EINSICHTEN 28 N E W S L E T T E R 3 n at u r w i s s e n s c h a f t e n Das Gespräch moderierte Maximilian G. Burkhart S t r i n g t h e o r i e l ä s s t d i e S a i t e n d e s U n i v e r s u m s v i b r i e r e n Die Stringtheorie wird in der theoretischen Physik kontrovers diskutiert. Das Konzept von punktförmigen Elementarteilchen als Bausteine der Materie wird in der Stringtheorie aufgegeben und durch eindimensionale Objekte den sogenannten Strings ersetzt. Die Stringtheorie kann die beiden fundamentalen physikalischen Theorien der Moderne, Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie und die Quantenmechanik, vereinen. Allerdings fehlt bislang ein experimenteller Nachweis zur Untermauerung der Theorie. Einsichten: Herr Professor Lüst: Früher war alles ganz einfach. Im Zentrum der Schöpfung stand der Mensch, dann kam Galilei und es wurde komplizierter. Jetzt baut die Physik die teuerste und größte Maschine der Welt, den Large-Hadron-Collider (LHC) am CERN in Genf. Dieter Lüst: Wir wollen herausfinden, wie und warum wir entstanden sind. Was sind die physikalischen Vorgänge, die zu dem Universum geführt haben, das wir jetzt beobachten. Das schließt die Fragen ein: Wie sind die Elemente entstanden, wie das Leben auf der Erde? Einsichten: Sie erklären den Ursprung der Welt mit Hilfe der sogenannten Stringtheorie. Die Stringtheorie kann die beiden fundamentalen physikalischen Theorien der Moderne, Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie und die Quantenmechanik, vereinen. Doch wie muss man sich das vorstellen, was ist überhaupt ein String? Lüst: Ein String ist ein eindimensionales Gebilde, ein kleiner Faden oder eine kleine Schlaufe. In der Stringtheorie hat man sich von dem herkömmlichen Bild verabschiedet, dass Elementarteilchen punktförmige Gebilde seien. Die Urbausteine der Materie sind also keine kleinen Kügelchen, sondern eindimensionale Objekte. Das hat bei der Vereinigung der Gravitation und der Quantenmechanik Vorteile. Die Stringtheorie ist eine sehr schöne theoretische Idee, sie beinhaltet wunderbare, neue mathematische Entwicklungen und sehr gute physikalische Ansätze. Aber: Die Stringtheorie ist noch nicht experimentell nachgewiesen. Wir bewegen uns also noch im Rahmen der Spekulation und noch nicht im Feld einer wirklich experimentell abgesicherten physikalischen Theorie.
Einsichten: Was ist denn das fundamental Andere, Neue der Stringtheorie im Gegensatz zur Atom-Theorie der Moderne? Lüst: So radikal neu ist die Stringtheorie gar nicht. Wir ersetzen Punkt-Teilchen durch eindimensionale Gebilde und diese Gebilde haben die Fähigkeit, zu schwingen. Das wirklich Neue ist, dass wir jetzt nicht mehr mit einer größeren Anzahl von Elementarteilchen auskommen. Man kann vielmehr jedes bekannte Elementarteilchen einem Schwingungszustand zuordnen. Ein Beispiel: Es gibt Elektronen, Quarks, Photonen, das sind die Lichtteilchen. In der herkömmlichen Theorie, im sogenannten Standard-Modell, sind das alles verschiedene Ingredienzien. In der Stringtheorie hingegen werden sie so vereinigt, dass ein String sich wie ein Chamäleon auf unterschiedliche Art und Weise manifestieren kann. Es kann gewissermaßen verschiedene Farben annehmen oder verschiedene Ausdrucksformen. Jedem dieser Schwingungszustände kann man eines der bekannten Elementarteilchen zuordnen. Das Neue der Stringtheorie besteht darin, dass man so eine Vereinheitlichung der Teilchen und der Konzepte erreicht. Einsichten: Einer der Hauptkritikpunkte an der Stringtheorie ist das Fehlen eines experimentellen Nachweises. Die Stringtheorie operiert mit neun Dimensionen. Der Normalbürger kennt mit Höhe, Breite und Tiefe drei Dimensionen. Rechnet man die Zeit hinzu sind es vier. Wie kann man sich neun Dimensionen vorstellen? Lüst: Für den theoretischen Physiker und für den Mathematiker ist es nicht schwer, sich neun Dimensionen vorzustellen. Nehmen wir ein einfaches Beispiel und gehen von zwei Dimensionen aus, etwa einer Tischplatte. Den dreidimensionalen Raum stellt man sich vor, indem man der Tischplatte Höhe gibt. So erhalten wir drei Richtungen. Durch diese drei Koordinaten lässt sich jeder Punkt im Raum beschreiben. Wenn man das verstanden hat, kann man das auch weiter abstrahieren. Ich starte also von dem dreidimensionalen Raum und denke mir über jeden Punkt des dreidimensionalen Raums noch eine weitere beziehungsweise sechs weitere Richtungen. Mathematisch erhalten wir so ein Koordinatensystem mit neun Richtungen, die dann Punkte in diesem neundimensionalen Raum beschreiben. Für unsere Vorstellungskraft mag das etwas viel sein. Das liegt aber nur daran, dass wir es nicht gewohnt sind, uns in einem höherdimensionalen Raum zu bewegen. Das heißt aber nicht, dass es so etwas nicht geben kann. Einsichten: Dennoch bleibt das Manko der experimentellen Nachweisbarkeit. Hat die Stringtheorie überhaupt eine Chance, den Realitäts-Check zu bestehen? Lüst: Ja, denn es gibt Möglichkeiten, die Stringtheorie nachzuweisen. In der Stringtheorie misst man nämlich nicht nur die bekannten Teilchen. Denn der String hat auch noch andere Schwingungsformen, die neuen Teilchen entsprechen. Und diese neuen Teilchen kann man unter Umständen am Large Hadron Collider messen. Das hängt davon ab, welche Masse sie besitzen. Wenn sie sehr schwer sind und der sogenannten Planck-Masse von 1 19 Giga-Elektronenvolt (GeV) das entspricht 19-mal der Masse eines Protons nahe kommen, dann würde man sie am LHC nicht nachweisen können. In der Stringtheorie gibt es aber keine Vorhersagen, wie schwer diese Teilchen sind. Mit etwas Glück kann man nachweisen, wie sie Prozesse am LHC beeinflussen. Wir arbeiten gerade daran und nennen es das String Hunter Project.
Letzte Arbeiten am Large-Hadron-Collider am CERN in Genf. Einsichten: Eines der möglichen Ergebnisse der Stringtheorie wäre, dass unser Universum nur eines von unendlich vielen ist. Man muss sich das als eine Art Schaum vorstellen. Ist das nun die ultimative Kränkung, die die Stringtheorie für uns bereit hält? Sind wir wirklich Nichts inmitten einer kosmischen Badewanne, im Badeschaum Gottes? Lüst: Ja, das wäre möglich und es gibt dafür auch Hinweise in der Stringtheorie. Aber mich schreckt das nicht, weder persönlich, noch als Physiker. Wir haben durch Kopernikus und Galilei gelernt, dass die Erde nicht mehr im Zentrum steht, sondern dass sich die Erde um die Sonne dreht. Deswegen würde es mich auch nicht wundern, fände man heraus, dass unser Universum nur ein winziger Teil in einem sehr viel größeren Ganzen ist. Die Naturwissenschaften haben uns schon häufiger gezwungen, von unserem physikalischen und auch allgemeinen Weltbild Abschied zu nehmen und daraus auch Konsequenzen zu ziehen nicht nur für die Physik, sondern für unser ganzes Denken. Einsichten: Die Grundlage unseres Denkens ist das Kausalitätsgesetz. Damit verbunden ist eine bestimmte Vorstellung von Zeit, die linear von A nach B verläuft. Die Logik sagt uns, es kommt erst die Ursache, dann die Wirkung. Ist der Begriff von Zeit, den wir immer intuitiv voraussetzen, überhaupt noch haltbar und welche Konsequenzen hätte das für unser Denken? Lüst: Ich glaube, dass die Zeit auch in der Stringtheorie noch nicht wirklich verstanden ist. In der Stringtheorie spielt die Zeit noch die gleiche Rolle, die sie auch in der Quantentheorie oder in Einsteins Relativitätstheorie hat. Sie verläuft in eine Richtung, es gibt keine Wirkung ohne Ursache. Von diesem Kausalitätsprinzip hat man sich noch nicht verabschiedet. Neu ist aber, dass durch spontane Prozesse neue Blasen oder neue Universen entstehen können oder unser Universum sich unter Umständen auch wieder zusammenziehen kann. Das steht nicht unbedingt im Einklang mit neueren Beobachtungen. Denn durch die dunkle Energie, die man jetzt festgestellt hat, müsste sich unser Universum ewig ausdehnen. Einsichten: Eines der merkwürdigsten Phänomene für den Laien ist sicher der Zufall. In der modernen Physik, so scheint es, wird die Willkürlichkeit immer wichtiger. Der Determinismus, die Vorstellung, dass unser Leben und unser Weg in diesem Universum vorherbestimmt sei, ist völlig verschwunden. Würfelt Gott doch? Lüst: Gott würfelt nicht mehr als von Planck und Heisenberg vorhergesagt. Wir dürfen uns das nicht so vorstellen, dass alles nur zufällig sei und man auch nichts mehr ausrechnen könnte. Dem ist nicht so. Die Physik ist eine exakte Wissenschaft, in der man die zu Grunde liegenden Prozesse ausrechnen und daher auch Vorhersagen treffen kann. Eine Frage, die derzeit heiß diskutiert wird ist, warum das Universum gerade so ist, wie wir es beobachten
können, wenn es doch so viele verschiedene Möglichkeiten gibt. Warum zum Beispiel ist die Masse eines Elektrons gerade 511 kev. Das ist eine schwierige Frage, weil es im Prinzip viele andere Möglichkeiten gibt. In den Parallel-Universen könnte das Elektron sehr viel leichter oder sehr viel schwerer sein und auch die anderen Naturkonstanten könnten andere Werte haben. Eine derzeit populäre Erklärung ist das sogenannte anthropische Prinzip. Es besagt, dass wir genau nur das Universum erleben können, das uns auch die Möglichkeit zu leben bietet. Wenn bestimmte Naturkonstanten einen auch nur geringfügig anderen Wert annehmen würden, dann wäre die Möglichkeit für menschliches Leben nicht gegeben. Einsichten: Viel Furore gemacht hat der Begriff der Dunklen Energie, die für die Expansion unseres Universums verantwortlich ist. Auch das ist ein Ansatz, der vieles erklären soll, der aber ebenfalls bislang nicht experimentell nachgewiesen ist. Lüst: Die Dunkle Energie ist sehr mysteriös. Man kann sie aber indirekt beobachten. Zum Beispiel dadurch, dass sich bestimmte Objekte schneller von uns entfernen, als man ursprünglich gedacht hat. Sie beschleunigt die Expansion des Universums. Man kann sie daher als Kraft bezeichnen, die der Gravitation entgegen wirkt. Die Schwerkraft bewirkt ja, dass sich Körper anziehen und wirkt daher der Ausdehnung des Universums entgegen. Die Dunkle Energie wird daher auch als Anti-Gravitation bezeichnet. Einsichten: Eine der großen Leistungen der Stringtheorie ist, dass sie die Gravitation aus sich heraus erklären kann, ohne Annahmen voraussetzen zu müssen. In der von Newton geprägten klassischen Physik, beginnt alles damit, dass mir der Apfel auf den Kopf fällt. Warum und wieso er das tut, hat man damals aber nicht so recht verstanden. Was genau ist denn die Gravitation? Lüst: Nach Newton ist Gravitation die Anziehung zwischen massereichen Körpern. Ein Körper wie die Erde bewegt sich im Kraftfeld der Sonne. Nach Einstein wird die Gravitation durch die Krümmung des Raumes beschrieben. Massive Objekte verursachen eine Krümmung der Raum-Zeit und die Erde bewegt sich gewissermaßen wie ein Ball zwischen Tälern und Hügeln dieser gekrümmten Raum-Zeit. In der Stringtheorie wird die Gravitation durch die Existenz von Graviton genannten Elementarteilchen erklärt. Diese Gravitonen werden zwischen gravitierenden Objekten wie etwa Sonne und Erde ausgetauscht. Das funktioniert ganz ähnlich wie beispielsweise der Austausch von Photonen, von Lichtteilchen, die die elektromagnetische Wechselwirkung spüren. Auf diese Art ist die Gravitation der Stringtheorie tatsächlich nicht übergestülpt, sondern Resultat dieses Teilchenaustausches von Gravitonen. Diese Gravitonen selbst aber sind kleine vibrierende Strings. Einsichten: Letztlich geht es um die Vereinigung von Quantengravitation und Allgemeiner Relativitätstheorie. Es geht um eine Theorie von Allem, eine theory of everything einfach deswegen auch, weil es unschön ist, zwei Theorien zu haben, die nicht vereinbar erscheinen. Das erweckt den Eindruck, als ob der Motor der Stringtheorie weniger ein physikalischer als ein ästhetischer wäre. Man sucht eine schöne, einfache Theorie. Sind sie Ästhetiker? Lüst: Ja, wir sind sicherlich Ästhetiker und wir suchen nach einfachen mathematischen Gleichungen. Wenn wir das Glück haben, dass diese einfachen Gleichungen auch etwas september
Die Stringtheorie setzt voraus, dass es mehr als unsere vier Dimensionen gibt. Unser Universum existiert vielleicht auf einer Wand oder Membran, die in den Extra-Dimensionen liegt. Die Linie auf dem Zylindermantel (unten rechts) und die flache Ebene stellen unser dreidimensionales Universum dar, das alle bekannten Teilchen und Kräfte gefangen hält mit Ausnahme der Gravitation. Die Schwerkraft (rote Linien) breitet sich in allen Dimensionen aus. mit der Physik und der Natur zu tun haben, dann ist das natürlich besonders schön und wir sind zufrieden. Doch betreiben wir die Vereinigung von Gravitation und der Quantenmechanik nicht nur aus ästhetischen Motiven. Betrachtet man bestimmte Objekte wie etwa Schwarze Löcher oder auch den Urknall, dann stößt dieses Nebeneinander von Gravitation und Quantenmechanik auf ernste Probleme. Es ergibt sich nämlich ein Widerspruch in den physikalischen Gleichungen. Wir haben also physikalische Hinweise darauf, dass man nach einer Lösung beim Problem der Vereinigung von Gravitation und Quantenmechanik suchen muss. Einsichten: Die moderne Physik hat in den letzten 2 Jahren ungeahnte Wendungen genommen. Zum Abschluss eine hochspekulative Frage: Wohin driftet die moderne Physik? Gibt es eine neue Theorie am Horizont und welchen Platz wird die Stringtheorie in der Physik dereinst einnehmen? Lüst: Das ist eine sehr schwierige Frage. Derzeit befinden wir uns in einer sehr aufregenden Phase. Wir haben ein ganz wichtiges neues Experiment, den LHC. Auch die Astrophysiker liefern momentan sehr interessante neue Ergebnisse. Wir werden wohl bald die sogenannte kosmische Hintergrundstrahlung sehr viel besser verstehen. Wir werden vermutlich bald bewiesen haben, dass es Gravitationswellen gibt und das wird uns auch neue Erkenntnisse über die Geburt und die Frühzeit des Universums liefern. Die Stringtheorie ist derzeit die einzige Theorie, die die Vereinigung von Gravitation und Quantenmechanik bewerkstelligt. Deswegen hat sie eine gute Chance zu überleben. Ob die endgültige Theorie entfernt so aussieht wie die Stringtheorie ist schwer zu sagen. Aber ich denke schon, dass bestimmte Elemente der Stringtheorie, die ja derzeit auch im Zentrum des wissenschaftlichen Disputs steht, wahr sind. Prof. Dr. Dieter Lüst hat seit 24 den Lehrstuhl für Theoretische Physik und Mathematische Physik inne. Darüber hinaus ist er Sprecher des Arnold-Sommerfeld-Zentrums, dem internationalen Begegnungszentrum für Theoretische Physik an der LMU. http://www.theorie.physik.uni-muenchen.de/math/index.html dieter.luest@physik.uni-muenchen.de 5