- 1-2 Ws 282/01 Leitsatz: 1. Der Maßregeltherapeut unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht; er kann nicht zur Offenbarung geschützter Patientendaten - etwa durch Bestellung als Gerichtssachverständiger gezwungen werden. 2. Die StVK ist dennoch gehalten, (nicht notwendig externen) Sachverständigenrat zur Kernfrage einer zu stellenden Prognose über den Untergebrachten einzuholen. 3. Etwaige Unsicherheiten gehen zu Lasten des Untergebrachten. Schlagwörter: Ärztliche Schweigepflicht Maßregelvollzug Prognosegutachten Bewährung Dienstanweisung SMS Vorschriften: 463 Abs. 3 StPO 67 StGB 67d StGB
- 2-0berlandesgericht Dresden 2. Strafsenat Aktenzeichen: 2 Ws 282/01 I StVK 70/01 LG Leipzig 552 VRs 143 Js 64320/96 StA Dresden Ws-G 338/01 S GenStA Dresden Beschluss vom 23. Mai 2001 in der Unterbringungssache des XXXXXXXXXXXXX, geboren am in zurzeit im Krankenhaus, Verteidiger: Rechtsanwalt wegen schweren Raubes u. a. 1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der 1. Strafvollstrekkungskammer des Landgerichts Leipzig vom 05. April 2001 (I StVK 70/01) aufgehoben. 2. Die Sache wird zur erneuten Durchführung des Verfahrens und zur Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.
- 3 - G r ü n d e : I. Das Landgericht Dresden verhängte mit Urteil vom 28. November 1997, rechtskräftig seit dem selben Tage, gegen den Verurteilten wegen (gemeinschaftlichen) schweren Raubes in zwölf Fällen, davon in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit (gemeinschaftlicher) schwerer räuberischer Erpressung sowie wegen (gemeinschaftlicher) schwerer räuberischer Erpressung in zwei weiteren Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und ordnete die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an (5 KLs 143 Js 64320/96). Seit dem 06. März 1998 - lediglich unterbrochen durch den Zwischenvollzug einer Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Dresden vom 16. Februar 1993 (2 KLs 5500/92) vom 02. Oktober bis 21. Dezember 1998 - ist der Verurteilte im Krankenhaus zum Vollzug der Maßregel untergebracht. Mit Beschlüssen vom 25. Mai 1999, rechtskräftig seit 15. Juni 1999 und vom 22. März 2000, rechtskräftig seit 07. April 2000 ordnete die 1. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Leipzig jeweils die Fortdauer der Unterbringung an. Nachdem das Sächsische Krankenhaus A. mit Schreiben vom 12. Februar 2001 bei der Staatsanwaltschaft angeregt hatte, die Vollstreckungsreihenfolge umzukehren und zumindest einen Teil der Haftstrafe vorweg zu vollziehen, trat die Staatsanwaltschaft Dresden mit Verfügung vom 22. Februar 2001 einer bedingten Aussetzung des Maßregelvollzugs zur Bewährung zum Prüftermin 22. März 2001 entgegen und beantragte darüber hinaus die Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge gemäß 67 Abs. 3 StGB. Das Krankenhaus hatte in seiner Stellungnahme vom
- 4-12. Februar 2001 erklärt, zum bisherigen Therapieverlauf nicht detailliert Stellung nehmen zu können, da der Verurteilte die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht nicht erklärt habe. Am 27. Februar 2001 forderte die Strafvollstreckungskammer den behandelnden Psychiater vom Krankenhaus auf, eine ergänzende Stellungnahme über den nicht von der ärztlichen Schweigepflicht umfassten Verlauf der Unterbringung abzugeben und bestimmte gleichzeitig einen Anhörungstermin auf den 19. März 2001. Nachdem Dr. am gleichen Tage der Staatsanwaltschaft Dresden mitgeteilt hatte, dass der Verurteilte nicht therapiemotiviert sei und eine Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge der Maßregel im vorliegenden Verfahren und der Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Dresden vom 16. Februar 1993 (2 KLs 63 Js 5500/92 Restfreiheitsstrafe von 807 Tagen) angeregt hatte, gab die Staatsanwaltschaft dem Verurteilten Gelegenheit zur Stellungnahme zu einer Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge gemäß 44 b Strafvollstrekkungsordnung. Zu Beginn der mündlichen Anhörung des Untergebrachten am 19. März 2001, an der auch sein Verteidiger und Dr. teilnahmen, erklärte der Verurteilte nochmals, dass er nach wie vor seine Ärzte nicht von der Schweigepflicht entbinden wolle. Daraufhin wurde Dr. ungehört entlassen. Der Verteidiger des Verurteilten beantragte im weiteren Verlauf der Anhörung die Anordnung der weiteren Vollstreckung des Maßregelvollzugs und die Zurückverweisung der Zwischenvollstreckung der Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Dresden vom 16. Februar 1993 sowie die erneute
- 5 - Begutachtung des Verurteilten durch einen externen Sachverständigen. Mit Beschluss vom 05. April 2001 ordnete die 1. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Leipzig die Fortdauer der Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Die Einholung eines externen Gutachtens lehnte sie ab, da hierfür kein Anlass bestehe. Die behandelnden Ärzte des Krankenhauses hätten am besten Auskunft über den Therapieverlauf geben können, wenn der Untergebrachte sie von der Schweigepflicht entbunden hätte. Über die Zwischenvollstreckung der Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Dresden vom 16. Februar 1993 habe die Kammer nicht zu entscheiden gehabt, da diese Entscheidung allein der Vollstreckungsbehörde zustehe. Gegen diesen dem Verteidiger des Verurteilten am 11. April 2001 zugestellten Beschluss legte der Verurteilte mit am 18. April 2001 bei der Strafvollstreckungskammer eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers sofortige Beschwerde ein. Die Staatsanwaltschaft Dresden teilte der Maßregelvollzugseinrichtung mit Schreiben vom 23. April 2001 mit, dass derzeit eine Unterbrechung des Maßregelvollzugs nicht mehr beabsichtigt sei. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat am 17. Mai 2001 beantragt, die sofortige Beschwerde des Verurteilten als unbegründet zu verwerfen. II.
- 6 - Die zulässige sofortige Beschwerde des Verurteilten ist (vorläufig) begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer. 1. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer beruht auf einem Verfahrensfehler. Sie hat, nachdem der Verurteilte sich geweigert hat, seine behandelnden Ärzte von deren ärztlicher Schweigepflicht zu entbinden, die Einholung eines Sachverständigengutachtens nach 463 Abs. 3 Satz 4 StPO zu der Frage, ob von dem Verurteilten auf Grund seines Hanges weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, unterlassen und deswegen auch die mündliche Anhörung eines Sachverständigen gemäß 463 Abs. 3 Satz 3 i.v.m. 454 Abs. 2 Satz 3 StPO nicht durchgeführt. Gemäß 463 Abs. 3 Satz 4 StPO muss das Gericht zur Vorbereitung einer Entscheidung nach 67 d Abs. 2 und 3 StGB das Gutachten eines Sachverständigen zu der Frage einholen, ob von dem Verurteilten auf Grund seines Hanges weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind. Darüber hinaus muss der Sachverständige hierzu mündlich gehört werden ( 463 Abs. 3 Satz 3 i.v.m. 454 Abs. 2 Satz 3 StPO). Zwar hat der Verurteilte die Entbindung seiner Therapeuten von der ärztlichen Schweigepflicht verweigert. Wie in der Dienstanweisung des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales, Gesundheit und Familie "Datenschutz im Maßregelvollzug" vom 18. Dezember 1998 richtig ausgeführt, gibt es keine gesetzliche Grundlage, den Therapeuten im Maßregelvollzug im Rahmen einer
- 7 - Stellungnahme gemäß 463 Abs. 3, 454 Abs. 1 Satz 2 StPO oder durch seine Bestellung als Sachverständiger zur Offenbarung von der ärztlichen Schweigepflicht unterliegenden Informationen zu zwingen, wenn eine Entbindung von der Schweigepflicht nicht vorliegt. Dies führt aber nicht dazu, dass die Erstellung eines Sachverständigengutachtens und eine mündliche Anhörung hierzu gänzlich unterbleiben darf. Vielmehr ist entsprechend den Ausführungen des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales, Gesundheit und Familie im Schreiben vom 28. September 2000 (Az.: 53-5452/3), welches der Senat aus einem anderen Verfahren beigezogen hat, auch bei fehlender Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht ein Sachverständigengutachten zu erstellen, in dem alle Tatbestände anzugeben sind, "die für die Beurteilung relevant sind und die nicht zugleich als Patientengeheimnisse zu bewerten sind". Hierzu gehören nach Auffassung des Ministeriums wie des Senats neben äußeren Tatbeständen wie die regelmäßige Teilnahme des Verurteilten an bestimmten Formen einer Therapie, der Mitteilung, ob es Auseinandersetzungen zwischen dem Patienten und dem Personal bzw. ihm und anderen Mitpatienten gegeben und er gegebenenfalls entwichen ist, auch die Beantwortung der Kernfrage, ob zu erwarten ist, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird (siehe Senatsbeschlüsse vom 30. März 2001, 2 Ws 689 und 715/00). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hätte die Strafvollstreckungskammer in diesem beschränkten Umfang ein Sachverständigengutachten des behandelnden Psychiaters gemäß 463 Abs. 3 Satz 4 StPO einholen und auch eine entsprechende mündliche Anhörung des Sachverständigen gemäß 463 Abs. 3 Satz 3 i.v.m. 454 Abs. 2 Satz 3 StPO durchführen müssen, um eine
- 8 - Prognoseentscheidung nach 67 d Abs. 2 Satz 1 StGB treffen zu können. 2. Eine eigene Entscheidung ist dem Senat verwehrt. Zwar hat das Beschwerdegericht nach 309 Abs. 2 StPO grundsätzlich selbst in der Sache zu entscheiden. Eine eigene abschließende Entscheidung des Senats in der Sache selbst scheidet hier jedoch aus, denn der Senat ist nicht imstande, die Strafvollstreckungskammer hier bei der Sachentscheidung in verfahrensrechtlich gebotener Weise zu ersetzen. Das Gericht muss nach 454 Abs. 2 StPO zur Bildung seiner Überzeugung, ob ein Rückfallrisiko bei dem Verurteilten vorliegt, sowohl diesen als auch den Sachverständigen mündlich anhören. Es hat sich insbesondere unter Berücksichtigung möglicher Fragen und Erklärungen des Verurteilten zu den Ausführungen des Sachverständigen nach 454 Abs. 2 Satz 6 StPO einen unmittelbaren Eindruck von der Persönlichkeit des Verurteilten zu verschaffen. Diese Aufgabe obliegt nach 462 a Abs. 1 Satz 1 i.v.m. 463 Abs. 1 StPO der für die Maßregelvollzugseinrichtung örtlich zuständigen Strafvollstreckungskammer, weil sie die örtlichen Vollzugsverhältnisse am besten kennt und am ehesten in der Lage ist, die Persönlichkeit des Verurteilten zu beurteilen. Da der Erkenntnisprozess der Strafvollstreckungskammer einschließlich der unterlassenen Beauftragung und Anhörung der Sachverständigen wie eine Hauptverhandlung ausgestaltet ist und mithin eine Einheit bildet, ist die Sache an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen. Hierdurch hat der Verurteilte zusätzlich die Möglichkeit, die dann verfahrensrechtlich einwandfrei getroffene Entscheidung
- 9 - des Erstgerichts mit der sofortigen Beschwerde anzufechten, wenn sie für ihn nachteilig sein sollte. 3. Die Beauftragung eines externen Gutachters vor der erneuten Entscheidung über die Strafaussetzung ist aus den zutreffenden Gründen, mit denen die Strafvollstreckungskammer im Beschluss vom 05. April 2001 dies abgelehnt hat, auch nach Ansicht des Senats nicht geboten. 4. Da das Rechtsmittel nur vorläufigen Erfolg hat, weil offen ist, welchen Beschluss die Strafvollstreckungskammer fassen wird, kann der Senat keine Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels treffen. Darüber hat die Strafvollstreckungskammer ebenfalls in ihrem abschließenden Beschluss zu befinden. Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft zwar nunmehr nicht mehr beabsichtigt, die Vollstreckung des Maßregelvollzugs für den Zwischenvollzug der Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Dresden vom 16. Februar 1993 zu unterbrechen. Jedoch hat sie ihren Antrag auf Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge gemäß 67 Abs. 3 StGB (Verfügung vom 22. Februar 2001) an die Strafvollstreckungskammer bislang nicht zurückgenommen, weshalb die Strafvollstreckungskammer hierüber gegebenenfalls noch zu entscheiden haben wird. Lips Dratwinski Kreft Vorsitzender Richter Richter am Richter am Oberlandesgericht Oberlandesgericht am Amtsgericht