Biomechanik, Bewegungslehre, Leistungsphysiologie und Trainingslehre

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Transkript:

Biomechanik, Bewegungslehre, Leistungsphysiologie und rainingslehre Bearbeitet von Antje Hüter-Becker, Mechthild Dölken 1. Auflage 2004. Buch. 356 S. ISBN 978 3 13 136861 4 Weitere Fachgebiete > Medizin > Physiotherapie, Physikalische herapie Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, ebooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

1.8 Biomechanische Betrachtung exemplarisch ausgewählter Gelenke 51 1 Unkorrekte Bewegungsinformationen sind aufgrund mangelnder oder unmöglicher Fixierung nicht ausgeschlossen. Bei der Interpretation der Messergebnisse (Kurven, Zahlenwerte) können sich Fehler einschleichen. Einfache Computersteuerung und farbige Diagramme dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich nur die wenigsten Gelenke für Standardmessvorrichtungen eignen. Die Aussagen über das gemessene muskuläre Drehmoment beinhalten: Muskelansatz (Kraftangriffspunkt), Zugrichtung (Wirkungslinie der Kraft), Länge des Hebelarmes und Muskelkraft. 1.8 Biomechanische Betrachtung exemplarisch ausgewählter Gelenke Begriffsbestimmung: Belastung, Beanspruchung Die Begriffe Belastung und Beanspruchung werden in der Literatur leider nicht eindeutig verwendet. Unseren Betrachtungen legen wir folgende Definitionen zugrunde: Belastung ist die Summe aller auf einen Körper oder eine Struktur (z. B. Gelenk) einwirkenden Kräfte. Hierbei handelt es sich allerdings um die vektorielle Summe (Kräfte sind Vektoren). Unter Beanspruchung wird die Verteilung der Kraft auf die kraftübertragende Fläche verstanden (Abb. 1.85). Dabei kann es zu Deformierungen (Form- oder Strukturveränderungen) oder mechanischen Spannungen kommen. Mechanisch gesehen entspricht die Beanspruchung dem Druck: Kraft/Fläche [N/m 2 ] bzw. [Pa]. verkleinerte Fläche bei gleich großer Kraft, sowohl höhere Kraft als auch verkleinerter Fläche. Elastische Strukturen können kurzzeitige Überbeanspruchungen unbeschadet widerstehen. Ein Missverhältnis zwischen den mechanischen Eigenschaften und der tatsächlichen Beanspruchung führt zu pathologischen Veränderungen ebenso insuffiziente Strukturen. 1.8.1 Hüftgelenk Zweibeinstand Unter der Annahme, dass nur die Masse oberhalb der Hüftgelenke wirksam ist und ein Bein ca. 1/6 des Körpergewichts wiegt, lässt sich die wirksame Gewichtskraft, die Last (Abb. 1.86), berechnen aus: Last = Körpergewicht Gewicht beider Beine Last = 2/3 des Körpergewichts. Unter der weiteren Annahme, dass keine Muskelkräfte zum Stabilisieren notwendig sind, ergibt sich für die Belastung je Hüftgelenk (jedes Hüftgelenk trägt die Hälfte der Last): Belastung = 1/3 Körpergewicht Abb. 1.85 Bei geringerer Überdachung des Hüftkopfes ist die belastete Fläche kleiner und wird dadurch mehr beansprucht. Bei der Belastung eines Gelenks werden lediglich alle Kräfte zusammengefasst, die auf das Gelenk wirken, bei der Beanspruchung dagegen wird die funktionelle Kontaktfläche mit einbezogen. Manchmal wird Beanspruchung auch im Sinne von Abnutzung oder Verschleiß (Abrieb) verstanden. Das ist leicht nachvollziehbar, wenn wir uns die Ursachen hierfür ansehen: vergrößerte Kraft (Gewicht) bei gleich großer Fläche, Abb. 1.86 Zweibeinstand: Das Gewicht oberhalb der Hüftgelenke verteilt sich auf beide Hüftgelenke.

1 52 1 Biomechanik und Bewegungslehre Einbeinstand Die wirksame Gewichtskraft (Last, Abb. 1.87) berechnet sich aus: Last = Körpergewicht Gewicht des Standbeins Last = 5/6 des Körpergewichts Für die Belastung (Summe aller Kräfte) im Hüftgelenk: Belastung = Muskelkraft + Last Belastung = 15/6 + 5/6 des Körpergewichts oder Belastung = 3,3 ã Körpergewicht Anhand dieser Abschätzung wird bereits deutlich, wie stark das Körpergewicht oder das ragen von schweren Lasten die Belastung der Gelenke vergrößert. Als weitere Faktoren sind zu nennen: Erkrankungen der Muskulatur beeinflussen die Muskelkraft. Abb. 1.87 Einbeinstand: die Belastung des Standbeinhüftgelenks (mod. nach Pauwels). Beim Einbeinstand muss die Schwerelinie genau durch das Hüftgelenk verlaufen, wenn kein Drehmoment entstehen soll. Nur dann ist keine Muskelkraft zur Kompensation notwendig. In der Praxis gehen wir von Hebelverhältnissen von 1:1 bis 3:1 (Lastseite : Muskelseite) aus. Beispiel: Nehmen wir für unser Beispiel zur Verdeutlichung ein extremes Verhältnis Lastarm zu Kraftarm (Muskelseite) von 3:1, der Muskel zieht am kürzeren Hebel. Die Gleichgewichtsbetrachtung liefert für die Drehmomente: Muskelkraft ã 1 = Last ã 3 Muskelkraft = 3 ã Last Setzen wir für die Last 5/6 des Körpergewichtes, erhalten wir: Muskelkraft = 3 ã 5/6 Körpergewicht Muskelkraft = 15/6 ã Körpergewicht = 2,5 ã Körpergewicht Abb. 1.88a c Belastung des Hüftgelenks bei unterschiedlichem Winkel des Schenkelhalses (Einbeinstand). a Norm. b Coxa valga. c Coxa vara.

1.8 Biomechanische Betrachtung exemplarisch ausgewählter Gelenke 53 1 Abb. 1.89 Wird eine Kugel zentrisch belastet, verteilt sich die Kraft symmetrisch über eine Halbkugel. Pathologische Fehlstellungen oder Osteotomien am Femurhals (Varus-, Valgusstellung) beeinflussen den Hebelarm der Muskulatur. Veränderungen des Gelenks (Oberfläche, Überdachung, kraftübertragende Fläche) beeinflussen die Belastbarkeit/Beanspruchung. eine Kraft senkrecht auf eine Kugeloberfläche (Wirkungslinie verläuft durch den Mittelpunkt) verteilt sie sich symmetrisch über eine Halbkugel. Das Maximum der Kraft liegt im Zenit, am seitlichen Rand ( Äquator ) und unterhalb kann keine Kraft übertragen werden (Abb. 1.89). Die nach medial geneigte Überdachung des Hüftgelenks kann nicht wie eine Halbkugel Kraft übertragen, denn der Pfannenrand begrenzt lateral die kraftübertragende Fläche oberhalb der Horizontallinie es bleibt weniger als eine Halbkugel zur Kraftübertragung. Sind bei normal ausgeprägten Schenkelhalswinkeln die Pfannenränder pathologisch verändert oder weicht die Gelenkoberfläche von einer Kugelform ab, hat dies ebenfalls erhebliche Veränderungen der Beanspruchung zur Folge. Die Verkleinerung der kraftübertragenden Gelenkfläche als Folge einer verminderten Überdachung verstärkt die Beanspruchung am oberen Pfannenrand und eine Unförmig- Schenkelhalswinkel Beispiel: Coxa Vara / Coxa Valga. In Abb. 1.88a c wird die Beanspruchung des Hüftgelenks bei unterschiedlichen Schenkelhalswinkeln dargestellt. Je steiler der Schenkelhalswinkel wird (> 125, Coxa valga, varisierende Osteotomien), um so kleiner der Hebelarm der Muskulatur, größer die Muskelkraft und Resultierende, weiter lateral verläuft die Resultierende, größer die Belastung, kleiner die überdachende Fläche, größer die Beanspruchung und um so größer die Gefahr der Schädigung und Luxation. Bei flacheren Schenkelhalswinkeln und varisierenden Osteotomien (< 125 ) kehren sich die Verhältnisse um. Die Verlängerung des muskulären Hebelarmes führt zu einer Abnahme der zur Stabilisierung notwendigen Muskelkraft. Operative Veränderungen (Osteotomien) am Schenkelhals beeinflussen die mechanische Vorspannung der Muskeln (Abduktoren). Eine Überdehnung oder eine zu geringe Vorspannung haben eine Verminderung der Muskelkraft zur Folge (siehe S. Kap. 2.6). Bei der Beurteilung der Hüftbeanspruchung muss von räumlichen Verhältnissen ausgegangen werden. Die zweidimensionalen Darstellungen machen nicht klar, dass es sich (im Idealfall) um kugelförmige Gelenkflächen handelt (Kummer 1985). Wirkt Abb. 1.90a d Vergrößerung der Beanspruchung durch verminderte Gelenküberdachung (n. Pauwels).

1 54 1 Biomechanik und Bewegungslehre keit auf den Gelenkflächen führt zu Belastungsspitzen (Abb. 1.90a d). Dynamische Belastung Abb. 1.92 Die Verlagerung des Körperschwerpunkts beeinflusst den Hebelarm der Last. Abb. 1.91 Einflüsse auf die dynamische Belastung des Hüftgelenks (n. Paul und Morrison). Wird die Hüftbelastung z. B. beim Gehen untersucht, kommen weitere Einflüsse in Betracht (Abb. 1.91): Die Beschleunigung der Körperteilmassen und die daraus resultierenden Massenträgheiten beeinflussen die Größe der Last. So kann die Belastung der Hüfte vom 3fachen (langsames Gehen) bis zum 7fachen des Körpergewichtes (schnelles Gehen) variieren. Der Einfluss der beschleunigten Körpermasse, die beim Aufsetzen des Fußes abgebremst werden muss, äußert sich in der ersten Belastungsspitze. In der Schwungphase ist die Belastung am geringsten, da das schwingende, nicht belastete Bein durch seine Schwungmasse entlastend wirkt. Die zweite Belastungsspitze entsteht beim Zehenabstoß, wenn die Körpermasse wieder beschleunigt und dabei leicht angehoben wird (vertikaler, sinusförmiger Verlauf des Schwerpunktes). Fersenaufsatz und Zehenabstoß haben also eine verstärkte Hüftbelastung zur Folge. Zusammen mit der Schwungphase ergibt sich diese charakteristische M-förmige Kurve. Die Verlagerung des Körperschwerpunktes SP beeinflusst den Hebelarm der Last (Oberkörperneigung, Armpendeln, Lasten tragen) (Abb. 1.92). Durch die Seitneigung des Oberkörpers wird die Schwerelinie SL näher zur Gelenkachse gebracht. Der Hebelarm der Last wird dadurch geringer und folglich wird auch weniger Muskelkraft zur Stabilisierung der Hüfte benötigt. Die Belastung wird geringer. Das ragen einer asche vergrößert zwar die Last, kann aber auf der betroffenen Seite getragen, durch Verlagerung des Gesamtschwerpunktes (zum Drehzentrum hin) und der damit verbundenen Verringerung des Lastmomentes eine verringerte Hüftbelastung bewirken. Wird das Becken während der Seitneigung auf der kontralateralen Seite (Schwungbeinseite) angehoben, kann es zusätzlich zu einer Verbesserung der Hüftüberdachung und damit zu einer noch geringeren Beanspruchung kommen.