UNESCO Welterbe Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch Adolf Ogi, Präsident des Patronatskomitees der Stiftung Farbige Illustrationen zu diesem Spezialbeitrag nach S. 96. Das Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt 4, auch Welterbekonvention genannt, wurde am 23. November 1972 im Rahmen der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur UNESCO in Paris abgeschlossen. Die UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation) ist eine internationale Organisation und eine der sechzehn rechtlich selbständigen Sonderorganisationen der Vereinten Nationen. Sie wurde am 16. November 1945 gegründet und hat ihren Sitz in Paris, die Schweiz ist seit Anfang 1949 Mitglied. Das Ziel der UNESCO ist es, «[ ] durch die Zusammenarbeit der Völker der Welt auf den Gebieten der Erziehung, der Wissenschaft und der Kultur, schrittweise die Ziele des internationalen Friedens und der gemeinsamen Wohlfahrt der Menschheit zu verwirklichen [ ].» 5 In der Welterbekonvention der UNESCO verpflichten sich die beigetretenen Staaten, das Kultur- und Naturerbe der Menschheit zu schützen. Die Schweizerische Bundesversammlung genehmigte die Welterbekonvention am 19. Juni 1975, so dass diese anschliessend ratifiziert und für die Schweiz in Kraft treten konnte. In den Erwägungen des Übereinkommens wird festgehalten, dass «der Verfall oder der Untergang jedes einzelnen Bestandteils des Kultur- oder Naturerbes eine beklagenswerte Schmälerung des Erbes aller Völker der Welt darstellt» und dass «Teile des Kultur- oder Naturerbes von aussergewöhnlicher Bedeutung sind und daher als Bestandteil des Welterbes der ganzen Menschheit erhalten werden müssen». 6 Im Vordergrund steht der Schutz: Mit der Unterzeichnung der Konvention verpflichten sich die Vertragsstaa- 4 In der schweizerischen Gesetzgebung lautet der Titel «Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturgutes der Welt Abgeschlossen in Paris am 23. November 1972». (SR 0.451.41) 5 Verfassung der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur Unterzeichnet in London am 16. November 1945, Ingress, http://www.admin. ch/ch/d/sr/0_401/index.html 6 http://www.admin.ch/ch/d/sr/0_451_41/index.html
94 UNESCO Welterbe Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch ten, die innerhalb ihrer Grenzen gelegenen Welterbestätten zu schützen und für zukünftige Generationen zu erhalten. Die anderen Vertragsstaaten tragen im Rahmen ihrer Möglichkeiten zum Schutz dieser Stätten bei. Diese besonders zu schützenden Welterbestätten werden vom Welterbekomitee bestimmt. Eine auf den neuesten Stand gebrachte Liste wird einmal im Jahr veröffentlicht. Mit der Aufnahme in diese Liste verpflichten sich die betreffenden Staaten, diese Gebiete und Objekte durch gesetzliche, technische und andere Schutzmassnahmen langfristig zu erhalten. Die auf der Welterbeliste aufgeführten Stätten sind von aussergewöhnlichem universellem Wert. Sie widerspiegeln den Reichtum und die Vielfalt des Kultur- und Naturerbes unserer Erde. Die meisten Welterbestätten verfügen über ein grosses touristisches und damit wirtschaftliches Potenzial. Dieses gilt es verantwortungsvoll zu nutzen. Dabei sollen die wirtschaftliche Entwicklung und auch die Erhaltung des Welterbes und seiner Umgebung sichergestellt werden. Zudem sollen die sozialen Strukturen und Werte der lokalen Bevölkerung respektiert werden. Diese Grundsätze gelten für alle Welterbestätten und auf der ganzen Welt. Anfang 2010 gab es 890 Welterbestätten von aussergewöhnlichem universellem Wert, darunter zehn in der Schweiz. Der Antrag für die Aufnahme eines schweizerischen Gebietes oder Objektes in die Liste der Welterbe muss vom Bundesrat ausgehen. Das zeigt schon, dass es sich um ganz ausserordentliche Gebiete und Denkmäler handelt. Die zehn Schweizer Welterbestätten sind folgende (Stand Anfang 2010): Kulturerbe: Altstadt von Bern Benediktinerinnen-Kloster St. Johann in Müstair Stiftsbezirk St. Gallen Drei Burgen sowie mittelalterliche Festungs- und Stadtmauern von Bellinzona Lavaux, Weinberg-Terrassen Rhätische Bahn in der Landschaft Albula / Bernina La Chaux-de-Fonds / Le Locle Stadtlandschaft Uhrenindustrie
UNESCO Welterbe Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch 95 Naturerbe: Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch Monte San Giorgio Schweizer Tektonikarena Sardona Das Internetportal www.welterbe.ch bietet Informationen über diese Stätten. Das UNESCO Welterbe Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch ist das erste Weltnaturerbe der Schweiz und das erste der Alpen überhaupt, welches in die Welterbeliste aufgenommen wurde. Ein vergleichbares Weltnaturerbe ist das Gebirgsmassiv Huangshan in China. Zwischen den beiden Regionen besteht eine enge Zusammenarbeit. Als weitere Beispiele von bekannten Weltnaturerbestätten können der Serengeti Nationalpark, die Galapagos Inseln, der Yellowstone Nationalpark und die Dolomiten genannt werden. Das Kerngebiet des heutigen Welterbes «Schweizer Alpen Jungfrau- Aletsch» wurde am 13. Dezember 2001 unter dem damaligen Namen «Jungfrau-Aletsch-Bietschhorn» vom Welterbekomitee in die Welterbeliste aufgenommen. Das Gebiet umfasste zu jenem Zeitpunkt im Wesentlichen die Gebirgsketten der Jungfrau-, Aletsch- und Bietschhorngruppe. Die Erweiterung gegen Westen (Teile des Lötschentals und des Gasteretals, Blüemlisalpmassiv und oberes Kiental) und gegen Osten (Grimsel) wurde am 28. Juni 2007 durch das Welterbekomitee genehmigt. Die Gründe für die Aufnahme des Gebietes in die Liste können wie folgt zusammengefasst werden: Die eindrückliche Landschaft des Gebietes spielte eine wichtige Rolle in der europäischen Literatur und in der Kunst. Die Schönheit des Gebietes hat internationale Kundschaft angezogen und ist global als eine der spektakulärsten Bergregionen anerkannt. Das Gebiet war schon früh sehr bedeutend für Wanderungen und Bergsteigen, nicht nur für Touristen aus der Schweiz sondern aus der ganzen Welt. So unternahm z. B. Johann Wolfgang von Goethe im Jahre 1779 eine Wanderung zum Oberhoresee im Hinteren Lauterbrunnental. Der spätere Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Theodore Roosevelt, bestieg nach dem Abschluss seines Studiums 1881 die Jungfrau. Der legendäre britische Politiker und Premierminister Winston Churchill bestieg im Jahre 1894 mit einem Bergführer aus Grindelwald das
96 UNESCO Welterbe Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch Wetterhorn. Er schrieb in seinem Buch «Meine frühen Jahre» (Originaltitel: «My Early Years») dazu: «[ ] Der Anblick der aufgehenden Sonne, die Gipfel des Berner Oberlandes überstrahlend, war ein Wunder von Licht und Farbe, wie ich es nie wieder erlebt habe. [ ]» 7 Das Gebiet ist ein eindrückliches Beispiel der alpinen Gebirgsbildung und der damit verbundenen vielfältigen geologischen Formen (siehe auch Kapitel «Geologie»). Das Gebiet bietet ein weites Spektrum an alpinen und subalpinen Habitaten. Das globale Phänomen des Klimawandels ist in dieser Region besonders gut erkennbar an den unterschiedlichen Veränderungen der verschiedenen Gletscher (siehe auch Kapitel «Gletscher», S. 69). Das Gebiet umfasst eine Gesamtfläche von 824 km 2, seine Grenzen sind im Satellitenbild nach Seite 96 eingezeichnet (Stand Anfang 2010). Daraus geht hervor, dass man sich auf den Routen des Gebietes «Alpine Touren Jungfrau-Region» immer innerhalb des Weltnaturerbes bewegt. Die Grenzen des Gebiets sind bewusst dort gezogen worden, wo unproduktive Naturlandschaft und bewirtschaftetes Terrain aneinander stossen. Sie sind in langwierigen Verhandlungen mit den 26 8 beteiligten Gemeinden fixiert worden. Auffälliger Grenzverlauf deutet jeweils auf besondere Verhältnisse hin. So ist die Belalp als Skigebiet ausgespart worden, und im Osten führt die Grenze um die Stauseen der Kraftwerke Oberhasli herum. 7 Deutsches Zitat aus: Winston Churchill. Meine frühen Jahre. 4. Auflage, München 1965, List Taschenbücher, S. 37 8 2008 haben die Gemeinden Steg und Hohtenn fusioniert; es sind aktuell 25 Gemeinden. Bietschhorn, ein Eckpfeiler des Welterbes Jungfrau-Aletsch Satellitenbild mit den Grenzen des Perimeters des Welterbes Grosser Aletschgletscher, längster Gletscher Eurasiens
UNESCO Welterbe Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch 97 Der Perimeter des Gebietes umfasst nahezu die ganze Hochgebirgsregion nördlich der Rhone, mit neun Viertausendern und nicht weniger als fünfzig Gipfeln über 3500 m, die Kulmination der Nordalpen, welche die grösste zusammenhängende vergletscherte Fläche der Alpen mit fünf der sieben grössten Gletschern der Schweiz einschliesst. Der grösste davon ist der Grosse Aletschgletscher, mit rund 23 km der längste Gletscher des westlichen Eurasiens. Das Gebiet ist frei von permanenten Siedlungen, befahrbaren Strassen und Transporteinrichtungen. Eine Ausnahme ist die Jungfraubahn, welche jährlich eine halbe Million Besucher auf das Jungfraujoch ins Zentrum des Gebiets bringt. Das Gebiet konnte seinen ursprünglichen Charakter beibehalten, und seine Begehung ist nach wie vor dem Alpinisten, Hochtouren-Skifahrer und Alpinwanderer vorbehalten. Diese Fels- und Eiswildnis des Welterbes grenzt in den tiefen Lagen an die vom Menschen bewirtschaftete und umgestaltete Region, deren traditionelle Nutzung Berglandwirtschaft und Alpwirtschaft immer mehr durch die touristische Entwicklung verdrängt wird. An den Grenzen des Gebiets haben sich bedeutende Winter- und Sommersportzentren mit entsprechender Infrastruktur entwickelt: Kandersteg, Mürren, Wengen, Lauterbrunnen, Grindelwald, Riederalp, Bettmeralp, Fiesch / Eggishorn, Blatten, Belalp, Lötschental-Lauchernalp-Hockenhorn. Eine bedeutende Rolle spielt die Nutzung der Wasserkraft, dies vorab im Grimselgebiet, aber auch im Fieschertal, bei Blatten (Stausee Gibidum) und im Lötschental (Stausee Ferden). Gemeinsam ist allen Gemeinden des Gebiets, dass sie Anteil am Hochgebirge haben, dass sich aber die Siedlungen und die Wirtschaftsschwerpunkte ausserhalb der Grenzen des Welterbe-Gebietes befindet. Aufgrund der unterschiedlichen Intereressen ist es verständlich, dass dem Gesuch an die UNESCO lange und zum Teil hart geführte Diskussionen vorausgegangen waren. Unterschiedlichste Ansichten betreffend Schutz und Nutzung trafen aufeinander, besonders was die für die meisten Gemeinden lebenswichtige touristische Entwicklung anbelangt. Es zeugt von Weitsicht, dass sich die beteiligten Gemeinden im Jahre 2001 in der «Charta vom Konkordiaplatz» im Grundsatz zum Schutz des Hochgebirges und für die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung der angrenzenden Region verpflichtet haben. Mitentscheidend war, dass die Aufnahme in die Welterbeliste der UNESCO keine zusätzlichen Schutzbestim-
98 UNESCO Welterbe Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch mungen mit sich bringt. Es gilt die nationale Schutzgesetzgebung, in deren Rahmen das Gebiet in ähnlichem Umfange seit 1983 im «Bundesinventar der schützenswerten Landschaften von nationaler Bedeutung (BLN)» enthalten ist. Dieses Inventar wird gestützt auf Artikel 5 des Bundesgesetzes vom 1. Juli 1966 über den Natur- und Heimatschutz (NHG) durch den Bundesrat erstellt. Die UNESCO macht Auflagen in Bezug auf die Durchsetzung dieser nationalen Schutzvorschriften, die nachhaltige Entwicklung, die Begleitung bzw. Überwachung durch eine Management-Organisation und die Sicherstellung der Finanzierung. Dazu ist eine enge Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden, den beiden Kantonen Bern und Wallis, dem Bund und privaten Organisationen unabdingbar. Als Gegenleistung bietet die UNESCO das weltweit hoch begehrte Label UNESCO Welterbe. Der Eintrag in die Welterbeliste verleiht dem Schutzgedanken zusätzliches Gewicht im Vergleich zu den nationalen und kantonalen Schutzbestimmungen. Literatur: «Welt der Alpen Erbe der Welt». Beiträge von 17 Fachleuten vermitteln eine Gesamtschau des Gebiets. Erschienen im April 2007 als Jahrbuch der Geographischen Gesellschaft Bern im Verlag Haupt Bern. Herausgeberteam: A. Wallner, E. Bäschlin, M. Grosjean, T. Labhart, U. Schüpbach, U. Wiesmann. ISBN 978-3-258-07160-2. Zu den Welterbestätten generell: Welterbe-Manual Handbuch zur Umsetzung der Welterbekonvention in Deutschland, Luxemburg, Österreich und der Schweiz, herausgegeben von der Deutschen Unesco-Kommission. 2., erweiterte Auflage, Bonn, Deutsche Unesco-Kommission, 2009. ISBN 978-3-940785-05-3, gratis erhältlich bei der Schweizerischen UNESCO-Kommission, info@unesco.ch. Mehr Dokumentation über das Welterbe Schweizer Alpen Jungfrau- Aletsch findet man im Internet unter www.jungfraualetsch.ch. Dort können auch zusätzliche Informationsunterlagen bestellt werden. Informationen sind auch im Managementzentrum des Welterbes in Naters sowie an den verschiedenen Portalstandorten verfügbar.
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