Altersarmut in Deutschland



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Transkript:

Altersarmut in Deutschland Claudia Vogel Dr. Claudia Vogel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Zentrum für Altersfragen in Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen Generationenbeziehungen, Einkommen und Vermögen älterer Menschen, gesellschaftliche Partizipation und freiwilliges Engagement sowie Migration im Alter. Einführung Berlin, 17. April 2012 Altersarmut gilt am Beginn des 21. Jahrhunderts in der Bundesrepublik Deutschland weithin als überwunden. Die Quote der von Armut bedrohten Personen liegt für die Älteren weit unter dem Durchschnitt, jüngere Menschen und Familien sind dagegen deutlich häufiger betroffen. Schließlich verfügen die rund 20,5 Millionen Rentnerinnen und Rentner heute in Deutschland neben ihren Alterseinkommen aus der gesetzlichen Rentenversicherung über Immobilien und Sparvermögen, die sie in Zeiten wirtschaftlichen Wachstums und Stabilität aufbauen konnten. Von diesen Vermögen können und dürfen sie sich einen auskömmlichen Lebensabend leisten und einen Teil werden sie auch in Form von Schenkungen und Erbschaften an ihre Kinder und Enkel weitergeben. Armut im Alter hat somit lange Zeit wenig Aufmerksamkeit gefunden und wird aktuell allenfalls als gesellschaftliches Randphänomen verhandelt. Dabei gibt es gute Gründe, sich mit dem Phänomen der Altersarmut gerade in einem reichen Land wie Deutschland zu befassen. Erstens sind Armut bzw. ihre Bekämpfung in einer wohlhabenden Gesellschaft wie der bundesdeutschen kaum eine Frage des generellen Mangels nur selten kommt absolute Armut im Sinne der Unterschreitung des Existenzminimums vor, obwohl Phänomene absoluter Armut wie z.b. Obdachlosigkeit und Hunger ebenfalls nach wie vor existieren, sondern allein der Verteilung des gesellschaftlichen Wohlstandes. Sind also bestimmte soziale Gruppen häufiger von Armut bedroht als andere, muss darauf hingewiesen werden, welche Verteilungskriterien zu einem solchen Ergebnis führen und wie dieses Ergebnis möglicherweise zu ändern ist. Denn auch relative Armut in Abweichung vom gesellschaftlichen Mittel führt zu sozialer Ausgrenzung und sozialer Spaltung. Einsamkeit, Krankheit und mangelndes freiwilliges Engagement bringen jedoch soziale Kosten mit sich, die wiederum an anderer Stelle von der Gesellschaft getragen werden müssen. Zweitens deuten verschiedene Entwicklungen darauf hin, dass das Phänomen der Altersarmut keinesfalls endgültig überwunden ist, sondern eine massive Rückkehr zu erwarten ist, und zwar nicht nur aufgrund der demografischen Entwicklung. Schließlich ist im umlagefinanzierten System mit einer stärkeren Beitragsbelastung der Erwerbstätigen zu rechnen die jedoch politisch gedeckelt wurde, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer in den Ruhestand gehen, da

insgesamt ein Anstieg des Anteils und der Anzahl Älterer zu erwarten ist wird. Elisabeth Niejahr drückt sich am 21. Februar 2008 in DIE ZEIT folgendermaßen aus (S. 3): Lange hat die gesetzliche Rente für mehr Gleichheit gesorgt. In keiner anderen Altersgruppe waren die sozialen Unterschiede so klein. Das ändert sich gerade, weil im Westen die erste Generation der Doppelverdiener in Rente geht und im Osten die Wendeverlierer ins Rentenalter kommen. Da außerdem Vermögen und Erbschaften ungleich verteilt sind, wird die soziale Lage der Alten auseinanderdriften. Spätestens dann steht ein neuer Streit um Gerechtigkeit im Lande bevor. Statt des viel beschworenen Konflikts zwischen den Generationen werden die Verteilungskonflikte innerhalb der Generationen härter und sichtbarer werden zwischen Erben und Nichterben, Einheimischen und Zuwanderern, Kinderlosen und Familien. Drittens ist die Wahrscheinlichkeit, bestehende Armut in der Lebensphase Alter zu überwinden und somit hinter sich lassen zu können, am geringsten. Schließlich steht beim Eintritt in den Ruhestand fest, welche Rentenanwartschaften erworben wurden und welche Alterseinkommen hieraus resultieren. Rentenzahlungen werden sich dann nur noch durch politische Anpassungen ändern. Erwerbsarbeit steht in der Regel nicht mehr als Einkommensquelle zur Verfügung, denn der Übergang in den Ruhestand ist geprägt durch den Abschied vom Arbeitsmarkt; es fehlen aber nicht nur Beschäftigungsmöglichkeiten, sondern zumindest ein Teil der Personen wird auch mit zunehmendem Alter nicht mehr in der Lage sein, einer Beschäftigung nachzugehen, wenn etwa die Beschäftigungsfähigkeit nachlässt und Erkrankungen zunehmen. Auf den Punkt der drohenden Gefahr steigender Altersarmut möchte ich im Folgenden nach einer Beschreibung der Entwicklung der Einkommensarmut im Alter auf Basis der amtlichen Statistik (Abschnitt 2) genauer eingehen (Abschnitt 3). In Abschnitt 4 werden die Risikogruppen im Einzelnen genannt und in Abschnitt 5 werden sozialpolitische Implikationen diskutiert. Entwicklung der Einkommensarmut im Alter Der Anteil armutsgefährdeter Menschen in Deutschland liegt 2010 bei 15,6 Prozent der Bevölkerung. Diese und die folgenden Angaben beruhen auf von Eurostat bereitgestellten Zahlen der amtlichen Statistik (EU-SILC: European Union Statistics on Income and Living Conditions). Als Definition der Armutsgefährdung wird zur Ermittlung dieses Anteils herangezogen, wenn eine Person nach Einbeziehung staatlicher Transferleistungen ein Einkommen von weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung hat. Für eine alleinlebende Person liegt der Schwellenwert bei 940 Euro pro Monat, d.h. wer weniger als 940 Euro pro Monat als Gesamteinkommen hat, gilt als armutsgefährdet. Ob die Person tatsächlich in Armut lebt, hängt von der Armutslücke also dem Abstand des faktischen Einkommens vom Schwellenwert und weiteren Faktoren ab, die in ihrer Gesamtheit objektiv kaum greifbar sind. Neben Fragen etwa nach der Familienkonstellation und familialer Unterstützung und Solidarität spielen hier insbesondere auch unterschiedliche subjektive Bewertungsmaßstäbe eine Rolle. In der Statistik wird deshalb statt von Armut meist von Armutsgefährdung oder ii

Armutsrisiko gesprochen. Die Älteren sind unterdurchschnittlich von Armut betroffen: Laut EU-SILC beträgt die Quote der von Armut bedrohten Personen im Jahr 2010 für Personen im Alter von 65 Jahren und mehr Jahren 14,1 Prozent (Frauen ab 65 Jahren: 15,9 Prozent; Männer ab 65 Jahren: 12,1 Prozent) und bei den unter 65-Jährigen 16 Prozent (Frauen unter 65 Jahren: 16,5 Prozent; Männer unter 65 Jahren: 15,6 Prozent). Historisch betrachtet ist die Altersarmut in Deutschland über Jahrzehnte gesunken, und sie erreichte zu Beginn des 21. Jahrhunderts einen Tiefstand (rund 10 Prozent). Seit diesem Zeitpunkt ist eine Trendwende zu beobachten, die langsam steigende Armutsquoten sowohl für die Gesamtbevölkerung als auch für die älteren Menschen mit sich zu bringen scheint. Diese Entwicklung einer wieder ansteigenden Armut lässt sich auch am Bezug der Grundsicherung im Alter ablesen, der vom Statistischen Bundesamt folgendermaßen ausgegeben wird: Während bei Einführung im Jahr 2003 nur 257 734 Personen im Alter von 65 und mehr Jahren Grundsicherung bezogen, sind es im Jahr 2009 bereits 399 837 Personen bzw. 2,4 Prozent der Personen im Alter von 65 und mehr Jahren insgesamt. Grundsicherung im Alter ist eine Sozialleistung für Personen, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können. Der Anstieg ist nicht allein auf die steigende Zahl der Personen im Alter von 65 und mehr zurückzuführen, sondern vor allem auf die steigende Zahl von Bedürftigen. An dieser Stelle ist nochmals darauf zu verweisen, dass in der von Eurostat ausgewiesenen Armutsquote die Bekämpfung der Armut im Alter durch Sozialleistungen bereits berücksichtigt ist. Ohne staatliche Unterstützungsleistungen würde die Armutsquote in Deutschland also noch höher ausfallen. Warum ist mit einem Anstieg der Altersarmut zu rechnen? Ein Anstieg der Altersarmut ist zu erwarten, weil zum einen Reformen im Rentensystem zu einem Rückgang der gesetzlichen Leistungen führen, bei gleichzeitiger Notwendigkeit zur betrieblichen und privaten Altersvorsorge, die nicht von allen Personengruppen im selben Umfang zu bewältigen sein wird; zum anderen bringt der soziale Wandel im Bereich der Erwerbsarbeit und im Bereich der Familienbiografien Veränderungen mit sich, die möglicherweise zu einer Kumulation schlechterer Absicherung im Alter für bestimmte Personengruppen führen können. Seit dem Jahr 2012 ist die beschlossene Anhebung des Rentenalters in Kraft. Das gesetzliche Renteneintrittsalter wird schrittweise angehoben, von bislang 65 Jahre bis auf 67 Jahre für die Jahrgänge, die ab 1964 geboren sind und die voraussichtlich 2031 in Rente gehen werden. Für alle später Geborenen gilt aktuell ebenfalls die Altersgrenze von 67 Jahren, es wird jedoch bereits über eine weitere Anhebung spekuliert, unter anderem da auch die Lebenserwartung weiter steigt. Jedoch ist bezüglich der Altersrenten weniger die Anhebung der Grenze auf 67 Jahre an sich ein Problem schließlich steht damit auch mehr Zeit zur Verfügung, Anwartschaften anzusammeln als vielmehr die Lage der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt. Schon heute erreicht die Mehrheit der älteren Beschäftigten nicht die Regelaltersgrenze, sondern geht im Durchschnitt mittlerweile mit 63 Jahren in Rente. Das tatsächliche durchschnittliche iii

Rentenzugangsalter hat sich in den letzten Jahren nach Wegfall großzügiger Frühverrentungsoptionen somit ebenfalls bereits erhöht. Mit dem vorzeitigen Renteneintritt sind jedoch finanzielle Abschläge bei der Höhe der Altersrente verknüpft. Anscheinend setzen diese Abschlagsregelungen bei vorgezogenem Renteneintritt einen Anreiz, zunehmend später in Rente zu gehen. Da mit steigendem Renteneintrittsalter möglicherweise höhere Abschläge drohen, sehen manche Autoren in der Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 nichts anderes als eine Rentenkürzung. Die Schwierigkeit besteht also insbesondere darin, ob ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bis zum Erreichen des Ruhestandsalters beschäftigt werden bzw. einer Beschäftigung nachgehen können. Ob die Dauer des Rentenbezugs auch zu einer in der Gesamtsumme geringeren Rentenauszahlung beiträgt, hängt aber wiederum auch von der Entwicklung der Lebenserwartung ab. Im Jahr 2007 betrug die durchschnittliche Rentenbezugsdauer laut den Angaben der deutschen Rentenversicherung 17,4 Jahre (Männer 15 Jahre; Frauen 19,9 Jahre) mit steigender Tendenz. Die darüber hinaus bereits beschlossene Reduzierung des Sicherungsniveaus bei Wahrung der Beitragsstabilität in der gesetzlichen Rentenversicherung lässt sich bereits daran verdeutlichen, dass die Zahlungen an Neurentner deutlich unter den Durchschnitten liegen. Der durchschnittliche Gesamtrentenzahlbetrag lag 2010 bei 982 Euro für Männer und 718 Euro für Frauen, laut des vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales vorgelegten Rentenversicherungsberichts 2011 (BMAS 2011: S.18). Hierbei sind bereits alle Renteneinkommen aus der gesetzlichen Rente berücksichtigt, d.h. etwa eigene Versichertenrenten plus so genannter Hinterbliebenenrenten. Betrachtet man hingegen allein die Versichertenrenten, liegt der Zahlbetrag bei Männern mit 925 Euro in den alten Bundesländern und 943 in den neuen Bundesländern etwas und bei Frauen mit 522 Euro in den alten Bundesländern und 671 Euro in den neuen Bundesländern deutlich niedriger. Neurentner stehen bereits heute im Schnitt vergleichsweise schlechter da, mit einem durchschnittlichen Rentenzahlbetrag von 808 Euro bei Männern in den alten Bundesländern und 785 Euro in den neuen Bundesländern, sowie 494 Euro bei Frauen in den alten Bundesländern und 666 Euro in den neuen Bundesländern. Es ist offensichtlich, dass die jährliche Rentenanpassung zwar den durch Inflation verursachten Kaufkraftverlust zumindest teilweise wettzumachen sucht, aber die Niveauunterschiede in den Renten der verschiedenen Geburtskohorten nicht verändern kann. Allerdings sind die geringeren Rentenzahlbeträge bei den jüngeren Rentnerinnen und Rentner nicht allein auf die Reduzierung im Leistungsniveau zurückzuführen, sondern auch auf die von den jeweiligen Erwerbspersonen erworbenen Anwartschaften, die in Form von Entgeltpunkten angesammelt werden. Viele jüngere Erwerbstätige haben bis zum Erreichen des Renteneintrittsalters nur geringe Chancen, die notwendigen 45 Entgeltpunkte zu erreichen, um eine lebensstandardsicherndes Alterseinkommen allein aus der gesetzlichen Rente zu erzielen. Dies ist unter anderem der Fall, weil sie Erwerbsunterbrechungen erleben, wie z.b. Phasen der Arbeitslosigkeit, oder weil sie gering verdienen und somit nur unterdurchschnittliche Beiträge zur Rentenversicherung leisten bzw. entsprechend unterdurchschnittlich wenige Entgeltpunkte ansammeln, oder weil sie gar nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Insbesondere die stattgefundenen iv

Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt tragen also zur Sorge der künftig steigenden Altersarmut bei. Neben der Zunahme unstetiger, durch Phasen von Arbeitslosigkeit und Erwerbslosigkeit geprägter Erwerbskarrieren, führt auch die zunehmend ungleiche Verteilung der Erwerbseinkommen zu mehr Einkommensarmut, auch im Alter. Wer ist künftig von Altersarmut betroffen? Es ist anzunehmen, dass in Zukunft diejenigen sozialen Gruppen, die bereits heute ein höheres Altersarmutsrisiko aufweisen, besonders von Armut bedroht sind. Allerdings lassen sich im Zeichen des sozialen Wandels zusätzlich auch neue Risikogruppen benennen. Zu den armutsgefährdeten Älteren der Zukunft zählen: Frauen, die über keine oder nicht ausreichende individuelle Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung verfügen und nicht über andere Familienmitglieder, in der Regel handelt es sich um Absicherung über den Partner, abgesichert sind. Deshalb sind auch die Armutsrisiken bei Trennung oder Scheidung beträchtlich, insbesondere für ältere Frauen. Von dauerhafter Armut sind also z.b. Alleinerziehende bedroht, die bereits in jüngeren Jahren ein überdurchschnittliches Armutsrisiko aufweisen. Zweipersonenhaushalte sind vergleichsweise deutlich seltener armutsgefährdet, weil hier auch Umverteilungsprozesse innerhalb des Haushaltes greifen. Der Anteil der Paarhaushalte unter den älteren Menschen, mit entsprechenden Kompensationsmöglichkeiten, ist in den letzten Jahren gestiegen und scheint zunächst einem verstärkten Anstieg von Altersarmut entgegen zu wirken. Einpersonenhaushalte sind deutlich häufiger arm, gleichzeitig leben wesentlich mehr ältere Frauen alleine, und sind auch deshalb am häufigsten von Altersarmut betroffen. Geringverdiener, die entweder nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, und die zu geringe Anwartschaften erwerben, etwa weil sie im wachsenden Niedriglohnsektor beschäftigt sind, um eine gesetzliche Rente zu erhalten, die über der Grundsicherung im Alter liegt. Selbständige ohne ausreichende private Vorsorge, zu denen insbesondere kleine Selbständige ohne Mitarbeiter zählen. Hiervon sich auch vermehrt gut ausgebildete Personen etwa in freien Berufen betroffen, wenn sie nicht entsprechend langfristig privat vorsorgen. Menschen mit unterbrochenen Erwerbskarrieren wie Arbeitslose und Hartz-IV- Empfänger. Vor allem Langzeitarbeitslose sind von einem hohen Armutsrisiko betroffen, insbesondere die Älteren unter ihnen. Menschen, die ihre Erwerbskarrieren unterbrochen haben, um Pflege- und Betreuungsarbeit in der Familie zu übernehmen. Typischerweise sind das wiederum häufiger Frauen als Männer. Migrantinnen und Migranten, die keine volle Erwerbsbiografie im bundesdeutschen Sozialstaat aufzuweisen haben, sondern in einem Lebensalter nach Deutschland gekommen sind, das nur eine kürzere Erwerbsbiografie auf dem deutschen Arbeitsmarkt und entsprechend weniger v

Entgeltpunkte in der gesetzlichen Rente erlauben. Weil Gesundheits- und Pflegekosten zum Ende des Lebens ansteigen, besteht auch bei ausreichend hohen Alterseinkommen die Gefahr, durch steigende Bedarfe in die Armut zu rutschen. Steigen im Alter etwa aufgrund von Pflegebedarf die Kosten, ist Armut möglicherweise trotz durchschnittlichem Alterseinkommen vorprogrammiert. Neu ist, dass aufgrund des Rückbaus des Sozialstaates in Zukunft auch das Armutsrisiko von Durchschnittsverdienern steigen wird, denn die Reformen, die Beitragsstabilität zu Lasten geringerer Renteneinkommen eintauschten, führen dazu, dass auch Durchschnittsverdiener nach vielen Jahren der Vollzeitbeschäftigung kaum eine Rente erreichen, die auf dem Niveau der Grundsicherung im Alter liegt. Schließlich soll die im System der gesetzlichen Alterssicherung eingeplante Rentenlücke durch betriebliche und zusätzliche private Renteneinkommen geschlossen werden. Allerdings werden somit etwa zugunsten von Müttern solidarisch umverteilte Anwartschaften aus der gesetzlichen Rente abgesenkt, von individuellen Einkommen stärker abhängige betriebliche und private Renten wirken aber besonders sozial selektiv. Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass Altersarmut künftig kein Randphänomen mehr sein wird, sondern tatsächlich jeden in der Gesellschaft betreffen kann. Diskussion Die Bekämpfung von Armut im Alter ist von der aktuellen Bundesregierung nicht zu erwarten, sie hat politisch keine Priorität und wird allein durch den Verweis auf individuelle berufliche und private Vorsorge beantwortet, wie bereits im Koalitionsvertrag der CDU, CSU und FDP von 2009 festgehalten: Wir verschließen die Augen nicht davor, dass durch veränderte wirtschaftliche und demographische Strukturen in Zukunft die Gefahr einer ansteigenden Altersarmut besteht. Deshalb wollen wir, dass sich die private und betriebliche Altersvorsorge auch für Geringverdiener lohnt und auch diejenigen, die ein Leben lang Vollzeit gearbeitet und vorgesorgt haben, ein Alterseinkommen oberhalb der Grundsicherung erhalten, das bedarfsabhängig und steuerfinanziert ist. Hierzu wird eine Regierungskommission einen Vorschlag für eine faire Anpassungsregel entwickeln. Dabei sind verschiedene Lösungen denkbar, die hier nur angerissen werden können: Die Politik könnte geringe Renten für bestimmte Personengruppen aus Versicherungsbeiträgen oder Steuern aufstocken, wie es die aktuell angedachte Zuschussrente vorsieht. Allerdings sind die Bedingungen nur von wenigen Personen zu erfüllen, so dass kaum Renten bezuschusst würden. Wichtiger wäre, die Armutsbedrohung gar nicht erst entstehen zu lassen. Armutsvermeidung hat allemal Vorrang vor Armutsbekämpfung. Die Politik könnte über eine Ausweitung der Alterssicherung nachdenken, indem z.b. die gesetzliche Rentenversicherung für weitere vulnerable vi

Gruppen wie schlecht verdienende Selbständige wieder geöffnet würde bzw. für diese eine verpflichtende Vorsorge eingeführt würde. Nach meiner Einschätzung müsste man insgesamt mehr Personen in die gesetzliche Rente aufnehmen, die von der dortigen solidarischen Umverteilung profitieren könnten. Als Hauptursache einer Zunahme von Altersarmut wird die Absenkung der gesetzlichen Rente betrachtet. Zwar müssen geringere Rentenzahlungen nicht zwangsläufig zu einer Zunahme von Altersarmut führen. Das ist aber dann der Fall, wenn die entstehenden Rentenlücken nicht durch andere Einkommen kompensiert werden können (wie etwa durch private Vorsorge, Erbschaften oder Erwerbstätigkeit jenseits der 65). Die Bezuschussung der privaten Vorsorge wie etwa bei Riester-Verträgen hilft nur bedingt, und andere berufliche und private Alterssicherungsleistungen fehlen meist vollständig bei denen, die sie am nötigsten bräuchten. Private Vorsorge wird aber dann ökonomisch irrational, wenn man mit ihr schlechter dasteht als ohne (Riester- Auszahlungen werden bei Bezug von Grundsicherung als Einkommen angerechnet, die Grundsicherung im Alter wird entsprechend um diesen Anteil gekürzt). Dabei sollte man meinen, dass wer sein Berufsleben lang in die gesetzliche Rentenversicherung einbezahlt hat, mehr bekommen sollte, als jemand, der nicht eingezahlt hat. Nach meiner Einschätzung müsste man die Teilprivatisierung der Rente rückgängig machen, und allein auf das bei steigender Produktivität und steigenden Erwerbsquoten durchaus finanzierbare System der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung setzten, das auch in der Lage war, historisch einzigartige Herausforderungen wie die Integration der ostdeutschen Rentnerinnen und Rentner nach der Wiedervereinigung zu bewältigen. vii

Quellenverzeichnis Bäcker, Gerhard (2008): Altersarmut als soziales Problem der Zukunft? In: Deutsche Rentenversicherung, 63, 4/2008, 357-367. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2011) Rentenversicherungsbericht 2011. Berlin. Goebel, Jan & Markus M. Grabka (2011): Entwicklung der Altersarmut in Deutschland. DIW Berlin. Grabka, Markus M. & Peter Krause (2005): Einkommen und Armut von Familien und älteren Menschen. DIW Berlin. Hauser, Richard (2008): Altersarmut in der Europäischen Union, in: WSI MItteilung, 61, 3, 125-132. Motel-Klingebiel, Andreas (2006): Materielle Lagen älterer Menschen: Verteilungen und Dynamiken in der zweiten Lebenshälfte. In: Tesch-Römer, Clemens, Heribert Engstler & Susanne Wurm (Hrsg.): Altwerden in Deutschland. Wiesbaden: 155-230. Niejahr, Elisabeth (2008) Alt werden wir später In: DIE ZEIT, 21. Februar 2008. Vogel, Claudia, Harald Künemund & Uwe Fachinger (Hrsg.): Die Relevanz von Erbschaften für die Alterssicherung. Berlin: Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV-Schriften Band 90). Onlinequellen http://www.bmas.de/shareddocs/downloads/de/rentenversicherungsbericht- 2011.pdf;jsessionid=167283E0FBC83197FB427FF14495FCFF? blob=publicationfil e http://www.deutscherentenversicherung.de/cae/servlet/contentblob/138218/publicationfile/23658/rv_in_za hlen_2011_pdf.pdf https://www.destatis.de/de/service/glossar/g/grundsicherungaltererwerbsminderun g.html http://epp.eurostat.ec.europa.eu/portal/page/portal/europe_2020_indicators/headline_i ndicators viii