Zukunft der Arbeit SOFI. Beitrag zur Vollkonferenz Attraktive Stahlarbeit 21./22. März Prof. Dr. Martin Baethge SOFI Göttingen

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Transkript:

Zukunft der Arbeit Beitrag zur Vollkonferenz Attraktive Stahlarbeit 21./22. März 2012 Prof. Dr. Martin Baethge Göttingen

Argumentationsschritte - Entwicklung von Arbeit und Arbeitsmarkt nach Berufssektoren und Qualifikationsniveaus (Makroebene) - Der Wandel der Tätigkeitsstruktur: von technisch basierter Herstellungs- zu personenbezogener Interaktionsarbeit - Herausforderungen für die Gestaltung einer solidarischen Arbeitswelt 2

Erwerbstätige nach Wirtschaftsbereichen 1870 bis 2006 (Anteile an Erwerbstätigen insgesamt in Prozent) in % 80 70 60 50 40 30 20 10 0 1870 1913 1950 1960 1970 1980 1991* 1996 2001 2006 Primärer Sektor Sekundärer Sektor (inkl. Baugewerbe) Tertiärer Sektor * Bis 1991 früheres Bundesgebiet, ab 1991 Deutschland. Quelle: Destatis/gesis-zuma/WZB 2008; für Daten vor 1950 Maddison 1995). 3

Erwerbstätige 2005 bis 2025 nach Berufshauptfeldern (in %, absolute Werte in Tsd. in Klammern) Rohstoffgewinnende Berufe 2,4 (920) 2,1 1,9 Be-, verarbeitende u. instandsetzende Berufe Maschinen u. Anlagen steuernde und wartende Berufe Berufe im Warenhandel, Vertrieb 13,8 (5.2457) 5,0 (1.915) 11,0 (4.189) 21,2 12,7 11,7 19,3 4,5 4,3 10,7 10,4 Produktionsbezogene Berufe 17,9 Verkehrs-, Lager-, Transport, Sicherheits -, Wachberufe Gastronomie- und Reinigungsberufe 9,2 (3.507) 10,4 (3.954) 47,9 9,0 11,5 47,6 8,8 12,6 Primäre Dienstleistungsberufe 47,6 Büro, kfm. Dienstleistungsberufe 17,4 (6.630) 16,4 15,8 Technisch-naturwissen-schaftliche Berufe Rechts-, Management- u. wirtschaftswiss. Berufe Künstl., Medien-, geistes- u. sozialw. Berufe Gesundheits- und Sozialberufe, Körperpflege 8,4 (4.224) 4,6 (1.738) 3,0 (1.138) 11,2 (4.275) 30,9 8,4 8,5 5,0 5,3 3,4 3,7 33,1 12,6 13,5 Sekundäre Dienstleistungsberufe 34,5 Lehrberufe 3,7 (1.418) 3,7 3,6 4 2005 2015 2025 Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Mikrozensus 2005; Berechnungen: Helmrich/Zika (2010).

Arbeitsmarktbilanz (Arbeitskräftebedarf und angebot) für die vier Hauptqualifikationsgruppen bis 2025 5

Entwicklung der Beschäftigtenzahl und des Anteils der Beschäftigten in Einfacharbeit (EA, 2001-2010) Quelle: Bellmann/Stegmaier: Einfacharbeit in der Krise? In: Arbeit, H. 3/2011, S. 197 6

Zwischenresümee - Fortsetzungdes sektoralen Wandels der Erwerbstätigkeit von Produktions- zu Dienstleistungstätigkeiten Dominanz eines neuen Typus von Arbeit - Arbeit und Arbeitsmärkte werden nach bisheriger Geschlechtertypik der Berufe weiblicher neue Bedürfnisstrukturen für die Organisation von Arbeit - Generelles qualifikatorisches upskilling (ohne Verschwinden von geringqualifizierter Arbeit) Gefahr der Verfestigung von Flexibilitätsbarrieren am Arbeitsmarkt und gesellschaftlicher Spaltungslinien - Fortdauer, möglicherweise Expansion prekärer und unsicherer Beschäftigungsverhältnisse Gefahr gesellschaftlicher Deklassierung 7

Dienstleistungen als interaktive Arbeit Wo immer sie auch ausgeübt werden: fast überall sind Dienstleistungstätigkeiten interaktive Arbeit. Das heißt eine Arbeit, die unmittelbar bedürfnisbezogen auf ein konkretes Gegenüber (Individuen oder Organisation) gerichtet ist, dessen Wille die Richtschnur für das Arbeitshandeln abgibt (bzw. abgeben sollte), selbst wenn der Wille oder das Bedürfnis nicht in präzisen Anweisungen artikuliert werden kann. Das Bedürfnis des Gegenüber handele es sich um einen Kunden im Warenaustausch, um einen Klienten im Beratungs- oder Betreuungsgeschäft oder einen Patienten im Pflege- und Gesundheitswesen zu präzisieren und gemeinsam Wege zu seiner Befriedigung zu erarbeiten, macht den Kern der Interaktivität von Dienstleistungsarbeit aus. 8

Handlungsstruktur interaktiver Arbeit (Mikroebene) Zielperspektive: Arbeitsinhalt: Leistungstyp: Individuelle Handlungsregulation im Arbeitsprozess: Externe Steuerung der Handlungssituation: Unmittelbare Bedürfnisbefriedigung von Kunden/Klienten/ Patienten (Individuen oder Organisationen) in definierten Situationen Thematisch zentrierte Kommunikation über Problemlösungen als dominanter Inhalt Situationenbezogenes Interpretations-, Entscheidungs- und ggf. Interventionshandeln Hohes Maß an Selbstorganisation, Selbstreflexion und Selbstkontrolle in actu (im Arbeitsverhalten) Begrenzte Standardisierbarkeit und Rationalisierbarkeit der Arbeitsabläufe 9

Idealtypische Gegenüberstellung der Tätigkeitstypen interaktive Arbeit (Dienstleistungen) und herstellende Arbeit (Industrie) Tätigkeitsmerkmale herstellende Arbeit (Industrie) interaktive Arbeit (Dienstleistungen) Inhalt Umgang mit Sachen/ Umgang mit Symbolen und oder Gegenständen (materiell) Menschen (immateriell) Leistungstypus Technisch vermittelte Situationsbezogenes Interpretations-, Prozessgestaltung bei Entscheidungs- und ggf. Güterherstellung Interventionshandeln Bedürfnisbezug Indirekte Bedürfnisbefriedigung Individuelle Bedürfnisbefriedigung von über situationsunabhängige Kunden/Klienten/Patienten in je Güterdistribution spezifisch definierten Situationen Handlungsregulation Handlungsorganisation und Hohes Maß an Selbstorganisation, -kontrolle entlang Aktivierung Selbstreflexion und Selbstkontrolle in vor allem technischen Wissens actu (im Arbeitsverhalten) Kommunikation Mittel zum Zweck Inhalt und Zweck 10

Das deutsche Modell einer solidarischen Arbeitsgestaltung: Infragestellung seiner Funktionsvoraussetzungen Institutionen - Sozialpartnerschaftliche Betriebsverfassung - Unternehmensmitbestimmung - Flächentarifvertrag - Solidarisches Sozialversicherungssystem Bestands- und Funktionsvoraussetzungen Erosionstendenzen - Einheitsgewerkschaften - Großbetriebe als strukturbestimmend für Interessenorganisierung - Facharbeit als dominanter Arbeitertypus - Männliche Vollerwerbsarbeit als normative und materielle Basis des Sozialversicherungssystems 11

Herausforderungen für eine solidarische Gestaltung der Arbeitswelt in der Zukunft Transformation der Institutionen des sozialpartnerschaftlichen Modells Deutschlands von seiner industriegesellschaftlichen Verankerung in Richtung auf eine nachindustrielle Erwerbsstruktur - Neue Balance zwischen gemeinsamen und individuellen Arbeitsbedürfnissen - Stärkung arbeitsplatz- bzw. funktionsbezogener Mitbestimmung von Beschäftigten im Betrieb: Anerkennung von Professionalität gegen Hierarchie - Ausgleich zwischen betrieblichen Arbeits- und individuellen Reproduktionsbedürfnissen: Erweiterung des Interessenspektrums - Vereinbarkeit von Kundenbedürfnissen und Beschäftigteninteressen (Qualität von Dienstleistung und guten Arbeitsbedingungen) Grenzüberschreitende Abstimmungsprozesse im Zuge einer globalen Arbeitsteilung 12

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit 13