Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte 27. Februar 2007 und Jugendgerichtshilfen e. V. Landesgruppe Baden-Württemberg Stellungnahme zum Entwurf für ein Jugendstrafvollzugsgesetz Baden-Württemberg Es ist zu begrüßen, dass ein eigenes Gesetz für den Jugendstrafvollzug geplant ist und nicht der Weg gegangen worden ist, in ein Landesstrafvollzugsgesetz Sondervorschriften über den Vollzug der Jugendstrafe aufzunehmen. Bei einem Landesstrafvollzugsgesetz bestünde die Gefahr, dass die Eigenständigkeit des Jugendstrafvollzugs beeinträchtigt wird und die Regelungen über den Jugendstrafvollzug wegen häufiger Verweisungen nicht ausreichend verständlich sind. Der Entwurf enthält im ersten Teil die organisatorischen Regelungen und im zweiten Teil die Vorschriften über die inhaltliche Gestaltung des Jugendstrafvollzuges. Besser wäre es, dem bewährten Vorbild des Strafvollzugsgesetzes zu folgen, und zunächst die materiellen Regelungen zu bringen und dann die organisatorischen, denn die Organisation des Strafvollzuges hängt von seiner inhaltlichen Gestaltung ab. Der Entwurf enthält in 2 eine Vorschrift über die kriminalpräventive Aufgabe des Jugendstrafvollzuges und regelt in 21 den Erziehungsauftrag des Jugendstrafvollzuges. Besser wäre es, das Vollzugsziel der Erziehung des jungen Gefangenen zu einem Leben ohne Straftaten an den Anfang des Gesetzes zu stellen. Es besteht die Gefahr, dass durch die generalklauselartigen Formulierungen des 2 des Entwurfes das Erziehungsziel unterlaufen werden könnte. Auch das geltende JGG legt in 91 Abs. 1 allein die Erziehung des Verurteilten als Vollzugsziel fest. Für eine solche Regelung spricht auch, dass sie dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Mai 2006, das die verfassungsrechtliche Resozialisierungspflicht des Jugendstrafvollzugs betont, am besten gerecht wird.
2 Die in 22 Abs. 2 des Entwurfs entsprechend Art. 12 Abs. 1 der Landesverfassung angeführten Erziehungsziele erscheinen zu hoch gesteckt und begründen die Gefahr einer einseitigen Ausrichtung der Erziehung. Auf die Vorschrift sollte daher verzichtet werden. Die Gestaltung des Jugendstrafvollzugs muss konsequent am Erziehungsgedanken ausgerichtet werden. Hierzu gehört auch der Schutz der jungen Gefangenen vor subkulturellen Einflüssen. Es muss deshalb sichergestellt werden, dass die Jugendstrafe ausschließlich in Jugendstrafanstalten vollzogen wird, soweit nicht ein Fall des geltenden 92 Abs. 2 JGG (mangelnde Eignung für den Jugendstrafvollzug) vorliegt. Die Trennung zwischen Jugendstrafvollzug und Erwachsenenstrafvollzug wird durch die 3 Abs. 1, 4 Abs. 3 und 26 Abs. 1 des Entwurfs aufgelockert. So können nach 3 Abs. 1 S. 2 z. B. Abteilungen einer Justizvollzugsanstalt zu Jugendstrafanstalten bestimmt werden und ist nach 4 Abs. 3 sogar in Ausnahmefällen die gemeinsame Unterbringung von Jugendstrafgefangenen und erwachsenen Strafgefangenen möglich. Diese zu weit greifenden Auflockerungen des Trennungsgebots sollten beseitigt werden. Grundsätzlich zu begrüßen ist die Regelung des 27 des Entwurfs über den Vorrang der Unterbringung in einer Einrichtung des Jugendstrafvollzugs in freien Formen oder im offenen Vollzug vor der Unterbringung im geschlossenen Vollzug. Die Umsetzung dieses Konzepts in der Praxis wird allerdings dadurch gefährdet, dass es sich um Kann- und Sollvorschriften handelt. Die ausdrückliche Regelung von Einrichtungen des Jugendstrafvollzugs in freien Formen und von Übergangseinrichtungen in den 5 Abs. 1 und 15 Abs. 3 des Entwurfs ist positiv zu bewerten. Für die jungen Gefangenen sollte im Grundsatz Einzelunterbringung während der Ruhezeit in ausreichend großen Hafträumen vorgesehen werden. 33 Abs. 3 des Entwurfs sieht allerdings die Einzelunterbringung nur für den geschlossenen Vollzug vor. In 9 Abs. 2 ist keine Mindestgröße für Einzelhafträume vorgesehen. 7 Abs. 2
3 S. 2 gilt anscheinend nur für den Bau neuer Jugendstrafanstalten. Die Einzelunterbringung sollte daher klarer geregelt werden. Zu begrüßen ist, dass die jungen Gefangenen nach 33 Abs. 1 des Entwurfs bei Eignung in einer Wohngruppe untergebracht werden sollen und für Gefangene unter 18 Jahren besondere Wohngruppen gebildet werden sollen. Um den Charakter der Unterbringung als Wohngruppenvollzug zu gewährleisten, empfiehlt es sich, eine Wohngruppengröße zu nennen, die nicht überschritten werden sollte. Die Grenze könnte bei 12 oder 15 Gefangenen liegen. Zu begrüßen ist es, dass den jungen Gefangenen in 60 Abs. 1 des Entwurfs ein Recht auf schulische und berufliche Bildung, sinnstiftende Arbeit und Training sozialer Kompetenzen eingeräumt wird. Im Gesetzestext sollte jedoch der Vorrang von Schule und Berufsausbildung vor Arbeit deutlicher zum Ausdruck kommen. Der Entwurf enthält eine Reihe von positiv zu beurteilenden Regelungen über die Ausgestaltung des Erziehungsprozesses im Vollzug. Dies gilt etwa für die Vorschriften über das soziale Lernen durch Förderung der Mitverantwortung ( 13 und 22 Abs. 6), das Lernen von Gleichaltrigen ( 22 Abs. 6), die Zuweisung einer ständigen Bezugsperson ( 56 Abs. 2), die Suchtberatung ( 57 Abs. 3) sowie das soziale Training und das Angebot von Deutschkursen ( 63). In der Regelung über die Sozialtherapie in 28 des Entwurfs werden Gewalttäter zu Recht den Sexualtätern gleichgestellt. Zu begrüßen ist auch das in 71 Abs. 3 des Entwurfs vorgesehene Sportangebot von mindestens zwei Stunden wöchentlich. Insoweit sollte auch geregelt werden, dass das Sportangebot sportpädagogisch auszugestalten ist. Der Entwurf sieht in 35 Abs. 1 vor, dass den jungen Gefangenen gestattet ist, angemessene eigene Kleidung zu tragen. Die Entscheidung für das Tragen eigener Kleidung ist durchaus vertretbar. Die Einschränkung durch die Angemessenheit der eigenen Kleidung dürfte allerdings viele Konflikte heraufbeschwören. Dies gilt auch für das in 7 Abs. 3 geregelte generelle Rauchverbot.
4 Zutreffend sieht der Entwurf in 38 Abs. 1 vor, dass die sozialen Beziehungen der jungen Gefangenen mit Personen außerhalb der Anstalt zu fördern sind, und wird in 38 Abs. 2 die Mindestbesuchzeit auf vier Stunden im Monat festgelegt. Zweifelhaft ist allerdings, ob ein völliger Ausschluss des Paketempfangs gerechtfertig ist und ob dies durch die Möglichkeit des Sondereinkaufs nach 46 des Entwurfs hinreichend ausgeglichen wird. Die Mitwirkung der Erziehungsberechtigten an der Gestaltung des Vollzugs erscheint in den 15 Abs. 5 und 25 Abs. 6 und 7 angemessen geregelt. Zu Recht sieht es der Entwurf auch als Aufgabe der Erziehung im Jugendstrafvollzug an, die Einsicht des Täters in die Tatfolgen sowie den Täter-Opfer-Ausgleich und die Schadenswiedergutmachung zu fördern (vgl. 22 Abs. 5 und 25 Abs. 2 Nr. 5 des Entwurfs). Problematisch ist es, dass der Entwurf in 23 Abs. 1 eine Verpflichtung des Gefangenen vorsieht, an den Maßnahmen zur Erfüllung des Erziehungsauftrags mitzuwirken, und in den 27 Abs. 2, 29 Abs. 3 und 58 Abs. 2 die Unterbringung im offenen Vollzug, Vollzugslockerungen und Urlaub zur Entlassungsvorbereitung ausschließt, wenn der Gefangene der Mitwirkungspflicht nicht nachkommt. Außerdem könnten nach 95 des Entwurfs bei Nichterfüllung der Mitwirkungspflicht Disziplinarmaßnahmen verhängt werden. Aufgabe des Vollzugs ist es auch, sich den jungen Gefangenen anzunehmen, die zunächst eine Mitarbeit im Erziehungsprozess ablehnen. Diese Gefangenen sind zur Mitarbeit zu motivieren. Dies kann gelingen, denn die Einstellung von Gefangenen zu Behandlungsmaßnahmen ist in der Regel nicht verfestigt, sondern kann durch die Art und Weise, wie mit ihnen umgegangen wird, beeinflusst werden. Die genannten Regelungen des Entwurfs begründen demgegenüber die Gefahr, dass mit schwierigen Gefangenen rein repressiv umgegangen wird und Möglichkeiten der erzieherischen Einwirkung verschüttet werden.
5 Die 4 Abs. 1 und 18 Abs. 1 des Entwurfs sehen eine Trennung von Jugendlichen einerseits und Heranwachsenden und jungen Erwachsenen andererseits vor. Das entspricht den unterschiedlichen Anforderungen, die an den Umgang mit diesen Altersgruppen zu stellen sind, darf aber nicht dazu führen, dass die Behandlungsbemühungen bei Heranwachsenden und jungen Erwachsenen vernachlässigt werden. Dem Erziehungsgedanken müssen auch die Reaktionen auf Normbrüche junger Gefangener gerecht werden. 95 des Entwurfs sieht hierfür erzieherische Maßnahmen und Disziplinarmaßnahmen vor. Als Beispiele für erzieherische Maßnahmen werden bestimmte Sanktionen genannt. In das Gesetz sollte aufgenommen werden, dass auf Normbrüche auch mit einem erzieherischen Gespräch oder mit einer Konfliktschlichtung reagiert werden kann und erst dann, wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen, zu Sanktionen gegriffen werden sollte. Zu den Disziplinarmaßnahmen sollte klargestellt werden, dass der Arrest nur als allerletztes Mittel in Betracht kommt. Das Erziehungsziel des Jugendstrafvollzugs kann nur erreicht werden, wenn die Jugendstrafanstalten über eine angemessen Personal- und Sachausstattung verfügen. Es geht daher in die richtige Richtung, wenn der Entwurf in 11 Abs. 3 und 5 festlegt, dass mit der Erziehung junger Gefangener nur Personen betraut werden sollen, die für die Erziehungsaufgabe des Jugendstrafvollzugs geeignet und ausgebildet sind, und dass für die Bediensteten regelmäßig Fortbildungen durchgeführt werden. In dem Gesetz sollte klar geregelt werden, dass die mit der Erziehung der jungen Gefangenen betrauten Personen eine spezifische Ausbildung für den Jugendvollzug erhalten haben müssen. Die Fortbildungen sollten auch positive erzieherische Maßnahmen und nicht nur das in 11 Abs. 5 besonders hervorgehobene Erkennen und Bekämpfen subkulturellen Strukturen umfassen. Zu Recht regelt 15 Abs. 2 des Entwurfs, dass die Jugendstrafanstalten mit Einrichtungen und Organisationen außerhalb des Vollzugs eng zusammenzuarbeiten haben. Hierbei sollte die Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe konkreter ausgestaltet werden, als dies in der Generalklausel des 15 Abs. 5 geschehen ist. So könnte
6 vorgesehen werden, dass die Jugendhilfe über die Aufnahme des Verurteilten in die Anstalt und über die Entlassung zu informieren ist. Zu begrüßen ist die Regelung des 32 Abs. 4. Danach kann der Verurteilte nach der Entlassung eine in der Jugendstrafanstalt begonnene Ausbildungs- oder Behandlungsmaßnahme abschließen und zu diesem Zweck oder aus sozialen Gründen in der Jugendstrafanstalt verbleiben. Außerdem ist eine vorübergehende Wiederaufnahme in die Anstalt nach der Entlassung möglich. Diese Vorschriften können bei der Wiedereingliederung der jungen Gefangenen in die Gesellschaft helfen. Es sei darauf hingewiesen, dass im Entwurfstext Abs. 3 des 32 fehlt. Die in den 101 ff. des Entwurfs enthaltenen Regelungen über die Rechtsbehelfe im Jugendstrafvollzug erscheinen grundsätzlich sachgerecht. Problematisch ist allerdings die Regelung des 101 Abs. 3, nach der Beschwerden, die nach Form und Inhalt nicht den im Verkehr mit Behörden üblichen Anforderungen entsprechen, nicht beschieden zu werden brauchen. Junge Gefangen haben häufig Schwierigkeiten im Umgang mit Behörden. Durch die Vorschrift könnte ein unangebrachter bürokratischer Umgang mit den jungen Gefangenen gefördert werden. Nach 110 Abs. 3 des Entwurfs bedarf der Beschluss des Oberlandesgerichts, durch den eine Rechtsbeschwerde verworfen wird, keiner Begründung, wenn der Strafsenat die Beschwerde einstimmig für unzulässig oder für offensichtlich unbegründet erachtet. Da die Rechtsbeschwerde nach 108 Abs. 1 nur zulässig ist, wenn es geboten ist, die Nachprüfung der Entscheidung des Vollstreckungsleiters zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen, dürfte im Fall der Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde kein Raum dafür bestehen, Rechtsbeschweren ohne Begründung als unbegründet zu verwerfen. Zur Beratung und Kontrolle der Anstalten von außen sieht der Entwurf in 16 die Einrichtung von Beiräten vor. Um die Fachlichkeit der Kontrolle zu gewährleisten, sollte geprüft werden, ob sich die Einrichtung eines Strafvollzugsbeauftragten empfiehlt.
7 In 19 des Entwurfs wird aufgeführt, welche Stellen kriminologische Untersuchungen durchführen. Um dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts zur Beobachtung der Entwicklung des Jugendstrafvollzugs Rechnung zu tragen, sollte in das Gesetz eine Verpflichtung des Landes aufgenommen werden, entsprechende kriminologische Untersuchungen zu veranlassen. Außerdem könnte in das Gesetz eine Verpflichtung zu periodischen Berichten über die Entwicklung des Jugendstrafvollzugs aufgenommen werden. gez. Prof. Dr. Dieter Dölling Vorsitzender der Landesgruppe