Diese Pilotstudie zeigt, dass Rhythmik / Musik- und Bewegungspädagogik die Multiplen Intelligenzen sichtbar werden lässt. Vorwort: Die Idee, Rhythmikstunden als Demonstration kindlicher Begabungen zu nutzen, entstand durch die vielen positiven Rückmeldungen von KlassenlehrerInnen, nachdem sie ihre eigene Klasse im Rahmen des Bewegten Lernens beobachteten. Sie waren durchwegs begeistert und überrascht, so schnell und eindeutig die Anlagen ihrer SchülerInnen zu sehen bzw. wieder-zuerkennen. Für mich als Rhythmikerin mit mehr als zwanzig Jahren Berufserfahrung war das nichts Neues. Faszinierend ist es allerdings immer wieder, aufzuzeigen, was Rhythmik leisten kann. Mit meinem Buch: Vielfältig ist der Mensch Rhythmik auch! wurde der Versuch unternommen menschliche Vielfalt sichtbar und messbar zu machen. Die Zielsetzung war auch, mit Hilfe von Rhythmik die Multiplen Intelligenzen nach Gardner sichtbar werden zu lassen. Dies geschah in der Absicht, es Lehrpersonen zu ermöglichen, genaue Angaben über die Begabungen ihrer Schüler machen zu können und was für ein gedeihliches Klassen- und Lernklima noch viel wichtiger erscheint die Einsicht zu gewinnen, dass jedes Kind seine Stärken hat und lernfähig ist, wenn es diese Stärken benützen darf. Der Aufbau und Ablauf Pilotstudie war folgendermaßen strukturiert: Die Organisation Das Projekt fand an der Volksschule Langenzersdorf in Niederösterreich statt. Langenzersdorf ist ein Ort im Norden von Wien und hat zirka 8600 Einwohner. Damals und heute besuchen rund 300 Kinder diese Schule. Das Interesse der Eltern für die Wahl der richtigen weiterführenden Schule in Wien oder in Niederösterreich ist groß. Deshalb entschloss ich mich, je einen Buben und ein Mädchen aus einer zweiten und einer vierten Klasse zur Beweisführung auszuwählen. Alle Kinder hatten Deutsch als Muttersprache. Aus folgenden Gründen wurde diese Auswahl getroffen. Kinder der 2. Klasse haben sich schon in den Schulalltag eingelebt. Sie kennen ihren Lehrer, ihre Lehrerin gut und können mit neuen Situationen, wie z.b. einer fremden Person und einem neuen Angebot gut umgehen. Andererseits kennt auch der/die 1
PädagogIn seine/ihre Kinder schon gut und wird deren Anlagen besser beschreiben können als noch im ersten Schuljahr. Viele PädagogInnen vertreten außerdem die Auffassung, dass es erst in der zweiten Klasse sinnvoll ist, etwaigen auftretenden Teilleistungsstörungen und/oder Legasthenie effizient entgegen zu wirken, da die Kinder in der ersten Klasse noch zu sehr mit der Eingewöhnung beschäftigt sind. Demnach kann die Lehrkraft für die noch verbleibenden zwei Jahre in der Grundschule aufschlussreiche Einblicke in das Potential ihrer Schützlinge gewinnen. In einer 4. Klasse steht der Schulwechsel vor der Tür, und viele Eltern wollen eine optimale Beratung für die kommende Entscheidung. Sie können ihre Kinder sicherlich einschätzen, doch sind viele für eine ergänzende Meinung einer Fachfrau, eines Fachmannes dankbar. Die TeilnehmerInnen der Pilotstudie haben unterschiedlich viele Geschwister und jeweils einen intakten Familienverband. Der Nachname, die berufliche Situation der Eltern, das Alter der Eltern oder Geschwister, die geschwisterliche Reihenfolge oder andere Bedingungen (Freizeitgestaltung, zusätzliche Förderungen, Hobbys u. ä.) erschienen für die Erhebung nicht relevant. Die Durchführung Im Laufe des Frühjahres 2005 wurden in den jeweiligen Klassen vier Rhythmikstunden gehalten. 1 Im Durchschnitt nahmen 27 Kinder daran teil. Die Stunden hatten die Dauer einer Unterrichtseinheit, also 50 Minuten und wurden vielfältig angelegt, damit die Kinder ihre Fähigkeiten in möglichst vielen Bereichen unter Beweis stellen können. Die angestrebte Verfeinerung der Aussagen bezüglich der Einstufungen wurde erreicht, bzw. waren die 3. und 4. Rhythmiksequenz auf die, in der 1. und 2. Sequenz noch nicht so deutlich sichtbar gewordenen Förderbereiche hin konzipiert. Mit anderen Worten, die Stärken und Schwächen der Kinder waren bereits nach zwei Stunden erkennbar und wurden durch zwei weitere Stunden bestätigt. Eine schulinterne Kollegin oder die Klassenlehrerinnen haben die Rhythmikstunden gefilmt, da die Autorin als Leiterin der Einheiten auf das gesamte Geschehen während der Stunde zu achten hatte. Erst anschließend wurden die ausgewählten Kinder anhand der Videoaufzeichnungen von mir genauer beobachtet. Die Stunden Insgesamt wurden je vier Stunden für die zweiten und vierten Klassen zur gleichen Thematik abgehalten. 1 Ursprünglich waren nur 2 Stunden vorgesehen, doch nach eingehender Beobachtung der Kinder waren die Aussagen zu spekulativ. Eine seriöse Meinungsbildung war nicht möglich. So entschloss sich sie Autorin, zwei weitere Rhythmikeinheiten zu halten. 2
Die Stunden unterschieden sich aufgrund des unterschiedlichen Alters der Kinder in Dauer und Schwierigkeitsgrad der einzelnen Aufgaben. Teilweise wurde die Abfolge der Übungen verändert. Auch endete nicht jede Einheit gleich, da die jeweilige Entwicklungsstufe der Kinder einen anderen Abschluss sinnvoll erscheinen ließ. Forschungsmethoden, Auswertung und Ergebnisse Vor dem Beginn der Untersuchung erhielten sowohl die Eltern als auch die Klassenlehrerinnen einen von der Autorin ausgearbeiteten Fragebogen, den sie nach Erhalt ausfüllten und verschlossen retournierten. Die Autorin bediente sich strukturierter Beobachtung anhand von Videoanalysen. Die Auswertung erfolgte durch ein Fünf Punkte System. Von trifft völlig (5 Punkte) bis trifft überhaupt nicht zu (1 Punkt). Es konnten natürlich auch Mittelwerte vergeben werden. Die Eltern und Lehrerinnen gaben zu jeder Frage ihre Bewertung ab. Zu jeder Intelligenz passten sechs Fragen. Daraus ergab sich pro Bereich ein möglicher zu erreichender Höchststand von 30 bzw. ein Tiefststand von sechs Punkten. Folgende Formel wurde zur Auswertung angewandt: eindeutige Stärke durchschnittlich möglicher Förderbedarf 30 > 24 < 18 > 12 < 6 Die sich ergebenden Summen wurden durch die Fragenanzahl (6) wieder geteilt. Das Resultat war eine Zahl (auch Dezimalzahl) von 1 5, die auf einer Grafik eingetragen wurde. Die Meinung der Eltern und Lehrerinnen konnte so mit meiner Einschätzung der Kinder anschaulich verglichen werden. Die Werte der Autorin richteten sich ebenfalls nach der fünfstelligen Skala, wobei versucht wurde die Qualität der kindlichen Handlungen mit dieser Punktevergabe sichtbar und damit vergleichbar zu machen. Als Beobachtungskriterien galten die mittels Video beobachteten Ausführungen der jeweiligen Aufgaben und das Verhalten während der jeweiligen Stunde (Wortmeldungen, Interesse, Aufmerksamkeit, Kreativität oder eben Desinteresse, Aussteigen u. ä.). Jeder Wert wurde pro Bereich demnach 4x notiert, zusammengezählt und wieder durch vier geteilt. Daraus ergaben sich ebenfalls Werte von 1 bis 5, die dem Durchschnitt meiner Beobachtungen auf den Gebieten der acht Intelligenzen entsprachen. Im Interesse der Objektivität dieser Pilotstudie wurden die Fragebogen der Eltern und Lehrkräfte erst ausgewertet, nachdem sich die Autorin über die Qualität der Intelligenzen der Kinder ein Bild gemacht hatte. 3
Folgende 2 Grafiken zeigen beispielhaft die Ergebnisse der ausgewerteten Meinungen: P2 männlich (2. Klasse) 5,00 4,50 4,00 3,50 3,00 2,50 2,00 1,50 1,00 0,50 0,00 Sprachlich Logisch - Mathematisch Räumlich Musikalisch Körperlich Naturalistisch Eltern Lehrerin Autorin P3 weiblich (4.Klasse) 5,00 4,50 4,00 3,50 3,00 2,50 2,00 1,50 1,00 0,50 0,00 Sprachlich Logisch - Mathematisch Räumlich Musikalisch Körperlich Naturalistisch Eltern Lehrerin Autorin Interpersonal Intrapersonal Interpersonal Intrapersonal 4
Durch den Vergleich aller Grafiken konnte Folgendes festgehalten werden. Die Einschätzungen der Lehrerinnen sind tendenziell höher als die der Eltern und der Autorin. Im räumlichen und im musikalischen Bereich stimmen alle Bewertungen am meisten überein. Die Lehrerinnen sehen tendenziell mehr Potential auf sprachlicher Ebene und auf dem interpersonalen Bereich. Die Grafiken ergeben größtenteils kein homogenes Bild. Auch ist kein Muster erkennbar. Es stellt sich die Frage, ob eine groß angelegte Studie aussagekräftiger wäre. Resumée und Erfolg der Studie Die subjektive Bewertung des Betrachters (der Autorin) in Zahlen ausdrücken zu wollen, ist im Hinblick auf die Verwertbarkeit für die grafische Darstellung effektiv, auch wenn sie in Hinblick auf den hohen Individualisierungsgrad vielleicht bedenklich erscheint. Die Aussagekraft der Grafiken hatte hier Vorrang. Die persönliche Interpretation aller Beteiligten wurde veranschaulicht, dieses Bestreben ist demnach gelungen. Denkbar ist, dass das Bewusstsein, gefilmt zu werden, das Verhalten beeinflusst hat. Für die Auswertung der Studie waren die Aufnahmen jedoch notwendig. Ein persönlicher Erfolg der Studie ist, dass die Kinder der ersten Klassen der Volksschule Langenzersdorf nun seit fünf Jahren regelmäßig Rhythmik unter Anleitung der Autorin erleben. Die Unterrichtsstunde wird zu gleichen Teilen als Sachunterrichts- und Musikstunde aus dem Stundenpool entnommen, damit sie vormittags im Regelunterricht stattfinden kann. Die Kinder bewegen sich in einem Mehrzweckraum mit ausreichendem Platzangebot. Das Honorar trägt die Gemeinde. Aufgrund der Erfahrung kann nun bestätigt werden, dass bereits innerhalb weniger Stunden die Kinder ihre Stärken zeigen und somit zur Bestimmung des besten Lernweges den wesentlichen Beitrag durch ihr Handeln selbst leisten. Natürlich wird im Zuge dessen auch deutlich, wer Defizite hat. Dazu Ingrid Schäfer in ihrer Arbeit Graphomotik für Grundschüler. im Umgang mit räumlichen Gegebenheiten (Begrenzungen spüren, Raumschemata erfahren) im Umgang mit Objekten (erkundendes, eroberndes Handhaben) vollzieht sich grundlegend und aufbauend der Schreib-Lernprozess. Werden Sozial-, Körper-, Raum-, Objekterfahrungen als Basis betrachtet, gilt es auf diesen Ebenen, festigend anzusetzen...indem mit den Stärken der Kinder gearbeitet und ihren individuellen Fähigkeiten entsprochen wird (Ingrid Schäfer, S. 14, Dortmund 2002) 5
Diese Tatsache erkennen die klassenführenden LehrerInnen natürlich sehr schnell. Dadurch ist die Zusammenarbeit für beide Seiten ausgesprochen bereichernd, die Motivation neue Wege des Lernens zu beschreiten groß. Entgegen der ursprüngliche Annahme, dass optimale Förderung erst ab dem 2. Schuljahr sinnvoll ist, kann heute festgestellt werden, dass das Erkennen des individuellen Lernweges nicht früh genug stattfinden kann. Schlussfolgerungen und Konsequenzen Viele Kinder und Jugendliche stecken beim Lernen in einer Sackgasse. Sie versuchen mit Methoden zu arbeiten, die zwar bei anderen Menschen gut funktionieren, aber bei ihnen selbst nicht. Das ist für die Betroffenen frustrierend, häufig unverständlich und aus der Sicht der Eltern, LehrerInnen und anderer Personen ihrer Umgebung ebenso. Mit jedem Mal, bei dem sie sich vergeblich bemühen die Dinge doch zu verstehen, nimmt der Glaube an die eigenen Fähigkeiten immer mehr ab. Für diese SchülerInnen kann es der Schlüssel zum erfolgreichen Lernen sein zu erfahren, wie sie mit ihren Stärken arbeiten können, bzw. wie LehrerInnen und Eltern dieses Bestreben unterstützen können. Das Erkennen der Stärken und Schwächen kann eine Lern-Strategie sein: Mit seinen starken Seiten schwächere ausgleichen! Tomatis bezeichnet das Ohr als Weg zum Schulerfolg. (Auch eine Parallelität zur Rhythmik, da durch den Einsatz der Stimme, das Modulieren von Lauten und Silben, Integrationsmechanismen gebildet werden.) Rhythmiker und Befürworter von Gardners Theorien wissen: Wenn es über einen Wahrnehmungskanal nicht gut läuft, muss eben ein anderer zur Vermittlung herangezogen werden. Glücklicherweise hat der Mensch viele Möglichkeiten, er ist vielseitig. Vielleicht wird die Vorstellung, dass es den Begriff Teilleistungsstörung in Zukunft gar nicht mehr gibt Wirklichkeit. Denn wenn es idealistisch gesehen völlig normal erscheint, dass Menschen von vielen Seiten also vielseitig Wissen erwerben können, so mutet die Bezeichnung Leistungs-Störung unpassend an, da es im Zugang zum Lernstoff keine Hindernisse mehr gibt. Wichtig ist, dass Erziehende die Vielfalt der Schüler erkennen und wertschätzend damit umgehen, und dass Schüler und Eltern wissen, welcher Lerntyp das Kind ist. Diese Lerntypen bzw. Lernprofile mit Hilfe von Rhythmik herauszufinden, war Ziel dieser Untersuchung. Die gezielte tiefgehende Beobachtung einiger weniger Kinder in der Gruppe zeigte, welche Möglichkeiten der Rhythmisch-musikalische Zugang in Hinblick auf Erkennung und Förderung von Begabungen bietet. Repräsentativität im Sinne der Quantität war nicht im Interesse der Autorin, weil sie den Fokus vom Individuum und seiner Entwicklung hin zu anderen Fragestellungen verschoben hätte. Die wesentlichen Erkenntnisse wären dadurch verschleiert worden. 6