Untersuchung zur Identität im Roman Die größere Hoffnung von Ilse Aichinger

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Transkript:

Untersuchung zur Identität im Roman Die größere Hoffnung von Ilse Aichinger Magisterarbeit zur Erlangung des Magister Artiums an der deutschen Fakultät der Shanghai International Studies University Vorgelegt von Xu Wei Betreut von Frau Prof. Dr. Zhang Fan Shanghai, im Dez. 2012

Danksagung Die vorliegende Arbeit wurde im November 2012 abgeschlossen und im Dezember 2012 der deutschen Fakultät der SISU als Abschlussarbeit des Magisterstudiums vorgelegt. Danken möchte ich vor allem Frau Prof. Dr. Zhang Fan, die mein Interesse an der Literatur immer wieder angeregt hat und bei der ich in den vergangenen zwei Jahren wertvolle Vorschläge sowie geduldige Ermutigung stets bekommen habe. Ohne ihre aufschlussreichen Ratschläge, ermutigende Kritik und hilfreichen Korrekturen wäre diese Arbeit nicht zustande gekommen. Dafür möchte ich ihr meinen herzlichen Dank noch einmal aussprechen. Dankbar bin ich auch Herrn Prof. Dr. Wei Maoping, Herrn Prof. Dr. Chen Xiaochun, Herrn Prof. Dr. Xie Jianwen, Herrn Prof. Dr. Chen Zhuangying, Herrn Prof. Dr. Wang Zhiqiang, Frau Prof. Dr. Wang Wei und Frau Sandra Holtermann. Sie haben mir während des Magisterstudiums Forschungsmethoden für wissenschaftliche Studien beigebracht. Nicht zuletzt bedanke ich mich bei meinen Eltern und allen anderen, die mir Hilfe und Unterstützung gewährt haben. 1

论文摘要奥地利女作家伊尔泽 艾辛格 (1921- ) 为 四七社 成员之一, 活跃于德语战后文学界 1952 年, 艾辛格凭借短篇小说 镜子的故事 获得 四七社奖, 并因此为人所熟知 处女作 更大的希望 是艾辛格的唯一一部长篇小说,1948 年由费舍尔出版社出版, 讲述了一个拥有一半犹太血统的小女孩艾伦在二战时期的种种经历 小说凭借其独树一帜的写作风格和语言特色从浩瀚的战后文学中脱颖而出 身份是一个复杂而多元的概念, 并时常出现在文学作品中 身份在不同的学科领域里拥有不同的含义 根据形成过程的不同和自身功能的差别, 身份可分为集体身份和个人身份两个概念 小说中的社会处于独裁者的统治之下, 在这样的环境中, 身份本身的含义和划分标准被简单化了, 身份成了一个内涵僵固不变的概念, 从而引起了身份危机, 并带来了种种社会危害 本篇论文正是从 身份 这一角度出发, 旨在分析小说中出现的身份危机及其所带来的危害, 并阐释小说主人公艾伦和她的犹太朋友们寻找自身身份的过程 此外, 本篇论文还将详细探讨小说中出现的身份象征以及与寻找身份相关的重要主题 本篇论文采用文本分析的方法 在具体分析之前, 先对 身份 这一概念进行界定 在此基础上, 结合小说文本对小说中的 身份 问题进行分析, 并得出结论 关键词 : 伊尔泽 艾辛格 ; 更大的希望 ; 身份危机 ; 寻找身份 2

Abstrakt Als Mitglied der Gruppe 47 gehört die österreichische Schriftstellerin Ilse Aichinger zum Kanon der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur, und ist durch ihre Erzählung Spiegelgeschichte, für die sie im Jahr 1952 den Preis der Gruppe 47 erhielt, den meisten bekannt. Ihr Erstlingsroman Die größere Hoffnung, auch ihr einziger Roman, der im Jahr 1948 beim Fischer-Verlag erschien, handelt über die Erlebnisse eines halbjüdischen Mädchens Ellen während der Kriegszeit, und hebt sich mit Aichingers speziellem Schreibstil und der ihr eigentümlichen Spracheigenheit von zeitgenössischen Nachkriegsromanen ab. Identität ist ein komplexer Begriff, der meistens in der Literatur berührt wird. In unterschiedlichen Wissenschaften impliziert sie verschiedene Bedeutungen, und lässt sich nach Bildungsdifferenz und Funktionsunterschied in kollektive und individuelle Identität teilen. Jedoch ist Identität in der von Diktatoren beherrschten Gesellschaft im Roman Die größere Hoffnung zu einem vereinfachten Begriff mit fixen Inhalten geworden, was zum Identitätsverlust führt und dadurch die Identitätskrise stiftet. Die vorliegende Arbeit ist auf die Identität im Roman Die größere Hoffnung gerichtet und zielt darauf, die Identitätskrise, der die Figuren ausgesetzt sind, sowie ihre negativen Folgen zu analysieren und die Suche nach eigener Identität von der Protagonistin Ellen sowie ihren jüdischen Freunden aufzuzeigen. In dieser Arbeit wird auch über die Identitätssymbole im Roman und bedeutende Motive, die bei der Identitätssuche in der Handlungsentwicklung des Romans eine wichtige Rolle spielen, ausführlich geforscht. Die vorliegende Arbeit basiert auf werkimmanenten Interpretationen. Ein Überblick über Identitätsbegriff und -typen wird zuerst gegeben, bevor konkrete Analysen über die Identität im Roman durch Interpretationen von bestimmten Episoden durchgeführt werden. Stichwörter: Ilse Aichinger; Die größere Hoffnung ; Identitätskrise; Identitätssuche 3

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung...6 1.1 Motivation und Zielsetzung...6 1.2 Forschungsstand und Forschungsmethode...7 1.3 Aufbau der Arbeit...9 2. Identität...10 2.1 Begriffsbestimmung...10 2.2 Identitätstypen...13 2.3 Identitätssymbol Spiegel als Beispiel...14 3. Leben und Werke...16 3.1 Biographie von Ilse Aichinger...16 3.2 Wichtige Werke von Ilse Aichinger...18 4. Der Erstlingsroman: Die größere Hoffnung...22 4.1 Entstehungsgeschichte...22 4.2 Fassungsvergleich...23 4.3 Inhaltsangabe...24 4.4 Textanalyse...25 4.4.1 Erzählperspektive...25 4.4.2 Poetisierung...27 4.4.3 Religiöse Elemente...29 5. Identität im Roman Die größere Hoffnung...31 5.1 Identitätssymbole...31 5.1.1 Visum...31 5.1.2 Uniform...32 5.1.3 Sprache...34 5.1.4 Stern...35 5.1.5 Spiegel...36 5.2 Identitätskrise...38 5.2.1 Vereinfachung der Identität...38 5.2.2 Gefahren der vereinfachten Identität...39 4

5.2.2.1 Opfer...40 5.2.2.2 Täter...41 5.2.2.3 Zuschauer...42 5.2.3 Zweifel an der vereinfachten Identität...44 5.2.4 Identitätsveränderung...46 5.3 Auf der Suche nach eigener Identität...48 5.3.1 Das heilige Land...48 5.3.2 Übersetzung...51 5.3.3 Spielen...55 5.4 Ellen als Beispiel...59 5.4.1 Identitätsmischung...59 5.4.2 Von großer Hoffnung zur größeren Hoffnung...60 6. Schlusswort...63 Literaturverzeichnis...65 5

1. Einleitung 1.1 Motivation und Zielsetzung Als Mitglied der Gruppe 47 gehört Ilse Aichinger zu den Schriftstellern der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur, aber lässt sich durch ihre mit anschaulichen Eigenheiten trächtigen Werke, die gebührende Distanz zu der Realität wahren, von ihren zeitgenössischen Schriftstellern und Schriftstellerinnen unterscheiden. Mit ihren frühen Erzählungen, die meistens in Schulbücher aufgenommen werden, besonders der Spiegelgeschichte, für die sie den Preis der Gruppe 47 im Jahr 1952 erhielt, ist Ilse Aichinger zwar bekannt, jedoch findet sie sowohl bei den Literaturwissenschaftlern als auch bei den Lesern nicht so viel Beachtung wie andere Mitglieder der Gruppe 47, z.b. Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll und Günter Grass. Nach der Erscheinung im Jahr 1948 ist Aichingers Erstlingsroman Die größere Hoffnung, der davon handelt, dass ein halbjüdisches Mädchen Ellen während des Zweiten Weltkriegs versucht, von der großen Hoffnung, mit ihrer jüdischen Mutter auszuwandern, zur größeren Hoffnung, die innere Freiheit zu erlangen, überzugehen, für lange Zeit vernachlässigt worden, obwohl er seinerzeit in vielen deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften rezensiert wurde. Deswegen sah Peter Härtling den Roman in seiner Rezension (1980) als ein Buch, das geduldig auf uns wartet, 1 an. Erst in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts begann der Roman Die größere Hoffnung mit dem anwachsenden Interesse an der Verarbeitung der Shoa in der Literatur die Aufmerksamkeit der Forschung wieder zu erwecken. In China gibt es keine Übersetzung vom Roman Die größere Hoffnung, und man findet kaum Rezensionen oder Arbeiten über diesen Roman. Das Hauptaugenmerk der vorliegenden Arbeit, die darauf zielt, einen ungewöhnlichen Blickwinkel für Verständnis dieses Romans zu bieten, ist auf die Identität der Figuren im Roman gerichtet, die in den frühen Rezensionen und literaturwissenschaftlichen Arbeiten wenig und indirekt berührt wurde. In dieser Arbeit wird nicht nur die Identitätskrise analysiert, der die Figuren im 1 Vgl. Härtling, Peter: Ein Buch, das geduldig auf uns wartet. In: Moser, Samuel (Hrsg.): Ilse Aichinger. Leben und Werk, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 2003, S. 173-178. 6

Roman begegnen, sondern wird auch versucht, die von der Identitätskrise verursachten negativen Folgen aufzuzeigen. Außerdem lässt sich die Suche nach eigener Identität der jungen Protagonistin sowie ihrer jüdischen Freunde mithilfe drei bedeutsamer Motive des Romans ausführlich forschen. 1.2 Forschungsstand und Forschungsmethode Als Außenseiterin der deutschen Literatur 2 steht Ilse Aichinger seit jeher nicht im Mittelpunkt der Literaturforschung und des Interesses der Kritiker, und die meisten Aichinger-Rezensionen berichten von der Suche nach dem richtigen Umgang mit ihnen (ihren Texten). 3 Kommentarische Abhandlungen über Aichinger und ihre Werke liest man oft in den Sammlungen über deutschsprachige Schriftstellerinnen. In z.b. Heinz Puknus Neue Literatur der Frauen, Elisabeth Reicharts Österreichische Dichterinnen und Jürgen Serkes Frauen schreiben nimmt Aichinger einen Platz. Außerdem wird Johann Sonnleitners Abhandlung Ilse Aichinger in Deutsche Dichter des 20. Jahrhunderts einbezogen. Trotz verschiedener Schwerpunkte sehen die oben erwähnten Abhandlungen durch gleiche Anlage bündige Vorstellung der Biographie von Aichinger als Anfang und ordentliche Analysen repräsentativer Werke der Autorin als Hauptteil einander ähnlich. Es gibt auch Monographien über Aichinger und ihre Werke. Das von Kurt Bartsch und Gerhard Melzer herausgegebene Buch Ilse Aichinger gibt den Lesern einen deutlichen Überblick über Aichingers Vita und Werke, indem es zahlreiche Kritiken zu Person und Werken der Autorin sowie eine eingehende Biographie ihrer Familie sammelt, während man sich umfassend über Aichingers Erlebnisse in der Kriegszeit, ihre Einstellungen zum Massenmord, ihre Sprach- und Schreibphilosophie, sowie ihre Stellung im Literaturkreis im Augen der Kritiker im von Samuel Moser herausgegebene Buch Ilse Aichinger. Leben und Werk informieren kann, wo aufschlussreiche Interviews mit Aichinger, wertvolle Fotos von ihrem Alltagsleben, Originalbeiträge zu der Autorin und Rezensionen über jedes 2 Moser, Samuel: Einleitung. In: Moser, Samuel (Hrsg.): Ilse Aichinger. Leben und Werk, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 2003, S. 11. 3 Ebd., S.12. 7

ihrer Werke nach dem Erscheinungsjahr zu finden sind. Außer den Rezensionen über den Roman Die größere Hoffnung in Zeitungen und Zeitschriften nach seiner Veröffentlichung ist eine Menge literaturwissenschaftliche Arbeiten seit Ende der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts entstanden. In das von Heidy Margrit Müller herausgegebene Buch Verschwiegenes Wortspiel, das Ergebnis eines internationalen Symposiums am 27. und 28. April 1998, wurden drei Beiträge zum Roman Die größere Hoffnung aufgenommen, die über die Shoa-Darstellung, weibliche Schreibweise und die Poetisierung im Roman handeln. 4 Die im Jahr 2001 erschienene Sammlung über Aichingers Werke Was wir einsetzen können, ist Nüchternheit enthält zwei Abhandlungen über den Roman Die größere Hoffnung. Eine davon erörtert das implizierte Judentum im Roman, während die andere sich auf die sprachliche Charakteristik des Romans bezieht. In einem selbständigen Kapitel ihrer im Jahr 2001 veröffentlichten Doktorarbeit Spiegelungen, ein Tanz beschäftigte sich Annette Ratmann hauptsächlich mit der Beziehung zwischen Aichingers Erlebnissen in der Kriegszeit und der Biographie der Protagonistin Ellen, dem Übergang von großer Hoffnung zur größeren Hoffnung und dem den Roman durchziehenden Motiv Übersetzung, um es aufzuzeigen, dass der Roman durch die lineare Steigerung von groß zu größer eine zirkuläre Struktur besitzt. In der Monographie Sind wir denn noch Kinder? (2004) setzte Mariam Seidler Kraft für einen detaillierten Fassungsvergleich des Romans, der erstmals als Schwerpunkt in wissenschaftlicher Arbeit behandelt wurde, und die Auseinandersetzung über Kinderperspektive im Roman ein. Die Forschung in der vorliegenden Arbeit basiert auf den oben erwähnten Abhandlungen und Büchern, und wird durch werkimmanente Interpretationen der bestimmten Episoden im Roman durchgeführt. 4 Vgl. Müller, Heidy Margrit: Vorwort. In: Müller, Heidy Margrit (Hrsg.): Verschwiegenes Wortspiel. Kommentare zu den Werken Ilse Aichingers, Aisthesis Verlag, Bielefeld, 1999, S. 7. 8

1.3 Aufbau der Arbeit Die vorliegende Arbeit besteht aus drei Teilen, insgesamt sechs Kapiteln. Der Hauptteil dehnt sich vom zweiten Kapitel bis das fünfte Kapitel aus. Im zweiten Kapitel wird die theoretische Grundlage für die Analysen dieser Arbeit geschaffen. Mithilfe wissenschaftlicher Wörterbücher sowie einschlägiger Werke wird ein Überblick über den Begriff von Identität vor allem in Philosophie und Psychologie gegeben und die Besonderheiten von Identität werden zusammengefasst. Daneben werden kollektive und individuelle Identität sowie ihre Rollen in der Identitätsbildung erläutert. Bei der Erklärung des Identitätssymbols wird der Spiegel als Beispiel gewählt. Im dritten Kapitel stehen Aichingers Leben und Werke im Brennpunkt. Dabei werden Aichingers Kindheit, Erlebnisse in der Hitlerzeit als Halbjüdin, Lebenserfahrungen nach der Kriegszeit, dichterische Karriere und repräsentative Werke vermittelt. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit dem Roman Die größere Hoffnung. In diesem Kapitel geht es um Entstehungsgeschichte, Fassungsvergleich, Inhaltsangabe des Romans. Außerdem wird hier durch drei in vorhandenen wissenschaftlichen Arbeiten oder Rezensionen am meisten behandelte Forschungspunkte Kinderperspektive, Poetisierung und religiöse Elemente ein grundlegender Einblick in künstliche Eigenheiten dieses Romans gegeben. Im fünften Kapitel wird die Identität im Roman Die größere Hoffnung eingehend untersucht, und es lässt sich in vier Unterkapitel teilen. Zuerst werden fünf in der Handlung latente Identitätssymbole Visum, Uniform, Sprache, Stern und Spiegel durch Interpretation entsprechender Stellen erklärt, damit die Identität, die die Figuren im Roman besitzen, zu entschleiern ist. Anschließend werden die implizierte Identitätskrise im Roman Die größere Hoffnung und die von ihr gebrachten Gefahren aufgezeigt. Dann wird die Suche nach eigener Identität der jüdischen Kinder, der direkten Opfer der Identitätskrise im Roman, unter drei Aspekten das heilige Land, Übersetzung und Spielen analysiert. Zuletzt wird die Protagonistin Ellen mit ihrer speziellen Identität als Beispiel untersucht. Im Schlussteil lassen sich die aus den Analysen gezogenen Konsequenzen zusammenfassen. 9

2. Identität 2.1 Begriffsbestimmung Das Wort Identität leitet sich aus dem lateinischen indem ab, das dasselbe bedeutet, und ist ein schwer zu definierender Begriff, weil sich sein Gehalt mit der Entwicklung der betreffenden Wissenschaften und der Vertiefung der Untersuchungen stets verändert. Außerdem lässt sich seine Mehrdeutigkeit auf den verbreiteten Gebrauch des Wortes im alltäglichen Leben zurückführen. Im Brockhaus Wahrig findet man unter dem Lemma Identität insgesamt drei Bedeutungen: 1. Echtheit einer Person od. Sache, das Existieren von jmdm. od. etwas als ein bestimmter, Individueller, Unverwechselbarer, ein Bestimmtes usw. 2. (Psych.) Gefühl andauernden Einsseins der Person mit den eigenen Vorstellungen, die als beständig erlebte Kontinuität u. Gleichheit des Ich. 3. völlige Übereinstimmung, Gleichheit in allen Merkmalen, Personengleichheit, Wesenseinheit. 5 Hier bietet das Wahrig eine relativ umfassende und synthetische Definition von Identität, aus der es sich ablesen lässt, dass sich die Bedeutungen von Identität voneinander unterscheiden, wenn der Benutzer von verschiedenen Erklärungsmodellen ausgeht. In der philosophischen Theorie ist Identität ein Prädikat, das eine besondere Funktion hat. 6 Sie gilt in den einschlägigen philosophischen Diskursen als ein Prinzip, nach dem ein Gegenstand oder ein Mensch in allen Zusammenhängen und unabhängig von allen Denkoperationen immer derselbe ist. 7 Der sozialpsychologische Identitätsbegriff ist ganz verschieden. In diesem Bereich ist Identität eine komplexe Eigenschaft, die Personen von einem gewissen Lebensalter an erwerben können. 8 Im Vergleich zu dem auf philosophischen Theorien beruhenden Identitätsbegriff, der sich auf einen wissenschaftlichen Terminus beschränkt, wird der psychologische 5 Wahrig, Gerhard / Krämer, Hildegard / Zimmermann, Harald (Hrsg.): Brockhaus Wahrig Deutsches Wörterbuch in sechs Bänden, F. A. Brockhaus,Wiesbaden, und Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, 1981, B. 3, S. 703. 6 Henrich, Dieter: Identität Begriffe, Probleme, Grenzen. In: Marquard, Odo / Stierle, Karlheinz (Hrsg.): Identität, Wilhelm Fink Verlag, München, 1979, S. 135. 7 Vgl. Der große Brockhaus in zwölf Bänden, F. A. Brockhaus, Wiesbaden, 1979, B. 5, S. 470. 8 Henrich, Dieter: Identität Begriffe, Probleme, Grenzen. In: Marquard, Odo / Stierle, Karlheinz (Hrsg.): Identität, Wilhelm Fink Verlag, München, 1979, S. 135. 10

Identitätsbegriff, der mit dem sozialpsychologischen in enger Beziehung steht, meistens im Alltagsleben verwandt. Seine Geschichte beginnt seit Ende des 19. Jahrhunderts von William James, der in Identität ein soziales Selbst einführt, das nach ihm die Summe der Anerkennungen, die ein Individuum von anderen Individuen erfährt, 9 bedeutet, was heute nicht mehr gängig ist. Als Begründer der Psychoanalyse hat Freud einen wichtigen Beitrag zum identitätstheoretischen Strukturmodell in Psychologie geleistet, das sich im Theorierahmen seines Drei-Instanzen-Modells entwickelt. Die Drei-Instanzen bestehen aus dem Es, das vom Trieb der Menschheit gesteuert wird, dem Ich, das unter Kontrolle der Vernunft steht, und dem Über-Ich, das der Moral der Gesellschaft gehorcht. Nach Freud ist Identität somit eine permanente Syntheseleistung, einer Leistung, die den differenten Ansprüchen der drei psychischen Instanzen gleichermaßen Rechnung zu tragen hat und so das Lustprinzip (Es), das Moralprinzip (Über-Ich) und das Realitätsprinzip (Ich) zu einem gewissen Ausgleich bringen muss. 10 Im Unterschied zu Freud teilt G. H. Mead die Identität nur in zwei Teile, das Ich im Sinne von I, das als Subjekt in der Identität gilt, und das Ich im Sinne von Me, das den Objektaspekt der Identität bildet. 11 Die Begriffsbestimmung von Identität in Psychologie verdankt sich E. H. Erikson, der Identität als die unmittelbare Wahrnehmung der Gleichheit und Kontinuität des Selbst in der Zeit und die damit verbundene Wahrnehmung, dass diese auch von anderen erkannt wird, 12 bestimmt. Als psychisches Phänomen enthält der heutige Identitätsbegriff zwei Bedeutungen im Wörterbuch der Psychologie: 1. die Identität eines wahrgenommen Gegenstandes oder Sachverhaltes, auch eines empfundenen, vorgestellten, gedachten, gemeinten Inhalts, in der Mannigfaltigkeit seiner Abschattungen; sie ist abzugrenzen gegen Ähnlichkeit und Analogie. Die Identität-Erlebnis in diesem Sinn ist ein auf die Zeit projiziertes Erlebnis von stark synthetischer Funktion, möglicherweise ein Gestaltprinzip erster Ordnung; 2. die Identität des wahrnehmenden, handelnden, denkenden usf. Subjektes, die als Ich, als Selbst der Person erlebt wird. 13 9 Henrich, Dieter: Identität Begriffe, Probleme, Grenzen. In: Marquard, Odo / Stierle, Karlheinz (Hrsg.): Identität, Wilhelm Fink Verlag, München, 1979, S. 134. 10 Eberstadt, Meike / Kuznetsov, Christin: Bildung und Identität. Möglichkeiten und Grenzen eines schulischen Beitrags zur europäischen Identitätsentwicklung, Peter Lang Internationaler Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main, 2008, S. 17. 11 Vgl. ebd., S. 18. 12 Ebd., S. 17. 13 Hehlmann, Wilhelm (Hrsg.): Wörterbuch der Psychologie, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, 1974, S. 220. 11

Als psychisches Phänomen wird die Identität psychische Störungen oder Krankheiten hervorrufen, wenn ihr Ausgleichszustand gebrochen ist. Dass einer krisenhafte Auseinandersetzungen mit der eigenen Identität hat oder in Krise im Erlebnis mit Identität gerät, wird als Identitätskrise diagnostiziert, die sich meistens als Folge der traumatischen Erlebnisse oder seelischer Erkrankungen präsentiert. 14 Bei Krankheiten wie Ich-Zerfall, Doppel-Ich, Spaltung der Persönlichkeit leidet man auch an Störungen mit Identität-Erlebnis, das entweder herabgesetzt oder aufgehoben wird. 15 Neben der Identitätskrise gibt es auch Identitätsverlust, einen Verlust des Selbstbildes, der geordneten Vorstellungen über sich selbst und über die Einordnung in eine (ebenfalls geordnete oder strukturierte) soziale Umwelt. 16 Identitätsverlust kann durch schwerwiegenden sozialen Positionenwechsel oder die Ablehnung durch eine dem Individuum bedeutsame Bezugsgruppe entstehen. 17 Von den oben erläuterten unterschiedlichen Identitätsbegriffen in verschiedenen Wissenschaften kann man ein paar widersprüchliche Eigenschaften von Identität zusammenfassen. Als Terminus ist Identität kein stabiler theoretischer Begriff, dessen Inhalt von den einschlägigen Erklärungsmodellen abhängig ist, während sie als Phänomen unverändert bleibt, obwohl sie auf einem veränderlichen Fundament basiert. Das heißt, dass das Subjekt, das mit sich selbst identisch ist, dasselbe ist und bleibt, obwohl es in wechselnden Handlungs- und Lebenskontexten sehr unterschiedliche Rollen und Funktionen übernimmt, Orientierungen und Ziele verfolgt und obgleich es im Lauf der Zeit hinzulernt und sich entwickelt, neue Fertigkeiten und Fähigkeiten erwirbt, aber auch einst besessene verliert. 18 Sowohl für Gegenstand als auch für Menschen ist dieser Prinzip geeignet. Die Identitätsbildung ist eine synthetische Folge von dem aktiven Erkennen und der passiven Aufnahme. Einerseits bildet sich die Identität von der aktiven Wahrnehmung des 14 Vgl. Der große Brockhaus in zwölf Bänden, F. A. Brockhaus, Wiesbaden, 1979, B. 5, S. 470. 15 Vgl. Hehlmann, Wilhelm (Hrsg.): Wörterbuch der Psychologie, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, 1974, S. 220. 16 Wörterbuch der Soziologie, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, 1972, S. 321. 17 Vgl. ebd. 18 Eberstadt, Meike / Kuznetsov, Christin: Bildung und Identität. Möglichkeiten und Grenzen eines schulischen Beitrags zur europäischen Identitätsentwicklung, Peter Lang Internationaler Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main, 2008, S. 21. 12

Ich und der Einstellung zum Selbst heraus, andererseits entkommt sie dem Einfluss der Erkenntnisse von Mitmenschen über eigene Rolle in der Gesellschaft und ihrer Erwartungen auf sich nicht. Die ideale Identitätsbildung befindet sich in einem Balancenzustand zwischen eigenen Erkenntnissen über Selbst und den Annahmen von anderen. Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, ist die Identität ein gemeinsames Ergebnis der Innenwelt sowie der Außenwelt. Sie entsteht nicht nur aus den innerlichen Vorstellungen der Menschen, sondern auch aus den Moral-, und Wertanschauungen der Gesellschaft. 2.2 Identitätstypen Die Identität kann man nach ihrer sozialen Funktion in individuelle (persönliche) oder Ich-Identität und kollektive Identität teilen. Die individuelle oder Ich-Identität wird von E. H. Erikson in die Psychoanalyse eingeführt, um die Persönlichkeitsentwicklung in unterschiedlichen Lebensphasen aufzuzeigen. Nach Erikson besteht das menschliche Leben aus acht Stadien der psychosozialen Entwicklung, z.b. der oral-sensorischen Phase, die als die erste Phase mit der Geburt beginnt, der Pubertät- und Adoleszenzphase, in der sich die Identität herausbildet, und der Reife-Phase. 19 Die Ich-Identität stellt Erikson als Ergebnis von Fähigkeiten bzw. als Leistung von Einzelpersonen dar, die Schritt für Schritt im Laufe des Lebens hergestellt wird. 20 Im Wörterbuch der Soziologie wird die Ich-Identität als ein Begriff angesehen, der die Identifizierung des Individuums durch Sozialisation in der Gesellschaft und die Persönlichkeitsbildung in diesem Prozess umschreibt: Ich-Identität bewirkt, dass das Individuum zwischen seiner persönlichen Identität (d.h. der Struktur seiner individuell gemachten Erfahrungen und vollzogenen Prägungen) und seiner sozialen Identität (d.h. den ihm durch Rollenerwartungen abverlangten Verhaltensstrukturen) ein Balance-Verhältnis herstellen in dem Sinn, dass es trotz seiner Einzigartigkeit sich nicht durch Isolierung aus der Kommunikation und Interaktion mit anderen ausschließen lässt und andererseits sich nicht unter die für es bereitgehaltenen sozialen Erwartungen total subsumieren bzw. an diese anpassen lässt. 21 19 Vgl. Greiffenhagen, Sylvia / Dornheim, Andreas: Einführung: Identität und politische Kultur. In: Greiffenhagen, Sylvia / Dornheim, Andreas (Hrsg.): Identität und politische Kultur, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart, 2003, S. 16. 20 Eberstadt, Meike / Kuznetsov, Christin: Bildung und Identität. Möglichkeiten und Grenzen eines schulischen Beitrags zur europäischen Identitätsentwicklung, Peter Lang Internationaler Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main, 2008, S. 17. 21 Wörterbuch der Soziologie, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, 1972, S. 319. 13