Innovation Mediation im Medizinrecht Hat Mediation im Arzthaftungsrecht Potential zur Konfliktbewältigung? Berlin, 06.06.2012 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 1
Behandlungsfehler im Arzthaftungsrecht 10000 gerichtliche Verfahren im Arzthaftungsrecht 30000 Verfahren vor der Schlichtungsstelle im Arzthaftungsrecht Patientenorganisationen schätzen die Anzahl der Behandlungsfehler jährlich auf bis zu 1 Millionen. Aktionsbündnis Patientensicherheit: 130.000 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 2
Ärzte in Deutschland 5500 2010 120200 niedergelassene Privatärzte Vertragsärzte 189000 angestellte Ärzte, z. B. Krankenhaus 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 3
Medizinrecht Recht der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung Vertragsarzt- und Vertragszahnarztrecht Recht der sozialen und privaten Pflegeversicherung zivilrechtliche Haftung (Arzthaftungsrecht) strafrechtliche Haftung Berufsrecht der Ärzte, Zahnärzte und anderer Heilberufe Vertrags- und Gesellschaftsrecht der Heilberufe Vergütungsrecht der Heilberufe Krankenhausrecht einschl. Bedarfsplanung, Finanzierungsrecht Chefarztvertragsrecht Arzneimittelrecht Medizinprodukterecht Apothekenrecht 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 4
Was ist ein Behandlungsfehler? Außerachtlassen der anerkannten Regeln ärztlicher Wissenschaft Behandlungsfehler und/oder Aufklärungsfehler Organisationsverschulden Diagnosefehler Abweichende Behandlung Begleitende Fehler (Stichwort: Hygiene) Nichtbehandlung Übermaßbehandlung 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 5
I. Rechtliche und tatsächliche Prüfung 1. Behandlungsfehler - einfacher Behandlungsfehler (Beweislast Patient) - grober Behandlungsfehler (Beweislast Behandler) - voll beherrschbarer Bereich (Beweislast Behandler) 2. Aufklärungsfehler - medizinische Aufklärung (Beweislast Behandler) - wirtschaftliche Aufklärung (Beweislast Behandler) 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 6
II. Medizinische Prüfung MDK Gutachten durch Krankenkasse u.u. PKV-Gutachten Schlichtungsstellen Gutachten Privatgutachten Selbstständiges Beweisverfahren ( 485 bis 494a ZPO) Stellung einer Strafanzeige (Gutachten im Rahmen der Ermittlung) 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 7
Mögliche Konsequenzen eines Vorwurfs mit Konsequenzen ohne Konsequenzen Außergerichtlicher Vergleich Zivilverfahren Strafverfahren Berufsrechtliches Verfahren Approbationsverfahren Disziplinarverfahren Vorwurf unbegründet Keine Schadensfolge Keine Kausalität nachweisbar Dunkelfeld 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 8
Stellen einer Strafanzeige Vorteile: kostenschonende Amtsermittlung durch StA Zeugenaussagen Akteneinsichtsrecht gem. 406e StPO Begutachtung von unabhängigen Sachverständigen Erhöhter Druck auf den beschuldigten Arzt 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 9
Stellen einer Strafanzeige Nachteile: Ermittlungsverfahren führt unter Umständen zur Aussetzung eines Zivilprozesses. Ein Schlichtungsverfahren ist dann ausgeschlossen. Sehr langes Ermittlungsverfahren Führt nicht zur Regulierung von Ansprüchen (i.d.r. kein Adhäsionsverfahren). Sachverständige sind vorsichtiger in der Beurteilung (in dubio pro reo). Unerwünschte Präjudizierung des Zivilverfahrens bei Einstellung. Bei Vorsatz ist der Haftpflicht von der Leistung frei. 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 10
Anspruchsschreiben Geltendmachung der Ansprüche des Mandanten gegenüber dem Behandler Ansprüche: Schmerzensgeld (immateriell) Schadensersatz (materiell) Feststellungsanspruch Verdienstausfall Haushaltsführungsschadensersatz Arztkostenerstattung Fahrtkosten- und Auslagenerstattung 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 11
Anspruchsschreiben Fristsetzung zur Stellungnahme (Mahnung) (i.d.r. über den Berufshaftpflichtversicherer) Vorschlag zur außergerichtlichen Einigung Vorschlag: Verfahren über die Schlichtungsstelle bei Behandlungsfehler Verzicht auf Einrede der Verjährung erbitten ( 202 II BGB bis 30 Jahre) Mediation? 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 12
Einschaltung der Schlichtungsstelle Nur bei Zustimmung aller Parteien möglich: Patient, Behandler, Haftpflichtversicherung des Behandlers (Freiwilligkeit!) Die Schlichtungsstelle ist eine Gutachterkommission bei den Ärztekammern. Formalien (Antrag) unter www.schlichtungsstelle.de Zuständigkeit Berlin: Schlichtungsstellen für Arzthaftpflichtfragen der Norddeutschen Ärztekammern Berliner Allee 20 30175 Hannover Es gibt 9 Schlichtungsstellen in Deutschland. 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 13
Einschaltung der Schlichtungsstelle Vorteile: effektiv nur bei klassischen Behandlungsfehlern kostenloses externes objektives Gutachten für den Mandanten Das Verfahren bezahlt die Haftpflichtversicherung des Arztes bzw. die Ärztekammer (Vorteil für PKH-Mandanten). Beurteilung der Haftungsfrage durch die Kommission ( Ob ). Bescheid der Schlichtungsstelle zur Feststellung Erneute Beurteilung bei neuem Vortrag (4 Wochen) nachfolgend außergerichtliche Regulierungsverhandlungen Dauer 1 bis 2 Jahre verjährungshemmende Wirkung, 203 BGB I.d.R. Besetzung mit Ärzten und Juristen Beteiligung des Haftpflichtversicherers ist meist vorgesehen. 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 14
Einschaltung der Schlichtungsstelle Nachteile: Aufklärungsverstöße sind nicht überprüfbar (keine Zeugenanhörung, keine Beweisaufnahme) keine Prüfung von Rechtsfragen (Organisationsverschulden) Es kann nurdas Verhalten von Ärztengerügt werden (keine Pflege-, Hebammenfehler). Erfolgsaussichten je nach Qualität der Stelle unterschiedlich Nicht unabhängig, da an Ärztekammer angegliedert. (Oft Verkennung der Beweislast, juristischer Wertungen) Der Rechtsweg ist nicht ausgeschlossen ( Pustekuchen ). Zeitverlust für Zivilverfahren Für Zahnfälle gibt es gesonderte Schlichtungsstellen, die jedoch für den Patienten kostenpflichtig sind. 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 15
Außergerichtliche Regulierung Mediation im Arzthaftungsrecht? Anerkenntnis des Behandlers gem. 781 BGB Vergleichsvertrag (Gesamterledigung über eine Summe) Anwaltsvergleich (vgl. 796a ZPO) Vorsicht bei Abfindungsvergleich, da bei einem Feststellungsanspruch der gesamte Zukunftsschaden mit verglichen wird! Dieser ist gerade bei jungen Mandanten schwer abzusehen (Sozialversicherungssystem). Formulierungsbeispiel: Von diesem Teilvergleich nicht umfasst, sind die weiteren behandlungsbedingten materiellen Ansprüche ab DATUM, soweit sie nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen bzw. übergegangen sind. Optimal (zusätzlich): Feststellung des Schadensersatzes dem Grunde nach (=gerichtliche Feststellung) und die Gegenseite verzichtet auf die Verjährungseinrede im Bezug auf den materiellen Zukunftsschaden. 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 16
Feststellungsantrag Das Feststellungsinteresse ist gem. 256 I ZPO bereits dann zu bejahen, wenn die Entstehung des Schadens -sei es auch nur entfernt - möglich, aber noch nicht vollständig gewiss ist und der Schaden daher noch nicht abschließend beziffert werden kann, weil er sich noch in der Entwicklung befindet" (BGH, NJW-RR 2007, 601 = MDR 2007). 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 17
Klageerhebung Die Klage sollte ultima ratio sein: Voraussetzungen gemäß ZPO Gericht Vorteile Rechtskraft; legaler Kampf der Parteien Gericht Nachteile Zu teuer, zu lange (Dauer 3 bis 10 Jahre; durchschnittlich 6 Jahre) Aufwändiges Verfahren Unpersönliches, unverständliches Verfahren Unberechenbares Verfahren, Eskalationstendenzen möglich kämpfende Gegner ums Recht (= zerstörte Beziehung) 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 18
Neue Gesetzesvorhaben Gesetz zur Förderung der Mediation (BR-Drs. 10/12) Am 10.02.2012 vom Bundestag beschlossen Aktuell: Einberufung des Vermittlungsausschusses Patientenrechtegesetz zum 01.01.2013 in Kraft? Referentenentwurf des BMJ und des BMG liegt seit Januar 2012 vor. 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 19
Mediation Vorteile I Geleitete Kommunikation durch objektiven Dritten (Mediator) Verjährungshemmende Wirkung (+), 203 BGB Nichtöffentlichkeit und Vertraulichkeit des Verfahrens Der Arzt muss in keine öffentliche Verhandlung, keine Prangerwirkung(= wirtschaftlicher Ruin). Der Patient kann nicht justiziable Aspekte artikulieren. Behebung von Kommunikationsdefiziten (Motiv: Erklärung für das Geschehen, Entschuldigung, Anteilnahme, Aussprache) wird dem Vertrauensverhältnis/der Nähebeziehunggerecht ( 630c Abs.1, Abs. 2 BGB Entwurf; zusammenwirken ) 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 20
Mediation Vorteile II auch möglich bei Aufklärungsverstoß auch möglich bei Strafrecht fahrlässige Körperverletzung = relatives Antragsdelikt Verletzungen der Schweigepflicht: 201 Abs. 1 und 2, 202, 203, 204, 205 StGB; Beleidigung 185 i.v.m. StGB = ohne Strafantrag kein Verfahren! Fortsetzung der Behandlung ist möglich/ Aufrechterhalten der Beziehung! Auch bei Verletzung von wirtschaftlichen Aufklärungspflichten, 630c Abs. 3 BGB Entwurf (Igel u.a.) 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 21
Mediation Vorteile III Auch bei Pflegern, Hebammen, Heilpraktikern, Physiotherapeuten ( 630a BGB Entwurf, Behandler ) Führt schneller als gerichtliches Verfahren zum Ziel Weniger aufwändig als gerichtliches Verfahren Prozess belastet auch den Arzt stark. Geringere Förmlichkeiten als im Prozess Qualitativ dem Gerichtsurteil überlegene, selbst erarbeitete Konfliktlösung Freiwillige Basis Konflikt und tieferliegendes Umfeld wird als Ganzes beigelegt. 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 22
Mediation Nachteile I Wer arm ist, kann sich außergerichtliche Mediation nicht leisten. Ist bei PKH-Mandanten nur die gerichtliche Mediation möglich? Streit über: Kosten, Auswahl des Mediators und Gutachters Qualifikation des Mediators Nicht ohne teure Rechtsanwälte möglich Nachprüfung durch übergeordnete Instanz entfällt. Der Patient kann beim Schadensersatz nicht nachgeben, existenziell (Grenze der Mediation). Zu Große Runde mit CA, OA, Ärzte, Berufshaftversicherung, Vertreter der Klinik GmbH u.a. 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 23
Mediation Nachteile II Rolle des Haftpflichtversicherers: Bei Schadensersatzbegehren entscheidet in der Praxis der Haftpflichtversicherer des Arztes über die Regulierung des geltend gemachten Schadens. Er hat im Außenverhältnis gegenüber dem Patienten die Regulierungsvollmacht (5.2 AHB 2007). Damit korrespondierend steht dem Versicherer im Innenverhältnis zum Arzt als Versicherungsnehmer die Geschäftsführungsbefugnis zu. Die Verhandlungsautonomie des Arztes in der Praxis ist weiterhin eingeschränkt. Mediation ist in einer solchen Konstellation nur dann sinnvoll, wenn eine Chance besteht, dass der Versicherer an dem Verfahren teilnimmt oder jedenfalls dem Ergebnis zustimmt. 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 24
Mediation Nachteile III Notwendigkeit der Sachverhaltsaufklärung durch medizinisches wissenschaftliches Sachverständigengutachten (auch für Frage der Regulierung durch den Haftpflichtversicherer) unerlässlich Expertise wird im Mediationsverfahren typischer Weise nicht eingeholt dann fehlt die notwendige Tatsachengrundlage für die Verständigung. Ungleiche Verhandlungsmacht: Kompetenzgefälle zwischen Patient und Arzt und Wissen um das Behandlungsgeschehen und soziokulturelle Unterschiede. 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 25
Mediation Thesen I NEIN: Für das Ob einer Entschädigung ist die Mediation wenig sinnvoll? JA: Die Mediation kann nach Schlichtungsstellengutachten das Wie (die Höhe der Entschädigung/Dauerschäden/zukünftig entstehende Schadenspositionen) regeln. Bei der Frage des Wie /der Höhe der Entschädigung (Dauerschäden, zukünftig entstehende Schadenspositionen, z.b. statt Folgeprozess aus Feststellungsurteil dem Grunde nach) Bei Aufklärungsverstößen? (Keine Schlichtungsstelle) Prüfung von Rechtsfragen? (Organisationsverschulden) 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 26
Mediation Thesen II Bei Zahnarzthaftungsfällen! Der Zahnarzt hat in Bezug auf den Schadensersatz Verhandlungsautonomie! Auch bei Pflegern/Reha-Einrichtungen (Dekubitus), Hebammen, Heilpraktikern?, Physiotherapeuten, Psychotherapeuten ( 630a BGB Entwurf, Behandler ) [Keine Schlichtungsstelle!] Im Einzelfall: Bei nicht justiziablen Motiven, bzw. wenn es auf den finanziellen Ausgleich nicht ankommt (Motiv: Erklärung für das Geschehen, Entschuldigung, Anteilnahme, Aussprache) fahrlässige Körperverletzung/relatives Antragsdelikt berufsrechtliche Verfahren/Entzug der Approbation Verletzungen der Schweigepflicht: 201 Abs. 1 und 2, 202, 203, 204, 205 StGB; ohne Strafantrag kein Verfahren 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 27
Mediation Thesen III Forderung: Ein Verfahren zur geleiteten Kommunikation (Mediation) als auch zur Begutachtung der Haftungsfrage (Gutachten). 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 28
Mediative Elemente bei Gericht Gemäß 278 V 2 ZPO hat der Richter die Möglichkeit, den Parteien während des Gerichtsverfahrens eine außergerichtliche Streitschlichtung vorzuschlagen. Entscheiden sich die Parteien hierzu, ist das Ruhendes Verfahrens anzuordnen ( 278 V 3 i.v. mit 251 ZPO). 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 29
Gerichtsinterne Mediation bedeutet das Umlenken des mit der Klage gewählten Entscheidungsverfahrens in ein richterliches Vermittlungsverfahren (durch einen anderen als den mit der Klage befassten Richter, der sog. ersuchte Richter = analog 278 V 2, 362 ZPO). 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 30
Wer am Ende seines Lebens noch Gesundheit übrig hat, hat falsch gelebt und viel verpasst. 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 31
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. 06.06.2012 RA Volker Loeschner - Mediation im Medizinrecht Seite 32