Hartz-Reformen, kam es dann endgültig zum Bruch mit der bisherigen Logik:
Paradigmenwechsel Statt des Erhalts und der Schaffung von Beschäftigungsverhältnissen sollte nunmehr der Erhalt und die Schaffung der individuellen Beschäftigungsfähigkeit Ziel der aktiven Arbeitsmarktpolitik sein (AAMP) Statt Schutz vor unterwertiger Beschäftigung sollte nun: Die Annahme jedweder Arbeit Ziel der erfolgreichen Vermittlung sein Dazu sollte a) die Bereitschaft der Arbeitslosen Zugeständnisse zu machen erhöht werden und b) der Ausbau eines Niedriglohnsektors neue Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen
Grundzüge der Hartz-Reformen Die Bundesanstalt für Arbeit wird als Bundesagentur für Arbeit zu einem Dienstleistungsunternehmen umgebaut: Neue Steuerungslogik, rückt als handlungsleitende Kriterien Wirtschaftlichkeit und prognostizierte Wirkungen in den Vordergrund Kundezentren der Zukunft bilden in den Arbeitsagenturen die Schnittstelle zum Kunden Einführung von Vermittlungs- und Bildungsgutsscheinen soll den Gedanken der Eigenverantwortung stärken Der Qualitätsverbesserung soll die Zulassung von Weiterbildungsträgern durch Zertifizierungsagenturen dienen.
Grundzüge der Hartz-Reformen Der arbeitsmarktpolitische Leistungsbereich wurde in zwei Regelungskreise aufgespaltet, die jeweils eigenen Funktionsprinzipien, Finanzierungsmodi und teilweise auch Instrumenten unterliegen. Kurzzeitarbeitlose (bis zu einem Jahr ohne Beschäftigung) fallen in den Regelungsbereich des SGB III und erhalten ein proportional zum ehemaligen Einkommen bemessenes Arbeitslosengeld I. Erwerbsfähige Personen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, können Ansprüche auf das nach dem SGB II geregelte Arbeitslosengeld II geltend machen. Diese Leistung fasst die ehemalige Arbeitslosenhilfe, die auf einem im Vergleich zum Arbeitslosengeld zwar geringeren aber ebenfalls proportionalen Regelsatz basierte, mit der ehemaligen Sozialhilfe zum neuen Arbeitslosengeld II mit festen Sätzen zusammen.
Grundzüge der Hartz-Reformen Mehr Eigenverantwortung der Arbeitsuchenden lautet die Schlüsselbotschaft. Dem Leitgedanken der gestärkten Eigenverantwortung entspricht, dass sich das Leistungsrecht am Prinzip des Fordern und Förderns orientiert. Mit dieser Neuausrichtung folgt die Arbeitsmarktpolitik dem Konzept des aktivierenden Sozialstaates Die Grundidee ist, durch staatliche Maßnahmen die Handlungsautonomie der Betroffenen, der arbeitsmarktpolitischen Adressaten, zu vergrößern, ihre Marktfähigkeit zu stärken und zwar hinsichtlich ihrer erforderlichen kognitiven Fähigkeiten sowie ihrer Motivation
Grundzüge der Hartz-Reformen Was unter der Losung Fordern und Fördern steckt: eine umfangreiche Liste an sozialen Einschnitten und sanktionierenden Regularien, der ein vergleichsweise bescheidenes Repertoire an Förderaktivitäten gegenüber steht. Zu dem Katalog der Forderungen gehören die Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes von max. 32 auf max. 12 Monate bzw. 18 Mon. für Arbeitslose ab 55 Jahre, die Verschärfung der Zumutbarkeit, die Umkehrung der Beweispflicht, die Abschaffung des Anschluss-Unterhaltsgeldes bei Weiterbildungsmaßnahmen, die Senkung der Leistungen für einen Teil der Langzeitarbeitslosen in Folge der zum Arbeitslosengeld II zusammen gelegten Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sowie die Verpflichtung zur frühzeitigen Meldung bei der Arbeitsagentur unmittelbar nach Kündigung und die Mitwirkungspflicht bei der Arbeitsuche.
Grundzüge der Hartz-Reformen Bei den Förderaktivitäten schlagen die im Vergleich zur bisherigen Praxis neu konzipierten und intensivierten Beratungs-, Betreuungs- und Vermittlungsbemühungen positiv zu Buche. Im Bereich des SGB II erhält jeder erwerbsfähige Hilfebedürftige einen persönlichen Ansprechpartner Eingliederungsvereinbarungen legen die Eigenleistungen der Arbeitsuchenden sowie die der Arbeitsmarktpolitik fest Beratungsleistungen im psychosozialen Bereich dienen der Vermittlungsfähigkeit. Positiv zu werten ist die Einbeziehung erwerbsfähiger Sozialhilfeempfänger in den arbeitsmarkpolitischen Leistungskanon.
Grundzüge der Hartz-Reformen Die Förderung atypischer und selbstständiger Beschäftigung soll die Flexibilität des Arbeitsmarktes erhöhen und neue Beschäftigung schaffen. Hierzu gehören die Einführung der Ich-AG, die Neuregelung geringfügiger Beschäftigung in Form der Miniund Midi-Jobs, die Förderung der Leiharbeit die Schaffung von Arbeitsgelegenheiten gegen Mehraufwandsentschädigung (Ein-Euro-Jobs) im Rahmen der Personalservice-Agenturen (PSA)
Grundzüge der Hartz-Reformen Einige Instrumente aktiver Arbeitsmarktpolitik wurden reformiert: Arbeitsbeschaffungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen zusammengelegt die Zuschüsse zu Sozialplanmaßnahmen und Struktur-Kurzarbeitergeld durch Transfermaßnahmen und Transfer-Kurzarbeitergeld abgelöst. Gekürzt und zugleich umgeschichtet wurde der Mitteleinsatz bei bislang zentralen Instrumenten der aktiven Arbeitsmarktpolitik, wie den Arbeitsbeschaffungs- und den Weiterbildungsmaßnahmen Im Rahmen der Hartz-Gesetze wurde ferner das Arbeitsrecht weiter dereguliert. Die befristete Beschäftigung von Älteren (ab 52 Jahre) kann beliebig häufig wiederholt werden. Mittlerweile hat der Europäische Gerichtshof diese Regelung als nicht mit der Anti-Diskriminierungsrichtlinie vereinbar erklärt. Außerdem ist der Schwellenwert für den Geltungsbereich des Kündigungsschutzes von bisher mehr als fünf auf nun mehr als zehn Beschäftigte angehoben worden.
Was sollte mit den Hartz-Reformen erreicht werden? Durch die Verknüpfung dieser vielfältigen Reformelemente aktiver wie passiver Arbeitsmarktpolitik sollten Beschäftigung fördernde Impulse ausgehen: Offene Stellen sollten zügiger besetzt, unechte Arbeitslose durch die aktivierenden Maßnahmen aus dem Bestand ausgesondert werden ( Bestandsbereinigung ), die höhere Konzessionsbereitschaft der Arbeitsuchenden sollte für zusätzliche Beschäftigung vor allem im Niedriglohnbereich sorgen, atypische Beschäftigungsverhältnisse sollten Überstunden ersetzen und neue Beschäftigung ebenso generieren wie die verschiedenen Varianten von Lohnkostensubventionen. Haben die zahlreichen Stellschrauben, die die Hartz- Gesetze neu justiert haben, die hoch gesteckten Erwartungen erfüllen und den Arbeitsmarkt beflügeln können?
Hartz - Gesetze eine Bilanz Die ursprünglichen Erwartungen, mit dem groß angelegten Reformwerk die Dauermisere am Arbeitsmarkt lindern zu können, haben sich nicht erfüllt! 1. Die Aufspaltung der arbeitsmarktpolitischen Kompetenzen in zwei Regelkreise haben die relativen Reintegrationschancen von Langzeitarbeitslosen nicht verbessert. 2. Neue Probleme wirft vor allem die Förderung atypischer Beschäftigungsverhältnisse, Minijobs und Leiharbeit, auf.
Überblick Ergebnisse der Begleitforschung Vermittlungsnahe Dienstleistungen Die Wirkungen sind eher bescheiden wenn nicht gar enttäuschend Integrationseffekte durch PSA Misserfolg Vermittlungsgutscheine, fast bedeutungslos Veränderung der durchschnittlichen Dauer der Arbeitslosigkeit und der Vakanz- bzw. Suchzeiten, nur gering verändert. Durch Einführung der frühzeitigen Meldepflicht hat die Job-toJob- Vermittlung an Bedeutung gewonnen. Weder die Vergabe der Vermittlung an Dritte noch die Einlösung der Vermittlungsgutscheine oder der Arbeitnehmerverleih im Rahmen der PSA haben die Dauer der Arbeitslosigkeit verkürzen können. Der Einsatz von PSA wirkt sich sogar negativ auf die Dauer der Arbeitslosigkeit aus.
Überblick Ergebnisse der Begleitforschung Die Hartz-Gesetze förderten zwei Formen atypischer Beschäftigung Leiharbeit im Rahmen der PSA und der generell gelockerten Regelungen zur Leiharbeit sowie durch geringfügige Beschäftigung in Form von Miniund Midijobs SGB II sieht für Langzeitarbeitslose bzw. Empfänger Arbeitslosengeld II befristete Arbeitsgelegenheiten (Ein-Euro-Jobs) vor. die Zahl der geringfügig Beschäftigten, Leiharbeit sind hoch geschnellt Mini-Jobs Zuwachs geht auf das Konto von Nebentätigkeiten oder wird von Personengruppen (Schüler, Studenten, Rentner) ausgeübt, die nicht primär Erwerbstätige sind. Arbeitslose haben von der Ausweitung geringfügiger Beschäftigung kaum profitiert.* auf beachtliche Größenordnungen kommen die befristeten Arbeitsgelegenheiten
Überblick Ergebnisse der Begleitforschung Beschäftigungsauswirkungen der drei Beschäftigungsformen? Substitutions- und Verdrängungseffekte geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, haben Vollzeitarbeitsplätze bzw. sozialversicherungspflichtige Beschäftigung entweder ersetzt oder bei der Einrichtung von neuen Arbeitsplätzen zur Aufteilung von solchen genutzt wurden Ähnliche Effekte sind den Ein-Euro-Jobs zuzuschreiben. Resümierend bringt eine Evaluierung der Arbeitsgelegeheiten die betriebliche Praxis auf den Punkt: Gestern ABM, heute Ein-Euro-Jobs.
Überblick Ergebnisse der Begleitforschung Lohnkostensubventionen in drei Varianten: Eingliederungszuschuss (EGZ) Entgeltsicherung (EGs) Beitragsbonus (BB) EGZ in der Praxis mit Abstand die größte Bedeutung, beeinflusst die Übernahmequote positiv Die bescheidene Resonanz von EGs und BB hat nach Ergebnissen mit der Begleitforschung mit Informations- und Anreizdefiziten zu tun. Wiederholte Rechtsänderungen und neu eingeführte Instrumente sind nicht transparent und förderlich gewesen Selbst Arbeitsvermittler scheinen nicht immer Schritt mit den Reorganisations- und Reformprozessen zu halten Bescheidener als die Inanspruchnahme ist die Beschäftigungswirkung dieser drei Lohnkostenvarianten (vermutlich hohe Mitnahmeeffekte)
Überblick Ergebnisse der Begleitforschung Aufspaltung in zwei Regelkreise: Die institutionelle Spaltung der AMP in zwei Regelkreise setzt sich in gespaltenen Förderstrukturen und einem gespaltenem Muster der Förderpraxis fort. Als Reintegration fördernd gelten Weiterbildungsmaßnahmen, Eingliederungszuschüsse sowie die Förderung zur beruflichen Selbstständigkeit. Bei diesen drei Instrumenten sind Kurz- im Vergleich zu Langzeitarbeitslosen deutlich bevorzugt. Eine solche Ungleichbehandlung kommt aufgrund der institutionellen Spaltung der Arbeitsmarktpolitik in zwei Regelkreise nicht überraschend. Der Bundesagentur an den Bundeshaushalt zu zahlende Aussteuerungsbetrag für Arbeitslose, die aus dem Regelungskreis des SGB III in den des SGB II wechseln, einen zusätzlichen Anreiz zur schnellen Re-Integration in den Arbeitsmarkt dar. Wie es aussieht, haben die Arbeitsmarktreformen die Chancen von Langzeitarbeitslosen, kaum verbessert. Eher scheint das Gegenteil der Fall zu sein.
Forderungen Perspektiven des DGB Fairer Ausgleich zwischen Fordern und Fördern Beseitigung des Zwei-Klassen-Systems in der Arbeitsförderung Betreuung aus einer Hand sicherstellen Ganzheitliche Unterstützungsangebote Verzahnung vermittlungs- und sozialorientierte Hilfe Möglichst frühzeitige und nachhaltige Förderung über Regelkreis hinweg Klare Verantwortlichkeiten keine Trennung von Finanzierung und Aufsicht Arbeitsförderung muss Bundesaufgabe bleiben
Forderungen Perspektiven des DGB Keine rein betriebswirtschaftliche Ressourcensteuerung Keine Ausweitung der kommunalen Option Keine Zerschlagung der Bundesagentur für Arbeit Keine Vermischung von Bundes- und Länderaufgaben Klare Ziele und konsistentes Steuerungssystem für arbeitsmarkt- und soziale Integration Passgenaue und individuelle Förderangebote Eigenständige Ziele und Konzepte für Problemgruppen Beseitigung des Verschiebebahnhofs zu Lasten der Beitragszahler
DGB Forderungen aus Impulsprogramm für Baden-Württemberg Verlängerung des Bezugs von ALG I Arbeitslosengeld I weitere 12 Monate gezahlt werden. Anhebung der ALG II-Sätze Der DGB fordert die Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze auf 420. Mehr Zeit, Ressourcen und Entscheidungsfreiheit für die Beschäftigten in den Arbeitsverwaltungen zu Gunsten der Betroffenen Eine bessere Erreichbarkeit und höhere Zuverlässigkeit der Leistungsabteilungen
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit