GER 1996 Nr. 6 Gemeindeversammlung II - Antrag auf Urnenabstimmung versus - Antrag auf geheime Abstimmung 1. Feststellungen 1.1. Ausgangslage An der Budget-Gemeindeversammlung vom 12. Dezember 1995 stand unter Traktandum 5 «Schützenhaus/Neubau/Sanierung/Kreditbegehren von Fr. 500'000.--» zur Diskussion und Beschlussfassung. Die Ausgangslage wurde in der Einladung und Botschaft zur Gemeindeversammlung erläutert. Nach dem Protokoll über die Gemeindeversammlung vom 12. Dezember 1995 wurde der Vorlage mit 131 Ja gegen 88 Nein zugestimmt. 1.2. Beschwerde Gegen den Gemeindeversammlungsbeschluss erheben mehrere Vereinsteilnehmer am 20. Januar 1996 (Poststempel) Beschwerde beim Regierungsrat. Sie stellen die Rechtsbegehren, den Beschluss aufzuheben, das Geschäft noch einmal an einer Gemeindeversammlung zu traktandieren, damit über den «unterschlagenen» Antrag auf Urnenabstimmung abgestimmt werden könne. Zur Begründung wird angeführt: Nach Vorstellung der Projekte (eigenes Projekt und regionale Schiessanlage in Z) sei von einem sofort ein Ordnungsantrag gestellt worden, hier und jetzt über das Schützenhaus abzustimmen. Der daraufhin erfolgte Antrag einer weiteren Versammlungsteilnehmerin auf Urnenabstimmung sei mit der Begründung abgelehnt worden, der andere Antrag sei zuerst gestellt worden. Verschiedene Teilnehmende an der Gemeindeversammlung hätten sich gegen dieses Verfahren gewehrt. Trotzdem sei nicht darauf eingegangen worden und schliesslich an der Versammlung über das Geschäft abgestimmt worden. Zudem sei anstelle des Netto-Kreditbegehrens von Fr. 500'000.-- über ein Brutto- Kreditbegehren abzustimmen, beziehungsweise ein Kostendach vorzugeben. 2.2. Inhalt 2.2.1 Darstellung
2 Aufgrund der Vorbringen der Beschwerdeführenden und der tatsächlich konfusen Situation was das Abstimmungsverfahren betrifft, ist die Rechtslage vorerst abstrakt darzustellen und erst danach ist der Sachverhalt daran zu messen. 2.2.2. Antrag des Gemeinderates Abzustellen ist auf 58 Abs. 1 und 2 GG. Danach kann die Gemeindeversammlung über einen Verhandlungsgegenstand nur dann gültig beschliessen, wenn ihn der Gemeinderat vorberaten hat und dazu einen bestimmten Antrag stellt. Nebst seinem Hauptantrag kann der Gemeinderat der Gemeindeversammlung in bestimmter Reihenfolge auch Eventualanträge stellen. Der Gemeinderat hat sich dafür entschieden, der Gemeindeversammlung nur einen Hauptantrag (eigenes Schützenhaus) zu unterbreiten. Das Vorgehen ist zulässig und korrekt. Das Geschäft wurde «gemeindeversammlungsreif» vorbereitet; was jedoch die Stimmberechtigten nicht daran hindert, dem Gemeinderat unsorgfältige oder einseitige Abklärung vorzuwerfen, allein diese Vorwürfe sind vorliegend wohl politisch, aber nicht rechtlich relevant. Die regionale Schiessanlage Z war nicht traktandiert, auch nicht als Eventualantrag und stand somit nicht zur Diskussion und Beschlussfassung. 2.2.2. Bruttoprinzip oder Nettoprinzip Grundsätzlich sind den Stimmberechtigten die Projekte/Vorlagen mit den Bruttokosten vorzulegen. Der Regierungsrat überprüft die Sachlage jedoch nur, wenn sie ausdrücklich gerügt wird. Im vorliegenden Fall ist von Bedeutung, wer Eigentümer/in beziehungsweise Bauherr/in des Schützenhauses und des Scheibenstandes ist. Eigentümerin des Scheibenstandes ist die Einwohnergemeinde. Eigentümerin des Schützenhauses ist jedoch die Schützengesellschaft. Die Vorlage schweigt sich darüber aus, wer denn als Bauherrin auftritt und wer nach dem Bau/Umbau Eigentümerin der Anlage ist. Aufgrund der Vorlage sollen die Gemeindemittel vor allem für den Bau beziehungsweise die Sanierung des Schützenhauses verwendet werden. Soll die Schützengesellschaft Eigentümerin bleiben und tritt sie auch als Bauherrin auf, erweist sich der Kredit der Einwohnergemeinde bloss als Beitrag an die Schützengesellschaft. In diesem Fall hat das Nettoprinzip Bestand. Die Gemeindeversammlung hat sich in diesem Fall aber auch nicht zur Anlage und zu den Arbeitsvergebungen zu äussern. Die Frage soll hier offenbleiben, wie es sich mit der Rechtslage verhält, wenn die Einwohnergemeinde einen Beitrag von Fr. 500'000.-- spricht, ohne ihre Eigentums- oder Miteigentumsrechte an der Anlage geltend zu machen. Will jedoch die Einwohnergemeinde Eigentümerin werden (Vorvertrag) und als Bauherrin auftreten, baut und finanziert sie das Bauvorhaben. In diesem Fall gewährt die
3 Einwohnergemeinde somit nicht einen Nettobeitrag an die Baukosten. Der Gemeindeversammlung sind in diesem Fall die Bruttokosten zur Beschlussfassung vorzulegen, wobei im Beschluss selbstredend die voraussichtlichen Einnahmen, beziehungsweise Eigenleistungen und damit die daraus resultierenden Nettokosten auszuweisen sind. 2.2.3. Kostendach Es steht dem Gemeinderat und auch der Gemeindeversammlung frei, die Beschlussfassung über das Projekt, wiewohl die Bruttokosten vorzulegen sind, mit einem Netto-Kostendach zu versehen und Nachtragskredite, sofern es sich nicht um teuerungsbedingte Mehrkosten handelt, auszuschliessen. 2.2.4. Generalunternehmung In der Regel ist die Arbeitsvergabe nicht Sache der Gemeindeversammlung. Vielmehr obliegt es dem Gemeinderat, den Gemeindeversammlungsbeschluss zu Projekt und Kredit zu vollziehen und die Erstellungsform zu wählen. Hingegen irrt der Gemeinderat, wenn er davon ausgeht, dass der Gemeindeversammlung nur die Möglichkeit zukomme, Kreditbeschlüsse zu fassen. Die Mitwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der Stimmberechtigten an der Gemeindeversammlung in der direkt-demokratischen Form lassen es zu, dass auch zum Projekt selbst Änderungsanträge gemacht und Änderungen beschlossen werden können und dass bereits im Beschluss der Gemeindeversammlung festgelegt werden kann, dass die Arbeiten über eine Generalunternehmung ausgeführt werden sollen; als weitere Möglichkeit kann auch gleich die Generalunternehmung bestimmt werden. Darüber ist jeweils in der Detailberatung abzustimmen. Wie dargelegt wird jedoch vorausgesetzt, dass in diesem Fall die Einwohnergemeinde zumindest Bauherrin der Anlage ist. 2.2.5. Submissionsreglement der Einwohnergemeinde Selbstredend gilt dort, wo die Einwohnergemeinde als Eigentümerin und Bauherrin auftritt das eigene Submissionsreglement. Mit einem allfälligen Entscheid, die Schützengesellschaft als Generalunternehmung einzusetzen, wird wohl ein wesentlicher Teil der Submission obsolet, hingegen kann der GU zur Auflage gemacht werden, sich bei ihren «Untervergebungen» seinerseits sinngemäss an die Vorgaben des Submissionsreglementes zu halten. 2.2.6 Abstimmungsverfahren 2.2.6.1. Abzustellen ist auf den Dreischritt der Verhandlungsführung. Nach den 63 bis 65 GG ist jedes Geschäft zu behandeln nach den Verfahrensstadien Eintreten, Detailberatung und Schlussabstimmung. Jede der drei Verhandlungsstadien ist formell abzuschliessen.
4 2.2.6.2. Eintreten Aufgrund des Protokolls kann davon ausgegangen werden, dass zuerst korrekt nach 63 GG die Eintretensdebatte geführt wurde. Die Gemeindeversammlung hat einen Nichteintretensantrag abgelehnt, oder positiv formuliert, sie hat Eintreten auf das Geschäft beschlossen. 2.2.6.3. Detailberatung Nach 64 GG können im Rahmen der Detailberatung in der Folge Änderungs- und Ergänzungsanträge gestellt werden. Die Dauer der Detailberatung kann mit einem Ordnungsantrag auf Abbruch der Diskussion verkürzt werden. Ein solcher Ordnungsantrag wurde gestellt, verbunden mit der Forderung, hier und jetzt über das Geschäft abzustimmen, das heisst rechtlich hier und jetzt im Versammlungssaal die Schlussabstimmung zum Geschäft vorzunehmen. Der Ordnungsantrag entpuppt sich sinngemäss als gemischter Antrag. Als Ordnungsantrag im Rahmen der Detailberatung und als Verfahrensantrag im Rahmen der Schlussabstimmung. Im Verfahrensstadium der Detailberatung konnte dabei nur über den Ordnungsantrag «Abbruch der Diskussion/Ende der Detailberatung» abgestimmt werden. Verfahrensanträge, welche die Schlussabstimmung betreffen dürfen erst im dritten Verfahrensschritt behandelt werden. 2.2.6.4. Schlussabstimmung Ist nach 65 GG der Verhandlungsgegenstand in der Detailberatung bereinigt, muss darüber an der Gemeindeversammlung abgestimmt werden. Ausgenommen sind die Fälle, in welchen an der Urne abzustimmen ist. Nach 50 GG ist über eine von der Gemeindeversammlung beratene Vorlage an der Urne abzustimmen, wenn der Gemeindebestand oder das Gemeindegebiet wesentlich verändert werden soll oder wenn es die Gemeindeordnung bestimmt. In diesen Fällen unterbleibt die Schlussabstimmung an der Gemeindeversammlung. Nach 51 GG kann zudem von einem Teil der an der Gemeindeversammlung anwesenden Stimmberechtigten verlangt werden, dass die Schlussabstimmung in einer Sachfrage an der Urne stattfindet. Nach 19 der GO der Einwohnergemeinde X beträgt das Quorum 1/4. Auch in diesen Fällen unterbleibt selbstverständlich die Schlussabstimmung an der Versammlung selbst. Diese Regelung, welche unter dem Kapitel der politischen Rechte in der ordentlichen Gemeindeversammlung steht, kann nicht mit Ordnungsanträgen «ausgehebelt» werden. Sie gilt absolut von Gesetzes wegen. Mit dem Ordnungsantrag (erster Teil) konnte somit rechtmässig nur die Detailberatung abgeschlossen werden. Der Verfahrensantrag (zweiter Teil), wonach die Schlussabstimmung an der Versammlung selbst («hier und jetzt») vorgenommen werden solle, konnte gekontert werden mit einem privilegierten Antrag auf Urnenabstimmung; privilegiert, weil dafür nicht das einfache Mehr der Stimmenden, sondern bloss ein Quorum der anwesenden Stimmberechtigten notwendig ist.
5 Wird somit ein Antrag auf Urnenabstimmung gestellt (dabei ist gleichgültig, in welchem Verfahrensstadium der Antrag gestellt wird), hat der Gemeindepräsident oder die Gemeindepräsidentin den Antrag entgegenzunehmen und nach Abschluss der Detailberatung zur Abstimmung zu bringen. Diese Abstimmung wurde nicht durchgeführt. Damit handelt es sich nicht nur um einen formellen Fehler sondern um einen inhaltlichen, indem nämlich nicht ergründet wurde, ob die Vorlage der Urnenabstimmung und damit einer qualitativ andern, einer ausserordentlichen Form der Beschlussfassung ( 16 Abs.1 GG) zu unterwerfen sei. Damit wurden die politischen Rechte der anwesenden und virtuell diejenigen aller Stimmberechtigten verletzt. Die Beschwerde ist daher im Hauptpunkt gutzuheissen. 2.2.6.5. Geheime Abstimmung Im Gegensatz zum Antrag auf Urnenabstimmung ist der Antrag auf geheime Abstimmung wieder ein Ordnungsantrag, um in einer Behörde oder an der Gemeindeversammlung selbst nicht offen, sondern eben geheim über eine Sache oder einen Verfahrensschritt abzustimmen Nach 34 Abs. 2 GG muss geheim gewählt oder abgestimmt werden, wenn mindestens 1/5 der anwesenden Stimmberechtigten es verlangt. Wird das Quorum erreicht, sind somit geheime Abstimmungen möglich über das Eintreten, über Anträge im Rahmen der Detailberatung, über Ordnungsanträge und Verfahrensanträge und als Schlussabstimmung. Die geheime Abstimmung tritt somit nicht in Konkurrenz zur Urnenabstimmung. Sie ist qualitativ etwas ganz anderes. Die geheime Abstimmung ist bloss eine besondere Abstimmungsform in der Behörde oder an der Gemeindeversammlung selbst. So kann beispielsweise geheim darüber abgestimmt werden, ob die Schlussabstimmung an der Urne vorzunehmen sei. In einem ersten Schritt muss in offener Abstimmung (einmal muss offen abgestimmt werden!) ergründet werden, ob darüber überhaupt geheim abzustimmen sei. Wird das Quorum von einem Fünftel erreicht, ist über die Frage geheim abzustimmen. Ergibt das Resultat - im Falle der Einwohnergemeinde X -, dass ein Viertel der anwesenden Stimmberechtigten sich in geheimer Abstimmung für Urnenwahl entscheidet, entfällt die Schlussabstimmung an der Gemeindeversammlung. Es ist eine Urnenabstimmung anzusetzen. Allfällige Anträge auf geheime Schlussabstimmung an der Gemeindeversammlung entfallen, weil soeben beschlossen wurde, die Schlussabstimmung an der Urne vorzunehmen. die Schlussabstimmung an der Gemeindeversammlung geheim vorgenommen werden. Voraussetzung ist aber, dass entweder gar kein Antrag auf Urnenabstimmung gestellt wurde oder aber der Antrag auf Urnenabstimmung nicht das nötige Quorum erreichte. In einem ersten Schritt ist auch hier wieder zu ergründen, ob eine geheime Abstimmung überhaupt das notwendige Quorum findet. Wenn ja, ist die Schlussabstimmung geheim vorzunehmen. Es entscheidet in diesem Fall das einfache Mehr der Stimmenden. 3. Schlussfolgerung Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Beschluss der Einwohnergemeindeversammlung X vom 12. Dezember 1995 zu Traktandum 5 wird aufgehoben. Der Einwohnergemeinde wird empfohlen, die Eigentumsverhältnisse am Schützenhaus nach einem allfälligen Bau/Umbau
6 zu regeln, bevor sie die Vorlage erneut der Gemeindeversammlung unterbreitet (RRB Nr. 519 vom 5. März 1996).