Grußwort 60 Jahre Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz NRW 5. November 2013, 12.30 Uhr, Plenarsaal des Landtags Verehrter, lieber Herr Vorsitzender Jürgen Jentsch, Herr Staatssekretär, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, verehrte Gäste! I. Zwei Dinge sollten Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel. Mit diesem wunderbaren Goethe-Wort begrüße ich Sie im Herzstück unseres Parlaments im Plenarsaal und heiße Sie im Landtag Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen. Vor nicht einmal vier Wochen haben wir in diesem Plenarsaal Geburtstag gefeiert - 25 Jahre Landtag am Rhein. Und wesentlich zum Gelingen des Festes haben Kinder und Jugendliche beigetragen mit ihren musikalischen Beiträgen.
2 Und auch heute haben wir Anlass, einen Geburtstag zu begehen: 60 Jahre Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz NRW, kurz AJS. Also: 60 Jahre parteiischer Einsatz für diejenigen, die keine Lobby haben, die deshalb besonderer Hilfe und Schutz bedürfen: das sind Kinder und Jugendliche, die eigentlich in einem Umfeld aufwachsen sollen, das ihnen die notwendige Sicherheit und Vertrauen gibt, um starke Wurzeln bilden zu können, um sich mit kräftigen Flügelschlägen auf Entdeckungsreise ins Leben zu machen. Nein, das ist kein Widerspruch: 60 Jahre großartiger Einsatz für Wurzeln und Flügel für junge Menschen das ist eine wunderbare Gelegenheit, der AJS in NRW zu gratulieren und zu danken. Beides tue ich von Herzen. II. Wenn ich die Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz AJS als Lobby-Gemeinschaft bezeichne, dann nehmen Sie mir das hoffentlich nicht übel, sondern verstehen, was ich damit sagen will. Eine Lobby für Kinder und Jugendliche, das ist nicht nur gut und dringend, das ist sogar unverzichtbar. Denn Jugendliche haben vielfach keine wirkliche Lobby. Und erst Recht nicht Kinder, die ja noch nicht zu Ende formulieren, die noch nicht machtvoll durchsetzen können, was sie meinen und wollen. Kinder und Jugendliche brauchen Zuhörer und Gesprächspartner und sie brauchen dringend eine Lobby. 2
3 Und genau diese Lobby finden Kinder und Jugendliche seit fast 60 Jahren in der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz NRW, kurz AJS. III. Kinder- und Jugendschutz gehört mit zu den wichtigsten Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe. Der Schutz vor Gefährdungen und der Umgang mit Risiken muss den Kindern und Jugendlichen von den Erwachsenen gewährt werden. Unsere nordrhein-westfälische Landesverfassung stellt fest, dass Kinder und Jugendliche ein Recht auf Entfaltung und Entwicklung ihrer Persönlichkeit, auf gewaltfreie Erziehung und den Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung haben. Staat und Gesellschaft schützen sie vor diesen Gefahren und fördern ihr körperliches, geistiges und seelisches Wohl (Art. 6). Und wie dringend notwendig das ist, das macht die nach wie vor unvorstellbar hohe Zahl am Misshandlungen, Inobhutnahmen, Missbrauch und Vernachlässigung deutlich. Der Kinder- und Jugendschutz ist fast bin ich versucht an dieser Stelle ein leider hinzuzufügen also, der Kinder- und Jugendschutz ist heute genauso aktuell und notwendig wie vor vielen Jahren. Er besitzt nach wie vor eine hervorgehobene jugendpolitische Bedeutung. 3
4 Jugendschutz ist ein Bündel von Maßnahmen zur Förderung von Prävention und Erziehung, zu dem auch die Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen gehört. Die verschiedenen Aufgaben des Kinder- und Jugendschutzes können aber nur erfüllt werden, wenn staatliche Stellen mit freien Verbänden eng zusammenarbeiten. Ziel der AJS war es daher von Beginn an bis heute, alle gesellschaftlichen Kräfte zu bündeln, um vor allem die damals neuen Jugendschutzgesetze im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern. IV. Die AJS hat seit Beginn ihrer Tätigkeit Wert auf die Zusammenarbeit mit den Trägern der Kinder- und Jugendhilfe und auch mit der Schule gelegt. Dies zeigt sich in dem breiten Spektrum der Mitglieder, die die AJS tragen, unterstützen und sich gemeinsam für die Förderung des Kinderund Jugendschutzes einsetzen. Vorstand und Mitglieder der AJS haben auch stets Wert auf die parlamentarische Unterstützung gelegt. Das geht natürlich am allerbesten, wenn man die Abgeordneten gleich in die eigene Arbeit einbindet. So haben Parlamentarier aus allen Fraktion zeitweise im Vorstand - als sogenannte kooptierte Mitglieder - mitgearbeitet und wertvolle Anregungen für die Arbeit gegeben. Die sie oftmals dann auch im parlamentarischen Raum aufgegriffen haben. Seit 1989 hat mein früherer Kollege, mein lieber Freund Jürgen Jentsch, nun den Vorsitz inne, also bald ein Vierteljahrhundert lang. Dafür, lieber Jürgen, meinen Dank und meine Anerkennung für die damit geleistete Lobby-Arbeit zum Wohle von Kinder und Jugendlichen. 4
5 V. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die AJS bewältigt ein umfangreiches Arbeitsspektrum und erbringt wertvolle Dienstleitungen: Initiativen/Kampagnen, Öffentlichkeitsarbeit, Herausgabe von Arbeitshilfen, Fortbildung, Fachberatung und Politikberatung zu den Themenbereichen: Jugendmedienschutz, Prävention gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen, Suchtprävention, Jugendkriminalität - um nur einige wenige zu nennen. Für diese riesengroße Leistung gelten Ihnen der Dank, der Respekt und die Anerkennung des Landesparlaments. Anregungen geben, Initiative ergreifen und unterschiedliche Interessen zusammenführen - das waren und das werden auch in Zukunft die Ziele Ihrer Arbeit sein. VI. Kinder und Jugendliche vor Kriminalität, vor Gewalt und vor sexuellem Missbrauch zu schützen, das war schon immer notwendig. Da die Welt aber immer komplexer geworden ist, sind auch neue Gefahren hinzugekommen: Cybermobbing, Stalking im Internet, Erschleichen von Vertrauen Jugendlicher um Übergriffe vorzubereiten, Kontaktanbahnung unter der Vorspiegelung falscher Identitäten, und vieles mehr beschreiben eine neue, dramatische Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, die nicht nur von Erwachsenen ausgeübt wird. 5
6 Natürlich befasst sich die AJS auch mit diesen Gefahren und Risiken, die durch die neuen Medien und im Umgang mit den modernen Kommunikationsmitteln entstanden sind. Und selbstverständlich gilt das Engagement der AJS auch für den Schutz vor Sekten und Psychokulten. Insgesamt glaube ich, dass eine noch stärkere Zusammenarbeit im Lande erforderlich ist. Dazu bietet die breite Mitgliederstruktur der AJS eine gute Plattform. VII. Lassen Sie mich als Letztes kurz einen Punkt ansprechen, der Ihnen wie mir besonders am Herzen liegt: das ist das Thema Kinderarmut. Wichtig ist mir, dass wir Kinderarmut nicht nur materiell betrachten. Soziale Faktoren wie Achtsamkeit, Zuwendung und Ermutigung lassen sich nicht in Gesetzestexte oder gar in Leistungskataloge fassen, aber die meisten von Ihnen hier im Saal werden mir wahrscheinlich zustimmen: Gerade bei den immateriellen Werten und im Kernbereich der familiären Bildung gibt es viele Arten von Unterversorgung hier im Land. Die grundsätzliche Frage lautet hier: Wie verbessern wir in NRW tatsächlich Chancengerechtigkeit? Ich würde mir sehr wünschen, dass wir Kinderarmut noch öfter als bisher nicht nur als Armut an Geld definieren, sondern auch als Armut an Möglichkeiten. 6
7 Mir wird viel zu häufig debattiert über Summen, statt über Teilhabegerechtigkeit, über die Möglichkeit, das Leben in die eigenen Hände zu nehmen, und über die Hindernisse, die auf diesem Weg noch auszuräumen sind. Und es ist schön zu wissen, dass sich die AJS ganz intensiv diesem Thema der Chancengerechtigkeit widmet ich also bei Ihnen an der richtigen Adresse bin. VIII. Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, aus alledem schließe ich: Unsere Kinder und Jugendlichen brauchen die AJS künftig in noch stärkerem Maße. Ihre Arbeit, lieber Jürgen Jentsch, wird in Zukunft also nicht weniger. Ihnen, die Sie sich so beherzt einseitig auf die Seite der jungen Menschen schlagen, wünsche ich auch für die Zukunft Mut und Kraft, die zum erfolgreichen Kinder- und Jugendschutz führen zum Wohle unserer nachwachsenden Generation, die diesen Schutz dringend braucht. Ein herzliches Glückauf Ihnen allen! Und ich freue mich auf die Zusammenarbeit in kommender Zeit. 7