Neue Wege in der Zweitwohnungspolitik Problemanalyse und prüfenswerte Massnahmen Referat vor dem Rotary Club Davos anlässlich der Sitzung vom 5. September 2006. Peder Plaz, Geschäftsführer Wirtschaftsforum Graubünden Chur, 5. September 2006 Wirtschaftsforum Graubünden, Gäuggelistr. 16, Postfach, 7001 Chur www.wirtschaftsforum-gr.ch; info@wirtschaftsforum-gr.ch Telefon ++41 (0)81 254 34 34; Telefax ++41 (0)1 299 95 10
Inhalt 1 Kurzer Problemaufriss 2 Mögliche Stossrichtungen für die Zweitwohnungspolitik 3 Überlegung zur Beschränkung des Zweitwohnungsbaus 4 Ansiedlung, Masterplanung und Lenkungsabgaben 5 Prüfenswerte Massnahmen 2
1 Problemaufriss Internationaler Wettbewerb um Marktanteile Abb. 1: Entwicklung der Tourismusnachfrage 190 Indexierte Entwicklung (Index 1985 = 100) 180 170 160 150 140 130 120 110 100 Einnahmen Incoming-Tourismus weltweit Einnahmen Incoming-Tourismus Schweiz Ausgaben Schweizer Touristen im Ausland Ausgaben Schweizer Touristen im Inland 90 80 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 Der Tourismus ist ein Wachstumsmarkt. Die Schweiz wie auch der Alpentourismus allgemein verliert jedoch Marktanteile. 3
1 Problemaufriss Wohnungsbau in Graubünden Abb. 2: Anzahl neu erstellte Wohnungen in Graubünden 1'200 Grösste 10 Tourismusdestinationen gemessen an den neu erstellten Wohnungen Chur Übrige Orte in Graubünden 1'000 800 Anzahl Wohnungen 600 400 200-1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 Quelle: Wirtschaftsforum Graubünden / BFS 4
1 Problemaufriss Gegenläufige Entwicklung der Beherbergungskapazitäten Abb. 3: Entwicklung der Kapazitäten in der touristischen Beherbergung im Kanton Graubünden zwischen 1990-2000 in Betten bzw. Wohnungen Anzahl zeitweise benutzte Wohnungen 14.0% Betten in vermieteten Ferienwohnungen -6.2% Betten in Hotel- und Kurbetrieben -5.0% Quelle: Wirtschaftsforum Graubünden / BFS -10% -5% 0% 5% 10% 15% 20% In den Destinationen Graubündens findet ein Strukturwandel von einer kommerziellen hin zu einer privaten Beherbergungsstruktur statt. Konsequenz dieses Strukturwandels ist die Reduktion des Wertschöpfungspotentials der Destinationen. 5
1 Problemaufriss Veränderung Anteil vermietete Zweitwohnungen (1993-2000) Abb. 4: Veränderung des Anteils der vermietbaren Wohnungen am Zweitwohnungsbestand zwischen 1993 und 2000 30% 20% 10% 0% -10% -20% -30% Savognin-Surses Flims-Laax-Falera Val Müstair Übrige Orte Zernez Grüsch-Danusa Klosters Bergün Davos Arosa Breil/Brigels Feldis Vals Viamala Scuol Bergell Lenzerheide Bivio Tschiertschen Samnaun Val Lumnezia-Obersaxen Oberengadin Disentis-Sedrun Val Poschiavo Chur -40% -50% -60% Quelle: Wirtschaftsforum Graubünden / BFS Lesehilfe: Wenn in Savognin-Surses im 1993 30% der Zweitwohnungen vermietet wurden, wurden 2000 weniger als 15% vermietet 6
1 Problemaufriss Weniger Beschäftigte mehr Wohnungen Abb. 5 Entwicklung verschiedener Kennzahlen in Graubünden -14% Beschäftigte Übrige Regionen/Orte Bevölkerung Erstwohnungen 10% 10% Zweitwohnungen 14% -10% Beschäftigte Top-10- Tourismusdestinationen Bevölkerung Erstwohnungen 8% 13% Zweitwohnungen 10% -3% Beschäftigte Bündner Rheintal Bevölkerung Erstwohnungen 11% 13% Zweitwohnungen 95 Quelle: Wirtschaftsforum Graubünden / BFS -20% -15% -10% -5% 0% 5% 10% 15% 20% Entwicklung Zweitwohnungen 1990-2000 Entwicklung Erstwohnungen 1990-2000 Entwicklung Bevölkerung 1990-2003 Entwicklung Beschäftigung 1991-2001 7
1 Problemaufriss Relative Bedeutung der Umsätze Abb. 6: Gesamtumsatz der Hotellerie, der Zweitwohnungen (nur Bau und Betrieb) und der Bergbahnen in Graubünden und deren gegenseitige relative Bedeutung Totalumsatz der 3 betrachteten Bereiche: CHF 2'397 Mio. Umsätze aus Betrieb und Bau von Zweitwohnungen in GR 35% CHF 849 Mio. CHF 1'178 Mio. Hotelumsätze in GR 50% CHF 370 Mio. Bergbahnumsätze in GR 15% Quelle: Wirtschaftsforum Graubünden 8
1 Problemaufriss Hauptkreisläufe aus der Bautätigkeit von Zweitwohnungen Abb. 7: Hauptkreisläufe aus der Bautätigkeit von Zweitwohnungen Wertschöpfung für die Zweitwohnungseigentümer (hohe Immobilienwerte) Wertschöpfung für die Tourismuswirtschaft (Gebrauch) Bau von Zweitwohnungen wertschöpfender Kreislauf (win-win) Wertschöpfung in Bau- und Immobilienwirtschaft (Bau/Handel) Steuereinnahmen für die öffentliche Hand Mangels Zweitwohnungsnachfrage verlieren die Immobilien in der Destination markant an Wert. Reduktion touristischer Attraktivität wegen Bodenverbrauch, Zersiedlung und Geisterstadtatmosphäre Aktuelle demografische und wirtschaftliche Voraussetzungen erzeugen längerfristige Zweitwohnungsnachfrage Touristische Angebote (Bergbahnen, Gastronomie, Detailhandel) schrumpfen und verschlechtern die touristische Attraktivität der Destination wertvernichtender Kreislauf (lose-lose) Fehlende Tourismusfrequenzen und zunehmende Unterschiede zwischen Spitzen/ und Basisnachfrage erschweren ein kommerziell erfolgreiches Wirtschaften der Tourismusanbieter Druck auf Umnutzung der kommerziellen Hotellerie Wenn der wertschöpfende Kreislauf läuft, wird automatisch auch der wertvernichtende Kreislauf angetrieben. Läuft der wertvernichtende Kreislauf ohne Korrektur wird er dazu führen, dass der wertschöpfende Kreislauf abgewürgt wird ( Gefährdung der Nachhaltigkeit). Schlussfolgerung: Um den wertschöpfenden Kreislauf zu erhalten muss der wertvernichtende Kreislauf kontrolliert werden. Aktuelle ungünstige Wettbewerbsbedingungen für die Tourismuswirtschaft in der Schweiz erhöhen den Umnutzungsdruck zusätzlich Quelle: Wirtschaftsforum Graubünden 9
1 Problemaufriss Kommerzieller Kern Abb. 8: Schematische Darstellung einer Tourismusdestination usw. Grosshandel Post Bank Bäcker Shop Hotel au lac Hotel Piz Ot Restaurant Kommerzieller Kern Wohnbevölkerung Zweitwohnungen Nicht kommerzielle Beherbergung Immobilienwirtschaft Schulen Spitäler Zulieferer Bauwirtschaft Quelle: Wirtschaftsforum Graubünden 10
1 Problemaufriss Zusammenfassung Graubünden weist im Zweitwohnungsgeschäft eine hohe Wettbewerbsfähigkeit auf. Bündner Destinationen verlieren zusehends die kommerziellen Anbieter (Hotellerie, Detailhandel usw.). Diskussionen und Lösungen zur Zweitwohnungsentwicklung sind einseitig auf die Beschränkung des Zweitwohnungsbaus ausgerichtet. 11
2 Stossrichtungen Fragestellungen Eine Zweitwohnungspolitik wirkt auf verschiedenen Ebenen: Abb. 9: Verschiedene Ebenen der Zweitwohnungspolitik Zweitwohnungen Tourismusdestinationen Wohnstandort Graubünden Zweitwohnungspolitik Es gilt Regulierungen zu formulieren, die eine langfristige Maximierung der Wertschöpfung aus Tourismus- und Zweitwohnungsgeschäft für die Volkswirtschaft Graubünden zulassen. 12
2 Stossrichtungen Ziele einer Zweitwohnungspolitik Aus der Problembeschreibung abgeleitete Ziele einer Zweitwohnungspolitik Nutzen und beibehalten der volkswirtschaftlichen Vorteile aus dem Bestand und Neubau von Zweitwohnungen ( wertschöpfender Kreislauf antreiben). Reduzieren der wertvernichtenden Effekte der Zweitwohnungen auf die Attraktivität der Destination um eine nachhaltige Entwicklung der Zweitwohnungen und Destinationen zu ermöglichen ( wertvernichtender Kreislauf vermeiden). Um die touristische Nachfrage auch künftig aufrecht zu erhalten, ist die Attraktivität der Destination für den Tourismus sicherzustellen und laufend zu verbessern. 13
2 Stossrichtungen Wachstumsorientierte Politik Abb. 10: Übersicht über die strategischen Stossrichtungen Ausgangslage: Bestehende Nachfrage nach Zweitwohnungen ermöglicht eine markante Wertschöpfung im Kanton Graubünden. Problem: Zweitwohnungsbau führt zu unerwünschten Effekten, die die Attraktivität der Tourismusdestination gefährden. Ziel: Bestehende Wertschöpfung aus Zweitwohnungen und Tourismus erhöhen bzw. aufrecht erhalten Unerwünschte Effekte vermindern Unerwünschte Effekte ausgleichen Unerwünschte Effekte vermeiden Strategische Stossrichtung: Strategische Strategische Stossrichtung: Stossrichtung: Strategische Stossrichtung: Strategische Stossrichtung: Beschränkung des Zweitwohnungsbaus Lenkungsabgaben Lenkungs- und zur Beschränkung Kostenanlastungsabgaben auf des Zweitwohnungsbaus und Zweitwohnungen gleichzeitiger zur stärkung des Stärkung des Tourismus- und Tourismus- und Wohnstandortes Wohnstandortes Ansiedeln von kommerziellen Anbietern zur Sicherstellung eines geeigneten Angebotsmix Masterplanung zur baulichen Lenkung des Zweitwohnungsbaus und der Destination Quelle: Wirtschaftsforum Graubünden 14
2 Stossrichtungen Wachstumsorientierte Politik Zielrichtung Bisherige Politik Schadensbegrenzung durch Beschränkung des Zweitwohnungsmarktes Vorschlag Wirtschaftsforum Graubünden Chancen aus der Zweitwohnungsnachfrage nutzen Ebene Gemeinde Gemeinde / Destination Typische Instrumente Kontingentierung der jährlich gebauten Zweitwohnungsfläche Quotenregelungen für Eigentum durch ausländische und schweizerische Staatsangehörige Quotenregelungen für den Bau von Erst- und Zweitwohnungen Proaktive Ansiedlung von kommerziellen Tourismusanbietern (z.b. Hotels, Feriendörfer, Freizeiteinrichtungen) Finanzielle Lenkungsmassnahmen zur Steuerung des Zweitwohnungsbaus Masterplanung für die langfristige Siedlungsentwicklung 15
3 Beschränkung einige Überlegungen Es gibt viele kreative Ansätze, wie man eine Beschränkung der Zweitwohnungen regeln könnte. Leider sind viele sinnvoller Ansätze in der Praxis sehr schwierig zu realisieren (z.b. Verkauf von Kontingenten, Verteilung von Kontingenten an kommerziellen Kern). Ein wesentlicher Aspekt ist: Erstwohnungen (=Vermögen der Einheimische) und Hotels (= kommerzieller Kern) müssten auch künftig umnutzbar sein, damit diese nicht an Wert und damit an Finanzierungskraft verlieren. Rechnungsbeispiel Arosa: Annahmen: Konsequenter Zweitwohnungsstopp (kein Bau, keine weiteren Umnutzungen) Wirkung auf Erstwohnungen Wirkung auf Zweitwohnungen Wirkung auf Baulandpreis Annahme Wert Hochrechnung für Gemeinde Arosa - 2'000 / m2 BGF - CHF 213 Mio. auf Erstwohnungen (= einheimische Bevölkerung) + 3'000 / m2 BGF + CHF 600 Mio. auf Zweitwohnungen... sinkt auf CHF 300 / m2 Bauland günstigere Voraussetzung für die Ansiedlung 16
4 Ansiedlung & Masterplanung Idee und Begründung Idee: Voraussetzungen für die vermehrte Ansiedlung von internationalen Tourismusgesellschaften (z.b. Hotelketten, Feriendörfer) in den Tourismusgemeinden schaffen. Ansiedlungsaktivitäten verstärken und qualitativ verbessern. Gründe: Ausgleich der weggefallenen an Dritten vermietbaren Bettenkapazitäten Sichern der internationalen Präsenz und Distributionskanäle Schaffen von effizienten international wettbewerbsfähigen Betriebsstrukturen Schaffen eines geeigneten Mixes zwischen kommerzieller Beherbergung und Zweitwohnungen 17
4 Ansiedlung & Masterplanung Voraussetzungen Es gibt viele Standorte, die aus Sicht der Betreiber/Investoren gleichwertig sind. Um ein Hotel, Feriendorf usw. ansiedeln zu können, gilt es folgende Voraussetzungen zu schaffen: Vorhandenes Bauland in angemessener Grösse (20'000 m2 60'000 m2, Potential für Ausbau vorsehen) Bewilligungen für einen raschen Bau (Ab Letter of Intention bis Spatenstich: 1 Jahr; keine Verbandsbeschwerden usw.) Sympathischer und professioneller Umgang mit Interessenten (die Interessenten müssen sich in den Standort verlieben!) Günstige Baukosten durch kreative Mischnutzungen (Hallenbad, Wellness, Parking) Attraktive Angebote für Gäste durch bauliche Gestaltung und kreatives Packaging (Architekturwettbewerb, Einbindung in Masterplan, Konditionen Bergbahnen usw.) Bauland muss in der Regel günstig/gratis zur Verfügung gestellt werden. Die Standortgemeinde muss dem Betreiber und Investor helfen, Erfolg zu haben! 18
4 Ansiedlung & Masterplanung Tourismusmelioration durchführen Abb. 11: Schematischer Abgleich von Masterplan und Zonenplan Masterplan Gebäude erstellt Gebäude planbar Villenzone mit geringer Ausnützung Bestehender Zonenplan Bestehende Dorfkernzone Wohnzone mit hoher Ausnützung und vorgegebener Gestaltung Zone für kommerzielle Tourismusbauten (Ansiedlungsfläche) Gebäude erstellt Wohnzone Dorfkernzone mit gemischter Nutzung Öffentliche Zone Quelle: Wirtschaftsforum Graubünden 19
4 Ansiedlung & Masterplanung Beispiel Savognin Abb. 12: Beispiele von Tourismusansiedlungen: Ferienresidenzen Surses Alpin und Cube in Savognin Quelle: Savognin Bergbahnen AG 20
4 Lenkungsabgaben Beispiel Laax Modell: Differenzierter Liegenschaftssteuertarif für Zweitwohnungen (= beschränkt steuerpflichtige) Abb. 13: Einnahmeerwartungen bei Einführung einer Lenkungsabgabe von 3.5 o/oo auf Basis der Liegenschaftssteuer für Zweitwohnungen (=Wohnungen von beschränkt steuerpflichtigen Personen) Quelle: Wirtschaftsforum Graubünden / Steuerverwaltung Kanton Graubünden 21
4 Lenkungsabgaben Beispiel Laax Abb. 14: Belastung durch Kantons-, Gemeinde- und Kirchensteuern in Prozenten des Bruttoeinkommens (Beispiel: Verheirateter Alleinverdiener mit 2 Kindern, Bruttoarbeitseinkommen = CHF 100'000) Quelle: Wirtschaftsforum Graubünden 22
4 Lenkungsabgaben Beispiel Laax Abb. 15: Vergleich der Belastung von beschränkt steuerpflichtigen Personen nach heutigem und neuem Modell (Fallbeispiel basiert auf Mittelwerte der beschränkte steuerpflichtigen Personen in der Gemeinde Laax) Quelle: Wirtschaftsforum Graubüdnen 23
5 Prüfenswerte Massnahmen Gemeinde/Destination Nr. Politikebene Massnahme 1 Gemeinde Wertschöpfungsorientierte Zweitwohnungsstrategie formulieren 2 Gemeinde Tourismusmelioration mittels Masterplan durchführen 3 Gemeinde Aktivitäten zur Ansiedlung touristischer Unternehmungen verstärken 4 Gemeinde Wertvernichtende Effekte der Zweitwohnungen durch eine finanzielle Lenkungsabgabe ausgleichen 5 Gemeinde Kommunale Erbschafts- und Schenkungssteuern aufheben 24
5 Prüfenswerte Massnahmen Kanton und Bund Nr. Politikebene Massnahme 6 Kanton Primat der lokalen und regionalen Politik 7 Kanton Absehbare Aufhebung der Lex Koller flankieren 8 Kanton Optimale Rahmenbedingungen für Tourismusansiedlungen schaffen 9 Kanton Gesetzliche Grundlage für die finanzielle Lenkungsabgabe der Gemeinden schaffen 10 Kanton Kantonale und kommunale Erbschaftssteuern für nahe Verwandte aufheben 11 Bund Erwerb von Ferienwohnungen und Grundstücken durch Personen im Ausland von Bewilligungspflicht und Kontingentierung befreien 25
Besten Dank für Ihr Interesse. Dieses Referat und weitere Informationen und Referate zur Bündner Wirtschaft finden Sie unter: www.wirtschaftsforum-gr.ch 26