Physik für Elektrotechniker und Informatiker

Ähnliche Dokumente
Grundlagen der Messtechnik

Basiswissen Chemie. Vorkurs des MINTroduce-Projekts

Elektrische Einheiten und ihre Darstellung

Zeit, Länge und Geschwindigkeit

Einführung in die Physik für Studierende der Medizin, Zahnmedizin und Pharmazie

Experimentalphysik Wintersemester 2015/2016 Bachelorstudiengang Chemie 1. Fachsemester

umwandlungen Atommodelle, Rutherford-Experiment, Atomaufbau, Elektronen, Protonen,

Physik im Studium. Physik I - IV. Theoretische Vorlesungen. Praktika. Vorlesungen für Fortgeschrittene. Praktika für Fortgeschrittene

Messtechnik. 1 Grundlagen. 2 Messsysteme. 3 Messung elektrischer Größen. 4 Messung nichtelektrischer Größen. 5 Analyseverfahren

Lehrplan Chemie Grobziele

Anerkannte, gleiche und reproduzierbare Größen sind (auch außerhalb der Physik) notwendig: Handel, Grundbesitz, Navigation, Dosierung...!

Schulinterner Lehrplan (Stand Juni 2015)

Elektrische Ladung und elektrischer Strom

Physikalisches Praktikum

Formelsammlung. Physikalische Größen. physikalische Größe = Wert Einheit Meßgröße = (Wert ± Fehler) Einheit

Stationsunterricht im Physikunterricht der Klasse 10

Elektromagnetische Felder und Wellen

Jahrgänge 9 und 10 Basiskonzept Stoff-Teilchen. Basiskonzept Energie. Basiskonzept Chemische Reaktion. Basiskonzept Struktur- Eigenschaft

Chemische Reaktionen - physikalisch beschrieben

Protokoll des Versuches 5: Messungen der Thermospannung nach der Kompensationsmethode

Lehrplan für das Grundlagenfach Chemie

Trägheit, Masse, Kraft Eine systematische Grundlegung der Dynamik

Administratives BSL PB

Messmittelmanagement

1 Allgemeine Angaben. 2 Vorbereitungen. Gruppen Nr.: Name: Datum der Messungen: 1.1 Dokumentation

Berufsmatura / Physik Seite 2/18

Die Avogadro-Konstante N A

Gleichstromnetzwerke

Curriculum Fach: Chemie Klasse: 8 Hölderlin-Gymnasium Nürtingen. Chemie

Physikalisch-chemische Grundlagen einiger Experimente aus Thermodynamik und Spektroskopie

Thermodynamik. Interpretation gegenseitiger Abhängigkeit von stofflichen und energetischen Phänomenen in der Natur

Geologie, Physik. Mit der Veränderung von Stoffen

Stundentafel für die Schwerpunktfächer Griechisch oder Latein oder Italienisch oder Spanisch (Gültig ab Schuljahr 2015/2016)

Chemische Reaktionen

MOL - Bestimmung der Molaren Masse nach Dumas

Elektrische Spannung und Stromstärke

Lissajous-Figuren Versuche mit dem Oszilloskop und dem X Y Schreiber

Schriftliche Abschlussprüfung Physik Realschulbildungsgang

Das Magnetfeld der Erde. Stephen Kimbrough Damjan Štrus Corina Toma

Stöchiometrie. (Chemisches Rechnen)

Jahrgangsstufe 9.1. Fachliche Kontexte und Hinweise zur Umsetzung des Kernlehrplans Meter in 10 Sekunden Physik und Sport

Grundlagen der Elektronik

Lehrplan Physik. Bildungsziele

Endstoffe (Produkte) Aus dem Reaktionsgemisch entweichendes Gas, z. B. 2 Welche Informationen kann man einer Reaktionsgleichung entnehmen?

IU3. Modul Universalkonstanten. Lichtgeschwindigkeit

Grundwissen Chemie 8I

Abb. 1: Exotherme und endotherme Reaktionen Quelle:

Arbeit Leistung Energie

Thermodynamik. Basics. Dietmar Pflumm: KSR/MSE. April 2008

Klassenstufe 7. Überblick,Physik im Alltag. 1. Einführung in die Physik. 2.Optik 2.1. Ausbreitung des Lichtes

Absprachen und Beschlüsse in der Jahrgangsstufe 10

Reinigungsmittel, Säuren und Laugen im Alltag Inhaltsfeld: Saure und alkalische Lösungen

E-Labor im WS / SS. Versuch HS Homogenes Strömungsfeld / Passive Zweipole

DIE FILES DÜRFEN NUR FÜR DEN EIGENEN GEBRAUCH BENUTZT WERDEN. DAS COPYRIGHT LIEGT BEIM JEWEILIGEN AUTOR.

Praktikum Nr. 3. Fachhochschule Bielefeld Fachbereich Elektrotechnik. Versuchsbericht für das elektronische Praktikum

Physik1. Physik der Wärme. WS 15/16 1. Sem. B.Sc. Oec. und B.Sc. CH

Die Wanderung von Ladung

Element. Verbindung. Reinstoff. Gemisch

Chemie Zusammenfassung KA 2

Was ist Physikalische Chemie? Die klassischen Teilgebiete der Physikalischen Chemie sind:

Der Zwiespalt zwischen Theorie und Anschauung in der heutigen Wärmelehre und seine geschichtlichen Ursachen

Thema/Inhalt. Schulcurriculum Klasse 7 und 8 für das Fach CHEMIE

Arbeitsblatt Elektrotechnik

Fragenkatalog für die 9. Klasse des sprachlichen Zweiges in Chemie

Lehre der Energie, ihrer Erscheinungsform und Fähigkeit, Arbeit zu verrichten.

Sebastian Rattey MSR1 Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik

Statistische Methoden der Datenanalyse

Curriculum für das Fach: Physik

GYMNASIUM ESSEN NORD-OST Gymnasium für Jungen und Mädchen Sekundarstufe I und II Ganztagsgymnasium

TECHNISCHE UNIVERSITÄT BERLIN STUDIENKOLLEG PHYSIK

Grundlagen der physikalischen Chemie 1 - Aufbau der Materie

2/2: AUFBAU DER ATOMHÜLLE Tatsächlich gilt: Modul 2 - Lernumgebung 2 - Aufbau der Atomhülle

Längeneinheit und Längenmessung - Deutschlands nationales Metrologieinstitut

Herzlich willkommen Bienvenue Welcome. Eröffnungsveranstaltung Brückenkurs Manfred Schleicher

Physikalisches Praktikum II Bachelor Physikalische Technik: Lasertechnik Prof. Dr. H.-Ch. Mertins, MSc. M. Gilbert

Struktur- Eigenschafts- Beziehungen. Stoff-Teilchen- Beziehungen. Struktur- Eigenschafts- Beziehungen. Chemische Reaktion

Michelson Interferometer: Aufbau und Anwendungen. 21. Mai 2015

QED Materie, Licht und das Nichts. Wissenschaftliches Gebiet und Thema: Physikalische Eigenschaften von Licht

Kräfte und Bewegungen. Energie und Impuls. Gravitation Kräfte und Bewegungen. Energie und Impuls. Schwingungen und Wellen Kräfte und Bewegungen

Die Physik Albert Einsteins im Schülerlabor. Dr. Thomas Trefzger Jörg Kühnel Universität Mainz

Schalenmodell des Atoms

Naturwissenschaft in der Oberstufe

DAS RICHTIGSTELLEN VON GLEICHUNGEN

Grundwissen Chemie - 9. Jahrgangsstufe

Versuch VM 3 (Veterinärmedizin) Wärmekapazität und Wärmeübergang

1930: Krise in in der der Physik. Oh, Oh, daran denkt man man am am besten gar gar nicht, wie wie an an die die neuen Steuern

Lösungen zum Niedersachsen Physik Abitur 2012-Grundlegendes Anforderungsniveau Aufgabe II Experimente mit Elektronen

Kohlenmonoxid aus Ethanal, CH 3 -CHO

Gymnasien des Kantons St.Gallen Lehrplan 2006 Grundlagenfach 5: Chemie Seite 57. Grundlagenfach 5: Naturwissenschaften. Chemie

Fragen zur Lernkontrolle

Sophie-Scholl-Gesamtschule Hamm

Michelson-Interferometer & photoelektrischer Effekt

Experimentelle Übungen I E5 Kleine Widerstände / Thermoelement Protokoll

2 Meßverfahren zur Bestimmung von Partikelgrößenverteilungen

HARDWARE-PRAKTIKUM. Versuch T-1. Kontaktlogik. Fachbereich Informatik. Universität Kaiserslautern

Gutenberg-Gymnasium, Schulinternes Curriculum im Fach Physik, Klasse 9

Zeit-und Frequenzstandards. Nick Rothbart

Protokoll zum Physik-Anfängerpraktikum. Hygrometrie

Aggregatzustand, Wärme, Temperatur

Versuch M9 Temperaturmessung

Transkript:

Physik für Elektrotechniker und Informatiker Grundlagenvorlesung 1. & 2. Semester Inhaltsverzeichnis 0. Allgemeine Einführung in das naturwissenschaftliche Fach Physik 0.1. Stellung und Bedeutung der Physik Was ist Physik? 0.2. Rolle des Experimentes, Messen, Maßsysteme 0.3. Physikalische Modelle, Hypothesen, Theorien, Rolle der Mathematik

Was ist Physik? Allgemeine Einführung in das naturwissenschaftliche Fach 0.1. Stellung und Bedeutung der Physik wörtlich (übersetzt): Ursprung, Naturordnung, das Geschaffene Aristoteles 384 324 v. Chr. Folie 1 Hauptziel: Erforschung und Verstehen der grundlegenden Naturgesetze, auf denen alle bekannten physikalischen Phänomene/Erscheinungen beruhen Fundament der Technik: Rein praktisch sind alle technischen Errungenschaften Anwendungen der Physik Historisches: Die griechische Naturphilosophie war der Beginn naturwissenschaftlichen Denkens, der Start zur Entmythologisierung der Natur. Die Natur ist ein sehr komplizierter und zugleich komplexer Mechanismus, den man aber prinzipiell begreifen kann. Es existieren Gesetzmäßigkeiten anstatt undurchschaubares Wissen von Göttern und Dämonen. Die Geschichte der Physik zeigt eine ständige Verbesserung des Verständnisses auf. Jede neue Stufe führt zu einer Vereinfachung und Verringerung der Zahl der Grundgesetzte und Theorien. Seit geraumer Zeit findet eine Physikalisierung anderer Wissenschaftszweige statt. Bsp.: Chemie = Physik der Atomhülle Biologie = Komplex chemischer Reaktionen Chemie der Eiweise (Das soll keineswegs eine Geringschätzung der anderen Wissenschaftszweige darstellen!) Der gegenwärtige Höhenflug der biologischen Wissenschaften, die Entwicklung der Biotechnologie beruhen wesentlich auf der Anwendung physikalischer Methoden, wobei man bisher noch nicht versteht, wie Leben entsteht, was es genau ist, wie es anfängt und aufhört. Jede physikalische Aussage kann überprüft werden durch Wiederholung eines bestehenden Experiments oder durch Hinterfragung einer aufgestellten Hypothese oder Theorie.

Die Physik macht aus der Naturbeobachtung Aussagen und trifft Schlussfolgerungen über Dinge, die nicht einmalig sind, also nicht nur einmal auftreten. Folie 2 Eine ganz wesentliche Errungenschaft physikalischen Vorgehens ist das gezielte Experiment als gezielte Anfrage an bestimmte Aspekte der Natur unter Ausschluss strömender Effekte. Es erfolgt eine Modellbildung zur Vereinfachung und Abstraktion. Mit dem Experiment sehr eng verknüpft sind zwei wesentliche weitere Komplexe: 1. Physikalische Größen, Maßsysteme, Maßeinheiten, Messungen, Messfehler 2. Physikalische Modelle, Hypothesen, Theorien, Mathematisierung Physikalische Beobachtungen müssen quantitativ sein, d.h. in Maß und Zahl angegeben sein. Nur dann sind sie jederzeit nachprüfbar. Alle Beobachtungen müssen auf Messungen beruhen. Bsp.: Es reicht nicht zu sagen: Das Wasser ist warm. Man muss die Temperatur mit einem Thermometer messen. Unsere Sinnesorgane sind empfindlich für Vergleiche. Sie können aber nicht zum absoluten Messen verwendet werden. Darüber hinaus lassen sich unsere Sinnesorgane täuschen.

0.2. Rolle des Experimentes, Messen, Maßsysteme Das Wesen eines Experimentes ist die Messung, der unmittelbare Vergleich zweier Größen Bsp.: Die physikalische Größe Länge hat die Maßeinheit Meter m. Um eine gegebene Länge oder Distanz zu ermitteln, wird diese mit der Messlänge (Maßeinheit) verglichen. Zollstock: Die Distanz beträgt x, yz m Maßeinheiten werden durch Normale oder Standards definiert. Messgeräte müssen regelmäßig an diesen Normalen geeicht, kalibriert, überprüft, verglichen werden. Normale = f (Entwicklungsstand von Wissenschaft und Technik) f (Güte und Genauigkeit der möglichen Messtechnik) Folie 3

Folie 3: Skizze Erdquadrant Skala 1 m 1 Definition: 1 m: Strecke, die Licht im Vakuum in 299.792.458 s zurückgelegt. Damit ist c 0 als Vakuumlichtgeschwindigkeit keine Messgröße mehr und beträgt definitionsgemäß 299.792.458 m s! Definition der s: über die Periodendauer eines bestimmten Überganges des 133 Cs-Atoms Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes, des 9.192631.770-fache Definition des kg: Paris 1kg-Pt-Ir-Zyl. früher: 1 dm³ H 2O bei 4 C angestrebt: Übergang zu Si-Einkristallkugel mit definierten Atomzahlen Anschluss an Längenmaß und atomaren Einheiten

Die 7 Grundgrößen des SI-Systems G = G x G Physikalische Größe = Maßzahl x Maßeinheit Länge l = Meter m Kinematik K Zeit t = Sekunde s Mechanik Masse m = Kilogramm kg Elektr. Stromstärke I = Ampere A ED Temperatur T = Kelvin K Stoffmenge n = Mol mol TD Lichtstärke L = Candela cd Photometrie Alle anderen physikalischen Größen sind abgeleitete Größen. Oft wird abgeleiteten Maßeinheiten ein eigener Name verliehen: Bsp.: (N, J, W, ) Eine Dimensionsanalyse erlaubt die Überprüfung der Richtigkeit beliebig komplizierter Formeln. Links und rechts des Gleichheitszeichens muss die gleiche Dimension stehen. Der Messprozess wird wesentlich durch zwei Begriffe charakterisiert: o Messgenauigkeit Wie groß ist der maximale Messfehler? o Reproduzierbarkeit Liefert die Wiederholung der Messung zu einer anderen Zeit oderunter anderen Bedingungen ein gleiches Ergebnis? Physikalisches Praktikum 0.3. Physikalische Modelle, Hypothesen, Theorien, Rolle der Mathematik Experimente sind meist so gestaltet, dass bestimmte Einflüsse deutlich messbar sind, störende Einflüsse hingegen ausgeschaltet oder weitestgehend unterdrückt werden und die gewünschte Größe möglichst unbeeinflusst ermittelt werden kann. Bsp.: Experiment 3: Fallgesetze / Fallröhre: V 2 / 1232

Ausschluss des Luftwiederstandes in einem Vakuum-Fallturm Physikalische Gesetze, die in der Regel durch Formeln ausgedrückt werden, sind den Vereinfachungen des Modells angepasst, d.h., Dinge, die in dem betrachteten Zustand keine Rolle spielen, kommen nicht (mehr) vor. Einfachheit und Klarheit Man muss aber immer wieder (über)prüfen, ob die Voraussetzungen des Modells im konkreten Falle gelten. Hypothesen: Mehr oder weniger begründete Vermutungen, Arbeitshypothesen dienen oft der Planung bzw. dem Entwurf von Experimenten Bsp.: Wenn das so ist, dann müssten doch auch Vorstufen von Gesetzmäßigkeiten Prinzipiell ist Physik immer offen für unerwartete experimentelle Ereignisse. Insofern ist keine Gesetzmäßigkeit absolut. Mit zunehmender Vervollständigung des Bildes von der Welt, der zunehmenden Menge von zusammenpassenden und sich gegenseitig nicht störenden bzw. sich stützenden Befunden steigt natürlich das Zutrauen in die gefundenen Gesetzmäßigkeiten. Deshalb wird z.b. die (zukünftige) Suche nach einem perpetuum mobile abgelehnt. Theorien: Überwiegend mathematische Formulierung gefundener Gesetzmäßigkeiten beziehen sich auf ein bestimmtes Modell o Außerordentlich wichtige Rolle von Mathematik + Computerphysik o Arbeitsteilung zwischen Experimentalphysik und theoretischer Physik wegen des enormen Wissensvolumens Neue experimentelle Messergebnisse Theorie/ Hypothese theoretische Erklärung nachfolgende experimentelle Bestätigung o Computertechnik: näherungsweise Lösung komplexer Probleme, die analytisch

unzugänglich sind Berechnung experimentell nicht zugänglicher Konstellationen Die in Theorien verwendete mathematische Formulierung physikalischer Aussagen erlaubt die Vorhersage bisher nicht bekannter Vorgänge und Erscheinungen. Bsp.: Vorhersage elektromagnetischer Wellen durch James Clerk Maxwell (1831-1879) Experimenteller Nachweis durch Heinrich Hertz (1857-1894)