Jugend im 21. Jahrhundert keine unbekannte Spezies

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Transkript:

Jugend im 21. Jahrhundert keine unbekannte Spezies Vortrag von Ingo Leven am 16. September 2013 im Rahmen des Bad Ischler Dialogs der Sozialpartner in Österreich (es gilt das gesprochene Wort) Sehr geehrte Damen und Herren, Sehr geehrter Herr Minster Hundstorfer, Sehr geehrter Herr Minister Mitterlehner, Sehr geehrte Vertreter, sehr geehrte Vertreterinnen der Sozialpartner, ich möchte mich bedanken für die Gelegenheit, Ihnen im Rahmen des Bad Ischler Dialogs der Sozialpartner einen kurzen Einblick in die Jugend des 21. Jahrhunderts und damit in die Bedingungen des Aufwachsens in unserer heutigen Zeit gewähren zu dürfen. Sie haben mit mir einen Menschen aus Deutschland eingeladen, dessen Grundlage für diese Darstellung die Shell Jugendstudie darstellt. Als einer der Co Autoren der Studie in den Jahren 2002, 2006 und 2010 möchte ich kurz die Eckpfeiler der Studie vorstellen. Seit 1953 werden in unregelmäßigen Abständen zum einen (seit 2002: etwas mehr als 2.500) Jugendliche (seit 2002 im Alter von 12 bis 25 Jahren) mit einem standardisierten Fragebogen (Dauer: seit 2002 zwischen 45 und 50 Minuten) befragt. Zum anderen rundet ein qualitativer Teil (Ergebnis sind 20 Portraits von Jugendlichen zumeist mit einem Schwerpunktthema) die Studie ab, die in Buchform im Fischerverlag veröffentlicht ist und deren Datengrundlage beim Zentralarchiv der GESIS dem interessierten Fachpublikum frei zugänglich ist. Ziel der Studie ist es, jeweils ein aktuelles Bild von und nicht über Jugend zu zeichnen. Der Jugend in ihrer Vielfalt ein Bild und eine Stimme zu geben, ist von jeher der Grundanspruch der Studie. Von daher passt dieser Anspruch sehr gut zusammen mit der Konzeption Ihres Dialogs, der in den Foren des ersten Tages und in der abschließenden Diskussion des zweiten Tages exponierte Vertreterinnen und Vertreter der jungen Generation als Expertinnen und Experten in eigener Sache zu Wort kommen lässt. Lassen Sie uns als Ausgangspunkt einen kurzen Blick auf diese Generation werfen. In der Shell Jugendstudie haben wir 2002 den Begriff "Pragmatische Generation" als Bezeichnung für die heutige Jugend geprägt. Meine Aufgabe wird es sein, in einem ersten Schritt darzulegen, warum wir von einer "pragmatischen Generation" sprechen. In einem zweiten Schritt wird es meine Aufgabe sein, zu beschreiben, wie es dieser Generation in unserer Gesellschaft ergeht. Schritt 1: Die Pragmatische Generation Basierend auf einem Instrument zur Erfassung von Werteorientierungen, das in den 80er Jahren für die Gesamtbevölkerung entwickelt wurde, können wir über die Jahrzehnte für die heutige Generation einen Wertewandel festmachen. In der Ausgangslage der 80er Jahre lässt sich festhalten, dass die großen Werteströmungen von

Gegensätzen gekennzeichnet waren. Auf der einen Seite fanden wir traditionelle Werteorientierungen. Die Sekundärtugenden, wie Gesetz und Ordnung respektieren, nach Sicherheit zu streben oder fleißig und ehrgeizig sein zu wollen, gehörten zu dieser Werteströmung. Als Gegenspieler hatten sich Ende der 60er Jahre die neuen Werte etabliert. Kreativ sein zu wollen, Toleranz und sozial und politisch engagiert sein, standen hier entsprechend hoch im Kurs. Und Ende der 80er Jahre war es eine Entscheidung des entweder oder auch auf dem Schulhof. Entweder den traditionellen Werteorientierungen hohe Bedeutung beimessen oder aber den neuen Werten. Da die neuen Werte unter den Jugendlichen immer mehr Anhänger fanden, war es Ende der 80er Jahre gängige Prognose unter Sozialwissenschaftlern, dass über kurz oder lang die traditionellen Werte in der Bedeutungslosigkeit verschwinden würden. Je nach eigener Präferenz der Wissenschaftler war das der Untergang des Abendlands oder aber konnte es nicht schnell genug gehen. Doch nichts ist schöner als eine Prognose unter Sozialwissenschaftlern. Denn so wie erwartet stellt sich der Sachstand bei den Werteorientierungen Jugendlicher heute nicht dar. Stattdessen finden wir etwas, das wir Neue Synthese nennen. Was in den 80er Jahren noch undenkbar schien, ist für Jugendliche heute kein Problem. Ihnen ist es gleichzeitig wichtig, unabhängig sein zu wollen und nach Sicherheit zu streben. Gesetz und Ordnung zu respektieren und gleichzeitig tolerant und kreativ sein zu wollen, ist für Jugendliche heute kein Widerspruch in sich. Mit dieser Integrationsleistung von vormals gegensätzlichen Werteorientierungen haben die Jugendlichen heute sowohl traditionelle als auch neue Werte zugleich modernisiert. Dass heutzutage dabei die traditionellen Werte nicht im Sinne der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts verstanden werden, ist schnell einsichtig. Aber auch die neuen Werte sind nun gänzlich anders eingebunden. Sie führen heute nicht aus Gesellschaft raus, sondern werden von den Jugendlichen verstanden als der Anspruch an sich selber. Sie wollen nicht nur mit ihren Meinungen Recht haben, sondern in dieser Gesellschaft auch Recht bekommen. Dieses Streben nach Anerkennung der eigenen Leistungsfähigkeit und Lebensentwürfe ist der Grundpfeiler der heutigen Jugend. 2002 hatten wir in der 14. Shell Jugendstudie daher das Motto Aufstieg statt Ausstieg geprägt. Ausgangspunkt ist dabei der stabile und funktionierende soziale Nahraum. Familie, Freundschaft und Partnerschaft sind hierbei die zentrale Grundlage. Das gute Verhältnis zu den eigenen Eltern kennzeichnet die heutige Jugend, die mit einer großen Mehrheit die eigenen Kinder so erziehen möchte, wie sie selber erzogen wurden. Das Elternhaus ist damit eine Art sicherer Heimathafen, aus dem heraus die Jugendlichen die Welt erobern wollen. In den sozialen Verhältnissen, in denen das nicht der Fall ist, gibt es eine hohe Sehnsucht nach solchen Verhältnissen. Schritt 2: Jugend behauptet sich Vor diesem Hintergrund kommen wir nun kurz zu einem Überblick bezüglich der Frage, wie es dieser Jugend heute ergeht. Eine Grundfrage ist dabei, wie optimistisch Jugendliche in ihre eigene Zukunft blicken. Bei einem Blick auf die Optimistischen dürfen wir feststellen, dass der Optimismus unter Jugendlichen zurück ist. Von 2002 auf 2006 in allen sozialen Herkunftsschichten leicht rückläufig übertreffen die Werte für 2010 wieder die Vorjahre. Die große Ausnahme sind die Jugendlichen aus der Unterschicht. Für diese 10% unter den Jugendlichen gilt dies nicht. Während in den anderen Herkunftsschichten jeweils mehrheitlich Optimisten anzutreffen sind, ist gerade einmal ein Drittel der Jugendlichen aus der Unterschicht optimistisch.

Doch damit nicht genug. Schauen wir alleine auf die Jugendlichen, die sich in Ausbildung befinden, so finden wir eine doch problematische Entwicklung. Wir haben die Azubis gefragt, ob sie der Meinung sind, dass sie am Ende ihrer Ausbildung übernommen werden oder nicht. 2006 waren 62% der Meinung, dass dies der Fall sein wird und 38% waren hier skeptisch. Dies entsprach übrigens 1 zu 1 auch der betrieblichen Übernahmestatistik in Deutschland für das Ausbildungsjahr 2005. Dies verdeutlicht, wie sehr Jugendliche heutzutage gesellschaftliche Realitäten zur Kenntnis nehmen, nicht ausblenden, sondern sich sehr bewusst diesen stellen. Folge dieses Realismus ist allerdings leider auch, dass der Optimismus in diesen beiden Gruppen sehr unterschiedlich ausfällt. 58% der Azubis mit positiven Aussichten auf eine Übernahme nach der Ausbildung sind 2006 optimistisch gewesen, allerdings nur 39% der ohne solche positiven Aussichten. Das gleiche Bild ergibt sich auf für 2010 auf höherem Niveau. 72% der Azubis sind der Meinung, übernommen zu werden. Dies ist leicht höher als die Übernahmequote für das Ausbildungsjahr 2009. Und der Unterschied im Optimismus bleibt weiterhin auf nun höherem Niveau vorhanden. Dies ist daher so bemerkenswert, da noch in den 90er Jahren die Grundhaltung von Jugendlichen bezüglich ihrer Zukunftsaussichten noch nicht in dem Maße von unmittelbaren biographischen Ereignissen abhing. Nach dem Motto Mein Gott, dann (und nun gibt es verschiedene Textteile) Mein Gott, dann erreiche ich nicht meinen Schulabschluss dann kann ich halt nicht unbedingt das studieren, was ich wollte dann finde ich vielleicht nicht meinen Wunschausbildungsplatz hier vor Ort dann werde ich vielleicht nicht übernommen davon geht die Welt nicht unter, und es wird sich schon was Passendes finden. Doch diese Art der Zuversicht ist heutzutage bei Jugendlichen nicht mehr in dem Maße wie früher anzutreffen. Und damit sind wir bei den Hauptergebnissen des qualitativen Teils, in dem wir 2010 schwerpunktmäßig den Umgang mit Druck und damit die Strategien der Lebensbewältigung betrachtet haben. Auch hier findet sich als Grundtenor ein hoher Optimismus bei einem Großteil der Jugendlichen. Aber Jugendliche aus allen Herkunftsschichten kennzeichnet die Sorge um den eigenen Platz in der Gesellschaft. Das Qualifizierungssystem wird in seiner doppelten Bedeutung gesehen. Damit stehen Chancen und Möglichkeiten offen, die unterschiedlich verteilt werden. Daraus resultieren auf individueller Ebene hohe Erwartungen und Ziele, die ihrerseits Druck und Leistungsbereitschaft erzeugen. Soziale Netzwerke wirken hierbei positiv und negativ stabilisierend. Und für die Zukunft werden keine langen Lebensentwürfe aufgebaut. Noch in den 80er Jahren war dies in qualitativen Untersuchungen in Deutschland der Fall, als auf die Frage Was erwartest Du Dir von Deiner eigenen Zukunft kannst Du mir das bitte beschreiben noch Zeithorizonte von mehreren Jahrzehnten entweder mit einer Reihenmittelhausidylle oder der Idee von Liebe, Luft und Astralenergie leben zu wollen beschrieben wurden. Heutzutage kommen da nur Zeithorizonte von ein bis zwei Jahren zusammen. Das lässt sich zusammenfassen als Fahrt auf Sicht aufgrund nicht hinreichender finanzieller und beruflicher Kalkulierbarkeit. Die Frage ist daher, welche Angebote wir als Gesellschaft den Jugendlichen bereithalten, dass sie für sich wieder größere Zeithorizonte ausmachen können. Solche erweiterten Zeithorizonte bei Heranwachsenden sind notwendig, denn sonst lässt sich ein Kinderwunsch zwar äußern, der demographische Wandel aber nicht aufhalten.

Schritt 3: Wo Jugend heute wie abholen Als letzten Schritt möchte ich kurz abschließend die Bedeutung des Internets hervorheben. Jugend ist heute flächendeckend online. Dies war vor 10 Jahren noch anders und auch die Zeitbudgets waren deutlich andere. Inzwischen ist es auch keine mehr so entscheidende soziale Frage, ob die Jugendlichen online sind. Das hat sich zum Glück inzwischen durch eine weitestgehend flächendeckende Versorgung erledigt. Doch mit dem Umstand, dass es keine soziale Frage mehr ist, ob ich das Internet nutze, rücken die Inhalte in den Mittelpunkt und damit die soziale Frage, wie ich das Internet nutze. Bin ich hier eher aktiv auf der Suche nach Informationen? Wikipedia mit dem Wissensschatz ist rund um die Uhr verfügbar. Informiere ich mich aktiv über das, was in der Welt passiert? Bei welchen Informationsseiten funktioniert in den Browsern von Jugendlichen die Autovervollständigen Funktion? Oder lasse ich mich einfach mal im World Wide Web treiben und schaue mal, wo ich ankomme? Kann ich dabei insgesamt die dargebotenen Informationen bezüglich Quelle und Interessenlagen der Informierenden überhaupt einordnen? Damit stehen wir als Gesellschaft bezogen auf das Internet vor dem, was auch für andere Medien in gleichem Umfang gilt. Ein Bildungsbürgerpotential ist vorhanden. Die Frage ist nur, ob es auch genutzt wird. In Deutschland stelle ich das bezogen auf das Fernsehen gerne immer wieder dadurch fest, dass ich nachfrage, auf welchen Kanälen sich RTL2 und PHOENIX nicht nur bei Fernsehern von Jugendlichen wiederfinden. Abschließen möchte ich mit den Herausforderungen für die Sozialpartner. Aufgabe ist es, die Jugendlichen dort abzuholen und mitzunehmen, wo sie sich aufhalten. Das Internet ist der Dorfplatz des 21. Jahrhunderts. Ein Verständnis davon, was Jugendliche bewegt nämlich der stabile soziale Nahraum mit Familie, Freundschaft und Partnerschaft ist von Vorteil. Wichtig ist auch, die eigene Rolle in der zentralen Schnittstelle von Jugend zu verstehen und anzuerkennen. Mit entsprechenden Angeboten lassen sich die Lebenspläne und träume der Jugendlichen verwirklichen. Für Jugendliche mit guten Bildungsabschlüssen gilt dabei, dass ihre Vielfalt der biographischen Optionen auch Unsicherheit bedeutet. Denn aus einem bunten Strauß an beruflichen Möglichkeiten haben diese Jugendlichen das Gefühl, nur genau eine Wahl treffen zu dürfen, die sie dann aber Jahrzehnte festlegt. Für Jugendliche mit schlechten Startchancen ist es Aufgabe der Sozialpartner vor dem Hintergrund des demographischen Wandels auch entsprechende Perspektiven zu bieten. Damit endet mein Vortrag mit diesem Appell, der das Motto dieser Veranstaltung In die Jugend investieren verdeutlichen soll. Genau diese Jugend denn sie hat es verdient. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Jugend in Deutschland Ausgewählte Ergebnisse der Shell Jugendstudie 2010 Vortrag von Ingo Leven am 16. September 2013 im Rahmen des Bad Ischler Dialogs der österreichischen Sozialpartner 1

Einstieg Basisinformation Shell Jugendstudie: Grundlage bildet eine deutschlandweite Befragung von 2.604 Jugendlichen im Alter von 12 bis 25 Jahren und 20 vertiefende qualitative Interviews Anfang 2010 Untertitel der Shell Jugendstudie 2010 Eine pragmatische Generation behauptet sich Pragmatische Generation mit Leben füllen behauptet sich : wie funktioniert das? Pragmatische Generation die Wertorientierungen Jugendlicher Schlüsselfrage Bildung Jugend behauptet sich Jugend 2010 wie und wo abholen 2

Jugendliche Wertorientierung qualitativer Wandel Jugendliche im Alter von 12 bis 25 Jahren Ende der 80er Jahre Tradition Gesetz und Ordnung Sicherheit Fleiß und Ehrgeiz Neue Werte Kreativität Soziales Engagement Toleranz Politik-Engagement Materialismus Lebensgenuss Durchsetzung Macht "Neue Synthese" Kreativität Gesetz und Ordnung Sicherheit Toleranz Fleiß und Ehrgeiz Soziales Engagement Materialismus Lebensgenuss Durchsetzung Macht 2000er Jahre Slogan: Aufstieg statt Ausstieg Politik Politik-Engagement Soziales Engagement Der soziale Nahraum als Ausgangspunkt Jugendliche betrachten einen sicheren, funktionierenden sozialen Nahraum mit Familie, Partnerschaft und Freundschaften als den zentralen Ausgangspunkt in ihrem Leben. Das Elternhaus wird dabei zu einer Art sicherer Heimathafen, aus dem heraus sie die Welt erobern wollen Dort, wo dieses Elternhaus nicht so ist (Unterschicht: fehlende Vorbilder, materielle Entsagungen), gibt es eine hohe Sehnsucht nach solchen Verhältnissen 3

Pragmatische Generation Schlüsselfrage Bildung Jugend behauptet sich Jugend 2010 wie und wo abholen Persönliche Zukunftssicht nach Statusgruppe Zuversichtliche (2002 2006 2010) Jugendliche im Alter von 12-25 Jahren (Angaben in %) Obere Schicht 53 66 68 2002 2006 2010 Obere Mittelschicht 53 60 66 Mittlere Schicht 57 53 60 Untere Mittelschicht 46 55 56 Unterschicht 35 33 40 4

Persönliche Zukunftssicht der Auszubildenden (2006 2010) je nach Einschätzung der Übernahme nach der Ausbildung Zuversichtliche Jugendliche im Alter von 12 bis 25 Jahren in beruflicher Ausbildung (Angaben in %) Werde übernommen 62% 72% 58 68 2006 2010 Werde nicht übernommen 38% 28% 39 48 Umgang mit Druck Strategien der Lebensbewältigung Grundtenor Hoher Optimismus bei einem Großteil der Jugendlichen Sorge um den eigenen Platz in der Gesellschaft Die zwei Seiten des Qualifizierungssystems: Verteilung von unterschiedlichen Chancen / Auf individueller Ebene hohe Erwartungen und Ziele, Druck erzeugt Leistungsbereitschaft Stabilisierung durch soziale Netzwerke Für die Zukunft erwarten sie eine Fahrt auf Sicht aufgrund nicht hinreichender finanzieller und beruflicher Kalkulierbarkeit 5

Pragmatische Generation Schlüsselfrage Bildung Jugend behauptet sich Jugend heute wie und wo abholen Stunden pro Woche 15,0 10,7 11,3 7,0 8,8 4,8 6

Zugang zum Internet nach sozialer Herkunft der Jugendlichen (2002 2006 2010) Jugendliche im Alter von 12-25 Jahren (Angaben in %) Obere Schicht 84 94 98 Obere Mittelschicht 78 88 98 Mittlere Schicht 68 84 95 Untere Mittelschicht 56 77 94 Unterschicht 38 59 91 2002 2006 2010 Inhalte der Nutzung des Internets entscheiden Die Frage, ob das Internet genutzt wird, ist keine soziale Frage mehr. Es ist heute vielmehr eine soziale Frage, wie das Internet genutzt wird Suche ich aktiv Sachen im Netz oder informiere ich mich darüber, was in der Welt passiert? Oder surfe ich einfach mal drauflos und schaue mal einfach nur so? Damit wiederholt sich beim Internet nur das, was für andere Medien (Radio, Fernsehen) ebenfalls gilt 7

Die Herausforderungen für die Sozialpartner Alle Jugendlichen dort abholen, wo sie sich aufhalten Internet mit Web 2.0 Dorfplatz des 21. Jahrhunderts Verstehen, was Jugendliche bewegt (stabiler sozialer Nahraum) Die eigene Rolle an einer zentralen Schnittstelle von Jugend (an)erkennen Lebenspläne (-träume) der Jugendlichen verwirklichen können Vielfalt der biographischen Optionen als Ausgangspunkt auch für Unsicherheit begreifen Perspektiven für Jugendliche mit schlechten Startchancen bieten Kontakt Ingo Leven Associate Director TNS Infratest Landsberger Str. 286 80687 München Tel.: + 49 89 / 5600 1189 E-mail: ingo.leven@tns-infratest.com 8