Schreibkompetenzen individuell entwickeln und ein Leben lang üben. Denn ohne ständiges Training ist der Verlust vorprogrammiert.

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Wäre ich des Lesens und Schreibens nicht kundig, stünde ich heute nicht vor Ihnen und hätte nicht die Ehre, Ihnen in den nächsten 30 Minuten zu zeigen, was für wunderbare Werkzeuge uns zur Verfügung stehen und wie Bibliotheken den Erwerb der entsprechenden Kompetenzen tatkräftig und fantasievoll unterstützen. Denn ich hätte mich nicht in die Materie einlesen, mir keine Notizen machen, kein Konzept erstellen und keine Powerpoint-Folien texten können, die ich Ihnen hier präsentiere. Ich freue mich also sehr, Sie auf eine kleine Reise in die Welt der Entstehung und Bewahrung von Schriftlichkeit und deren Förderung im hier und jetzt mitnehmen zu dürfen. Was Hänschen nicht lernt Bis wir alle so intensiv und scheinbar mühelos, wie dieser Junge hier, lesen gelernt haben, hat es uns viel harte Arbeit gekostet. Sie glauben mir nicht so recht? Lassen Sie mich Ihnen zum Einsteig kurz erläutern, weshalb dies so ist und was auf dem Weg in die Schriftlichkeit wo schiefgehen kann. [Folie 2] Wir alle bedienen uns im beruflichen und privaten Alltag einer der wichtigsten Errungenschaften der Zivilisation: der Schrift. Innerhalb des gleichen Schriftsystems kommunizieren wir mühelos miteinander, unabhängig davon, ob wir uns sehen und hören. Weitere Schriftsysteme können wir bei Bedarf erlernen. Die Menschheit hat also im Laufe ihrer kulturellen Entwicklung ein Mittel gefunden, Information und Wissen unabhängig von Raum und Zeit weiterzugeben. Was für eine bahnbrechende Erfindung! In der Wikipedia, dem von Internetusern gemeinsam aufgebauten und genutzten virtuellen Lexikon oder Wissensspeicher, bin ich auf diese Graphik gestossen, die den Begriff Wikipedia in unzähligen Schriftsystemen der Welt vorführt. Über Internet, E-Mail, Blogs usw. steht uns allen ein müheloser Austausch während 7 Tagen die Woche und rund um die Uhr offen. Dies eröffnet unglaubliche Möglichkeiten! Doch was ist mit all denen, für die die Welt der Bücher ein Buch mit 7 Siegeln ist, wieder wird - und, im schlimmsten Falle, auch bleibt? [Folie 3] Werfen wir einen Blick auf die Geschichte der Entstehung der Schrift: Vielleicht gelingt es uns, auf diesem Weg eine Antwort zu finden. In der Evolutionsgeschichte der Menschheit, die sich auf 6 bis 7 Millionen Jahre zurückführen lässt, ist die Entstehung der Schrift eine Entwicklung der allerneuesten Zeit: Sie geht gerade mal auf ca. 5000 vor Christus zurück. Hier malten und ritzten Menschen erstmals Inschriften mit abstrakten Zeichen, die für Inhalte stehen. Dies geschah an verschiedenen Orten: so liegen die Wiegen unserer heutigen Schriften in Südosteuropa, im Nahen Osten oder in China. Da ich Ihnen ja keinen wissenschaftlichen Vortrag über Schriftentwicklung halten will, richten wir den Fokus nun auf die Vorgänge in unseren Breitengraden: Im Nahen Osten entstanden erste Schriften in Mesopotamien, so die Keilschrift, und in Ägypten denken Sie nur an die wunderschön gemalten Hieroglyphen auf Papyrusrollen. Wichtig für uns ist das Phönizische, das die Basis für Hebräisch, Arabisch und Griechisch bildete. Die grosse kulturelle Leistung war die Reduktion auf wenige Zeichen, auf Konsonanten und Vokale, mit denen sämtliche Wörter geschrieben werden können.

[Folie 4] Sie werden sich nun sicher fragen, wie es damals um die Lese- und Schreibkompetenzen der Leute bestellt war. Immer gab es Schriftkundige, Geistliche und eine Oberschicht, die über solche Kenntnisse verfügten. Diese Kreise waren mal grösser, mal kleiner. In unseren Breitengraden, in Westeuropa also, gingen diese Fertigkeiten mit dem Niedergang des römischen Reiches bis auf wenige Überbleibsel praktisch verloren. Auch der Lesestoff ging langsam aus; will heissen, dass in Schriftrollen und Codices festgehaltenes Wissen Mangelware wurde. So bemühten sich ab ca. 700 n.chr. Klöster mit ihren Skriptorien um die Verbreitung von handschriftlich erstellten Kopien von letzten Zeugen antiken Wissens, das in Latein überliefert worden war. Angestossen von Karl dem Grossen und seiner Bildungsreform, wurde der Wildwuchs im Bereich der Schrift durch die Einführung einer einheitlichen Schreibschrift beseitigt. Latein wurde zur gemeinsamen Sprache der schriftlichen Verständigung erklärt, was die Verbreitung von Regelwerken und Verordnungen zur kirchlichen und gesellschaftlichen Neuorganisation im europäischen Raum erst möglich machte. Noch aber ging dieser Prozess langsam voran, denn mühsam musste Buchstabe um Buchstabe auf Pergamentbogen gemalt werden. Die Handschriftenbestände der St. Galler Klosterbibliothek und des Archivs bergen wunderbare Zeugnisse jenes Reformwillens. Mit der Erstarkung des Bürgertums in den Städten, das im europäischen Raum und weit darüber hinaus Handel trieb, verbreiteten sich Lese- und Schreibfähigkeit in weiteren Bevölkerungsschichten. Erst recht, als Gutenberg kurz vor 1500 den Buchdruck mit beweglichen Lettern erfand. Man muss sich das einmal vorstellen: Plötzlich war es möglich, mit relativ bescheidenem Aufwand immer wieder neue Bücher in grösserer Auflage zu drucken! Damit aber nahm die Verbreitung von Information und Wissen rapide zu. Mitte des 19. Jahrhunderts fand eine eigentliche Revolution statt, nicht von Lärm und Tumult begleitet, aber mit weitreichenden Auswirkungen bis in die heutige Zeit: die Gründung der Volksschule. Jedes Kind erhielt das Recht, Lesen und Schreiben zu lernen und sich damit Wissen zu erwerben. Seit damals geht es immer wieder darum zu definieren, was Kindern als Rüstzeug für ihre Zukunft in der Gesellschaft mitzugeben sei denken wir nur an die heftigen Diskussionen in Zusammenhang mit dem Lehrplan 21. Doch nochmals kurz zurück in die Zeit der Volksschulgründung: Gegen Ende des 19. Jahrhunderts führte die Idee einer allgemeinen Volksbildung zur Gründung von Volkshochschulen und ersten öffentlichen Bibliotheken oft auch beides in Kombination. [Folie 5] Nach diesem Exkurs über die Geschichte der Schriftlichkeit möchte ich Ihnen nun schildern, was dies für jeden einzelnen von uns heisst resp. was jedes Kind im Verlauf seiner individuellen Entwicklung diesbezüglich zu leisten hat. Die Fähigkeit zur Sprache ist uns allen angeboren, deren Basis wurde im Dunkel der Menschheitsgeschichte gelegt. Unser Sprachzentrum ist gut ausgerüstet, muss allerdings von jedem von uns von allem Anfang an entwickelt werden. Ganz anders verhält es sich mit der Schrift: 7000 Jahre reichen nicht, um eine Fähigkeit in den Genen zu verankern! Jeder von uns muss sich die Schriftzeichen und deren Entzifferung resp. Reproduktion mühevoll aneignen, die Lese- und

Schreibkompetenzen individuell entwickeln und ein Leben lang üben. Denn ohne ständiges Training ist der Verlust vorprogrammiert. [Folie 6] Die meisten von uns lesen tagtäglich scheinbar mühelos. Kaum jemand ist sich dessen bewusst, woraus die Kunst des Lesens besteht. Das Lesen läuft vollautomatisiert in unseren Köpfen ab, ohne dass wir merken, was für hochkomplexe Prozesse ablaufen und was für eine Schwerarbeit unser Kopf für uns beim Lesen permanent leistet. Bestimmt wird der Aufbau der Lesekompetenz im kognitiven Bereich durch den Erwerb einer Kombination von Teilfähigkeiten. Doch auch persönliche Voraussetzungen sowie das soziale Umfeld wirken prägend mit. Denken Sie nur an all die Diskussionen rund um die PISA-Studien. [Folie 7] Wie komplex sich nur schon der technische Bereich des Lesenlernens gestaltet, möchte ich Ihnen hier zeigen: Jedes Kind muss für sich die Welt der Buchstaben entdecken, es muss Wörter und Sätze erkennen lernen, Inhalte erschliessen und die Struktur von Texten erfassen. Das ist Schwerarbeit! All dies muss jedes Kind so lange einüben, bis die Prozesse vollautomatisch ablaufen und es nicht mehr merkt, dass es intensiv am Arbeiten ist. Aber für viele Kinder läuft dieser Prozess nicht reibungslos ab. So bleiben beispielsweise viele Jugendliche in dieser Prozessebene stecken und damit ist das Lesen für sie mit Arbeit und Frust verbunden. Denken Sie nur an die rund 1/5 aller Jugendlichen, die nach Abschluss ihrer Schulzeit über keine oder völlig ungenügende Lesekompetenzen verfügen. Damit Lesekompetenzen nachhaltig verankert werden, müssen Kinder ein positives Selbstbild als Leser resp. Leserin von sich entwickeln. Das heisst: Sie haben Spass am Lesen von Geschichten und am Erwerb von Wissen. Sie nehmen sich als Teil einer Lesegemeinschaft wahr, denken über Texte nach und sind ganz grundsätzlich motivierte Leser. Die Entwicklung des Selbstkonzepts als Leserin oder Leser wird zudem stark beeinflusst vom sozialen Umfeld. Wichtig ist es für Kinder, sich in der Familie, in der Schule oder mit Gspänli und Peers über Gelesenes austauschen zu können. Wichtig ist es für sie, lesende Vorbilder zu haben: den Vater, die Mutter, die Lehrerin oder den Lehrer mit einem Buch in der Hand! [Folie 8] Wir sehen also: Kinder brauchen viel Unterstützung, bis sie sich als gewiefte Leserinnen und Leser in unterschiedlichsten Formen von Texten seien es handschriftliche, Printversionen oder online tummeln können. Da der Schrifterwerb so komplex ist, muss auch die Förderung des Lesens auf verschiedenen Ebenen erfolgen. In der Schule werden mit Lautlesen Wort- und Satzbestimmung und Zusammenhänge geübt. Mittels Viellesen sollen Kinder sich zudem als Lesende positiv wahrnehmen. Das Trainieren von Lesestrategien hilft Schülerinnen und Schülern, Texte im Zusammenhang zu erfassen. Leseanimation soll Kinder auf lustvolle Art und Weise in der Welt der Bücher und Geschichten verankern eine gemeinsame Lektüre bietet Anlass zu vielfältigen Anschlusskommunikationen. Und im Literaturunterricht machen Schülerinnen und Schüler Bekanntschaft mit literarischen, d.h. sprachlich geformten Texten, deren Struktur es zu erfassen gilt. Bibliotheken mit ihrem breitgefächerten Angebot sind hier seit jeher Partner der

Schule. Im Dienste der Leseförderung gilt es diese Zusammenarbeit noch verstärkt auszubauen! [Folie 9] Bedingung für einen positiven Ausgang all dieser Bemühungen ist die Motivation jedes einzelnen Schülers, jeder Schülerin. Wir haben schon festgestellt, dass die Lesemotivation eng mit dem Selbstkonzept resp. der Selbstwahrnehmung als Leserin oder Leser verknüpft ist. Nimmt sich ein Kind als inkompetenter Leser wahr, weicht es einer Lektüre möglichst aus. Wird die Anstrengung, die das Kind beim Erwerb des Lesens unternimmt, nicht wahrgenommen und honoriert, wird es sich frustriert von der Welt der Buchstaben abwenden resp. sich auf ein Minimum an Aufwand beschränken und dies reicht bekanntlich nicht. Solche Kinder sind demotiviert, ihre Lesekompetenzen bleiben im Bereich des Lesens als Schwerarbeit stecken und sind damit nicht nachhaltig für die Zukunft verankert. Aber auch Kinder, in deren Wahrnehmung Lesen mit Wettbewerb und Noten verbunden ist und die dies als Druck erfahren, haben es schwer, eine positive Beziehung zur Welt der Schrift aufzubauen. Erst wenn Kinder ein Interesse an Wissenserwerb aus Texten entwickeln, Freude am Lesen von tollen Geschichten haben und Befriedigung aus ihrer Tätigkeit als Leser ziehen, kann von einer gelungenen und schliesslich selbstbestimmten Motivation gesprochen werden. [Folie 10] Was aber braucht es, um Kinder zu Lesern und Leserinnen zu machen? Richard Bamberger, ein Pionier der schulischen Leseförderung, hat es treffend auf den Punkt gebracht: Viele Kinder lesen keine Bücher, weil sie nicht (richtig) lesen können. Sie können nicht (richtig) lesen, weil sie keine Bücher lesen. Was allerdings häufig fehlt, ist ein spannendes und motivierendes, den individuellen Fähigkeiten angepasstes Lektüreangebot, das zum Zugreifen und Lesen verleitet: Es fehlen attraktive und auf die einzelnen Bedürfnisse zugeschnittene Lektüreangebote. [Folie 11] Will die Schule nachhaltig Leseförderung betreiben, braucht es also neben gezieltem Lesetraining eine grosse Buchauswahl. Kinder sollen im Klassenzimmer und in Bibliotheken zum Zugreifen und Schmökern verleitet werden. Dafür stehen verschiedene Formen von Bibliotheken zur Verfügung: Kleine sogenannte Klassenzimmerbibliotheken mit ständig wechselndem Angebot: mal eine bunte Auswahl an Sachbüchern und Medien zu einem Unterrichtsthema, mal ein bunter Lesemix für die individuelle Lektüre. Dann bieten Schulbibliotheken, die gut geführt sind, aktuelle Medien für den Unterricht. Sie unterstützen im Idealfall Lehrpersonen mit einem eigenen Angebot an Leseanimation. Existiert keine Schulbibliothek, nimmt die öffentliche Bibliothek diese Funktion wahr. Hier finden Kinder und Jugendliche Stoff in Form von Büchern und weiteren Medien für den Unterricht, aber auch für die Freizeit. Der langen Rede kurzer Sinn: Schule und öffentliche Bibliothek müssen dafür sorgen, dass alle Kinder die Bibliothek als Informations- und Medienzentrum und als tollen Erlebnisort und Treffpunkt kennen und nutzen lernen.

Jedes Kind sollte, so die ehemalige Beauftragte für Leseförderung des Volksschulamtes Zürich, im Rahmen seiner Schullaufbahn Zugang zu mindestens zwei dieser Bibliotheksformen haben. [Folie 12] Der klassische Weg, Schüler in die Bibliothek einzuführen, ist der gemeinsame Bibliotheksbesuch. In den letzten Jahren hat sich die Form der Präsentation stark verändert. Früher wurden Kataloge, Aufstellsystematik und Benutzungsordnung vorgestellt. Heute geht es viel mehr darum, Kindern und Jugendlichen den Besuch der Bibliothek schmackhaft zu machen. Einer kurzen Begrüssung und Einführung folgt dann bald schon das freie Stöbern und Schmökern mit der anschliessenden Ausleihe. Primarschulkindern werden Geschichten erzählt oder vorgelesen. Sie gehen auf Schatzsuche und entdecken die Bibliothek auf spielerische Art und Weise. Bibliotheksralleys führen entlang vorbereiteter Posten mit Wissensaufgaben quer durch die ganze Bibliothek. [Folie 13] Doch die Bibliothek kommt auch ins Schulzimmer! Sie bietet Lehrpersonen die Ausleihe von speziell zu verschiedenen Lehrplanthemen zusammengestellten Bücher- und Medienboxen an. Im Bild sehen Sie eine solche Medienkiste zum Thema Römische Geschichte, die von der Freihandbibliothek St. Gallen komponiert worden ist. Ich sage komponiert, handelt es sich dabei doch immer um eine Auswahl von Büchern und Medien, die bezüglich inhaltlicher Qualität und Ausstattung herausragen. Bibliotheken als Orte des Wissens, der Information und des Lernens bieten Lehrpersonen aber auch ihre Unterstützung bei der Durchführung von Klassenprojekten an. So unterstützen Bibliothekarinnen Schülerinnen und Schüler bei der gezielten Informationssuche in Büchern oder im Internet. Eine besondere Wertschätzung erfahren die Bemühungen der Kinder und Jugendlichen, wenn ihre schriftlich verfassten Projektarbeiten anschliessend in der öffentlichen Bibliothek präsentiert werden. Eine Zusammenarbeit zwischen Schule und Bibliothek bietet sich aber auch für die Organisation eines Schulprojektes an: So hilft die Bibliothekarin als Fachfrau für Kinder- und Jugendliteratur und Leseanimation gerne mit bei der Auswahl der Bücher und Medien und der Gestaltung der gemeinsamen Lesenacht oder Lesewoche. [Folie 14] Dass Bibliotheken und ihre vielfältigen Angebote in der Bevölkerung auf grosses Interesse stossen, beweisen die 2008 erhobenen Zahlen des Bundesamtes für Statistik: 36 % der Schweizer Bevölkerung geben an, in ihrer Freizeit Bibliotheken zu besuchen. Und 21 % nutzen Bibliotheken im Rahmen der Aus- und Weiterbildung oder der Arbeit. Konkret heisst dies, dass Bibliotheken zu den meistgenutzten kulturellen Institutionen der Schweiz zählen. Damit leisten sie nicht zuletzt auch einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Förderung der Lesekompetenz in unserer Gesellschaft. [Folie 15] Bibliotheken sind klassische Orte der Leseanimation. Immer schon haben sie es als ihre Aufgabe angesehen, Kinder, Jugendliche und Erwachsene zum Lesen zu

verlocken. Sie bieten der Bevölkerung freien Zugang zu einem breiten und bunten Angebot an Büchern und weiteren Medien. Mit speziellen Veranstaltungen wollen sie Literatur und die Inhalte von Büchern zu eigenem Leben erwecken und sinnlich erfahrbar machen. Da in unserer Gesellschaft rund 800'000 Menschen leben, die über ungenügende Lese- und Schreibkompetenzen zur Bewältigung ihres Alltags verfügen, sehen sich heute auch Bibliotheken vor neue Aufgaben gestellt. Wohl ist es der Verein Lesen und Schreiben für Erwachsene, dem hier mit dem speziellen Kursangebot die führende Rolle zukommt. Doch auch Bibliotheken können ihren Beitrag leisten, indem sie Kontakt aufnehmen zu Kursleitungen und Besuche in der Bibliothek anregen. Bibliothekslokalitäten bieten sich für die Durchführung von Kursen geradezu an, handelt es sich doch meist um attraktive Orte mit einer besonderen Atmosphäre, die es zudem für die Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer zu entdecken gilt. Mit einem Angebot an einfachen Texten für erwachsene Leseeinsteiger können Bibliotheken den Einstieg in Buchwelten erleichtern. Auch die Unterstützung beim Entziffern von komplexen Texten und dem Verfassen von korrekten Schriftstücken als festes Bibliotheksangebot ist denkbar. Wie es die nun zu Ende gehende Sensibilisierungkampagne gezeigt hat, sind Bibliotheken nicht zuletzt auch Orte, die die Bevölkerung auf die Problematik des Analphabetismus in unserer Gesellschaft aufmerksam machen kann. [Folie 16] Der eigentliche Handlungsschwerpunkt der Bibliotheken liegt jedoch im Präventionsbereich. In den letzten Jahren haben die meisten damit begonnen, sich stark in der sprachlichen Frühförderung zu engagieren. Sie wollen damit den Boden für den späteren Aufbau der Lese- und Schreibkompetenz ebnen helfen. Insbesondere handelt es sich um zwei Grossprojekte, in denen Bibliotheken als wichtige Partnerinstitutionen massgeblich beteiligt sind: Buchstart Schweiz ist eine die ganze Schweiz umfassende Kampagne, die Eltern für die sprachliche Förderung ihrer Kinder von allem Anfang an sensibilisieren will. Schenk mir eine Geschichte hat die Förderung der Muttersprache im Vorschulbereich zur Aufgabe. Dies geschieht über muttersprachliche Veranstaltungen z.b. in Spanisch, Portugiesisch, Türkisch, Albanisch usw. usf. in Bibliotheken, Elterntreffs oder Quartierzentren. [Folie 17] Kommen Kinder in den Kindergarten, sind die sprachlichen Defizite oft schon gross. Dies haben Studien in den letzten Jahren gezeigt. Und solche Defizite aufzuholen, ist mit grossen Schwierigkeiten verbunden, oft gelingt der Ausgleich auch nicht vollumfänglich. Deshalb muss Hänschen sich so früh wie möglich Sprachkompetenzen aneignen, soll es später zum geübten Leser und Schreiber werden. Buchstart Schweiz will Eltern in der ganzen Schweiz in allen Sprachregionen für die sprachliche Förderung ihrer Kinder sensibilisieren. Denn hier, in der Familie wird die Basis für die spätere Entwicklung der Sprache des Kindes gelegt. Sie gilt es also bei dieser Aufgabe zu unterstützen. Dafür ist ein Startpaket entwickelt worden, das neben zwei Pappbilderbüchern eine Broschüre enthält, die auch Eltern mit wenig Lesekompetenzen in Bildern vorführt, was zu tun ist: Es geht schlicht und einfach darum, schon mit dem Baby in Kommunikation zu treten und mit ihm zu reden. Bald schon sind Fingerverse und erste Reime angesagt. Kinder hören begeistert zu, reagieren mit Lauten und ersten Wörtern darauf und entwickeln im Austausch mit Erwachsenen ihr Sprachvermögen im Eiltempo!

Hauptakteure bei der Verbreitung der Buchstart-Pakete und der Sensibilisierung der Eltern sind Bibliotheken, Mütter- und Väterberatungsstellen sowie Kinder- und Hausärzte. Sie werden von der Buchstart-Zentrale direkt mit den benötigten Materialien beliefert. Seit Projektbeginn im August 2008 sind sage und schreibe! rund 200'000 Pakete an Buchstart-Akteure verschickt worden. Informationen, Bücherlisten, nützliche Tipps und Downloads, zum Teil in vielen Sprachen, finden sich auf der speziell fürs Projekt eingerichteten Website. [Folie 18] In der Deutschschweiz engagieren sich bereits rund 500 der 600 öffentlichen Bibliotheken für Buchstart. Meist sind sie es, die als Drehscheibe in lokalen Buchstart-Netzwerken agieren und die Koordination mit Mütterberaterinnen, Ärzten und weiteren Institutionen übernehmen. In den letzten Jahren haben viele Bibliotheken ihr Angebot um Pappbilderbücher für die Kleinsten erweitert und eigentliche Buchstart-Bereiche eingerichtet, in denen Eltern auch Vers- und Liederbücher sowie Elternratgeber finden. Ein wichtiger Baustein sind Buchstart- Veranstaltungen: Hier tauchen Eltern mit ihrem Kleinkind unter Leitung einer speziell dafür ausgebildeten Animatorin in die Welt der Verse, Lieder und ersten Geschichten ein. Über 700 solcher Veranstaltungen werden der Buchstart-Zentrale pro Jahr gemeldet, die Dunkelziffer ist aber sicher beträchtlich Der Lohn der Bibliotheken für ihre Mühe ist das neue Publikum, das sie mit ihrem Buchstart-Engagement ansprechen. Entdecken die Eltern mit ihren Kleinkindern erst einmal die Bibliothek, kommen sie gerne wieder, nützen begeistert das niederschwellige Angebot und schätzen die freundliche Atmosphäre. [Folie 19] Schenk mir eine Geschichte richtet sich an Kinder zwischen 2 und 5 Jahren mit Eltern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Auch hier geht es um die sprachliche Frühförderung und eine frühe Begegnung mit der Welt der Bücher und Geschichten: Ausgebildete Animatorinnen, ebenfalls mit Migrationshintergrund, zeigen Eltern, wie wichtig der Aufbau der Sprachkompetenz in der Erstsprache für ihr Kind ist. Zudem führen sie Eltern und Kinder in Vers-, Lieder- und Geschichtenwelten aus ihrem eigenen Kulturraum ein. Ziel ist es, Kinder in ihren sprachlichen, kreativen und literalen Fähigkeiten zu fördern. Dies nicht zuletzt auch unter Miteinbezug von Bilderbüchern in ihrer Muttersprache. Und hier kommen wieder die Bibliotheken ins Spiel: Sie sind es, die oft auch Buch- und Medienangebote in verschiedenen Fremdsprachen machen. Entdecken dies Eltern mit ihren Kindern im Rahmen von Schenk mir eine Geschichte, ist die Freude gross. Immer mehr Bibliotheken nehmen, zusätzlich zu den Buchstart-Veranstaltungen, auch Schenk mir eine Geschichte ins Programm auf. Hier ergeben sich oft Schnittstellen und Überlappungen zwischen den beiden Projekten. Dies schadet aber nicht, denn eine flächendeckende Frühförderung verlangt nach verschiedenen Zugängen und Konzepten, die in der Summe dann nachhaltig wirken. Dies hat auch die Freihandbibliothek St. Gallen erkannt und entwickelt mit viel Engagement Angebote in beiden Bereichen. [Folie 20] Doch nicht nur um Kleinkinder kümmern sich Bibliotheken im Rahmen von gesamtschweizerischen Projekten. Zusammen mit Schulen und weiteren Institutionen sind sie es, die Veranstaltungen organisieren, die im Rahmen der

Schweizer Erzählnacht stattfinden. Anfang Jahr rufen das Schweizerische Institut für Kinder- und Jugendmedien, Bibliomedia Schweiz und UNICEF jeweils zur Teilnahme an der am zweiten Freitag im November stattfindenden Erzählnacht auf. So früh wird auch das Motto festgelegt, damit alle Veranstalter den Anlass gleich ins Jahresprogramm aufnehmen können. Ab Sommer stehen dann Anregungen und Tipps als Downloads sowie Plakate und Karten mit dem von einem Schweizer Bilderbuchschaffenden gestalteten Sujet bereit. Das Interesse an der Erzählnacht, die Kinder, Jugendliche und Erwachsene gleichermassen begeistert, nimmt laufend zu. Im letzten November wurden 600 Veranstaltungen mit über 50'000 Teilnehmern gemeldet. Die Erzählnacht ist damit einer der grössten Kulturevents der Schweiz! [Folie 21] Mit diesem Bild, das schön zeigt, wie intensiv ein gemeinsames Vorlesen und Lesen sein kann, möchte ich mich von Ihnen verabschieden. Ich wünsche mir, dass alle Kinder auf Erwachsene stossen, die ihnen auf dem steinigen Weg in die Welt der Buchstaben hilfreich unterstützend zur Seite stehen. Und dass alle Kinder die wunderbare Welt der Schrift lustvoll lesender- und schreibenderweise für sich entdecken und als Erwachsene ein Leben lang bewahren können.