Antidepressiva als adjuvante Therapie bei chronischen Schmerzen

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Transkript:

Diplomarbeit Antidepressiva als adjuvante Therapie bei chronischen Schmerzen eingereicht von Aaron Karal zur Erlangung des akademischen Grades Doktor(in) der gesamten Heilkunde (Dr. med. univ.) an der Medizinischen Universität Graz ausgeführt am Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie unter der Anleitung von Univ.-Prof. Dr. Josef Donnerer Graz, am 14.07.2015 i

Eidesstattliche Erklärung Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet habe und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Graz, am 14.07.2015 Aaron Karal, eh. ii

Danksagungen An erster Stelle möchte ich mich herzlich bei meinem Betreuer, Herrn Univ.-Prof. Dr. Josef Donnerer für die gute Betreuung und Unterstützung für die Erstellung der Diplomarbeit bedanken. Zudem möchte ich mich bei meiner Familie, insbesondere meinen Eltern und Geschwistern für Unterstützung der letzten 6 Jahre bedanken. Ohne deren Unterstützung wäre das Studium nicht möglich gewesen. Außerdem danke ich all meinen Freunden mit denen ich eine großartige Studienzeit erlebte. iii

Zusammenfassung Einleitung: Aus epidemiologischen Untersuchungen geht hervor, dass etwas 17% der deutschen Bevölkerung unter chronischen Schmerzen leiden somit mehr als 12 Millionen Menschen. Schmerzen sind nicht nur häufig, sondern auch teuer, denn die volkswirtschaftlichen Behandlungskosten führen zu einer gesundheitspolitischen Herausforderung. Mehr als die Hälfte aller Patientinnen und Patienten mit chronischen Schmerzen entwickeln im Verlauf dieser Krankheit eine depressive Verstimmung. Die Anwendung von Antidepressiva als adjuvante Begleitmedikation ist ab Stufe 1 im WHO-Stufenschema beschrieben. Können Antidepressiva als Adjuvantien bei Patientinnen und Patienten mit chronischen Schmerzen eingesetzt werden? Welche Klassen der Antidepressiva eignen sich für das Schmerztherapiemanagement am besten? Methode: In dieser Literaturübersichtsarbeit erfolgte die Literatursuche hauptsächlich über die medizinische Datenbank PubMed. Ergebnisse: Antidepressiva können zur Therapie chronischer Schmerzzustände unterschiedlicher Ursache eingesetzt werden. Ein Vorteil dabei ist, dass die parallele Gabe von Analgetika oftmals dadurch reduziert werden kann. Zu den möglichen Indikationen gehören: Schmerzsyndrome bei Tumorpatientinnen und Tumorpatienten, rheumatoide Erkrankungen, Kopfschmerzen, chronische Rückenbeschwerden, Polyneuropathie, Trigeminusneuralgie, Fibromyalgiesyndrom und Thalamusschmerz. Duale Antidepressiva sind analgetisch wirksam, Mono-Antidepressiva hingegen sind nicht analgetisch wirksam. Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer spielen eine untergeordnete Rolle in der Schmerzbehandlung. Venlafaxin, Mirtazapin und Duloxetin eigenen sich für die kombinierte Therapie von Depression und chronischen Schmerzsyndromen. Schlussfolgerung: Antidepressiva sind eine gute adjuvante Therapie im Schmerztherapiemanagement chronischer Schmerzsyndrome. iv

Abstract Introduction: Chronic pain is widely considered to be one of the most important public health problems. Chronic pain affects nearly 17 % of the german population. Many studies on this topic have found that chronic pain is often associated with depression. More recent evidence shows that more than half of all patients with chronic pain suffer from depression or psychiatric comorbidities. Methods: Mostly randomised controlled trials and systemic reviews of antidepressants in chronic pain conditions were identified in PubMed. Results: Antidepressants can be used in the treatment of chronic pain conditions. In the literature there is evidence on the efficacy of antidepressant in pain syndroms in cancer patient, rheumatoid diseases, headache, chronic back pain, neuropathy, trigeminal neuralgia, fibromyalgia and thalamic pain. There is evidence that antidepressants with dual mode of action are more effective concerning the analgesic effect than antidepressants with a single mode of action. Antidepressant, particulary venlafaxine, mirtazapine and duloxetine are the frist line treatment for pain patients with comorbid depression. Conclusions: Antidepressants thus are an effective option in the treatment of chronic pain syndromes. Several studies have shown that antidepressants with dual mode of action are the most effective treatment of pain with comorbid depression. SSRIs have a minor analgesic effect. v

Inhaltsverzeichnis Eidesstattliche Erklärung...ii Danksagungen...... iii Zusammenfassung... iv Abstract... v Inhaltsverzeichnis... vi Glossar und Abkürzungen... viii Abbildungsverzeichnis... x Tabellenverzeichnis... xi 1 Einleitung... 1 1.1 Definition Schmerz... 1 1.1.1 Schmerzentstehung und Schmerztypen... 2 1.1.2 Schmerzgedächtnis... 6 1.1.3 Chronische Schmerzen... 7 1.1.4 Medikamentöse Schmerztherapie... 8 1.1.5 Chronische Schmerzsyndrome... 9 2 Material und Methoden... 12 3 Ergebnisse... 13 3.1 Antidepressiva... 13 3.1.1 Wirkmechanismen... 14 3.1.2 Wirkstoffklassen... 17 3.1.3 Therapeutische Einsatzmöglichkeiten von Antidepressiva... 28 vi

3.2 Anwendung von Antidepressiva bei chronischen Schmerzen... 29 3.3 Chronische Schmerzsyndrome und Psychopharmaka... 33 3.3.1 Fibromyalgiesyndrom... 33 3.3.2 Neuropathische Schmerzen... 34 3.3.3 Rezidivprophylaxe bei Migräne... 37 3.3.4 Chronische Rückenschmerzen... 38 3.3.5 Chronischer Spannungskopfschmerz... 39 4 Diskussion... 42 5 Literaturverzeichnis... 45 vii

Glossar und Abkürzungen AD AMPA ASIC ATP: CRPS CWP DGN DMKG EFNS EFNS EKG FMS IASP IHS KS MAO NARI NaSSA NMDA NSAR P2X3 PKA PKC PTBS RCT RIMA RM Antidepressiva α-amino-3-hydroxy-5-methyl-4- isoxazolepropionic acid-sensing ion channel Adenosintriphosphat komplexes regionales Schmerzsyndrom chronic widespread pain Deutsche Gesellschaft für Neurologie Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft European Federation of Neurological Societies Federation of Neurological Societies Elektrokardiografie Fibromyalgiesyndrom International Association for the Study of Pain International Headache Society Kopfschmerz Monoaminooxidase Selektive Noradrenalin Rückaufnahme-Inhibitoren Noradrenerge und spezifisch serotonerge Antagonisten N-Methyl-D-Aspartat Nichtsteroidale Antirheumatika P2X3-ATP-Rezeptor Proteinkinase A Proteinkinase C Posttraumatische Belastungsstörung Randomisierte kontrollierte Studie Reversible Inhibitoren der Monoaminooxidase A Rückenmark viii

SARI SNRI SSRI TRP TZA VIP WHO ZNS Serotonin-Antagonisten und Rückaufnahme- Inhibitoren Selektive Serotonin-Noradrenalin Rückaufnahme-Inhibitoren Selektive Serotonin Rückaufnahme-Hemmer transient receptor potential Trizyklische Antidepressiva Vasoactive intestinal peptide World Health Organization Zentralnervensystem ix

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Einteilung der Schmerzen nach ihrem Entstehungsort (3)... 2 Abbildung 2: Freie sensorische Nervenendigung: Nozizeptor (5)... 3 Abbildung 3: Übertragung der Information von Nervenfasern (6)... 4 Abbildung 4: WHO-Stufenschema... 8 Abbildung 5: Gliederung des neuropathischen Schmerzes; modifiziert nach (1)... 10 Abbildung 6: Wirkungsmechanismen von Antidepressiva (5)... 14 Abbildung 7: Deszendierende Schmerzhemmung. Modifiziert nach (25)... 16 Abbildung 8: Imipramin (C19H24N2 ) (67)... 19 Abbildung 9: Trimipramin (C20H26N2) (71)... 19 Abbildung 10: Clomipramin (C19H23ClN2) (72)... 19 Abbildung 11: Opipramol (C23H29N3O) (73)... 20 Abbildung 12: Amitriptylin (C 20H 23N) (74)... 20 Abbildung 13: Nortriptylin (C19H21N) (75)... 20 Abbildung 14: Doxepin (C19H21NO) (76)...21 Abbildung 15: Mirtazapin (C17H19N3) (77)... 22 Abbildung 16: Mianserin (C18H20N2) (78)... 22 Abbildung 17: Maprotilin (C20H23N) (79)... 22 Abbildung 18: Citalopram (C20H21FN2O) (81)... 23 Abbildung 19: Escitalopram (C20H21FN2O) (82)... 23 Abbildung 20: Fluoxetin (C17H18F3NO) (83)... 24 Abbildung 21: Fluvoxamin (C15H21F3N2O2) (84)... 24 Abbildung 22: Paroxetin (C19H20FNO3) (85)... 24 Abbildung 23: Sertralin (C17H17Cl2N) (86)... 25 Abbildung 24: Reboxetin (C19H23NO3) (70)... 25 Abbildung 25: Venlafaxin (C17H27NO2) (68)... 26 Abbildung 26: Duloxetin (C18H19NOS) (69)... 26 Abbildung 27: Moclobemid (C13H17ClN2O2)... 27 x

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Antidepressiva als Analgetika und deren Wirkmechanismus (36)... 15 Tabelle 2: In der Schmerzbehandlung häufig eingesetzte Antidepressiva (18)... 32 Tabelle 3: Therapieempfehlung bei neuropathischen Schmerzen modifiziert nach IASP Pain 2010 (1)... 36 Tabelle 4: Diagnosekriterien der Migräne der IHS (1)... 37 Tabelle 5: Diagnosekriterien für den Kopfschmerz des Spannungstyps (1)... 39 Tabelle 6: Prophylaktische Therapie chronischer Kopfschmerzen des Spannungstyps (42)... 41 xi

1 Einleitung 1.1 Definition Schmerz Schmerz ist ein häufiger Beweggrund, weshalb Menschen eine/n Ärztin/Arzt aufsuchen. Laut der Internationalen Gesellschaft zum Studium (IASP) des Schmerzes wird Schmerz wie folgt definiert: Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller und potenzieller Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird (nach Merskey et al., 1979) (1). Die Wahrnehmung von Schmerz wird als komplexe Wechselwirkung zwischen biologischen, psychischen und sozialen Faktoren angenommen (2). Aus den Fachbereichen der Psychiatrie, der Psychotherapie und der psychosomatischen Medizin geht hervor, dass Schmerzen, vor allem der chronische Schmerz, nicht nur eine körperliche Komponente haben, sondern auch stark durch psychische Vorgänge beeinflusst werden. Die subjektive Schmerzwahrnehmung ist nicht nur durch neuronale Signale der Nervenfasern bestimmt, sondern es ist eine Empfindung, die über komplexe Vorgänge reguliert wird. Filterprozesse unseres Zentralnervensystems sorgen dafür, dass eine Verletzung nicht zwangsläufig zu Schmerz führt (Stressanalgesie; z. B. werden Verletzungen bei Verkehrsunfällen oftmals nicht bemerkt), und andererseits Schmerzen auch ohne körperliche Schädigung bestehen können (z. B. Phantomschmerz) (2). Die Einteilung von Schmerzen kann nach der Dauer in akut oder chronisch, nach ihrem Entstehungsort in somatisch oder viszeral und nach ihrer Ätiologie und Pathophysiologie in nozizeptive, neuropathische, psychogene und somatoforme Schmerzen erfolgen. 1

Abbildung 1: Einteilung der Schmerzen nach ihrem Entstehungsort (3) Akuter Schmerz ist kurzzeitig meist operativ, traumatisch oder entzündlich bedingt; er hält nicht für längere Zeit an und verschwindet in der Regel nach wenigen Stunden bis Tagen. Als chronische Schmerzen werden Schmerzen, die per definitionem länger als 6 Monate andauern oder periodisch auftreten, beschrieben (4). Somatische Schmerzen können von der Haut (Oberflächenschmerz) oder aus den Muskeln, Knochen, Gelenken (Tiefenschmerz) ausgehen. Sie werden als lokalisierbar, von scharfem, stechendem bis dumpf-drückendem Charakter beschrieben. Viszerale Schmerzen hingegen sind schlecht lokalisierbar und werden als dumpfer oder brennender, diffuser Schmerz, gelegentlich auch krampfartig wahrgenommen, ausgehend von inneren Organen (1). 1.1.1 Schmerzentstehung, Schmerztypen Schmerz wird meist durch eine potenzielle Gewebeschädigung oder akute Erkrankung hervorgerufen. Der akute Schmerz dient als Warnsignal, um den Körper vor weitergehenden Schäden zu schützen. Zudem stellt er ein wichtiges Leitsymptom im Verlauf der Diagnosefindung dar. 2

Bei chronischen Schmerzen ist der Charakter des Warnsignals nicht mehr vorhanden und diese werden heute als eigenständiges Krankheitsbild betrachtet und therapiert. Im einfachsten Fall entsteht Schmerz dann, wenn freie Nervenendigungen, die durch unterschiedliche mechanische, thermische, chemische oder elektrische Stimuli gereizt werden, depolarisieren, wodurch es zu einer Freisetzung von Schmerzmediatoren sowie zu einer Weiterleitung des Schmerzimpulses kommt (5). Unter dem Begriff Nozizeption versteht man die Wahrnehmung von Schmerzen. Die für die Reizaufnahme verantwortlichen Rezeptoren im Körper nennt man Nozizeptoren. Als freie Nervenendigungen kommen Nozizeptoren an der gesamten Haut sowie an vielen Bereichen der Schleimhaut und zahlreichen Gewebearten und Organen vor. Keine Nozizeptoren befinden sich hingegen in parenchymatösen Organen, wie zum Beispiel der Leber und im Gehirngewebe. Nozizeptoren sind histologisch freie Nervenendigungen und multimodale Sensoren, d.h. sie reagieren nicht ausschließlich auf eine definierte Reizantwort, sondern auf diverse Reize, die mit einer Gewebeschädigung einhergehen. Nozizeptoren sind mit zwei Arten von afferenten Nervenfasern verbunden, zum einen unmyelinisierten C-Fasern mit einer Leitungsgeschwindigkeit von 1m/s und zum anderen die myelinisierten A-Delta-Fasern, welche eine Leitungsgeschwindigkeit von bis zu 30m/s besitzen. Abbildung 2: Freie sensorische Nervenendigung: Nozizeptor (5) 3

Die Abbildung zeigt eine freie Nervenendigung, welche durch diverse Stimuli gereizt wird. Findet eine Gewebeschädigung statt, werden dabei körpereigene Substanzen, sog. Schmerzmediatoren, freigesetzt und dadurch werden Nozizeptoren stimuliert. Wie in der Abbildung zu sehen ist, besitzen Nozizeptoren eine Vielzahl von Ionenkanälen und Rezeptoren, welche die Stimuli in elektrische Signale (Aktionspotenziale) umwandeln. Nachdem Nozizeptoren stimuliert worden sind, kommt es zur elektrischen Signalumwandlung und Weiterleitung der Nervenimpulse über C-Fasern oder D-delta- Fasern zum Rückenmark. Die nozizeptiven Fasern enden im Hinterhorn des Rückenmarks. Bei Erregung schütten sie den Neurotransmitter Glutamat aus, der als erster Botenstoff fungiert. Wie in Abbildung 3 zu sehen ist, bindet Glutamat an NMDA und AMPA- Rezeptoren. Daraufhin kommt es zur synaptischen Erregung von Hinterhornneuronen. Als Tractus spinothalamicus gelangt die Information zur letzten Umschaltung, die im lateralen Kerngebiet des Thalamicus stattfindet. Um Schmerz bewusst wahrnehmen zu können, gelangt der Impuls an die Großhirnrinde. Gemeinsam mit dem Thalamus und der Großhirnrinde ist es dem Menschen möglich, Schmerzen bewusst wahrzunehmen, speziell was Lokalisation und Schmerzstärke betrifft (5). Abbildung 3: Übertragung der Information von Nervenfasern (6) 4

Die Abbildung 3 zeigt die Übertragung der Informationen von afferenten A-Delta-Fasern und C-Fasern auf Neurone des ZNS. Der synaptische Überträgerstoff ist Glutamat. Glutamat aktiviert NMDA und AMPA-Rezeptoren. Infolgedessen kommt es zum Calciumund Natrium-Einstrom, daraufhin kommt es zur Erregung der postsynaptischen Membran am Hinterhornneuron. Nozizeptive Schmerzen basieren auf einer direkten Stimulation der Nozizeptoren bei mechanischen, thermischen oder chemischen Reizen und durch eine indirekte Sensibilisierung der freien Nervenendigungen bei Entzündungsprozessen. Sie sind gut therapierbar mit Nicht-Opioidanalgetika und Opioidanalgetika (1). Klassische Beispiele für den nozizeptiven Schmerz sind: (7) postoperativer Schmerz, Frakturen und Prellungen, Hautverletzungen, Gelenkerkrankungen (rheumatisch und nichtrheumatisch), muskuläre Traumata. Neuropathische Schmerzen entstehen nach der aktuellen Definition (8) als Konsequenz einer Nervenläsion oder Erkrankung des somatosensorischen Systems (1). Typische Symptome und Zeichen neuropathischer Schmerzen sind: Kribbeln, Brennen, einschießender Schmerz, elektrisierender Schmerz, Allodynie (Schmerz, verursacht durch einen Reiz, der normalerweise nicht als schmerzhaft empfunden wird), Hyperalgesie (übertriebene starke Schmerzwahrnehmung auf einen Schmerzreiz), Dysästhesie. Klassische Beispiele für neuropathische Schmerzsyndrome sind: Phantomschmerz, Postzosterneuralgie, diabetische Polyneuropathie, Trigeminusneuralgie, komplex regionales Schmerzsyndrom I und II (CRPS). 5

Die Schmerztherapie mit Nicht-Opioidanalgetika und Opioidanalgetika ist meistens wenig hilfreich, hier müssen Koanalgetika eingesetzt werden. 1.1.2 Schmerzgedächtnis Unbehandelte Schmerzen, vor allem chronische Schmerzreize, können Spuren im ZNS hinterlassen. Ständige Schmerzen verändern somit die Signalverarbeitung im Nervensystem. Klinisch äußert sich das häufig als Hyperalgesie und Allodynie. Wiederholte Reizung der Nozizeptoren führt zu einer peripheren und zentralen Sensibilisierung. Schmerzspuren im Nervensystem werden gern als Schmerzgedächtnis bezeichnet, obwohl hier keine tatsächlichen kognitiven Inhalte abgespeichert werden. Sehr ähnlich wie beim motorischen Lernen führen wiederholte Reize (Übungen) zu einer Reizantwort (Bewegungsmuster). Bei der peripheren Sensibilisierung ist die Reizschwelle der Nozizeptoren herabgesetzt. Bei der zentralen Sensibilisierung hingegen führen vermehrte Schmerzreize zu einer Aktivierung von zellulären Kinasen (z.b. PKA, PKC), welche Ionenkanäle und Rezeptoren phosphorylieren. NMDA-Rezeptoren, die durch Glutamat aktiviert werden, gelangen nach der Phosphorylierung an die synaptische Zellmembran, an der sie leichter aktivierbar sind. Des Weiteren führt die verlängerte Öffnung der NMDA-Rezeptoren zu einem vermehrten Calciumeinstrom; infolgedessen kommt es zu einer verstärkten Erregbarkeit der Neuronen. Somit können wir festhalten, dass Schmerzreize synaptische und zelluläre Veränderungen im Rückenmark auslösen. Werden starke Schmerzreize nicht verhindert, bzw. werden Mechanismen der zentralen Sensibilisierung nicht verhindert, folgt die Chronifizierung von Schmerzen. Das Löschen des Schmerzgedächtnisses ist aktuell pharmakologisch nicht möglich. Hier kann transkutane elektrische Nervenstimulation die gesteigerte Empfindlichkeit des nozizeptischen Systems in Rückenmark eventuell verbessern. (5,6) 6

1.1.3 Chronische Schmerzen Schmerzen nicht tumorbedingter Ursache, die 3 Monate und länger andauern, werden als chronische Schmerzen definiert. Für die Entstehung von chronischen Schmerzen geht man nicht mehr von einem monokausalen, sondern von einem mehrdimensionalen Modell aus: vom sogenannten bio-psycho-sozialen-modell nach Engel (9). Nach diesem Modell wird nicht nur der Schmerz alleine betrachtet, sondern auch die psycho-sozialen Gegebenheiten, wie Beruf und Familie und der psychische Zustand werden mit berücksichtigt. Aus epidemiologischen Untersuchungen geht hervor, dass etwas 17 % aller deutschen Bürgerinnen und Bürger unter chronischen Schmerzen leiden somit mehr als 12 Millionen Menschen (10). Schmerzen sind nicht nur häufig, sondern auch teuer, denn die volkswirtschaftlichen Behandlungskosten führen zu einer gesundheitspolitischen Herausforderung. Die Folgekosten (Krankengeld, Frührente, Arbeitsausfall), verursacht durch chronische Schmerzen, sind immens. In Deutschland zum Beispiel belaufen sich die jährlichen Kosten auf über 38 Mrd. Euro, ausgelöst durch chronische Schmerzen (10). Chronischer Schmerz bedeutet stets eine enorme psychische Belastung. Schmerzpatientinnen und Schmerzpatienten sind häufig im Wohlbefinden sowie in der Alltagsbewältigung und dem Sozialleben und im Schlaf beeinträchtigt. Bei lang anhaltenden Schmerzen gleich welcher Ätiologie bekommt die psychische Komponente zunehmende Bedeutung für die Therapie. Mehr als die Hälfte aller Patientinnen und Patienten mit chronischen Schmerzen entwickelt im Verlauf eine depressive Verstimmung (11). Zudem geht aus einer Auswertung aus 53 Studien hervor, dass bei 59 % der Schmerzpatienten eine Depression vorlag und 27 % der Patientinnen und Patienten mit Depression unter chronischen Schmerzen gelitten haben (11). Aus einigen Publikationen der letzten Jahre wird auf bestehende Komorbiditäten und psychische Ursachen bei Schmerzpatientinnen und Schmerzpatienten hingewiesen. Laut Untersuchungen von Magni (12) leiden 30 bis 60 % der Patientinnen und Patienten mit chronischer Schmerzsymptomatik an Depressionen. Bei Bair et al. sind es sogar 65 % der Patientinnen und Patienten (13). Alltagsbelastungen, Konflikte in Beruf und Familie und Depression verstärken wiederum die Schmerzsymptomatik. 7

Obwohl chronische Schmerzen sehr häufig sind und eine relevante volkwirtschaftliche Bedeutung besitzen, sind Schmerzen noch gar nicht so lange als eigenes Krankheitsbild akzeptiert. Hier ist dem amerikanischen Arzt John Bonica Dank auszusprechen, der 1960 die erste Schmerzklinik gründete. 1.1.4 Medikamentöse Schmerztherapie Schmerz ist ein multimodaler Prozess, dessen Therapie auf mehreren Ebenen erfolgen sollte. Die medikamentöse Therapie stellt eine essenzielle Säule der Schmerztherapie dar. Analgetika, die man für die Therapie von akuten und chronischen Schmerzen verwendet, sind Medikamente, die eine Schmerzempfindung verringern bzw. unterdrücken. Eine wesentliche Voraussetzung in der erfolgreichen Schmerztherapie ist eine genaue Analyse nach Schmerztyp, Schmerzdauer und Schmerzsymptomatik. Hier wird empfohlen, eine genaue Anamnese durchzuführen, wenn es sich um akute oder chronische Schmerzen, um einen nozizeptiven oder neuropathischen Schmerz handelt. Das Stufenschema der Weltgesundheitsorganisation (WHO), das ursprünglich für die Behandlung von Tumorschmerzen entworfen wurde, wird heute als Grundlage auch zur Therapie nicht maligner Schmerzzustände verwendet. Aufgrund seiner Einfachheit hat sich das WHO- Stufenschema seit Jahren in der Schmerztherapie bewährt. 8

Abbildung 4: WHO-Stufenschema Die Empfehlung der WHO für den optimalen Einsatz von Analgetika sieht Folgendes vor: Co-Analgetika dürfen auf jeder Stufe eingesetzt werden und dienen der Unterstützung z. B. bei neuropathischen Schmerzen. Bei diesem 3-Stufen-Schema handelt es sich um eine bedarfsgerechte Behandlung von leichten, mittelstarken und starken Schmerzen. In der 1. Stufe wird ein Nichtopioid- Analgetikum allein verabreicht. In der 2. Stufe bei mittelstarken Schmerzen wird ein Nichtopioid-Analgetikum mit einem schwach wirksamen Opioid kombiniert. In der 3. Stufe bei sehr starken Schmerzen wird auf ein Nichtopioid-Analgetikum mit einem stark wirksamen Opioid zurückgegriffen. Für eine suffiziente bedarfsgerechte Analgesie können auf allen drei Stufen zusätzlich Koanalgetika eingesetzt werden. Koanalgetika oder Adjuvantien sind Arzneimittel, die primär nicht als Analgetika verabreicht werden. Zu den klassischen Koanalgetika gehören: Antidepressiva, Neuroleptika und Antikonvulsiva. 1.1.5 Chronische Schmerzsyndrome Neuropathische Schmerzen Als neuropathische Schmerzen bezeichnet man Schmerzen, die als Folge einer Läsion somatosensorischer Strukturen im peripheren oder zentralen Nervensystem auftreten (26, 9

28). Klassische Symptome sind Sensibilitätsstörungen wie Hypalgesie, Hyästhesie, brennende und evozierte Schmerzen sowie einschießende Attacken. Die Diagnostik und Therapie neuropathischer Schmerzen ist grundlegend von der anderer chronischer Schmerzen zu differenzieren, da bei nozizeptiven Schmerzen keine strukturellen Nervenschädigungen vorherrschen. Neuropathischer Schmerz wird in periphere und zentrale neuropathische Schmerzen eingeteilt. Die Auslöser sind mannigfaltig. Zu den typischen Krankheitsbildern, welche durch neuropathische Schmerzen bedingt auftreten können, gehören Folgende: Postzosterneuralgie, Trigeminusneuralgie, Polyneuropathien, Phantomschmerzen und zentrale Schmerzsyndrome. (1, 26) Abbildung 5: Gliederung des neuropathischen Schmerzes; modifiziert nach (1) 10

Kopf- und Gesichtsschmerzen: Kopfschmerzen haben eine 12-Monats-Prävalenz von 60% (29). Etwa 3 % der deutschen Population leiden unter chronischen Kopfschmerzen (30). Sobald die Kopfschmerzen über mehr als 3 Monate an mehr als 15 Tagen im Monat mit einer Beeinträchtigung über 4 Stunden pro Tag auftreten, spricht man von chronischen Kopfschmerzen. Wie in den meisten Studien beobachtet, leiden Patientinnen und Patienten mit chronischen Kopfschmerzen signifikant häufiger an Depressionen, Angstzuständen und Schmerzen anderer Lokalisation (33). Kopfschmerz wird in primären und sekundären Kopfschmerz unterteilt. (1) Fibromyalgiesyndrom (FMS) Das Fibromyalgiesyndrom definiert sich durch chronische Schmerzen in mehreren Körperregionen. Nichtentzündliche Schmerzen im Stütz-und Bewegungsapparat sind charakteristisch. Druckschmerzhafte Muskelansätze, sogenannte tender points, sind sehr typisch und erleichtern die Diagnosefindung. Neben den chronischen Schmerzen treten bei diesem Syndrom häufig Begleitsymptome auf. Hier sind vor allem Kopfschmerzen, Schlafstörungen, starke Müdigkeit, Erschöpfung, Depression, Beschwerden des Magen- Darm-Trakts und vegetative Beschwerden zu erwähnen. (1,15) 11

Chronische Rückenschmerzen Kreuzschmerzen sind häufig die Ursache, weshalb Patientinnen und Patienten die Ärztin/den Arzt besuchen. Es ist fraglos, dass Kreuzschmerzen enorme Kosten verursachen und somit in Europa ein großes gesundheitliches Problem darstellen. Die Folgekosten, bedingt durch Therapie, Diagnostik und Rehabilitation, stellen hier nur einen kleinen Teil dar, der Hauptteil ist sicherlich durch Arbeitsausfall und Erwerbsunfähigkeit verursacht (34, 35). Knapp 50 % der Patientinnen und Patienten mit chronischen Rückenschmerzen (länger als 6 Monate Schmerzsymptomatik) werden zurück in die Arbeitswelt integriert (1). Der überwiegende Teil der chronischen Rückenschmerzen wird als nicht spezifisch eingeteilt. Etwa 20 % gelten als spezifisch, bei denen vertebrale und/oder extravertebrale Veränderungen stattfinden, oder es bestehen spezifische Erkrankungen, bei denen z. B. Frakturen, Tumore oder entzündliche Prozesse vorherrschen (1,34). Bei Erstkonsultation wegen Rückenschmerzen müssen so unbedingt mit Hilfe der red flags spezifische Ursachen dieses Schmerzes ausgeschlossen werden (34). 12

2. Material und Methoden In dieser Literaturübersichtsarbeit erfolgte die Literatursuche hauptsächlich über die medizinische Datenbank PubMed. Zudem wurden pharmakologische und klinische Fachbücher für die Literatursuche herangezogen. In der medizinischen Datenbank PubMed wurden folgende Keywords in Deutsch/ Englisch gesucht: Schmerztherapie, chronische Schmerzen, Antidepressiva, Ko-Analgetika, chronische Schmerzsyndrome, neuropathische Schmerzen, Antidepressiva und chronische Schmerzen, Antidepressiva und neuropathische Schmerzen, Schmerzmanagement bei chronischen Schmerzen, Psychopharmaka in der Schmerztherapie, SSRI und chronische Schmerzen. Bei der Eingabe in die medizinische Datenbank PubMed wurden nur Studien mit freiem full text -Zugang über die medizinische Universität Graz mit in die Recherche einbezogen. Bei der Recherche wurden ausschließlich Artikel auf Englisch und Deutsch berücksichtigt. Diese Arbeit besteht größtenteils aus einer persönlichen Auswahl an aktuellen Studien, hier vor allem systemische Reviews, Artikel, randomisierte kontrollierte Studien (RCTs). Ziel ist es, dem Leser einen kurzen Überblick über die Thematik zu geben. 13

3. Ergebnisse 3.1 Antidepressiva Allgemein: Antidepressiva sind eine heterogene Gruppe von Psychopharmaka, die überwiegend zur Therapie von Depressionen jeglicher Genese eingesetzt werden. Depressionen gehören zu den affektiven Störungen, welche vorwiegend mit Erkrankungen der Stimmungslage und/oder Gemütsverfassung einhergehen. Klassische Leitsymptome der Depression sind: gedrückte, niedergeschlagene Gefühlsstimmung, Interessenlosigkeit, Verlust der Fähigkeit, sich zu freuen, und Antriebslosigkeit (5). AD wirken abhängig von der Substanzklasse stimmungsaufhellend und antriebssteigernd oder -dämpfend. Daher ergibt sich klinisch ein sehr heterogenes Einsatzgebiet. Außer bei Depression sind einige Substanzklassen auch bei Zwangsstörungen, generalisierten Angststörungen, Antriebslosigkeit sowie posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) oder auch bei chronischen Schmerzsyndromen indiziert. Die Einteilung der AD erfolgt nun anhand der chemischen Struktur und/oder hinsichtlich des pharmakologischen Wirkungsprofils. Früher wurden AD ausschließlich anhand der chemischen Struktur klassifiziert. Heute hingegen werden AD hauptsächlich nach dem pharmakologischen Angriffspunkt im ZNS eingeteilt (5,15). Aufgrund der unterschiedlichen Wirkungsmechanismen kann man folgende Wirkungsklassen unterscheiden: trizyklische Antidepressiva (TZA), tetrazyklische Antidepressiva, selektive Serotonin Rückaufnahme-Inhibitoren (SSRI), selektive Noradrenalin Rückaufnahme-Inhibitoren (NARI), selektive Serotonin-Noradrenalin Rückaufnahme-Inhibitoren (SNRI), Monoaminooxidase-Hemmer. 14

3.1.1 Wirkmechanismen Bei den Antidepressiva sowie bei den Neuroleptika ist der genaue Wirkungsmechanismus noch weitgehend ungeklärt. Antidepressiva greifen in den Neurotransmitter-Stoffwechsel und/oder die Neurotransmitter- Rezeptor Wechselwirkung ein (5). Die meisten AD wirken vorwiegend als Wiederaufnahmehemmer (Re-uptake) von Noradrenalin und/oder Serotonin aus dem synaptischen Spalt. Die Vertreter blockieren unterschiedlich stark die Wiederaufnahme. Darüber hinaus entwickeln die einzelnen Substanzen eine unterschiedlich starke Wirkung an den Rezeptoren des ZNS. Die Re-uptake-Blockade (Wiederaufnahmehemmung) ist jedoch nicht der einzige pharmakologische Angriffspunkt von Antidepressiva. Als weiterer Angriffspunkt der AD ist die Blockade von - Neurotransmitter-Rezeptoren zu erwähnen. Abbildung 6: Wirkungsmechanismen von Antidepressiva (5) Wie in Abbildung 5 zu sehen ist, blockieren SSRI die Rückaufnahme in das präsynaptische Neuron; daraus folgt, dass sich die Neurotransmitterkonzentration von NA und 5-HAT im synaptischen Spalt erhöht. NA: Noradrenalin, 5-HT: Serotonin: MAO: Monoaminoxidase; TCA: trizyklische Antidepressiva, SSRI: selektive Serotonin Rückaufnahme-Hemmer SNRI: selektive Serotonin-Noradrenalin Rückaufnahme-Inhibitoren 15

Hier wird vor allem zwischen alpha-adrenergen, serotonergen, histaminergen und dompaninergen Rezeptoren unterschieden, wodurch sich das Wirkungsprofil der Substanzklassen erklären lässt. Durch die Hemmung von H1-Rezeptoren erhalten wir eine sedierende Wirkung und durch Hemmung von 5-HT 2-Rezeptoren kommt es zur anxiolytischen Wirkung. Der antinozizeptive Effekt von AD dürfte hauptsächlich im Rückenmark stattfinden. Zum nozizeptorischen aszendierenden System gehören Transmitter wie Glutamat, VIP, Bradykinin, Prostagladin E1 und E2, Leukotrienen, Serotonin, Histamin, Acetylcholin und Substanz P. Im inhibitorischen deszendierenden System kommen hingegen hauptsächlich Transmitter wie Serotonin, Noradrenalin, Histamin und Dopamin zum Einsatz. (25) Tabelle 1: Antidepressiva als Analgetika und deren Wirkmechanismus (36) Wirkstoffgruppe Präparat Wirkungsmechanismus TZA Amitriptylin Doxepin Imiprmain Desipramin Nortriptylin 5-HT > NA Reuptake-Inhibitoren Antagonismus bei weiteren Rezeptoren NA 5HT Reuptake-Inhibitoren Antagonismus bei weiteren Rezeptoren SSRI SNRI Citalopram Fluoxetin Paroxetin Duloxetin Venlafaxin 5-HT > NA Reuptake-Inhibitoren 5-HT NA > DA Reuptake-Inhibitoren MAO-Hemmer - - Weitere Antidepressiva Bupropion Mirtazapin DA, NA Reuptake- Inhibitoren Antagonist an präsynaptischen Alpha2- Adrenozeptoren und ein Antagonist an 5-HT2 und 5-HT3 Rezeptoren 16

TZA beeinflussen die Schmerzhemmung direkt und indirekt durch diverse Mechanismen. Amitripytylin wirkt neben 5-HT Rezeptoren, NA+-, noradrenergen auch am opioidergen System sowie an GABA-Rezeptoren und Glutamat Rezeptoren. (25) Abbildung 7: Deszendierende Schmerzhemmung. Modifiziert nach (25) Die Abbildung 7 zeigt eine schematische Grafik der deszendierenden Schmerzhemmung vom Hirnstamm zum Rückenmark. Der Angriffspunkt der AD ist in Rot dargestellt. Die pathophysiologischen Ursachen affektiver Erkrankungen wie auch der Depression sind noch ungeklärt, es gibt jedoch mehrere Erklärungsmodelle. Eines davon ist die Monoaminhypothese, welche grundsätzlich auf dem vermuteten Wirkungsmechanismus beruht. Und zwar, dass der Neurotransmittermangel im Gehirn der Betroffenen durch sogenannte Wiederaufnahmehemmer von Serotonin und/oder Noradrenalin wieder hergestellt wird. Die Skepsis einiger Forscher über diese Hypothese existiert seit ihrer Entdeckung. Gegen diesen Erklärungsversuch spricht, dass das Nebenwirkungsprofil bereits nach kurzer Zeit und die klinische Besserung und die damit verbundene antidepressive Wirkung erst nach 2 3Wochen auftritt. 17

Zudem führt zwar der Entzug von Tryptophan, einer essenziellen Aminosäure, zur Herabsetzung der Serotoninkonzentration im ZNS, jedoch kann mit Tryptophanreduktion keine Depression ausgelöst werden. Man nimmt an, dass durch die Rezeptorhemmung die Monoaminkonzentration im synaptischen Spalt erhöht wird. Dies hätte zur Folge, dass die Affinität und die Rezeptordichte im gesamten ZNS herunterreguliert werden. Somit ist die antidepressive Wirkung am wahrscheinlichsten durch eine regulative Intervention in die zentrale noradrenerge und serotonerge Neurotransmission zu erklären (5). 3.1.2 Wirkstoffklassen Trizyklische Antidepressiva (TZA) Trizyklische Antidepressiva zeichnen sich durch ein gemeinsames chemisches Merkmal aus: Sie alle bestehen aus einem dreigliedrigen ( trizyklischen ) Ringsystem. Der mittelständige Ring besteht in dieser Substanzklasse aus 7 Kohlenstoff-Atomen. Neben der antidepressiven Wirkung haben trizyklische AD auch anticholinerge Wirkungen durch die Muskarinrezeptor-Blockade und antiadrenerge Wirkungen durch die Hemmung von Alpha1-Adrenozeptoren. Demzufolge entstehen viele unerwünschte Nebenwirkungen. Aus der Metaanalyse von Anderson et al. 2000 geht hervor, dass einige Autorinnen und Autoren sich für TZA bei schwereren Depressionen aussprechen, da TZA einen leichten Wirksamkeitsvorteil gegenüber anderen Antidepressiva hätten (14). Wirkungseintritt: Die stimmungsaufhellende, antidepressive Wirkung tritt erst nach mindestens 2 Wochen Therapie ein. Hier ist zu beachten, dass die anticholinergen und antiadrenergen Effekte bereits schnell nach Behandlungsbeginn auftreten. Deshalb ist es wichtig, dass man den Patientinnen und Patienten bei Therapiebeginn ausdrücklich auf die unerwünschten Nebenwirkungen hinweist (5). Pharmakokinetik: Trizyklische AD werden gut resorbiert. Die Bioverfügbarkeit liegt hier etwa bei 50 Prozent. Ein hoher First-pass-Effekt verringert allerdings die Bioverfügbarkeit. 18

Trizyklische AD besitzen eine hohe Lipophilie, daher ist das Verteilungsvolumen relativ hoch. Enzyme der Cytochrom-P450-Familie spielen bei der Metabolisierung im Zuge der Elimination eine entscheidende Rolle. Die Ausscheidung geschieht hauptsächlich mit dem Urin. Nebenwirkungen: Bei den TZA können ausgeprägte anticholinerge Nebenwirkungen auftreten. Wegen der Blockade von Muscarinrezeptoren kommt es häufig zu Mundtrockenheit, Akkommodationsstörungen, Miktionsstörungen, Blasenatonie, Harnverhalt und Atonie des Magen-Darm-Trakts. Daher ist ein Ileus unter TZA möglich. Neben den vegetativen Nebenwirkungen sind kardiale Nebenwirkungen viel bedeutsamer. Hier kann es zu einer Verlangsamung der kardialen Erregungsleitung kommen - mit Blockade des Natriumkanals. Es resultieren Blockbilder im EKG. Daher sollten TZA bei kardialer Vorschädigung vermieden werden. Weitere Nebenwirkungen sind Schlaflosigkeit, Tremor, Sedierung, Appetitsteigerung, zerebrale Krampfanfälle und Myoklonien. Blutbildveränderungen wie Leukopenien/Agranulozytose kommen unter TZA selten vor, Aber nicht zu vernachlässigen sind die Leberfunktionsstörungen. Durch die Blockade der alpha1-adrenergen Rezeptoren kann es zur orthostatischer Hypotonie und reflektorischer Tachykardie kommen. Wirkstoffe Folgende Substanzen gehören zu den trizyklischen Antidepressiva: Imipramin, Trimipramin, Clomipramin, Opipramol, Amitriptylin, Amitriptylinoxid, Nortriptylin, Doxepin. 19

Abbildung 8: Imipramin (C19H24N2 ) (67) Abbildung 9: Trimipramin (C20H26N2) (71) Abbildung 10: Clomipramin (C19H23ClN2) (72) 20

Abbildung 11: Opipramol (C23H29N3O) (73) Abbildung 12: Amitriptylin (C 20H 23N) (74) Abbildung 13: Nortriptylin (C19H21N) (75) 21

Abbildung 14: Doxepin (C19H21NO) (76) Kontraindikationen: Als wichtige Kontraindikationen sind wegen der ungünstigen anticholinergen Wirkung Glaukom, Harnverhalt und Prostatahyperplasie zu nennen. Vorsicht gilt auch bei kardialen Beschwerden, Vorschädigung der Nieren und zerebralen Krampfanfällen. Tetrazykische Antidepressiva Tetrazyklische AD können als Weiterentwicklung der TZA angesehen werden, denen sie pharmakologisch sehr ähneln. Strukturell weisen sie nicht nur drei, sondern vier Kohlenstoffringe auf. Wichtige Vertreter der Substanzklasse sind: Mianserin, Mirtazapin und Maprotilin. Die Substanz Mianserin blockiert die präsynaptischen Alpha 2-Adrenozeptoren, dadurch kommt es verstärkt zur Freisetzung von Noradrenalin und Serotonin. Zudem ist Mianserin ein schwacher Serotonin-Reuptakehemmer und ein 5HT2- und 5HT3-Hemmer. Der Wirkstoff Mirtazapin blockiert etwas stärker die präsynaptischen Alpha 2 und und 5-HT3. Im Vergleich zu Mianserin besitzt der Wirkstoff Mirtazapin eine wesentlich schwächere Serotonin-Reuptakehemmung. Meist wirken diese Wirkstoffe als H1-Antihistaminikum sedierend. 22

Abbildung 15: Mirtazapin (C17H19N3) (77) Abbildung 16: Mianserin (C18H20N2) (78) Abbildung 17: Maprotilin (C20H23N) (79) Selektive Serotonin Rückaufnahme-Inhibitoren (SSRI) Die Wirkstoffgruppe der SSRI blockiert die Serotonintransporter im ZNS. Dadurch wird verhindert, dass Serotonin aus dem synaptischen Spalt wieder aufgenommen wird. Daraus folgt, dass die Konzentration von Serotonin im synaptischen Spalt ansteigt. Das Wirkspektrum der einzelnen Präparate der Gruppe ist sehr ähnlich, die Wirkstoffe 23

haben keine sedierende, sondern eher eine aktivierende Wirkung. Pharmakologisch unterscheiden sie sich dadurch, dass die einzelnen Substanzen das Cytochrom P-450-Enzym unterschiedlich stark hemmen. Sie werden relativ rasch und gut resorbiert. Fluoxetin ist der erste zugelassene SSRI und auch das weltweit meistverwendete Antidepressivum. Wichtige Vertreter der Substanzklasse sind: Citalopram, Escitalpram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin und Sertralin. Nebenwirkungen: Im Vergleich mit anderen Antidepressiva haben SSRI viel weniger Nebenwirkungen. Zur Beginn der Behandlung kann es zu Schlafstörungen, Übelkeit, Unruhe, Tremor und Schwitzen kommen. Gastrointestinale Beschwerden werden relativ häufig beobachtet. Im Vergleich zu TZA haben SSRI ein geringeres kardiovaskuläres Nebenwirkungsprofil. Die gleichzeitige Einnahme von Triptanen sowie MAO-Hemmern ist wegen der Gefahr des Serotonin-Syndroms kontraindiziert. Hier könnte es dann zur toxischen Serotoninkonzentration im Gehirn kommen. Abbildung 18: Citalopram (C20H21FN2O) (81) Abbildung 19: Escitalopram (C20H21FN2O) (82) 24

Abbildung 20: Fluoxetin (C17H18F3NO) (83) Abbildung 21: Fluvoxamin (C15H21F3N2O2) (84) Abbildung 22: Paroxetin (C19H20FNO3) (85) 25

Abbildung 23: Sertralin (C17H17Cl2N) (86) Selektive Noradrenalin Rückaufnahme-Inhibitoren (NARI) Die selektiven Noradrenalin Wiederaufnahmehemmer sind eine Wirkstoffklasse, die ausschließlich die Noradrenalin-Wiederaufnahme hemmen. Die Blockade am Noradrenalintransporter erhöht die Neurotransmittersubstanz Noradrenalin im synaptischen Spalt, wodurch die antidepressive Wirkung erreicht werden kann. Die Gruppe wird hauptsächlich bei gehemmt-depressiven Patientinnen und Patienten eingesetzt. Ein wichtiger Vertreter der Gruppe ist das Morpholinderivat Reboxetin. Abbildung 24: Reboxetin (C19H23NO3) (70) 26

Reboxetin wird nach oraler Gabe rasch resorbiert. Die Proteinbindung ist mit 95 % sehr hoch. Die Plasmahalbwertzeit liegt etwas bei 12-24 Stunden. Die Ausscheidung der Substanz erfolgt biliär. Häufigste Nebenwirkungen sind Schlaflosigkeit, Mundtrockenheit, vermehrtes Schwitzen, verminderte Libido und erektile Dysfunktion. Selektive Serotonin-Noradrenalin Rückaufnahme-Inhibitoren (SNRI) Die Gruppe der selektiven Serotonin Noradrenalin Re-uptake-Hemmer, kurz SNRI, wie die trizyklischen AD, hemmen die Rückaufnahme von Serotonin und Noradrenalin. Abbildung 25: Venlafaxin (C17H27NO2) (68) Abbildung 26: Duloxetin (C18H19NOS) (69) Diese Wirkstoffgruppe hat keine wesentliche Affinität zu adrenergen, cholinergen oder histaminergen Rezeptoren, sondern sie hemmt die Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin. Sie erhöhen die extrazelluläre Neurotransmitterkonzentration von Serotonin und Noradrenalin. 27

SNRIs wirken nichtsedierend und antidepressiv. Venlafaxin und Duloxetin gehören zu den Hauptvertretern der Gruppe. Sie dürfen nicht gleichzeitig mit MAO-Hemmern (Monoaminooxidasehemmer) kombiniert werden. (Serotonin-Syndrom-Risiko) Venlafaxin wird rasch resorbiert. Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Mundtrockenheit, Übelkeit und Schwitzen zählen zu den häufigen Nebenwirkungen von Venlafaxin. Monoaminooxidase-Hemmer (MAO-Hemmer) Monoaminooxidase-Hemmer, kurz MAO-Hemmer, blockieren die Monoaminooxidase. Dadurch nimmt die Konzentration von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin in den Vesikeln zu und es resultiert eine verstärkte Verfügbarkeit der Neurotransmitter im synaptischen Spalt. Diese Wirkstoffgruppe wird in selektive, nichtselektive und reversible oder irreversible Enzymhemmer unterteilt. Irreversible nichtselektive MAO-Hemmer wie der Wirkstoff Tranylcypromin, der sowohl die Monoaminooxidase A sowie die Monoaminooxidase B hemmt, ist hoch- wirksam in der Behandlung von Depressionen und Zwangsstörungen. Dieser Wirkstoff sollte nicht gemeinsam mit tyraminhaltigen Nahrungsmitteln wie z.b. Käse eingenommen werden, da es sonst zu schwerwiegenden Wechselwirkungen kommen kann. Moclobemid ist ein Vertreter der reversiblen selektiven Monoaminoxidase-A-Hemmer- Gruppe, der keine tyraminarme Diät erfordert. Pharmakologisch bedingter Vorteil gegenüber Tranylcypromin sind die gefürchteten hypertensiven Krisen, die unter Tranylcypromin auftreten können. Abbildung 27: Moclobemid (C13H17ClN2O2) Moclobemind hat folgende klinische Indikationen: depressive Syndrome und soziale Phobie. Als Nebenwirkungen werden Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Schwindel, Übelkeit und Mundtrockenheit beobachtet. Bei instabilen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Suizidgefahr und bei Patientinnen und Patienten mit Phäochromozytom und Thyreotoxikose-Symptomatik sind MAO-Hemmer kontraindiziert. Trizyklische 28

Antidepressiva sowie selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer sollten nicht mit MAO-Hemmern kombiniert werden, da sich sonst das zentrale Serotoninsyndrom entwickeln kann (18,54). Es existieren wenige Studien über die analgetische Wirkung von MAO. Daher spielen sie eine untergeordnete Rolle im Schmerztherapiemanagement (36,58). 3.1.3 Therapeutische Einsatzmöglichkeiten von Antidepressiva Antidepressiva werden hauptsächlich zur Therapie von depressiven Erkrankungen eingesetzt, jedoch sind die klinischen therapeutischen Einsatzmöglichkeiten sehr mannigfaltig. 1. Depressive Störungen 2. Depression und körperliche Erkrankungen i. Depression und Diabetes mellitus ii. Depression bei vaskulären Erkrankungen iii. Post-stroke-Depression iv. Depression bei M. Parkinson v. Depression bei Epilepsie vi. Depression bei dermatologischen Erkrankungen vii. Depression bei Demenz Angststörungen Zwangsstörungen Posttraumatische Belastungsstörung Somatoforme Störungen Schmerzsyndrome i. Neuropathischer Schmerz ii. Fibromyalgiesyndrom iii. Chronische Rückenschmerzen iv. Chronische Spannungskopfschmerzen 29

3.2 Anwendung von Antidepressiva bei chronischen Schmerzen Chronische Schmerzen und depressive Verstimmungen liegen nicht weit auseinander. Außerdem ist in vielen Studien zu beobachten, dass depressive Patientinnen und Patienten häufig unter Schmerzen leiden (11, 12, 15, 16). 50 % aller Patientinnen Patienten mit chronischen Schmerzen zeigen eine depressive Verstimmung oder Angststörung (15,25). Die Verwendung von AD kann Schmerzen positiv beeinflussen (15). Staud et al. 2007 präsentierten Beweise, dass mit Psychopharmaka direkte analgetische Wirkungen erzielt werden können (17,18). Antidepressiva können zur Therapie chronischer Schmerzzustände unterschiedlicher Ursache eingesetzt werden (15). Vorteil ist, dass die parallele Gabe von Analgetika oftmals dadurch reduziert werden kann. Zu den möglichen Indikationen gehören: Schmerzsyndrome bei Tumorpatientinnen und Tumorpatienten, rheumatoide Erkrankungen, Kopfschmerzen, chronische Rückenbeschwerden, Polyneuropathien, Trigeminusneuralgie und Thalamusschmerz. Die angeführte Aufzählung darf als nicht vollständig angesehen werden. Zudem müssen die angeführten Pathologien differenziert betrachtet werden. Die Anwendung und die Beschränkung der einzelnen Antidepressiva sind individuell an die Patientinnen und Patienten anzupassen, besonders sollte hier auf Komorbiditäten der Patientinnen und Patienten eingegangen werden. Vor allem neuropathische Schmerzen lassen sich mit Antidepressiva gut behandeln (51). Das trizyklische Antidepressivum Amitripytlin ist das am häufigsten verwendete Präparat in der Behandlung von Schmerzen. Es darf nicht gemeinsam mit einem MAO-Hemmer verabreicht werden und besitzt einige Kontraindikation wie z.b. frischer Infarkt, Delir- und Verwirrtheitszustände (25). Neueste Studien wie die Arbeit von Brinkers et al. 2010 (18) gehen auf die Wichtigkeit einfacher vs. dualer Wirkmechanismen von Antidepressiva ein. Duale Antidepressiva sind analgetisch wirksam, Mono-Antidepressiva sind nicht analgetisch wirksam (18,21,22). Antidepressiva mit dualen Wirkmechanismen beeinflussen zwei Transmittersubstanzen (Noradrenalin und Serotonin) und zeigen daher eine analgetische Wirksamkeit. Hingegen konnte in einigen Studien bewiesen werden, dass Mono-Antidepressiva nahezu keine bis gar keine analgetische Wirksamkeit besitzen (23,24). Eine große Metaanalyse von Onghena und Van Houdenhove mit 39 Placebo-kontrollierten Studien kam 1992 zum Ergebnis, dass Antidepressiva chronische Schmerzen effektiv reduzieren können (19). 30

In dieser Metaanalyse konnte man auch zeigen, dass chronische Schmerzpatientinnen und Schmerzpatienten, die eine Behandlung mit AD erhielten, weniger Schmerzen hatten als 74 % aller Schmerzpatientinnen und Schmerzpatienten, die ein Placebo erhielten. Im Jahr 1997 publizierte T. J. Feuerstein eine Metaanalyse von 57 klinischen Studien, die sich mit der Frage befassten, welche Substanzklassen der Antidepressiva sich am besten für die Bekämpfung von chronischen Schmerzen eignen. Es wurde davon ausgegangen, dass unselektive Monoamin-Wiederaufnahmehemmer den selektiven Medikamentengruppen wie z. B. den selektiven Serotonin- Wiederaufnahmehemmern (SSRI) und den selektiven Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRI) überlegen seien. Der Autor kam zu dem Schluss, dass die unselektiven Monoamin- Wiederaufnahmehemmer tatsächlich die wirksamsten Substanzen waren. Die Substanz Amitriptylin wurde in 18 vergleichenden Studien eingesetzt, war somit die am häufigsten verwendete Substanz. Die Wirksamkeit von Amitripytin und die Anwendung zur Therapie chronischer Schmerzen konnte in mehreren kontrollierten klinischen Studien belegt werden. Die Frage zur Dosisempfehlung bleibt jedoch unbeantwortet. Anhand der Ergebnisse sollte Amitriptylin in langsamer Dosissteigerung verabreicht werden, bis sich die Schmerzen gebessert haben. Clomipramin war das am zweithäufigsten verwendete Medikament, das ebenfalls für chronische Schmerzen eingesetzt werden kann. Bei mangelndem Erfolg mit Amitripytin sollte auf Clomipramin, Desipramin, Imipramin zurückgegriffen werden. Eine Rangordung ergibt sich wie folgt: Amitripytin > Clomipramin >Desipramin, Imipramin, Doxepin. Im Jahr 1997 existierten wenige Studien mit selektiven Wiederaufnahmehemmern. Die wenigen Studien zeigten jedoch kein überzeugendes Ergebnis. Die Substanz Zimeldin, ein 5-HT-Wiederaufnahmehemmer, erwies sich nur in einem Kriterium von vier gegenüber Placebos als signifikant besser (20). Anhand der derzeitigen Studienergebnisse sollten duale Antidepressiva bei der Behandlung von Schmerzsyndromen verwendet werden (18, 54). 31

Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer gehören bei der Depressionsbehandlung sicherlich zum Goldstandard (18). Diese Gruppe nimmt jedoch in der Behandlung von chronischen Schmerzen sowie in der Therapie der Ko-Morbiditäten Schmerz und Depression eine untergeordnete Rolle ein. Mirtazapin, ein noradrenerg- und serotonerges Antidepressivum, zeigt in einigen Studien Wirksamkeit bei der Behandlung von Fibromyalgie (55), Spannungskopfschmerz (56) und neuropathischen Schmerzen. (57) Aufgrund der sedierenden Wirkung kann es neben der Depression bei Schlaf-und Angststörungen eingesetzt werden. Venlafaxin und Duloxetin gehören zu den selektiven Serotonin-und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern. Bei diesen Substanzen ist das duale Wirksamkeitsprinzip von entscheidender Bedeutung in der Schmerztherapie. Aufgrund des günstigen Nebenwirkungsprofils sowie aktueller Studienlage sind sie das Mittel der Wahl bei kombinierter Therapie von Depression und Schmerzsymptomatik. Cave: Aktuell besitzt nur Duloxetin eine Zulassung für Behandlung von Schmerzen (diabetische Neuropathie). 32

Tabelle 2: In der Schmerzbehandlung häufig eingesetzte Antidepressiva Modifiziert nach Brinkers et al. (18) Wirkungsmechanismus Präparat Anwendung Dosis (mg/d) Number needed to treat (NNT) Neue selektive Serotonin- Rückaufnahme- Hemmer Citalopram Fluoxetin Depression bei hirnorganischen Veränderungen Winterdepression 20 20 alle Schmerzen: 6,8 (52) Polyneuropathie 6,8 (52) Klassische nichtselektive Noradrenalin- Rückaufnahme- Hemmer Desipramin Nortriptylin Mianserin Maprotilin Antriebssteigerung 150 100-150 60-120 75-150 Polyneuropathie 2,5 (52) Postzoster- Neuralgie 3,1 (52) Klassische nichtselektive Serotonin-und Noradrenalin- Rückaufnahme- Hemmer Imipramin Doxepin Amitriptylin Generalisierte Angststörung Schmerz Depression Schmerz Depression 150-225 ab 5 ab 150 ab 10 ab 150 alle Schmerzen 2-3 (52) alle Neuropathien 2,4-3,6 (52, 53) Postzoster- Neuralgie 2,5 (52) zentral 4,0 (52) peripher 2,3 (52) neue selektive Serotonin-und Noradrenalin- Rückaufnahme- Hemmer Venlafaxin Duloxetin Schmerz Depression Schmerz (diabetische Neuropathie) Depression ab 37,5 retard ab 150 retard ab 30 ab 90 alle Schmerzen 5,5 (52) Polyneuropathie 5,5 (52) peripher 5,5(52) speziell Venlafaxin 3,1 (53) neue präsynaptische Alpha 2- Rezeptorenblocker Mirtazapin Schmerz Depression ab 7,5 ab 45 33