Betrieb von Kreuzungen mit Rechtsvortritt

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R 9917 Betrieb von Kreuzungen mit Rechtsvortritt Patrick Eberling Gianantonio Scaramuzza Bern 1999

Impressum Herausgeber: Schweizerische Beratungsstelle für Unfallverhütung bfu Postfach 836 CH-3001 Bern Autoren: Patrick Eberling, dipl. Ing. ETH, Abteilung Verkehrstechnik, bfu Gianantonio Scaramuzza, dipl. Ing. ETH, Abteilung Verkehrstechnik, bfu Mitarbeit: Vito Anselmetti, Tiefbauzeichner, Abteilung Verkehrstechnik, bfu Markus Hubacher, lic. phil., Abteilung Forschung Mensch, bfu Christian A. Huber, dipl. Ing. ETH, Leiter Abteilung Verkehrstechnik, bfu Karen Schmid, dipl. Ing. HTL, Abteilung Verkehrstechnik, bfu Redaktion: Jörg Thoma, dipl. Ing. TH, Leiter Bereich Technik, bfu Druck: Lang Druck AG Sägemattstrasse 11 CH-3097 Liebefeld /0/500 Résumé en français cf. chap. VII.. Al cap. VII.3. si trova un riassunto in italiano. An abstract in English will be found under Section VII.4. Bei allen Formulierungen dieser Pilotstudie sind auch die weiblichen Personen miteingeschlossen. Um die Lesbarkeit zu vereinfachen, haben wir auf die zusätzliche Nennung verzichtet. bfu Alle Rechte vorbehalten; die auszugsweise oder vollständige Vervielfältigung oder Kopie (Fotokopie, Mikrokopie) des Berichts darf nur mit Genehmigung und Angabe des Herausgebers erfolgen.

Inhalt Inhalt I. AUSGANGSLAGE UND ZIELE 1 II. NORMEN, LITERATUR 1. Normen. Literatur 3. Fazit 4 III. BEGRIFFE 5 IV. UNTERSUCHUNGSANSÄTZE 8 1. Einleitung 8. Unfallgeschehen in der Schweiz an Knoten mit Rechtsvortritt und an übrigen Knoten 8.1 Ausgangslage und Ziel 8. Methode 9.3 Resultate und Interpretation 10.3.1 Verteilung der Unfälle nach Wochentagen 10.3. Verteilung der Unfälle nach Uhrzeit 10.3.3 Verteilung der Unfälle nach Lichtverhältnissen 1.3.4 Verteilung der Unfälle nach Witterung 13.3.5 Verteilung der Unfälle nach Strassenzustand 13.3.6 Verteilung der Unfälle nach Strassenart 14.3.7 Verteilung der Unfälle nach beteiligten Fahrzeugen 15.3.8 Verteilung der Unfälle nach Unfallfolgen 16.3.9 Verteilung der Unfälle nach Alter der Lenker 17.3.10 Verteilung der Unfälle nach Geschlecht der Lenker 19.4 Fazit 19 3. Untersuchung von ausgewählten Knoten mit Rechtsvortritt 0 3.1 Ausgangslage und Ziel 0 3. Datenerhebung 0 3.3 Generelle Auswertung 1 3.3.1 Methode 1 3.3. Resultate 1 3.3.3 Interpretation 4 3.4 Vergleich der Anlagemerkmale unfallbelasteter und unfallfreier Kreuzungen 5 3.4.1 Methode 5 3.4. Resultate 5 3.4.3 Interpretation 6 3.5 Fazit 7

Inhalt 4. Fahrphysikalischer Ansatz 8 4.1. Einleitung 8 4. Methode 8 4.3 Resultate 30 4.4 Interpretation 30 4.5 Fazit 31 V. FOLGERUNGEN 3 VI. AUSBLICK / WEITERES VORGEHEN 34 VII. ZUSAMMENFASSUNG / RESUME / RIASSUNTO / ABSTRACT 35 1. Betrieb von Kreuzungen mit Rechtsvortritt 35 1.1 Ausgangslage 35 1. Vorgehen 35 1.3 Resultate 36 1.4 Empfehlung 37. L'exploitation des croisements routiers régis par la priorité de droite 38.1 Situation initiale 38. Approche 38.3 Résultats 39.4 Recommandation 40 3. Esercizio di incroci con precedenza da destra 41 3.1 Situazione di partenza 41 3. Approccio 41 3.3 Risultati 41 3.4 Raccomandazioni 43 4. Arrangement of Junctions with Priority from the Right 44 4.1 Initial situation 44 4. Procedure 44 4.3 Results 45 4.4 Recommendation 46 VIII. ANHANG 47 1. Liste der untersuchten Kreuzungen in der Stadt Bern 47. Berechnung des Modells im fahrphysikalischen Ansatz 48 Literatur 51

Ausgangslage und Ziele 1 I. AUSGANGSLAGE UND ZIELE Sichtweiten in Knoten wurden bis Ende 199 in der Norm der Vereinigung Schweizerischer Strassenfachleute (VSS) 640'69a "Knoten, Sichtverhältnisse" geregelt. Die Werte wurden in Abhängigkeit des Knotenbetriebes mit oder ohne Stopsignalisation festgelegt. Die neue VSS-Norm 640'73 "Knoten, Sichtverhältnisse" unterscheidet bei der Festlegung der notwendigen Sichtweiten nicht mehr zwischen den Betriebszuständen "Stop" und "kein Vortritt". Die Sichtweiten für Knoten mit Rechtsvortritt werden hingegen separat behandelt, wobei die angegebenen Werte für die notwendigen Sichtweiten in der Praxis als sehr niedrig empfunden werden. Dies führt bei den zuständigen Fachleuten immer wieder zu Diskussionen, weil der Eindruck entsteht, diese Sichtweiten seien ungenügend im Verhältnis zu den reell gefahrenen Geschwindigkeiten. Da die bfu in ihrer Beratungstätigkeit immer wieder mit dem Problem der Sichtweiten und der Missachtung des Rechtsvortrittes konfrontiert wird, hat sie sich zur Durchführung der vorliegenden Pilotstudie entschlossen. Ziel dieser Studie war es somit, die Tragweite des Problems zu definieren, die Normwerte der VSS-Norm in einer ersten Annäherung zu überprüfen und einen Anstoss zu geben, bessere Forschungsgrundlagen zur Festlegung eines sicheren Betriebes für Knoten mit Rechtsvortritt zu erarbeiten.

Normen, Literatur II. NORMEN, LITERATUR 1. Normen Die Norm der Vereinigung Schweizerischer Strassenfachleute (VSS) SN 40'73 geht bei der Festlegung der Sichtweiten bei Knoten mit Rechtsvortritt von folgenden Annahmen aus: "Bei der Vortrittsregelung Rechtsvortritt... kann davon ausgegangen werden, dass Fahrzeuglenker ihre Geschwindigkeit in den Knotenzufahrten soweit anpassen, dass sie vor der Konfliktstelle nötigenfalls anhalten können." Im Weiteren werden folgende Bedingungen daran geknüpft: Der Knoten muss als solcher erkennbar sein. Die kreuzenden Strassen müssen annähernd gleiche und geringe Verkehrsbelastungen aufweisen. Die Querschnittsgestaltung der Strassen muss ähnlich sein. Die Strassen müssen im Gegenverkehr betrieben werden. Die Sichtweiten müssen aus Sicherheitsgründen in beide Richtungen gleich sein. Die konkreten Werte für die Sichtweiten werden in Abhängigkeit der signalisierten resp. möglichen Höchstgeschwindigkeiten in Knoten festgelegt. Sie betragen bei Geschwindigkeiten bis 80 km/h 0 m, bis 50 km/h 15 m und bei 0 bis 30 km/h 10 m und werden von einem Punkt.50 m hinter der ideellen Wartelinie aus in beide Richtungen gemessen.. Literatur Der Grossteil der Literatur zum Thema "Sicht in Knoten" behandelt Einmündungen und Kreuzungen, bei denen die Vortrittsverhältnisse entweder durch Stopsignalisation oder "kein Vortritt" geregelt sind. Beispiele dafür sind die Papiere des AARGAUISCHEN BAUDEPARTEMENTES "Sichtzonen" (1988), von WEBER & RAEMY "Sicht bedeutet Sicherheit" (1993) und der AR- BEITSGRUPPE STRASSENENTWURF "Empfehlungen für die Anlage von Hauptverkehrsstrassen" (1993). Diese können also nicht zur Klärung der vorliegenden Problematik herangezogen werden. Interessant ist jedoch der Ansatz von JORDAN & MORGAN (1990), welcher die Notwendigkeit einer Signalisation ("Stop" oder "kein Vortritt") von der auf Grund der Sichtweite berechneten höchsten zulässigen Annäherungsgeschwindigkeit abhängig macht. Schliesslich sei auf den Forschungsauftrag 7/88 des damaligen Schweizerischen Bundesamtes für Strassenbau

Normen, Literatur 3 "Sichtweite und Verkehrssicherheit in Knoten" hingewiesen, der als Grundlage für die VSS-Norm 40'73 diente, aber den Fall "Rechtsvortritt" ebenfalls nicht behandelt. Studien, die sich mit dem Betrieb von Knoten mit Rechtsvortritt befassen, weisen oft auf Probleme mit dieser Regelung hin resp. knüpfen deren Anwendung an klare Bedingungen. So kommen beispielsweise KOCKELKE & STEINBRECHER (1984) auf Grund von Fahrverhaltensbeobachtungen von 30 zufällig ausgewählten Versuchspersonen zum Schluss, dass Kreuzungen mit Rechtsvortritt ein gewisses Mass an Wahrnehmbarkeit und Übersichtlichkeit aufweisen müssen, und dass die verknüpften Strassen von der Gestaltung und Bedeutung her ähnlich sein sollten. Auf Grund der gemessenen Geschwindigkeiten in den Knotenpunkten wird keine geschwindigkeitsdämpfende Wirkung dieser Massnahme nachgewiesen. 1991 untersuchte wiederum KOCKELKE das Fahrverhalten bei Kreuzungen mit Rechtsvortritt, indem er Fahrtverläufe von 500 Fahrzeugen in Tempo- 30-Zonen an Knotenpunkten erhob. Seine Ergebnisse zeigen klar, dass das Fahrverhalten in der Praxis überwiegend nicht mit den Zielvorstellungen übereinstimmt. So wurde bei Knoten mit Aufpflasterungen eine Geschwindigkeit von durchschnittlich 4 km/h und bei Knoten ohne Massnahmen eine solche von 37 km/h nachgewiesen. Auch in dieser Untersuchung konnte bei gut erkennbaren Kreuzungen nur eine massvolle Geschwindigkeitsreduktion festgestellt werden, wogegen bei kleineren Einmündungen mit unveränderter Geschwindigkeit durchgefahren wurde. Ähnliche Ergebnisse konnte KULMALA (1991) in einer Untersuchung in Schweden nachweisen. Die Erfassung von rund '400 Lenkern an drei verschiedenen Kreuzungen führte zum Schluss, dass an Kreuzungen, in denen der eine Verkehrsstrom auf Grund der Gestaltung sich im Vortritt wähnte (psychologischer Vortritt), mit höheren Geschwindigkeiten desselben zu rechnen ist. Je höher jedoch die Verkehrsmenge des querenden Stromes, desto geringer sind wiederum die Geschwindigkeiten. Deshalb fordert er die Einführung der offiziellen Vortrittsregelung bei Kreuzungen, an denen der Vortritt bereits psychologisch geregelt ist. Diese Massnahme erhöhe zwar die Geschwindigkeit des vortrittsberechtigten Stromes, senke jedoch gleichzeitig das Unfallrisiko. HARWOOD, MASON, BRYDIA, PIETRUCHA und GITTINGS untersuchten 1996 die verschiedenen Grundlagen, die in den Vereinigten Staaten zur Festlegung der Sichtweiten an Kreuzungen angewendet werden. Es wird unterschieden zwischen der Anhaltesichtweite auf ein Objekt auf der Konfliktfläche und der Sichtweite auf bewegte Objekte seitlich der Konfliktfläche (Intersection Sight Distance, ISD). Dabei wird betont, dass die Festlegung resp. die Berechnung für den zweiten Fall bedeutend komplexer ist, da sie massgeblich von den Entscheiden der beiden auf die Kreuzung zufahrenden Lenkern abhängt. Da mit Fehlentscheiden zu rechnen ist, kann auch mit einer auf Grund von Modellen korrekt berechneten ISD die Kollisionsgefahr nicht gänzlich gebannt werden. Wird davon ausgegangen, dass Lenker gegebenenfalls anhalten können, so ergeben sich bedeutend

4 Normen, Literatur grössere Werte als in der VSS-Norm angegeben. Auch in diesem Papier wird immer wieder auf die Wichtigkeit der Wahrnehmbarkeit von Kreuzungen mit Rechtsvortritt hingewiesen. 3. Fazit Der Vergleich der in der Literatur gefundenen Kriterien für den Betrieb von Knoten mit Rechtsvortritt und denjenigen der VSS-Norm zeigen einerseits Gemeinsamkeiten (Wahrnehmbarkeit der Knoten, gleichmässige Verkehrsbelastung der Äste, gleichmässige Gestaltung der Äste). Andererseits sind aber auch einige wesentliche Unterschiede festzustellen. Die VSS-Norm empfiehlt bei den Sichtweiten viel geringere Werte als beispielsweise HARWOOD et al. Im Weiteren ist die Annahme, dass die Geschwindigkeit in Annäherung an die Konfliktfläche derart angepasst wird, dass im Notfall immer angehalten werden kann, unrealistisch. Dies zeigen die Geschwindigkeitsmessungen von KOCKELKE (1991) an derartigen Knoten. Da die VSS-Norm die Sichtweiten.50 m hinter der ideellen Wartelinie festlegt, wird mit Geschwindigkeiten von weit unter 10 km/h gerechnet, was nicht der Praxis entspricht. Aus diesen Befunden kann gefolgert werden, dass es notwendig ist, das Problem genauer zu analysieren, um in Kombination mit den in der Literatur berichteten Resultaten einen der Sicherheit besser Rechnung tragenden Vorschlag für die Festlegung der Sichtweiten in den VSS-Normen machen zu können. Die vorliegende Pilotstudie soll dazu erste Anhaltspunkte liefern.

Begriffe 5 III. BEGRIFFE Knoten Oberbegriff für alle Typen von Verzweigungen bestehend aus drei oder mehreren Knotenzufahrten Knoten mit Rechtsvortritt Knoten, die im Rechtsvortritt geregelt sind Vortrittsgeregelte Knoten Alle Knoten, abzüglich der Knoten, die im Rechtsvortritt geregelt sind Kreuzung Vierarmiger Knoten Einmündung Dreiarmiger Knoten, T-förmig ausgebildet Knotenzufahrt Letztes Strassenstück vor einem Knoten Astkombination Zusammentreffen zweier im Rechtsvortritt betriebenen Knotenzufahrten Abbildung 1: Astkombinationen vortrittsbelastete Zufahrt vortrittsberechtigte Zufahrt

6 Begriffe Kreuzungsbereich Fläche möglicher Konflikte zwischen Fahrzeugen, die den Knoten befahren Abbildung : Kreuzungsbereich Beobachtungsdistanz Abstand zwischen der Position des Lenkers und dem nächstliegenden Rand des Kreuzungsbereiches Unfälle an Knoten mit Rechtsvortritt Polizeilich registrierte Unfälle an Knoten, die mit Rechtsvortritt betrieben sind Unfälle an übrigen Knoten (vortrittsgeregelte Knoten) Polizeilich registrierte Unfälle an allen übrigen Knoten (d.h. Unfälle an allen Knoten abzüglich der Unfälle an Knoten mit Rechtsvortritt) Unfalltyp Nr. 63 Einbiegen nach links mit querendem Fahrzeug (je nach Seite vortrittsberechtigt oder nicht) Unfalltyp Nr. 66: Einbiegen nach rechts mit querendem Fahrzeug (je nach Seite vortrittsberechtigt oder nicht) Unfalltyp Nr. 71: Kollision mit querendem Fahrzeug v 85% Geschwindigkeit, die von 85 % der Fahrzeuge nicht überschritten wird Unfallschwere Anzahl Verunfallte pro 100 Unfälle Verunfallte Summe aus Verletzten und Getöteten Wahrnehmbarkeit Subjektiv eingestufte Sichtbarkeit und Erkennbarkeit eines Knotens

Begriffe 7 Sichtweite Abstand zwischen der Fahrstreifenachse des vortrittsbelasteten Fahrzeugs und der Front des vortrittsberechtigten Fahrzeugs Abbildung 3: Sichtweite A B A: Sichtweite B: Beobachtungsdistanz

8 Untersuchungsansätze IV. UNTERSUCHUNGSANSÄTZE 1. Einleitung Die Untersuchung besteht aus drei verschiedenen Ansätzen: Untersuchung des Unfallgeschehens in der Schweiz an Knoten mit Rechtsvortritt und an übrigen Knoten Untersuchung von ausgewählten Knoten mit Rechtsvortritt fahrphysikalischer Ansatz Zur besseren Lesbarkeit der Studie wurden Methode, Resultate, Interpretationen und Fazit je Ansatz abgehandelt.. Unfallgeschehen in der Schweiz an Knoten mit Rechtsvortritt und an übrigen Knoten.1 Ausgangslage und Ziel Die Unfalldatenbank des Bundesamtes für Statistik (BFS), die auf den von der Polizei ausgefüllten Unfallaufnahmeprotokollen basiert, erlaubt es, Unfallmerkmale aller Unfälle in der Schweiz nach ihren Ausprägungen auszuwerten. Ziel dieser Auswertung ist es, auf Grund der Ausprägungen der Merkmale von Unfällen an Knoten mit Rechtsvortritt bauliche oder betriebliche Verbesserungen bei diesen Knotentypen abzuleiten. Für die vorliegende Auswertung wurden die Daten aus dem Jahre 1997 verwendet. Der Vorteil dieser Unfallzahlen besteht darin, dass dank der grossen zur Verfügung stehenden Zahlenmenge statistische Zufälligkeiten minimal sind. Nachteilig ist, dass diese Daten keine Lokalisierung der Unfälle ermöglichen. Es sind also keine Aussagen möglich bezüglich Gestaltung derjenigen Knoten, an denen die Unfälle zu verzeichnen waren. Zudem müssen diese Zahlen mit der Exposition, also mit den Verkehrsmengen, relativiert werden. Aus höheren Unfallzahlen kann somit nicht à priori auf ein erhöhtes Risiko geschlossen werden. Expositionsdaten für diese Verkehrssituationen konnten nicht eruiert werden.

Untersuchungsansätze 9. Methode Es werden die Merkmale der vorliegenden Unfalldaten der Kreuzungen mit Rechtsvortritt mit den Merkmalen des Unfallgeschehens an vortrittsgeregelten Kreuzungen verglichen. Dabei wird geprüft, ob sich die Ausprägungen der Merkmale von Unfällen an Knoten mit Rechtsvortritt von den Ausprägungen der Merkmale an vortrittsgeregelten Knoten unterscheiden. Nicht alle Unfälle an Knoten mit Rechtsvortritt sind auf Missachtung des Rechtsvortrittes zurückzuführen. Es sei beispielsweise an Unfälle von geradeausfahrendem mit linksabbiegendem, entgegenkommendem Verkehr erinnert. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung interessieren jedoch nur diejenigen Unfälle, die aus Missachtung des Rechtsvortritts resultieren. Von den Unfällen, die an Knoten mit Rechtsvortritt geschahen, wurden deshalb nur die Unfalltypen Nr. 63, Nr. 66 und Nr. 71 (siehe "Begriffe") für die Auswertung berücksichtigt. Die Unfallzahl an den übrigen Knoten ergibt sich aus der Summe der Unfälle an Kreuzungen und Einmündungen. Ziel ist es, abzuleiten, ob Unterschiede der Merkmale der Unfälle an Knoten mit Rechtsvortritt und der Merkmale an den übrigen Knoten bestehen. Im Detail werden folgende Unfallmerkmale und ihre Ausprägungen ausgewertet: Tabelle 1 : Unfallmerkmale und ihre Ausprägungen Merkmal Wochentag Uhrzeit Lichtverhältnisse Witterung Strassenzustand Strassenart Unfalltyp Beteiligte Fahrzeuge Folgen mögliche Ausprägung Sonntag bis Samstag 0 4 Uhr (stundenweise und separat kategorisiert nach Nachtverkehr, Spitzenzeitverkehr, Zwischenzeitverkehr) Tag, Dämmerung, Nacht, unbekannt keine Niederschläge, Regen, Schnee, andere trocken, feucht, nass, verschneit, vereist, pflotschig, andere Autostrasse, Hauptstrasse, Nebenstrasse, andere Unfalltypen nach BFS Personenwagen, Lastwagen, Velo, motorisierte Zweiräder, Übrige Verletzte, Getötete Alter der Lenker 0 17, 18 4, 5 34, 35 44, 45 64, 65+ Geschlecht der Lenker männlich, weiblich, unbekannt

10 Untersuchungsansätze.3 Resultate und Interpretation.3.1 Verteilung der Unfälle nach Wochentagen Resultat: Der Vergleich der Unfallmerkmale an Kreuzungen mit Rechtsvortritt mit den Unfallmerkmalen an den übrigen Knoten zeigt keine augenfälligen Unterschiede. Tabelle : Verteilung der Unfälle nach Wochentagen Wochentag Unfälle Knoten mit Rechtsvortritt Unfall-Typen 63/66/71 Übrige Knoten Alle Unfälle Anzahl Prozent Anzahl Prozent Sonntag 147 10 1'783 10 Montag 15 14 '669 14 Dienstag 30 15 '761 15 Mittwoch 50 17 '887 16 Donnerstag 08 14 '718 15 Freitag 50 17 3'19 17 Samstag 199 13 '53 14 Total 1'499 100 18'54 100 Interpretation: Dass Unfälle an Knoten mit Rechtsvortritt über die Wochentage nicht anders verteilt sind als Unfälle an übrigen Knoten, überrascht nicht weiter..3. Verteilung der Unfälle nach Uhrzeit Resultat: Die Kategorisierung in einzelne Tagesstunden liefert zu kleine Prozentwerte pro Stunde, so dass keine sinnvollen Vergleiche möglich sind. Hingegen zeigt der Vergleich der Prozentwerte der zusammengefassten Kategorien nach Nachtverkehr, Spitzenzeitverkehr und Zwischenzeitverkehr einige auffälligen Unterschiede. So finden zwischen 0 Uhr und 6 Uhr nur 13 % aller Unfälle an Knoten mit Rechtsvortritt statt, wogegen in diesen Stunden 19 % aller Unfälle an den übrigen

Untersuchungsansätze 11 Tabelle 3: Verteilung der Unfälle nach Uhrzeit Uhrzeit Anzahl Knoten mit Rechtsvortritt Unfall-Typen 63/66/71 Prozent Knoten stattfinden. Entsprechend umgekehrt verhalten sich die Verteilungen während der Tagesstunden. Zusammengef. Prozente Unfälle Anzahl Übrige Knoten Alle Unfälle Prozent 0 1 1 351 1 14 1 15 1 17 1 159 1 3 11 1 13 1 4 9 1 116 1 5 7 0 144 1 Zusammengef. Prozente 6 8 7 487 3 9 7 51 3 897 5 8 74 5 8 718 4 9 9 68 5 753 4 10 78 5 95 5 11 14 8 1'181 6 1 108 7 5 1'179 6 13 119 8 1'77 7 14 14 8 16 1'176 6 13 15 113 8 1'94 7 16 15 8 16 1'530 8 15 17 168 11 '011 11 18 93 6 1'67 7 19 70 5 891 5 0 35 603 3 1 1 47 18 1 43 3 11 1 6 350 10 Total 1'499 100 100 18'54 100 100

1 Untersuchungsansätze Interpretation: Es kann angenommen werden, dass in der Nacht Fahrzeuge, die sich mit eingeschalteter Fahrzeugbeleuchtung seitlich einem Knoten nähern, auf Grund des Lichtkegels besser und früher erkannt werden können. Ob Expositionsphänomene diese Zahlen beeinflussen, kann nicht mit absoluter Sicherheit nachgewiesen werden. Es sprechen jedoch auch keine plausiblen Gründe dafür, denn in der Nacht ist das Verkehrsaufkommen überall geringer, und es gibt keinen Grund zur Annahme, dass es in Knoten mit Rechtsvortritt massiv anders ist..3.3 Verteilung der Unfälle nach Lichtverhältnissen Resultat: Ein erwartungsgemäss ähnliches Bild zeigt die Analyse der Unfallverteilungen nach den Lichtverhältnissen. So finden nur 14 % aller Unfälle an Knoten mit Rechtsvortritt nachts statt, wogegen % aller Unfälle an den übrigen Knoten verzeichnet werden. Entsprechend umgekehrt sind die Verteilungen während der Tagesstunden. Tabelle 4: Verteilung der Unfälle nach Lichtverhältnissen Lichtverhältnisse Unfälle Knoten mit Rechtsvortritt Unfall-Typen 63/66/71 Übrige Knoten Alle Unfälle Anzahl Prozent Anzahl Prozent Tag 1'35 8 13'593 73 Dämmerung 59 4 913 5 Nacht 05 14 3'991 unbekannt 0 0 45 0 Total 1'499 100 18'54 100 Interpretation: Diese Ergebnisse replizieren lediglich diejenigen aus der Analyse der Verteilung nach Uhrzeit. Die Aussage ist praktisch dieselbe.

Untersuchungsansätze 13.3.4 Verteilung der Unfälle nach Witterung Resultat: Die Verteilung der Unfälle nach Witterungsverhältnissen an Knoten mit Rechtsvortritt verhält sich praktisch gleich wie an den übrigen Knoten. Tabelle 5: Verteilung der Unfälle nach Witterung Witterung Unfälle Knoten mit Rechtsvortritt Unfall-Typen 63/66/71 Übrige Knoten Alle Unfälle Anzahl Prozent Anzahl Prozent keine Niederschläge 1'85 86 16'046 87 Regen 05 14 '31 1 Schnee 7 0 119 1 andere 0 65 0 Total 1'499 100 18'54 100 Interpretation: Es ist davon auszugehen, dass das Fahrverhalten bei verschiedenen Witterungen bei Knoten mit Rechtsvortritt gleich ist wie bei den übrigen Knoten..3.5 Verteilung der Unfälle nach Strassenzustand Resultat: Die Verteilung der Unfälle nach Strassenzustand widerspiegelt im Wesentlichen die Verteilung nach Witterungsverhältnissen. Sie verhält sich für beide Knotentypen praktisch gleich.

14 Untersuchungsansätze Tabelle 6: Verteilung der Unfälle nach Strassenzustand Strassenzustand Unfälle Knoten mit Rechtsvortritt Unfall-Typen 63/66/71 Übrige Knoten Alle Unfälle Anzahl Prozent Anzahl Prozent trocken 1'134 76 13'769 74 feucht 84 6 1'340 7 nass 57 17 3'158 17 verschneit 9 1 11 1 vereist 8 1 75 0 pflotschig 7 0 43 0 andere 0 0 45 0 Total 1'499 100 18'54 100 Interpretation: Da die Ausprägungen des Strassenzustandes aus trivialen Gründen mit denjenigen der Witterungsverhältnisse stark korrelieren müssen, ergeben sich ähnliche Resultate, die analog interpretiert werden können..3.6 Verteilung der Unfälle nach Strassenart Resultat: Bei dieser Auswertung werden die Unfälle auf Autobahnen bewusst weggelassen, denn aus trivialen Gründen gibt es auf Autobahnen weder Knoten mit Rechtsvortritt noch andere Knoten à Niveau. Da jedoch 44 Unfälle an Knoten auf Autostrassen registriert wurden, muss diese Kategorie berücksichtigt werden. Sie fällt jedoch prozentual nicht ins Gewicht. Die Verteilungen der Unfälle an Knoten mit Rechtsvortritt und an den übrigen Knoten unterscheiden sich wesentlich. So finden nur 7 % aller Unfälle an Knoten mit Rechtsvortritt auf Hauptstrassen und 9 % auf Nebenstrassen statt. An allen anderen Knoten finden hingegen 56 % aller Unfälle auf Hauptstrassen und 43 % auf Nebenstrassen statt.

Untersuchungsansätze 15 Tabelle 7: Verteilung der Unfälle nach Strassentyp Strassentyp Unfälle Knoten mit Rechtsvortritt Unfall-Typen 63/66/71 Übrige Knoten Alle Unfälle Anzahl Prozent Anzahl Prozent Autostrasse 0 0 44 0 Hauptstrasse 100 7 10'406 56 Nebenstrasse 1'376 9 7'856 43 andere 3 17 1 Total 1'499 100 18'433 100 Interpretation: Das Resultat muss als Folge der Exposition interpretiert werden. In der Praxis wird in den überwiegenden Fällen der Rechtsvortritt bei Verzweigungen von Nebenstrassen und eher selten zur Regelung von Hauptstrassenknoten eingeführt. Als Folge davon finden zwangsläufig Unfälle an Knoten mit Rechtsvortritt mehrheitlich auf Nebenstrassen statt. Inwiefern die Exposition einen Einfluss ausübt, kann wegen der fehlenden Datengrundlage nicht beantwortet werden..3.7 Verteilung der Unfälle nach beteiligten Fahrzeugen Resultat: Der Vergleich der Unfallverteilungen nach beteiligten Fahrzeugen weist keine nennenswerten Unterschiede auf. Tendenziell sind an Unfällen bei Knoten mit Rechtsvortritt mehr Personenwagen beteiligt als bei den Unfällen an den übrigen Knoten. Es sei darauf hingewiesen, dass die Abnahme des Anteils beteiligter Personenwagen zu Lasten einer Zunahme der Kategorie "Übrige" geht.

16 Untersuchungsansätze Tabelle 8: Verteilung der Unfälle nach beteiligten Fahrzeugen Beteiligte Fahrzeuge Unfälle Knoten mit Rechtsvortritt Unfall-Typen 63/66/71 Übrige Knoten Alle Unfälle Anzahl Prozent Anzahl Prozent Übrige 3 1 1'477 4 PW '47 80 7'357 75 LW 1 7 '68 7 Mot. Zweiräder 01 7 '980 8 Velo 167 5 1'845 5 Total 3'039 100 36'341 100 Interpretation: Die angesprochenen Unterschiede sind zu klein, als dass daraus ein gesicherter Schluss gezogen werden könnte..3.8 Verteilung der Unfälle nach Unfallfolgen Resultat: Der Vergleich der Verteilung der Unfallfolgen nach Verletzten und Getöteten ergibt auf Grund der statistisch gesehenen sehr geringen Zahlen (speziell bei den Getöteten) keine gesicherten Aussagen. Hingegen kann für Knoten mit Rechtsvortritt und für die übrigen Knoten zusätzlich die Unfallschwere berechnet werden. Es zeigt sich dabei, dass die Unfallschwere an Knoten mit Rechtsvortritt mit 36 geringer ist als an den übrigen Knoten, wo sie 44 beträgt.

Untersuchungsansätze 17 Tabelle 9: Verteilung der Unfälle nach Unfallfolgen Folgen Verunfallte Knoten mit Rechtsvortritt Unfall-Typen 63/66/71 Übrige Knoten Alle Unfälle Anzahl Prozent Anzahl Prozent Verletzte 535 99 8'5 99 Getötete 3 1 80 1 Total 538 100 8'305 100 Unfälle 1'499 18'831 Verunfallte/100 Unfälle 36 44 Interpretation: Die geringe Unfallschwere an Knoten mit Rechtsvortritt könnte auf geringere Kollisionsgeschwindigkeiten (verkehrsberuhigende Wirkung) oder auf erhöhte Aufmerksamkeit hindeuten. Daraus lässt sich jedoch nicht schliessen, den Rechtsvortritt generell und unabhängig von anlage- und betriebstechnischen Kriterien einzuführen..3.9 Verteilung der Unfälle nach Alter der Lenker Resultat: Die Verteilung der an Unfällen beteiligten Lenkern in Knoten mit Rechtsvortritt nach Altersklassen unterscheidet sich kaum von der Verteilung an allen übrigen Knoten.

18 Untersuchungsansätze Tabelle 10: Verteilung der Unfälle nach Alter der Lenker Alle Lenker Alter Unfälle Knoten mit Rechtsvortritt Unfall-Typen 63/66/71 Übrige Knoten Alle Unfälle Anzahl Prozent Anzahl Prozent 0 17 18 4 1'61 4 18 4 480 16 5'747 16 5 34 759 5 8'835 5 35 44 579 19 6'938 0 45 64 815 7 9'06 6 65+ 57 9 3'36 9 Total 3'018 100 35'079 100 Alter Männer Knoten mit Rechtsvortritt Unfall-Typen 63/66/71 Unfälle Übrige Knoten Alle Unfälle Anzahl Prozent Anzahl Prozent 0 17 88 4 916 4 18 4 336 16 4'141 16 5 34 55 6 6'451 5 35 44 403 19 5'07 0 45 64 580 7 6'545 6 65+ 01 9 '436 10 Total '160 100 5'516 100 Alter Frauen Knoten mit Rechtsvortritt Unfall-Typen 63/66/71 Unfälle Übrige Knoten Alle Unfälle Anzahl Prozent Anzahl Prozent 0 17 40 5 345 4 18 4 144 17 1'606 17 5 34 07 4 '384 5 35 44 176 1 1'911 0 45 64 35 7 '517 6 65+ 56 7 800 8 Total 858 100 9'563 100

Untersuchungsansätze 19 Interpretation: Ob die geringfügigen Unterschiede gesicherte Aussagen zulassen, muss bezweifelt werden. Schwierigkeiten, dass die Regelung des Rechtsvortrittes von Personen im fortgeschrittenen Alter befolgt wird, können jedenfalls damit nicht nachgewiesen werden..3.10 Verteilung der Unfälle nach Geschlecht der Lenker Resultat: Zwischen Unfällen an Knoten mit Rechtsvortritt und Unfällen an den übrigen Knoten besteht kein Unterschied in der Verteilung der Beteiligten nach Geschlecht. Tabelle 11: Verteilung der Unfälle nach Geschlecht der Lenker Geschlecht Verunfallte Knoten mit Rechtsvortritt Unfall-Typen 63/66/71 Übrige Knoten Alle Unfälle Anzahl Prozent Anzahl Prozent Männer '160 7 5'516 73 Frauen 858 8 9'563 7 Total 3'018 100 35'079 100 Interpretation: Die minimalen Unterschiede lassen keine signifikanten Aussagen zu..4 Fazit Aus der Analyse des Unfallgeschehens an Knoten mit Rechtsvortritt und an den übrigen Knoten können im Wesentlichen folgende Schlüsse gezogen werden: Den Autoren sind aus der Literatur keine valablen Methoden bekannt, um die Gefährlichkeit von Knoten miteinander vergleichen zu können. Der Vergleich der Unfallschwere an Knoten mit Rechtsvortritt mit der Unfallschwere an vortrittsgeregelten Knoten lässt zumindest Folgendes nachweisen: Unfälle an Knoten mit Rechtsvortritt sind leichter als an den übrigen Knoten. Die Verteilung der Unfälle nach der Tageszeit spielt eine massgebende Rolle. Nachts finden prozentual weniger Unfälle an Knoten mit Rechtsvortritt als an vortrittsgeregelten Knoten statt. Vermutlich können die Lichtkegel der herannahenden Fahrzeuge auf der Querstrasse besser resp. früh-

0 Untersuchungsansätze zeitiger erkannt werden. Dieses Resultat ist ein Hinweis für die Wichtigkeit des frühen Erkennens der von rechts kommenden Fahrzeuge. Der grösste Teil der Unfälle an Knoten mit Rechtsvortritt findet auf Nebenstrassen statt. Dies überrascht kaum, denn diese Art von Vortrittsregelung wird vorwiegend bei Verzweigungen von Nebenstrassen angewendet. Aus den vorliegenden Zahlen lassen sich über Alter und Geschlecht der beteiligten Verkehrsteilnehmer resp. bezüglich der beteiligten Fahrzeuge keine Aussagen machen. 3. Untersuchung von ausgewählten Knoten mit Rechtsvortritt 3.1 Ausgangslage und Ziel Ziel dieses Untersuchungsteils war es, Auswirkungen von Anlagemerkmalen auf das Unfallgeschehen von Knoten mit Rechtsvortritt zu eruieren. Dazu wurde in der Stadt Bern die Gesamtheit der vierarmigen, rechtwinkligen Knoten von Sammelstrassen im Rechtsvortritt in stark besiedelten Gebieten verkehrstechnisch aufgenommen, die in der Untersuchungsperiode entweder zwei oder mehr Unfälle oder keine Unfälle aufwiesen. 11 dieser 18 Knoten wiesen zwei oder mehr Unfälle auf und wurden als "unfallbelastet" bezeichnet. 7 Knoten wiesen keine Unfälle auf und wurden als "unfallfrei" definiert. Von den Unfällen lagen die Unfallprotokolle aus den Jahren 1991 bis 1993 vor. Aufgrund der registrierten Knoten ist es somit möglich, 7 Astkombinationen auszuwerten. Folgende Anlagemerkmale wurden festgehalten: die Sichtweiten nach rechts in allen Knotenzufahrten die Wahrnehmbarkeit der Kreuzung aus den verschiedenen Knotenzufahrten das Geschwindigkeitsverhalten in den Knotenzufahrten 3. Datenerhebung Die Sichtweite nach rechts wurde gemäss der VSS-Norm 640'73 ermittelt. Es wurde nur die Sichtweite nach rechts von einem Punkt.50 m hinter der ideellen Wartelinie vor dem Kreuzungsbereich gemessen. 8 Astkombinationen weisen eine uneingeschränkte Sichtweite nach rechts auf. Damit diese auch in die Berechnungen miteinbezogen werden konnten, wurden sie mit 50 m quan-

Untersuchungsansätze 1 tifiziert. Da die effektiven Sichtweiten an diesen Astkombinationen mehr als 50 m betragen, liegen die Aussagen auf der sicheren Seite. Die Wahrnehmbarkeit der Kreuzung ist ein subjektives Kriterium und wird von jeder Person anders bewertet. Um einen Vergleich zwischen den Untersuchungsobjekten vornehmen zu können, wurde diese Bewertung immer von derselben Person durchgeführt. Unterschieden wurde zwischen guter Wahrnehmbarkeit (Wert 3), mittlerer Wahrnehmbarkeit (Wert ) und schlechter Wahrnehmbarkeit (Wert 1). Die Geschwindigkeit wurde nur in Knotenästen ermittelt, welche eine genügend grosse Fahrzeugmenge aufweisen konnten. Sie wurde ca..50 m vor dem Kreuzungsbereich erhoben und kann somit als "Geschwindigkeit vor dem Kreuzungsbereich" definiert werden. Angaben über den DTV (durchschnittlicher täglicher Verkehr) sind nicht von allen Kreuzungen und Zufahrtsachsen vorhanden. Die vorhandenen Werte zeigen jedoch deutlich, dass es sich bei den Knoten um siedlungsorientierte Sammelstrassen handelt. Die Kreuzungen wurden zudem aus allen Zufahrtsrichtungen fotografiert, damit die Umgebung später analysiert werden konnte. Diese Daten liefern Material zu zwei verschiedenen Analysen: eine generelle Auswertung ein Vergleich der Anlagemerkmale zwischen unfallfreien und unfallbelasteten Knoten 3.3 Generelle Auswertung 3.3.1 Methode Bei der generellen Auswertung wurden einerseits Zusammenhänge zwischen der Anzahl Unfälle und Sichtweite/Wahrnehmbarkeit/v 85% gesucht. Andererseits wurden die reellen Sichtweiten mit den in der VSS-Norm 640'73 empfohlenen Sichtweiten verglichen. 3.3. Resultate Die 11 unfallbelasteten Knoten weisen total 30 Unfälle infolge Missachtens des Rechtsvortritts auf. Dabei sind 11 Verletzte und keine getöteten Personen zu verzeichnen (mit 36.7 Verunfallten pro 100 Unfälle liegt die Unfallschwere in der Grössenordnung der gesamtschweizerischen Werte von

Untersuchungsansätze Knoten mit Rechtsvortritt). Nach Astkombinationen aufgeschlüsselt verteilten sich die Unfälle wie folgt: 51 Astkombinationen waren unfallfrei, 13 Astkombinationen wiesen einen Unfall, 7 Astkombinationen zwei Unfälle und eine Astkombination drei Unfälle auf. Die durchschnittlichen Sichtweiten nach rechts nehmen mit steigenden Unfallzahlen ab. Astkombinationen mit zwei oder drei Unfällen weisen im Durchschnitt eine Sichtweite nach rechts von 14.71 m auf, Astkombinationen mit einem Unfall eine solche von 17.38 m und unfallfreie Astkombinationen eine solche von 4.65 m auf. Die Standardabweichung für Sichtweiten wurde nicht berechnet, da acht Astkombinationen eine Sichtweite von 50 m (freie Sicht) aufweisen, und daher das Resultat verfälschen würden. Ein analoges Bild ergab die Untersuchung der Wahrnehmbarkeit. Mit steigenden Unfallzahlen sinkt auch die Qualität der Wahrnehmbarkeit. Astkombinationen mit zwei oder drei Unfällen weisen einen durchschnittlichen Wert für die Wahrnehmbarkeit von.00 auf, solche mit einem Unfall einen Wert von.08 und unfallfreie Astkombinationen einen Wert von.5. Die Auswertung der Geschwindigkeitsmessungen zeigt, dass bei der v 85% kein Zusammenhang zwischen unfallbelasteten und unfallfreien Astkombinationen nachgewiesen werden kann. Sie beträgt in jedem Fall rund 8 km/h. Tabelle 1: Sichtweite, Wahrnehmbarkeit und v 85% nach den unfallbelasteten und unfallfreien Knoten Astkombinationen mit oder 3 Unfällen Astkombinationen mit 1 Unfall Astkombinationen mit 0 Unfällen Häufigkeit 7 + 1 13 51 Durchschnittliche Sichtweite nach rechts Durchschnittliche Wahrnehmbarkeit 14.71 m 17.38 m 4.65 m.00.08.5 Standardabweichung 0.49 0.74 0.76 Durchschnittliche v 85% 8.80 km/h 7.5 km/h 8.86 km/h Standardabweichung 5.7 4.89 5.15

Untersuchungsansätze 3 Im Folgenden werden die vorhandenen Sichtweiten an den unfallbelasteten Astkombinationen mit den Normwerten verglichen. Es zeigt sich, dass die von der Norm empfohlenen Sichtweiten nur in drei Fällen unterschritten sind. Gesamthaft betrachtet, betragen die gemessenen Sichtweiten im Durchschnitt 4.70 m mehr, als in der Norm vorgeschlagen. Trotzdem kam es hier zu Unfällen. Tabelle 13: Sichtweiten an unfallbelasteten Astkombinationen Kreuzung Nr. Sig. Höchstgeschwindigkeit Unfälle je Astkombination Sichtweite (vorhanden) (m) Sichtweite (Norm) (m) Sichtweite (vorhanden) minus Sichtweite (Norm) 1 50 km/h 15 7 30 km/h 1 7 10 17 1 10 1 3 50 km/h 1 19 15 4 1 15 15 0 1 10 15-5 4 50 km/h 17 15 1 16 15 1 5 30 km/h 1 10 11 6 30 km/h 14 10 4 7 30 km/h 1 8 10-1 14 10 4 1 16 10 6 8 30 km/h 10 10 0 1 13 10 3 1 1 10 11 9 30 km/h 15 10 5 1 16 10 6 10 30 km/h 3 1 10 11 50 km/h 8 15-1 9 15 14 Durchschn. 16.4 11.7 4.7 Betrachtet man die Astkombinationen ohne Unfälle der unfallbelasteten Knoten, so fällt auf, dass die vorhandenen Sichtweiten im Durchschnitt 8.70 m mehr betragen, als es die Norm vorschlägt.

4 Untersuchungsansätze Dabei wurden bei dieser Berechnung die Zufahrten, welche "freie Sicht" hatten, nicht miteingerechnet, ansonsten läge dieser Wert noch höher. Tabelle 14: Sichtweiten an unfallfreien Astkombinationen der unfallbelasteten Knoten (ohne Astkombinationen mit freier Sicht) Kreuzung Nr. Sig. Höchstgeschwindigkeit Unfälle je Astkombination Sichtweite (vorhanden) (m) Sichtweite (Norm) (m) Sichtweite (vorhanden) minus Sichtweite (Norm) 1 50 km/h 0 1 15 6 0 9 15 14 30 km/h 0 3 10 0 43 10 33 3 50 km/h 0 1 15-3 4 50 km/h 0 16 15 1 0 15 6 6 30 km/h 0 15 10 5 0 14 10 4 0 10 1 7 30 km/h 0 15 10 5 8 30 km/h 0 17 10 7 9 30 km/h 0 18 10 8 0 10 1 10 30 km/h 0 1 10 11 0 0 10 10 0 11 10 1 11 50 km/h 0 16 15 1 0 5 15 10 Durchschn. 0.5 11.8 8.7 3.3.3 Interpretation Aus der Tabelle 1 kann die Vermutung bestärkt werden, dass sich zu geringe Sichtweiten nach rechts negativ auf das Unfallgeschehen auswirken. Obwohl die Richtwerte der Norm für Sichtweiten an Knoten mit Rechtsvortritt von den untersuchten Objekten um durchschnittlich 4.70 m übertroffen wurden, kam es zu Unfällen. Dieses Resultat lässt darauf schliessen, dass in der Norm zu kleine Werte angegeben werden.

Untersuchungsansätze 5 Die Unfallwahrscheinlichkeit bei einer Astkombination ist umso höher, je schlechter der Knoten vor der Knotenzufahrt wahrgenommen wird. Bei gut erkennbaren Knoten steigt die Aufmerksamkeit des Fahrzeuglenkers. Sehr gefährlich sind schlecht erkennbare Knoten, bei welchen sich das Fahrzeug plötzlich und unverhofft im Kreuzungsbereich befindet. Dieses Resultat ist ein Indiz für die Wichtigkeit der Wahrnehmbarkeit bei Knoten mit Rechtsvortritt..50 m vor dem Kreuzungsbereich wurde eine v 85% von 8 km/h gemessen. Diese Zahlen decken sich mit denjenigen aus der Literatur. Solche Geschwindigkeiten sind zu hoch, als dass rechtzeitig angehalten werden könnte, falls ein von rechts kommendes Fahrzeug gekreuzt wird. Die Beobachtungsdistanz darf deshalb nicht nur.50 m betragen. 3.4 Vergleich der Anlagemerkmale unfallbelasteter und unfallfreier Kreuzungen 3.4.1 Methode Die Sichtweiten von unfallbelasteten und unfallfreien Astkombinationen werden einander gegenübergestellt und mittels t-test geprüft. Astkombinationen, welche einen Unfall aufweisen, werden einmal gerechnet. Astkombination mit zwei oder drei Unfällen werden bei der Berechnung als zwei bzw. drei unabhängige Astkombinationen betrachtet. Die Wahrnehmbarkeiten von unfallbelasteten und unfallfreien Astkombinationen werden einander gegenübergestellt und mittels Chi-Quadrat-Test geprüft. Die v 85% -Werte der unfallfreien und unfallbelasteten Knoten werden mittels t-test miteinander verglichen. 3.4. Resultate Die Auswertung der Sichtweiten zeigt, dass die Astkombinationen mit Unfällen bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 % eine signifikant kleinere Sichtweite als die Kombinationen ohne Unfälle aufweisen (t = -.94, df = 61.84, p =.033). Die Auswertung der Wahrnehmbarkeiten zeigt, dass die Gegenüberstellung guter, mittlerer und schlechter Wahrnehmbarkeiten an unfallfreien und unfallbelasteten Astkombinationen keine Signifikanz aufweist.

6 Untersuchungsansätze Fasst man jedoch die mittleren und die schlechten Wahrnehmbarkeiten zusammen und vergleicht sie mit den guten Wahrnehmbarkeiten, ergibt sich, dass unfallfreie Knotenzufahrten signifikant mehr gute Wahrnehmbarkeiten aufweisen. (FG = 1, Chi = 3.74, Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 %). Tabelle 15: Anzahl guter, mittlerer und schlechter Wahrnehmbarkeiten Wahrnehmbarkeit unfallbelastete Astkombination unfallfreie Astkombination gut 4 mittel 11 19 schlecht 6 10 Summe 1 51 Zu den Geschwindigkeiten lässt sich sagen, dass die Gegenüberstellung der v 85% der unfallfreien Knoten mit den unfallbelasteten Knoten keinen signifikanten Unterschied ergibt (t = -.40, df = 5.94, p =.886). 3.4.3 Interpretation Auch diese Auswertung bestätigt die Annahme, dass bei grösseren Sichtweiten das Verhalten rechtzeitig angepasst wird, und ein Unfall verhindert werden kann. Ist die Sichtweite hingegen zu klein, kann erst zu spät reagiert werden, und es kann zum Unfall kommen. Eine wichtige Voraussetzung für den Betrieb einer Kreuzung mit Rechtsvortritt ist also eine genügende Sichtweite. Unfallfreie Kreuzungen haben signifikant mehr gute Wahrnehmbarkeiten als unfallbelastete Knoten. Die Wahrnehmbarkeit hilft, eine Kreuzung rechtzeitig zu erkennen, und die Aufmerksamkeit zu steigern. Dass die Durchschnittswerte für die Geschwindigkeiten für unfallfreie und unfallbelastete Astkombinationen ähnlich sind, ist vermutlich auf das optische Aussehen des Strassenraums der untersuchten Kreuzungen zurückzuführen. Diese Tatsache kann neben Geometrie, Lage im Netz und Verkehrsbelastung als weiteres Kriterium für die Vergleichbarkeit der untersuchten Knoten angesehen werden.

Untersuchungsansätze 7 3.5 Fazit Auch dieser Teil der Untersuchung hat gezeigt, dass die Werte für Sichtweiten nach rechts in der VSS-Norm überdacht werden müssen. Vieles deutet darauf hin, dass die derzeit empfohlenen Werte für einen sicheren Betrieb von Knoten mit Rechtsvortritt zu gering sind. Die Wahrnehmbarkeit bei Knoten mit Rechtsvortritt scheint ebenfalls eine wichtige Rolle zu spielen. Zwar wird in der VSS-Norm erwähnt, dass Knoten mit Rechtsvortritt als solche erkennbar sein müssen, aber der Aufbau der Norm lässt den Anwender vermuten, dass der Wahrnehmbarkeit weit weniger grosses Gewicht beigemessen werden soll als der Sichtweite nach rechts. Die vorliegenden Ergebnisse lassen jedoch vermuten, dass die Wahrnehmbarkeit ein ebenso wichtiges Kriterium für den sicheren Betrieb von Knoten mit Rechtsvortritt darstellt. In der Norm sollte diesem Umstand Rechnung getragen werden, indem konkrete Anleitungen/Vorschläge zur Erhöhung der Wahrnehmbarkeit formuliert werden. Der kombinierte Einfluss von Wahrnehmbarkeit und Sichtweite auf das Unfallgeschehen konnte nicht abgeklärt werden. Es ist denkbar, dass geringere Sichtweiten mit besseren Wahrnehmbarkeiten gemäss Abbildung 4 kompensiert werden können. Ebenfalls ist anzunehmen, dass in der Praxis eher eine Verbesserung der Wahrnehmbarkeit realisierbar sein wird. Abbildung 4: Zusammenhang zwischen Wahrnehmbarkeit und Sichtweite Wahrnehmbarkeit gut Legende mittel Anzustrebender Zustand schlecht Zu sanierender Zustand knapp, ungenügend genügend gut Sichtweite Die Auswertung der gemessenen Geschwindigkeiten kurz vor dem Eintritt in den Kreuzungsbereich zeigt sowohl für unfallbelastete als auch für unfallfreie Knoten Werte für die v 85% von 8 km/h. Die gefahrenen Geschwindigkeiten scheinen also das Unfallgeschehen bei Knoten mit Rechtsvortritt entgegen den üblichen Annahmen nicht direkt zu beeinflussen. Ob dies mit der geringen Stichprobengrösse oder mit kürzerer Expositionszeit bei höheren Geschwindigkeiten zu-

8 Untersuchungsansätze sammenhängt, kann nicht beantwortet werden. Dieses Resultat kann hingegen als Bestätigung der Annahme, dass die Sichtweite nach rechts und die Wahrnehmbarkeit das Unfallgeschehen beeinflussen, interpretiert werden. Bei gleicher Geschwindigkeit ist an Knoten mit grösserer Sichtweite bzw. besserer Erkennbarkeit mit weniger Unfällen zu rechnen 4. Fahrphysikalischer Ansatz 4.1 Einleitung Die Erhebungen an den Kreuzungen in der Stadt Bern sowie die Auswertung der Literatur beweisen, dass in Knoten mit Rechtsvortritt nicht mit Geschwindigkeiten gefahren wird, wie sie die VSS- Norm voraussetzt. Daher ist auch die angenommene Beobachtungsdistanz von.50 m unrealistisch. Es stellt sich somit die Frage, wie gross sowohl die Beobachtungsdistanz wie auch die Sichtweiten nach rechts sein müssten, um den reell gefahrenen Geschwindigkeiten Rechnung zu tragen. HARWOOD, MASON, BRYDIA, PIETRUCHA und GITTINGS verglichen verschieden berechnete, sogenannte "minimale Dreiecke mit freier Sicht" US-amerikanischer Richtlinien. Die Berechnungsgrundlagen für diese Sichtdreicke konnten nicht eruiert werden. Fest steht jedoch, dass speziell die Kathete dieser Dreiecke (entspricht der Beobachtungsdistanz), auf welcher das vortrittsbelastete Fahrzeug fährt, bedeutend grösser sein muss als in den VSS-Normen angegeben, da sie geschwindigkeitsabhängig ist. Geschwindigkeiten unter 0 km/h werden schon gar nicht mehr in Betracht gezogen. Zudem werden diese freien Sichtdreiecke in allen vier Quadranten gefordert. Es liegt deshalb auf der Hand, ein Modell von Grund auf zu berechnen, welches aufzeigen soll, wie gross die notwendigen Sichtweiten in Abhängigkeit der reell gefahrenen Geschwindigkeiten in Knoten mit Rechtsvortritt sein sollten. Es versteht sich von selbst wie übrigens auch die US-amerikanischen Autoren 1996 festhielten dass solche Modelle niemals die Wirklichkeit getreu abbilden können. Sie müssen von Annahmen ausgehen, welche unmöglich für alle Lenker zutreffen können. Fahrzeuglenker sind in ihrem Verhalten frei und können auch Fehlentscheide fällen. 4. Methode Betrachtet wird der einfache Fall, bei welchem zwei Fahrzeuge gleichzeitig auf eine Kreuzung mit Rechtsvortritt zufahren. Dieser einfache Fall kann für alle vier Astkombinationen angewendet werden.

Untersuchungsansätze 9 Abbildung 5: Modell für Sichtberme bei Rechtsvortritt Fahrzeug 1 nähert sich mit der Geschwindigkeit v 1 und muss Fahrzeug (Geschwindigkeit v ) den Vortritt gewähren. Der Ablauf der Situation wird als gerade noch konfliktfrei definiert, wenn die Frontpartie von Fahrzeug 1 in jenem Augenblick die Strassenmitte der Querstrasse erreicht (Punkt A) wenn das Heck von Fahrzeug die Mitte der vortrittsbelasteten Fahrbahn erreicht (Punkt P). Vereinfachend wird angenommen, dass die Lenker in der Mitte eines 5 m langen Fahrzeuges sitzen. Gesucht sind also die Grössen: x 1 = Distanz vom Sitzplatz des Lenkers von Fahrzeug 1 bis zum Punkt A x = Distanz vom Sitzplatz des Lenkers von Fahrzeug bis zum Punkt P Diese hängen von den Anfangsgeschwindigkeiten der beiden Fahrzeuge (v 1, v ), der Strassenbreite der vortrittsberechtigten Querstrasse (b) und dem Verhalten der beiden Lenker im Moment des gegenseitigen Erkennens ab. Diese Verhaltensweisen wurden wie folgt angenommen:

30 Untersuchungsansätze Der Lenker von Fahrzeug 1 leitet nach Ablauf einer Reaktionszeit von einer Sekunde, nachdem er das vortrittsberechtigte Fahrzeug erkannt hat, eine Bremsung mit der Verzögerung a 1 ein. Der Lenker von Fahrzeug geht nach Ablauf einer Reaktionszeit von einer Sekunde, nachdem er Fahrzeug 1 wahrgenommen hat, vom Gas und lässt sein Fahrzeug ohne Pedalbetätigung über die Kreuzung gleiten (in dieser Zeit wirkt die Motorenverzögerung a, welche in der Regel 0.8 m/s beträgt). Als Ausgangsgleichung kann folgende Bedingung formuliert werden: Die Summe der Reaktionszeit von Fahrzeug 1 plus der Zeit, bis seine Frontpartie den Punkt A erreicht, muss gleich der Summe sein aus der Reaktionszeit von Fahrzeug plus der Zeit, bis sein Heck Punkt P erreicht. Es ergibt sich daraus im Wesentlichen ein Gleichungssystem von drei Gleichungen mit drei Unbekannten. Die Berechnungen mit den allgemein definierten Grössen für Geschwindigkeiten, Verzögerungen, Reaktionszeiten und Strassenbreiten der Querstrasse sind im Anhang zu finden. 4.3 Resultate Im Anhang sind einige Resultate für konkret angenommene Werte der obigen Grössen aufgelistet. 4.4 Interpretation Die Werte x 1 und x sind gegenseitig abhängig und stellen für beide Fahrzeuge kritische Distanzen in Abhängigkeit ihrer Anfangsgeschwindigkeit dar. Konkret bedeutet dies, dass für jede kritische Ausgangsposition bzw. -geschwindigkeit von Fahrzeug, der Lenker von Fahrzeug 1 je nach seiner Anfangsgeschwindigkeit in der Lage sein muss, Fahrzeug rechtzeitig zu sehen. Je schneller also Fahrzeug sich der Verzweigung nähert, und je weiter weg es davon ist, desto früher muss Fahrzeug 1 dieses erkennen können (d.h. desto grösser muss x 1 sein). Dies gilt natürlich nur bis zu einer Grösse von x 1, die dem Anhalteweg von Fahrzeug 1 entspricht (was auch aus der Berechnung hervorgeht). Es zeigt sich, dass der Fall, wo x 1 die Grösse der Anhaltestrecke annimmt, immer massgebend wird. In Tabelle 16 des Anhangs sind deshalb immer x 1 max (Anhaltestrecke von Fahrzeug 1) und x in Abhängigkeit dazu dargestellt. Selbstverständlich müssen auch andere Ausgangslagen der Fahrzeuge 1 und für die Praxis mitberücksichtigt werden.

Untersuchungsansätze 31 Ein Beispiel: Befindet sich das vortrittsbelastete Fahrzeug 1 mit einer Geschwindigkeit von 30 km/h kurz vor Eintritt in die Konfliktfläche und ist das vortrittsberechtigte Fahrzeug mit 30 km/h noch 5 m von der Konfliktfläche entfernt, so kann Fahrzeug 1 problemlos den Knoten vor dem Eintreffen von Fahrzeug passieren, ohne dass es zum Konflikt kommt. Genau dieser Ablauf zeigt jedoch, dass bei ungenügender Sicht der Zufall entscheidet, ob es zur Kollision kommt oder nicht. Wäre nämlich dasselbe Fahrzeug 1 zum selben Zeitpunkt ebenfalls 5 m vor der Konfliktfläche gestanden, mit 30 km/h gefahren und hätte es Fahrzeug nicht gesehen bzw. den Rechtsvortritt nicht wahrgenommen, wäre es zur Kollision gekommen. 4.5 Fazit Mit der Bereitstellung der nötigen Sichtweiten und Beobachtungsdistanzen kann es also nicht darum gehen, diejenigen Fälle zu entschärfen, bei denen es auf Grund der Ausgangslage (Geschwindigkeit und Distanz zum Knoten) der beiden Fahrzeuge ohnehin nicht zum Konflikt kommt. Es geht darum, Lenkern, welche auf Grund ihrer Ausgangslage potentiell auf Konfliktkurs sind, die Möglichkeit zu geben, sich richtig zu verhalten. Auch diese Modellrechnung ergibt unter Annahme von reellen Geschwindigkeiten bedeutend grössere Werte für die notwendigen Sichtweiten und Beobachtungsdistanzen an Knoten mit Rechtsvortritt als in der VSS-Norm vorgesehen. Es zeigt sich auch klar, dass beim Festlegen von zu kleinen Sichtweiten und Beobachtungsdistanzen und in der Annahme von unrealistisch kleinen Geschwindigkeiten es auf die zufällige Ausgangslage der Konfliktpartner ankommt, ob es zur Kollision kommt oder nicht.

3 Folgerungen V. FOLGERUNGEN Aus der Literatur konnte eruiert werden, dass in der VSS-Norm 640'73 zu geringe Werte sowohl für die Beobachtungsdistanz als auch die Sichtweite nach rechts empfohlen werden. Die Werte in dieser Norm basieren auf einem Fahrverhalten im Bereich der Knoten mit Rechtsvortritt, das nicht der Wirklichkeit entspricht. Verschiedene Geschwindigkeitsmessungen zeigen, dass viel schneller gefahren wird, als die angenommenen Werte besagen. Die Auswertung des gesamtschweizerischen Unfallgeschehens liefert wegen der fehlenden Information über das Aussehen der entsprechenden Knoten keine direkten Erkenntnisse bezüglich Bau und Betrieb von Knoten mit Rechtsvortritt. Die im Vergleich zum Unfallgeschehen auf übrigen Knoten geringere Unfallhäufigkeit bei Dunkelheit kann jedoch als Hinweis dafür interpretiert werden, dass ein rechtzeitiges Erkennen des vortrittsberechtigten Fahrzeuges auf der Querstrasse das Verhalten des vortrittsbelasteten Lenkers positiv beeinflusst. Die eingeschaltete Fahrzeugbeleuchtung und somit der auf die Kreuzungsfläche projizierte Lichtkegel tragen bei Dunkelheit zur besseren Erkennbarkeit des vortrittsberechtigten Verkehrs bei. Die Untersuchung ausgewählter Knoten mit Rechtsvortritt in der Stadt Bern liefert analoge Erkenntnisse für Sichtweiten nach rechts. Die erhobenen Geschwindigkeiten (v 85% ) kurz vor dem Kreuzungsbereich liegen in einer ähnlichen Grössenordnung wie die aus der Literatur bekannten. Eine Beobachtungsdistanz von.50 m reicht in der Praxis nicht aus, um rechtzeitig vor einem von rechts herannahenden Fahrzeug anhalten zu können. Im Weiteren zeigt sich, dass mit zunehmenden Sichtweiten nach rechts die Unfallgefahr sinkt. Die Untersuchung der ausgewählten Knoten mit Rechtsvortritt in Bern zeigt, dass die Qualität der Wahrnehmbarkeit des Knotens ebenfalls positiven Einfluss auf das Unfallgeschehen zu haben scheint. Unfallfreie Knoten weisen bedeutend häufiger eine gute Wahrnehmbarkeit auf als unfallbelastete. Der fahrphysikalische Ansatz schliesslich zeigt ebenfalls deutlich, dass das Operieren mit zu geringen Sichtweiten und Beobachtungsdistanzen an Knoten mit Rechtsvortritt zwangsläufig zu Unfällen führen muss. Sind die Sichtweiten in Abhängigkeit der gefahrenen Geschwindigkeiten zu gering, so wird die zufällige Ausgangslage (Ort und Geschwindigkeit) der auf die Konfliktfläche zufahrenden Verkehrsteilnehmer ausschlaggebend, ob es zum Unfall kommt oder nicht.