reportage: Grenz-Abenteuer Novem 94
berrauschen Im November 1989 fiel die innerdeutsche Grenze. Der Schrecken des einstigen Todesstreifens ist nur noch Hintergrundrauschen. Buch-Autor Henri Lesewitz folgte dem grünen Band von Bayern an die Ostsee.
Text: Henri Lesewitz Fotos: Oliver Soulas Die Landschaft am Rennsteig ist ein einziger Emotionsverstärker. Oben die A9, unten die Ex-Grenze: die Brücke der Deutschen Einheit. Gegen das Vergessen: Grenzmuseum am Schifflersgrund. Wohlige Träume: Übernachtung im alten Ikarus-Bus. Die Mauer ist weg. Die Grenze ist geblieben. Das kann man Kuriosum nennen. Oder Ironie der Geschichte. Breitbeinig, die Hände in den Hosentaschen vergraben, steht Klaus Grünzner (56) in der Mittagssonne und schaut rüber zum Grenzgänger, wo ein Rentnergrüppchen den absolvierten Kurzausflug in den Todesstreifen gerade mit Original Thüringer Rostbratwürsten abrundet. Nur fünfzig Menschen leben in Mödlareuth und nur fünfzig Meter sind es von Bürgermeister Grünzner bis zum Grill. Doch was da unter der Dunstwolke passiert, fällt nicht mehr in seinen Zuständigkeitsbereich. Anderes Bundesland. Anderer Bürgermeister. Andere Postleitzahl. Anderes Autokennzeichen. Anderer Dialekt, fasst Grünzner zusammen und zeigt auf den Tannbach, der an seinen Schuhspitzen vorbei das Dorf durchplätschert. Ein schmales, kraftloses Rinnsal, knöcheltief, wenn überhaupt. Hüpft man drüber, steht man in Thüringen. Hüpft man zurück, ist man in Bayern. Eine Grenzlinie, jetzt noch, mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Mauerfall. Wo sind Sie denn aufgewachsen, wenn ich mal fragen darf?, dreht Bürgermeister Grünzner seinen mächtigen Oberkörper zu mir rüber. Osten, antworte ich. Na, dann muss ich Ihnen ja nichts erzählen, sagt Grünzner, während er den Blick über das Ensemble des Grauens schweifen lässt, das Mahnmal aus Stacheldraht und Beton, vor dem sich zwischen 9 Uhr und 18 Uhr die Tagestouristen zum Schnappschuss aufbauen. Zweiundzwanzig Jahre sind seit dem Fall der innerdeutschen Grenze vergangen. Der ehemalige Todesstreifen ist zugewachsen, der 1378 Kilometer lange Streifen wurde zum Naturschutzprojekt Grünes Band erklärt. Der Ort, der die DDR zu einem Menschenkäfig gemacht hat, ist heute wuchernde Natur. Ein Symbol, zugeschaufelt mit Mythos. Deutschland soll zusammenwachsen. Im pflanzlichen Sinne mag das prächtig funktionieren. Doch wie steht es um die Stimmung auf beiden Seiten des einstigen Eisernen Vorhangs? Meine Tour ist Grenzbefahrung und Grenzerfahrung in einem. Mit dem Bike entlang des Grünen Bandes. Von Bayern bis an den Strand der Ostsee. Nicht auf jeden Zacken genau, nur die grobe Richtung. Ein Zelt dabei und ansonsten nur das Nötigste: ultraknautschbarer Schlafsack, Zahnbürste, Geldkarte. Abenteuer Deutschland, statt immer nur irgendwo sonst auf der Welt. Die Panzerplattenwege, auf denen die DDR- Grenzer mit ihren Trabi Kübel Patrouille 96
Illegal, für Ossi Lesewitz aber ein Muss: Wildcampen auf dem Todesstreifen. fuhren, führen schnurstracks über steile Rampen. Eine fiese Quälerei, die von den reifenbreiten Längsrillen der Betonplatten noch verstärkt wird. Die Dinger würden sich prima als Radständer eignen. Die Kilometer ziehen sich zäh dahin. Als ich endlich Sonneberg erreiche, zieht der Tag bereits den Vorhang. Die Ossi-Party im Gemeindehaus Mupperg unweit entfernt fügt sich perfekt in das Reisemotto. Honecker-Bild, DDR-Wimpel, Soljanka aus einem Kochstar automat 2500. Schlagseitige Männer schieben ihre angeschickerten Gattinnen zu Karat-Hits einszwei-upsalla durch den Saal. Ist das Ostalgie? Oder nur das Nachspielen von Jugend-Erinnerungen? Um zwei Uhr morgens sinke ich geschafft auf die Matratze in einem zu einer Art Gartenlaube umfunktionierten Ikarus-Bus. Ein Trabi-Sammler hat mir das Gefährt als Nachtlager angeboten. Die Berge bleiben gleichmäßig steil. Die verdammten Lochplatten umfahre ich inzwischen mit Hilfe der Wanderkarte so gut wie möglich. Immer epischer breitet sich die Landschaft vor mir aus. Deutschland mit seinem Alltag, seinen Staus und seiner Hektik ist ganz nah und gleichzeitig galaxienweit entfernt. Die Grenze war so streng bewacht, dass wegen der gigantischen Flutlichtanlagen das Stromnetz in den umliegenden Dörfern zusammenbrach. Heute ist das Grüne Band die größte Wildnis der Bundesrepublik. In Eisenach komme ich mit einem Rentner ins Gespräch. Was denn das Beste an der Wiedervereinigung sei, frage ich. Der Mann überlegt ausgedehnt: Die Kreisverkehre, würde ich sagen. Kreisverkehre sind eine wunderbare Sache. Die gab es ja in der DDR nicht. Ich radle erstaunt weiter Richtung Norden. Der original belassene Grenzabschnitt am Schifflersgrund ist der unwirklichste Ort, an dem ich je mein Nachtlager erreichtet habe. Links, am Kopfende meines Zeltes vorbei, verläuft der Kolonnenweg, auf dem die DDR- Wer zu Birte Hoppe nach Duderstadt radelt, für den hält Blueberry immer einen Schlafplatz und ein Steak bereit. Die Buchautorin ist Mitglied im Übernachtungsnetzwerk quäldich.de Von Schnackenburg aus geht es nur per Fähre über die Elbe. Hammer, Zirkel, Pärchentanz: Ossi-Party in Mupperg. 97
tourverlauf + GPS-Daten www.trekkingbike.com Rubrik: GPS-Touren Suche: Radweg Grünes-Band Lohn der Strampelei: Einreihen ins kollektive Nichtstun am Strand von Travemünde. Grenzer nach Flüchtlingen Ausschau hielten. Das Fußende meines Zeltes berührt den berüchtigten K6 -Streifen, ein mit Pflanzenschutzmitteln sauber gehaltenes Erdband zur Spurensicherung, jahrelang vermint. Direkt dahinter der 3,20 Meter hohe Grenzwall, dessen Selbstschussanlagen jeden zerrissen, der ihn von DDR-Seite aus berührte. Streuexplosionen mit Kugellagern und Metallsplittern, bis auf zwanzig Meter tödlich. Heinz-Josef Große, ein Grenzarbeiter, schaffte es am 29. März 1982 mit einem beherzten Sprung von seinem Radlader aus über den Zaun. Er starb durch die MG-Salven der DDR-Grenzer. Zentimeter nur von der rettenden Freiheit Das Museumsdorf Mödlareuth ist noch immer geteilt, heute nach Bundesländern. entfernt. Ich kann das Gedenkkreuz vom Zelt aus erkennen. Knapp 400 Kilometer haben meine Beine in ein Säurebad verwandelt. Nun fetzt auch noch der Regen waagerecht durch blickdichte Nebelsuppe, als ich hinter Braunlage zum Gipfelsturm Richtung Brocken ansetze. Oben, auf dem 1142 Meter hohen Plateau, der Versuch eines Gipfelfotos. Aussichtslos, buchstäblich. Der Nebel verpixelt den Quoten-Hit der mitteldeutschen Tourismus-Industrie zu grauem Nichts. Egal, zehn Jahre haben sie nach der Brocken-Erstürmung durch friedliche Demonstranten am 3. Dezember 1989 gebraucht, um den ganzen hingebauten Irrsinn aus Waffen, Zäunen und Militäranlagen wegzuräumen. Da werde ich doch jetzt nicht rumjammern wegen ein bisschen Tiefdruckwetter. Die Klamotten kleben wie Waschlappen am Körper. Macht nichts. Weiter. Das Finale meiner Tour verfliegt im 28er Schnitt. Darchau. Boizenburg. Zarrentin. Hin zum Schaalsee, einst von der Grenze zerschnitten. Dann durch Lübeck nach Travemünde. Ich sitze in einem Strandkorb und knabbere die Schokokruste von einem Eis am Stiel. Ein Segelboot gleitet aus der Bucht, dahinter kann man die Dünen der anderen Uferseite erkennen. Ehemaliges DDR-Gebiet. Ein Kilometer bis rüber, wenn überhaupt. Mehr als 180 Menschen haben mit dem Leben bezahlt, weil sie von diesem Ufer aus dahin wollten, wo ich jetzt sitze. Dass ich jetzt den Holzstiel meines Eises in den Strand rammen und einfach rüber zur anderen Uferseite schwimmen könnte, wärmt mir das Herz wie tausend Julisonnen. Grenzerfahrung Endlich Rasen; 289 Seiten; Delius Klasing; ISBN 978-37688-3223-6; 12 Euro Henri Lesewitz, Redakteur und Autor, wuchs in der DDR auf. Sein Talent für den Radsport wurde früh entdeckt. Er kämpfte mit Fahrern wie Erik Zabel und Steffen Wesemann um Titel und Siege. Doch wegen Zweifeln an seiner politischen Zuverlässigkeit ließen ihn die Funktionäre von einem Tag auf den anderen fallen. Zwei Jahrzehnte später bricht er zu einer Reise entlang der einstigen Grenze auf. Von Bayern aus bis an die Lübecker Bucht. Der Roman Endlich Rasen ist ein Roadmovie in Buchform und gleichzeitig eine deutsch-deutsche Bestandsaufnahme. Ungewöhnliche Perspektiven mit herrlich schrägem Humor. 98
Foto: Daniel Simon www.trekkingbike.com TESTABO JETZT 2 TREKKINGBIKE E TESTEN + GESCHENK NUR 6,50 (statt 9,80 ) TREKKINGBIKE-GLASBECHER-SETR-SET n aus gefrostetem Glas TREKKINGBIKE-TRINKFLASCHE n passt in alle gängigen Flaschenhalter n Füllmenge: 750ml AUCH INKLUSIVE digital FÜR NUR 1 EURO MEHR! HIER DIREKT BESTELLEN: abo.trekkingbike.com/5071b qja, ich teste die nächsten 2 Ausgaben TREKKINGBIKE für 6,50 qzusätzlich bestelle ich das Digital-Abo für nur 1, mehr. Wenn ich bis 10 Tage nach Erhalt der zweiten Ausgabe nichts Gegenteiliges von mir hören lasse, bin ich damit einverstanden, TREKKINGBIKE für mindestens ein Jahr (6 Ausgaben) zum derzeit gültigen Preis von 27, (Deutschland), 36,30 (sonstiges Ausland), inklusive Porto und Versandkosten zu erhalten. Nach diesem Jahr kann ich die Lieferung jederzeit stoppen. Wichtig: Kurzabo-Angebote sind zum persönlichen Kennenlernen der Zeitschrift und können daher nur ein Mal pro Haushalt genutzt werden (Geschenkabos sind ausgeschlossen). Als Geschenk erhalte ich (bitte nur ein Geschenk ankreuzen): das TREKKINGBIKE-Glasbecher-Set (ZTR11) die TREKKINGBIKE-Trinkflasche (ZTR13) der TREKKINGBIKE-Sattelschutz (ZTR05) das TREKKINGBIKE-Buff-Tuch (ZTR18) Aktion: P-5071/B-5072 Anschrift des Auftraggebers Ich zahle per: Bankeinzug (nur mit deutscher Bankverbindung möglich) IBAN BIC D E MASTERCARD VISA Card Gültig bis: Card-Nr. 1 HEFT GRATIS (bei Bankeinzug/Kreditkarte) Rechnung Einzugsermächtigung/SEPA-Lastschriftmandat: Ich ermächtige die Delius Klasing Verlag GmbH (DK) widerrufl ich, den Betrag bei Fälligkeit durch Lastschrift von meinem Konto einzuziehen. Ich ermächtige DK, Zahlungen von meinem Konto mittels Lastschrift einzuziehen. Zugleich weise ich mein Kreditinstitut an, die von DK auf mein Konto gezogenen Lastschriften einzulösen. Hinweis: Innerhalb von acht Wochen, beginnend mit dem Belastungsdatum, kann ich die Erstattung des Betrages verlangen. Es gelten dabei die mit DK vereinbarten AGB. Gläubiger-ID: DE03ZZZ00000369776 *Lieferung solange der Vorrat reicht. TREKKINGBIKE-SATTELSCHUTZ n bei jedem Wetter sicherer Witterungsschutz n wasserdicht n mit patentierter Befestigung zum Schutz gegen Diebstahl BUFF-TUCH n 12 verschiedene Arten zum Tragen n dient bei Bedarf blitzschnell als Mund- und Nasenschutz n die atmungsaktiven Materialien schützen vor Wind und Wasser n hoher Tragekomfort Name, Vorname Straße, Nr. PLZ, Ort Telefon E-Mail Geburtsdatum Datum und Unterschrift Wichtig: Kurzabo-Angebote sind zum persönlichen Kennenlernen der Zeitschrift und können daher nur einmal pro Haushalt genutzt werden (Geschenkabos sind ausgeschlossen). abo.trekkingbike.com/5071b +49 (0)521-55 99 22 abo.trekkingbike@delius-klasing.de Delius Klasing Verlag, Postfach 10 16 71, D-33516 Bielefeld +49 (0)521-55 98 88 13