Entwurf des Dritten Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung Bewertung und Zusammenfassung

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Transkript:

Arbeitskreis IV Gesundheit und soziale Sicherung Leitung: Klaus Ernst 28.05.2008 Entwurf des Dritten Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung Bewertung und Zusammenfassung Dr. Katrin Mohr (Referentin soziale Sicherung/Rentenpolitik) In einem unüblichen Vorgehen stellte Arbeitsminister Scholz am 18. Mai den Entwurf des Dritten A r- muts- und Reichtumsberichts der Presse vor, bevor dieser durch die Ressortabstimmung der Ministerien gegangen ist. Diese erfolgt nun, ein Kabinettsbeschluss ist für den 25. Juni geplant. Im Folgenden wird eine Bewertung aus Sicht der LINKEN (I.) vorgenommen sowie die Kernaussagen des Berichts zu verschiedenen Bereichen (II.) und die von der Regierung unternommenen und geplanten Maßnahmen dargestellt (III.). I. Bewertung 1. Der Bericht ist ein Armutszeugnis für Rot-Grün. Denn der Zeitraum, den er abdeckt, erstreckt sich im Wesentlichen auf die Jahre 1998 bis 2005. In dieser Zeit hat die Armut und Ungleichheit deutlich zugenommen. Der beklagte Anstieg der Armut trotz Arbeit ist eine logische Folge der Hartz-Gesetze, die dem Motto folgten Jede Arbeit ist zumutbar. Die parallele Zunahme von Beschäftigung und Armut zeigt jedoch: Sozial ist, was Arbeit schafft ist falsch! nur gute Arbeit ist sozial. 2. Der Bericht verschleiert das wahre Ausmaß der Zunahme von Armut und Einkommensungleichheit. Die Daten, die in Mittelpunkt gestellt werden und aus der europäischen Datenbasis EU-SILC 1 ermittelt wurden, sind nicht mit Daten des Zweiten Armuts- und Reichtumsberichts vergleichbar. Hier lag die Armutsrisikogrenze bei 938 Euro, im Dritten Bericht nur noch bei 781 Euro. Nach den Daten des sozioökonomischem Panel (SOEP) 2 des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Bericht in einer Tabelle auf S. 294, aber nicht im Text dargestellt liegt die Armut nicht bei 13 Prozent, sondern bei 18 Prozent und hat zwischen 1998 und 2005 um sechs Prozentpunkte und nicht wie nach EU-SILC um einen Prozentpunkt zugenommen. Die Kinderarmut liegt nach SOEP-Daten bei eklatanten 26 Prozent. Selbst die diese Woche von der Familienministerin vorgestellte Prognos-Studie sieht die Kinderarmut bei 17 Prozent. Der Armutsbericht weist sie dagegen auf Basis von EU-SILC nur mit 12 Prozent aus. 3. Egal welche Zahlen man zugrunde legt, ist eine so hohe Armutsquote eine Schande für ein reiches Land wie Deutschland. Auch sind die Daten zur Arbeitslosigkeit und zur Beschäftigungsentwicklung, die zur Entwarnung herangezogen werden, beschönigend. Die Arbeitslosigkeit liegt immer noch bei über fünf Mio., bezieht man TeilnehmerInnen an arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und die stille Reserve mit ein. Die Beschäftigungsquote Älterer, die zur Rechtfertigung der Rente ab 67 herangezogen wird, sieht für die über 60-Jährigen deutlich schlechter aus als für die gesamte Gruppe der 55- bis 65-Jährigen. Wie dramatisch die Lage Älterer am Arbeitsmarkt nach wie vor ist, zeigt etwa eine Studie 1 EU-SILC ist die Gemeinschaftsstatistik über Einkommens- und Lebensbedingungen der EU, die erst seit wenigen Jahren erhoben wird. Sie ermöglicht eine Vergleichbarkeit der Lage in Deutschland mit der in anderen europäischen Ländern, was von der Bundesregierung in Anschlag gebracht wird, um die Auswahl der Daten(basis) zu rechtfertigen. Umstritten ist allerdings, ob EU-SILC überhaupt repräsentative Aussagen ermöglicht. 2 Das Sozioökonomische Panel (SOEP) wird vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung erhoben und stellt neben dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes die umfassendste und bewährteste Längsschnittdatenbasis für sozioökonomische Entwicklungen in Deutschland dar. 1

des IAB (Kurzbericht 25/2007), nach der mit 64 Jahren nur noch 5% der Männer und 3% der Frauen in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung sind. 4. Scholz sagt Der Sozialstaat wirkt!, weil die geschönte Armutsrisikoquote durch Tran sfers halbiert wird. Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und des Soziologischen Forschungsinstituts (SOFI) zeigen jedoch eine deutlich nachlassende Wirkung staatlicher Umverteilung in den letzten Jahren. 3 5. Die Regierung behauptet, der Bericht sei bereits veraltet, die Zahlen müssten seit 2006 wegen des konjunkturellen Aufschwungs besser geworden sein. Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK-Report Nr. 27) zeigt aber, dass der Aufschwung bei den unteren Einkommensgruppen nicht ankommt. 6. Hartz IV ist und bleibt auch mit der geschönten Armutsquote Armut per Gesetz: Die Armutsrisikogrenze liegt laut Bericht für alleinstehende Person bei 781, 4 Hartz IV (Regelsatz plus Kosten der Unterkunft) bei ca. 670 und damit deutlich darunter. 7. Die angeführten Maßnahmen der Regierung sind völlig unzureichend: Es gibt keine Maßnahmen zur Armutsbekämpfung im Bereich Hartz IV und in der Rente, keine Erhöhung der Regelsätze. Die Maßnahmen gegen Kinderarmut greifen zu kurz. Insbesondere Alleinerziehende, die ein besonders hohes Armutsrisiko haben, sind weitgehend von Maßnahmen wie dem Kinderzuschlag ausgeschlossen, die die Hilfebedürftigkeit allein aufgrund des Vorhandenseins von Kindern verhindern sollen. Mindestlöhne werden zwar als wichtiges Mittel zur Bekämpfung von Armut (trotz Arbeit) propagiert, werden aber mit dieser Regierung nicht gesetzlich verankert. Die große Koalition bleibt damit eine Koalition der Spaltung und der bloßen Armutsverwaltung. II. Kernaussagen des Berichts zu verschiedenen Bereichen Armut: - Das Armutsrisiko (wie nach europäischen Standards üblich definiert als 60 Prozent des Medianeinkommens) liegt nach der Datenbasis EU-SILC bei 13 Prozent, vor Transfers bei 26 Prozent. Damit ist jeder Achte in Deutschland armutsgefährdet (vor Transfers jeder Vierte). Die Armutsrisikogrenze liegt bei 781 Euro. - Besonders gefährdet sind Arbeitslose (43%), Alleinerziehende (24%) und Personen ohne Berufsabschluss (19%). Menschen mit Migrationshintergrund sind mit 28,2 Prozent deutlich stärker von Armut betroffen als Deutsche (11,6 Prozent). - dauerhafte Armut (in zwei von drei Vorjahren unter der Armutsrisikogrenze) hat von 9 Prozent im Jahr 2002 auf 11 Prozent in 2005 zugenommen. - Nach den Daten des Sozioökonomischen Panel (SOEP), die im Bericht in einer Tabelle auf S. 294, nicht jedoch im Text dargestellt sind, ist die Armut (ebenfalls definiert als 60 Prozent des Medianeinkommens) zwischen 1998 und 2005 von 12 auf 18 Prozent gestiegen. Die Armut von Kindern unter 15 Jahren liegt demnach aktuell bei 26 Prozent und damit eklatant höher als nach der Datenbasis EU- SILC (hier nur 12 Prozent). Auch Alleinerziehende sind nach den Daten des SOEP deutlich häufiger von Einkommensarmut bedroht (36 Prozent) als nach der europäischen Statistik (24%). - Ost/West-Unterschied: nach EU-SILC Armut im Westen bei 12%, im Osten bei15%; nach SOEP bei 17 bzw. 22%. 3 Laut DIW hat die Spreizung der Einkommen nach Transfers zwischen 1998 und 2005 stärker zugenommen (+21%) als die Spreizung der Markteinkommen (+13%). Nach Erkenntnissen des SOFI konnten im Jahr 2000 noch 64 Prozent der Armen durch staatliche Transfers über die Armutsrisikogrenze gehoben werden, 2005 waren es nur noch 58,4%. 4 Nach SOEP-Daten liegt die Armutsrisikogrenze bei 880 Euro. 2

Armut trotz Arbeit: - Zahl der Niedriglohnbeschäftigten wächst: Mehr als ein Drittel der Beschäftigten (36,4%) unterhalb der Niedriglohnschwelle gegenüber einem Viertel Anfang der 1990er Jahre. Armutsrisikoquote bei 12% gegenüber 9% in 2002 und 6% in 1998. Auch bei Vollzeit Zunahme der Niedriglöhne (von 8,8% in 2002 auf 9,3% 2005). Entgegen dem europäischen Trend Zunahme der arbeitenden Armen. Altersarmut: - Die Altersarmut liegt laut beiden Datenquellen bei 12-13 Prozent und ist relativ konstant. Sie wird von der Bundesregierung nicht als aktuelles Problem betrachtet, da nur 2,3 Prozent Grundsicherung im Alter beziehen. Allerdings wird das untere Einkommensquintil als künftig gefährdet angesehen, da hier viele Menschen große Lücken in der Rentenbiografie aufweisen. Armut & Hartz IV: - 9,6 Prozent der privaten Haushalte beziehen Leistungen nach dem SGB II - Das verfassungsrechtlich garantierte soziokulturelle Existenzminimum wird nach Auffassung der Bundesregierung durch die SGB II-Leistungen gewährleistet. - Das Ergebnis von Hartz IV sei nicht klar, es gäbe aber Hinweise darauf, dass sie im Durchschnitt zu einer Minderung der Einkommen der ehemaligen Arbeitslosenhilfe-Empfänger führte (23). Kinderarmut/Familienarmut: - Kinderarmut (bis 15 Jahre) nach EU-SILC bei 12%, Senkung durch Transfers von 34% auf 12%, nach SOEP bei 26%, 1,8 Mio. Kinder unter 15 J. im SGB II-Bezug. - Armutsrisiko vor allem dann, wenn Kinder in Alleinerziehenden-Haushalten, in Haushalten mit geringer Erwerbsbeteiligung oder mehreren Kindern aufwachsen. - deutlicher Zusammenhang zwischen Nichterwerbstätigkeit der Eltern und Armutsrisiko von Familien und Kindern: Armutsgefährdung von Familien mit Kindern sinkt mit Aufnahme einer Vollzeitbeschäft i- gung durch ein oder mehrere erwerbsfähige Haushaltsmitglieder von 48% auf 8 bzw. 4%. Steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen verhindert Kinderarmut, gerade bei Alleinerziehenden. Zentrale Rolle von Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Kindererziehung für Armutsvermeidung. Wirkung des Sozialstaats: - Das Armutsrisiko wird durch Sozialtransfers deutlich von 26% auf 13% (bei Kindern von 34% auf 12%) gesenkt und liegt damit jeweils unter dem europäischen Durchschnitt. Deutschland gehört zu den OECD-Staaten, in denen die Ungleichheit der Markteinkommen mit am stärksten durch Steuern und Sozialabgaben gesenkt wird. Allerdings hat das Ausmaß der sozialstaatlichen Umverteilung 2002-2005 leicht abgenommen und ist die Verteilung nach Transfers im OECD-Vergleich nur durchschnittlich. Reichtum: - 6,4% bzw. 5 Mio. Personen (einfache Einkommensverteilung) bzw. 8,8% bzw. 6,8 Mio. Personen (integrierte Einkommens- und Vermögensperspektive) gelten als reich (Einkommen doppelt so hoch wie das mittlere Einkommen). Die Reichtumsgrenze liegt bei 3.268 bzw. 3.418 netto/monat für eine alleinstehende Person, bei einem Paarhaushalt mit zwei Kindern bei 6.863 netto. Die Zahl der Reichen hat laut EU-SILC zwischen 2004 und 2005 von 5 auf 6% zugenommen, nach SOEP-Daten von 8 auf 9%. - Die höchsten Reichtumsquoten finden sich bei Selbständigen und Beamten. - Ost/West-Unterschied: Der Reichtum ist im Westen mit 10,2% fünfmal höher als im Osten (2,1%) Einkommensentwicklung: - Rückgang des bedarfsgewichteten durchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommens (von 19.255 auf 18.778 ), Abnahme der Mittelschicht (75-150% des Medians) von 53% auf unter 50% zwischen 2002-2005, zunehmende Ungleichheit. - Bruttolöhne und -gehälter zwischen 2002 und 2005 real um 4,8% (von 24.873 auf 23.684 ) gesunken. - Entlohnung von Spitzenmanagern: Vergütungen haben sich stark erhöht - Großer Teil der Bevölkerung der Auffassung, dass man nur reich wird, wenn man über günstige Beziehungen und Ausgangsbedingungen verfügt; Akzeptanz von Reichtum eher gering. Bericht warnt vor 3

Gefahr für Gesellschaftsordnung, wenn Diskrepanz zwischen Arm und Reich zu groß wird: Werden die Unterschiede zwischen Arm und Reich als relativ groß und schwer überwindbar wahrgenommen, kann dies die Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft und der Demokratie grundlegend in Frage stellen (S. 24) Arbeitsmarkt und Beschäftigung: - Der Schlüssel zur Armutsvermeidung ist eine sozial abgesicherte vollzeitnahe Beschäftigung (S. XX). - positive Arbeitsmarktentwicklung: Die Arbeitsmarktreformen waren erfolgreich, haben Aufschwung begünstigt: Arbeitslosigkeit ging im Beobachtungszeitraum um 2% zurück. Aufschwung kommt allen Personengruppen zugute: Arbeitslosigkeit sinkt auch bei Langzeitarbeitslosen (von 3 auf 2,3 Mio. in den letzten zwei Jahren) und Risikogruppen. Beschäftigungsziele der EU bei Frauen (60% Erwerbsbeteiligung ) und Älteren (50%) mit 64 respektive 51% bereits übertroffen, bei Gesamtbevölkerung mit 69,4% fast erreicht (Soll: 70%). Erwerbstätigkeit hat mit 39,7 Mio. höchsten Stand seit der Wiedervereinigung. Positive Entwicklungen am Arbeitsmarkt seit 2006 werden in Bericht noch nicht abgebildet, da nur Daten bis 2005 vorliegen. - Flexible Beschäftigungsformen haben zugenommen, hohe Erwerbstätigenquote beruht v.a. auf Zuwachs bei selbständiger und geringfügiger Beschäftigung. Leiharbeit hat sich zwischen 12/2003 und 12/2006 fast verdoppelt auf 731.000; Seit 2006 Beschäftigungszuwachs aber durch sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Niveau liegt mit 26,85 Mio. jedoch immer noch unter Niveau von 1998. Flexible Erwerbsformen dienen Wiedereinstieg, sollen Brücke in reguläre Beschäftigung sein, müssen durch branchenspezifische Mindestlöhne abgesichert werden. Minijobs keine Brücke in reguläre B e- schäftigung. Bei Leiharbeit muss auf Fehlentwicklungen geachtet werden. - Zunahme von Armut trotz Arbeit (s.o.) - Sorge der Bundesregierung über zunehmendes Armutsrisiko von Erwerbstätigen, zu niedriges Niveau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und die Zunahme von Selbständigen mit niedrigen Einkommen und fehlender sozialer Absicherung. Bildung: - Bildung entscheidend für Teilhabechancen und Existenz sichernde Erwerbsbeteiligung, muss im frühen Kindesalter beginnen. Risikogruppe der frühen Schulabgänger (Rechtsanspruch auf Abschluss im SGB III), Zusammenhang zwischen Bildung und Herkunft (besonders bei Migranten) muss abgeschwächt werden. Lebenslanges Lernen. - Schwerpunkt im Tabellenanhang auf Bildungsteilhabe Gesundheit: - deutlicher Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Gesundheit, Armut halbiert Chance auf guten Gesundheitszustand. - Kinder + Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien haben verstärkt Krankheiten, Gesundheitsstörungen und Übergewicht. Nur 32% der Kinder aus Familien mit niedrigem Sozialstatus weisen sehr guten Gesundheitszustand auf im Vgl. zu 38 bzw. 48% aus Familien mit mittlerem und hohem Sozialstatus. Wohnen: - langfristig positiver Trend bei der Wohnungsversorgung - Mieten stiegen mit1% jährlich nur moderat, allerdings starke Belastung durch gestiegene Energiepreise (+7,3% zwischen 2002-2006) - Halbierung der Wohnungslosigkeit seit 1998 auf 254.000 in 2006. Politische + gesellschaftliche Partizipation - korreliert stark mit Einkommen, Bildung und Ausländerstatus 4

III. Maßnahmen der Bundesregierung Wie auch in den bisherigen Armuts- und Reichtumsberichten versammelt die Regierung im umfangreichen Teil D sämtliche Maßnahmen, die in den letzten Jahren unternommen wurden und derzeit in A n- griff genommen werden, und verkauft sie als wirksame Mittel zur Armutsbekämpfung. Mit Blick auf die Vergangenheit werden dabei zentral die Arbeitsmarktreformen der Jahre 2003-2005 gerechtfertigt. Auch die Rentenreformen werden als Beitrag zur nachhaltigen Sicherung der Alterseinkommen darg e- stellt. So sei etwa die Rente ab 67 richtig und führt künftig zu einer höheren Altersrente, wenn die Versicherten länger arbeiten (169). Ein weiterer Schwerpunkt liegt im Bereich der Kinder- und Familienpolitik. Hier werden die bereits in Angriff genommenen Maßnahmen (Elterngeld, Ausbau der Kinderbetreuung, Ausweitung des Kinderzuschlags) referiert. Außerdem wird die Ausweitung von Mindestlöhnen per Arbeitnehmerentsende- und Mindestarbeitsbedingungsgesetz als wichtige Maßnahme gegen Armut trotz Arbeit propagiert. Steuersenkungen wird eine Absage erteilt, weil sie die Leistungsfähigkeit des Sozialstaats bei der Armutsbekämpfung beeinträchtigen würden. Hinsichtlich der Armutsbekämpfung durch Mindestsicherung ist die Bundesregierung der Meinung, dass Sozialhilfe und Grundsicherung vor Armut und Ausgrenzung schützen (S. 173) und mit der Angleichung der Regelsätze zwischen Ost und West und der Rentenanpassung 2008 ein wichtiger Be i- trag zur Sicherstellung des soziokulturellen Existenzminimums geleistet worden sei. Derzeit werde nur noch geprüft, ob die der Regelsatzbemessung zugrunde liegenden Daten rascher zur Verfügung stehen können, ob an den Kinderregelsätzen etwas zu verändern sei und ob und ggf. wo zusätzliche Hilfen für Kinder und Jugendliche geleistet werden können. Dabei wird sogleich auf Länder und Gemeinden verwiesen. 5