I N F O R M A T I O N zur Pressekonferenz mit Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer und Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Ackerl am 8. November 2011 zum Thema "SPES Sprachscreening eröffnet frühe Chancen" Weiterer Gesprächsteilnehmer: Prim. Priv. Doz. Dr. Johannes Fellinger, KH Barmherzige Brüder, Leitung SPES Priv. Doz. Dr. Daniel Holzinger, KH Barmherzige Brüder, Projektleiter SPES Dr. Hermann Pramendorfer, Leiter der Fachgruppe Kinderärzte OÖ
2 "SPES Sprachscreening eröffnet frühe Chancen" In Oberösterreich wurde ein neues Verfahren zur frühen und sicheren Erkennung von Sprachentwicklungsstörungen bei Kindern entwickelt, das sogenannte SPES = SPrach- Entwicklungs-Screening. Ziel des Projektes war ein Screeningverfahren zu entwickeln, das unter der Mitarbeit der niedergelassenen Kinderfachärztinnen und Kinderfachärzte hilft, Kinder mit Sprachstörungen möglichst früh herauszufiltern und gegeignete Maßnahmen einzuleiten, um diese Störungen bereits in frühen Jahren entweder zu beseitigen oder zu lindern. Laut der vorliegenden Studie haben ca. 8 Prozent der Dreijährigen eine spezifische Sprachstörung, d.h. eine Störung ausschließlich der Sprache. Weitere 2,5 Prozent der Kinder zeigen Sprachprobleme im Rahmen von umfassenderen Entwicklungsproblemen, z.b. eines allgemeinen Entwicklungsrückstands. Im Hinblick auf die psycho-soziale, geistige und schulische Entwicklung der betroffenen Kinder ist die Früherkennung von Sprachstörung äußerst wichtig. Durch das Herausfiltern der Risikokinder wird auch deren Eltern die Möglichkeit gegeben, die Kinder sprachfördernd im Alltag zu unterstützen. Die Entwicklung des SPES-Sprachscreenings erfolgte in einem fünfjährigen Forschungsprogramm des Instituts für Sinnes- und Sprachneurologie im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Linz unter der Leitung von Prim. Priv. Doz. Dr. Johannes Fellinger und der Projektleitung von Priv. Doz. Dr. Daniel Holzinger gemeinsam mit der Fachgruppe der Kinderärzte in OÖ unter der Leitung von Dr. Hermann Pramendorfer. Von entscheidender Bedeutung war die langjährige Kooperation mit 36 Kinderärzten/innen in ganz Oberösterreich, die die Screeningverfahren in ihrer Praxis mit 2- und 3jährigen Kindern einsetzten. So trugen sie zur Entwicklung rasch durchzuführender, von den Eltern gut angenommener und treffsicherer Screenings bei.
3 Für das Projekt SPES hat das Land OÖ rund 350.800,- Euro in den Jahren 2006 bis 2011 zur Verfügung gestellt. Der Betrag wurde je zur Hälfte von der Abteilung Gesundheit und der Abteilung Jugendwohlfahrt aufgebracht. Gesundheitsreferent Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer: "Das Projekt SPES-Sprachscreening ist ein oö. Vorzeigeprojekt im Bereich Prävention bei Kindern. Durch die Früherkennung und die aktiven Vorbeugemaßnahmen können spätere Folgeschäden und teure 'Sanierungskosten' vermieden werden. Die Kinder können so rechtzeitig gefördert werden, dadurch mit ihrem Umfeld bzw. nicht beeinträchtigten Kindern besser mithalten, sodass auch die sozialen Kontakte nicht darunter leiden. Der nachhaltige Erfolg zeichnet sich vor allem durch das Einbeziehung der Eltern und Familien in das Trainingsprogramm durch spielerisches Erlernen aus. Auch der volkswirtschaftliche Nutzen ist groß, denn eine Behandlung im Kindesalter ist meist kostengünstiger und durch das rechtzeitige Setzen von Behandlungsmaßnahmen erfolgversprechender. Ich begrüsse das Projekt, das von allen Seiten von Seiten der Eltern, der Logopäden/innen und der Kinderärztinnen und Kinderärzte ein sehr positives Zeugnis ausgestellt bekommen hat". Sozialreferent Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Ackerl: "Der Abteilung Jugendwohlfahrt war es im Rahmen des Projektes stets wichtig, nicht nur die Kinder mit Sprachentwicklungsstörung rechtzeitig zu erkennen, sondern auch geeignete Möglichkeiten und Wege zu finden, damit die Eltern nicht mit der Diagnose allein gelassen werden. Das Heidelberger Elterntraining ist eine gute Methode, mit der Eltern befähigt werden, im Alltag und im Spiel die Sprache ihres sprachentwicklungsverzögerten Kindes zu fördern und damit bessere Chancen für dessen Zukunft zu eröffnen. Besonders erfreulich sind die Rückmeldungen der Eltern, die am Training teilgenommen haben. Sie meldeten alle zurück, dass sie das Training als hochgradig hilfreich empfunden haben und jederzeit anderen Eltern eine Teilnahme empfehlen würden. Das Projekt SPES hat auch zu einer Intensivierung der Zusammenarbeit von Logopäd/innen und Kinderärzt/innen beigetragen ein positiver Nebeneffekt, den ich an dieser Stelle ebenfalls erwähnen möchte."
4 1. Wissenschaftlicher Hintergrund Mindestens acht von hundert Kindern sind von einer Sprachstörung betroffen. Sprachstörungen haben sehr häufig anhaltende negative Auswirkungen auf schulisches und berufliches Lernen, psycho-soziale Gesundheit und Lebensqualität. 50 Prozent der Kinder mit einer Sprachstörung im Kindergartenalter entwickeln im Schulalter eine Lesestörung, sogar 70 Prozent von ihnen zeigen später eine Leseschwäche (laut Catts et al. 2002). Die Wichtigkeit von Leseverständnis für schulisches Lernen und höhere Schulabschlüsse ist vielfach belegt. Auffälligkeiten der sozio-emotionalen Entwicklung, hier insbesondere soziale Ängste, sind bei 50 Prozent der fünfjährigen Kinder mit einer Sprachstörung, aber auch noch bei 40 Prozent im jungen Erwachsenenalter, festzustellen, was auf die anhaltenden Auswirkungen über die Schulzeit hinaus verweist. So gibt es Studien (Botting et al. 2005) die häufigere Probleme mit Gleichaltrigen bei Jugendlichen mit einer Geschichte einer Sprachstörung im Vergleich zu nicht betroffenen Jugendlichen signifikant belegen. Andererseits liegen Belege für die Effektivität früher Interventionsmaßnahmen vor, die die Beratung und Anleitung von Eltern sehr junger sprachentwicklungsverzögerter Kinder zur Sprachförderung im Alltag in den Mittelpunkt stellen (z.b. Heidelberger Elterntraining; Buschmann & Joos 2007, Buschmann, Rupp, Sledhusen, Pietz & Philippi 2009). Elternzentrierte frühe Intervention setzt jedoch ein frühes Erkennen von Hochrisikokindern für anhaltende Sprach- und entsprechende Folgestörungen voraus. Das SPES-Sprachscreening könnte als gezielte Maßnahme eine Ergänzung zur Mutter- Kind-Pass-Untersuchung darstellen beziehungsweise in diesen integriert werden. Ohne gezieltes Screening wurde in Deutschland im Rahmen der kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen (vergleichbar mit unserem Mutter-Kind-Pass) lediglich jedes vierte Kind als Spätsprecher ("late talker") erkannt, d.h. 75 Prozent dieser Kinder wurden übersehen (Sachse et al 2007).
5 Das frühe Einsetzen von Intervention ist entscheidend, da sich Sprache insbesondere in den allerersten Lebensjahren entwickelt. Auch gibt es mittlerweile eine Fülle von Hinweisen für die Kosteneffizienz früher Intervention bei Entwicklungsstörungen. 2. Das Projekt SPES im Detail In der letzten Projektphase wurden über 4.000 Kinder im Alter von zwei Jahren hinsichtlich ihrer Sprachentwicklung gescreent. Bei Auffälligkeiten erfolgte eine Beratung der Eltern und das Angebot einer Elterntrainingsgruppe (Heidelberger Elterntraining). Der Großteil aller 2jährigen Kinder wurde dann im Alter von 3 Jahren nochmals im Hinblick auf die Sprachentwicklung gescreent. Auffällige Kinder wurden zur Abklärung von Hören, Sprache und Gesamtentwicklung an das Institut für Sinnesund Sprachneurologie verwiesen. Außerdem wurde durch eine Kontrollgruppe nicht vorausgewählter Kinder überprüft, ob durch das Sprachscreening Kinder mit Sprachproblemen übersehen werden. Aus den so ermittelten umfangreichen Datensätzen konnten nunmehr zeitökonomische und treffsichere Sprachscreeningverfahren entwickelt werden, die für den Einsatz im Rahmen der Mutter Kind Pass Untersuchung bereitstehen. 3. SPES-2 für Zweijährige und SPES-3 für Dreijährige SPES-2 besteht aus einem kurzen Elternfragebogen, der anlässlich der Mutter-Kind- Pass Untersuchung im Alter von ca. 2 Jahren den Eltern im Wartezimmer ausgehändigt wird. Hier beurteilen Eltern den gesprochenen Wortschatz ihres Kindes durch Ankreuzen einer kurzen Wortliste und beantworten für die Sprachentwicklung relevante Fragen. So hat sich bestätigt, dass elterliche Sorgen hinsichtlich der Sprachentwicklung sehr ernstzunehmen sind. Bei Auffälligkeiten im gesprochenen Wortschatz nach Elternbeurteilung (ca. 15 % der Kinder) führt die Kinderärztin/der Kinderarzt eine kurze Überprüfung zum Wortverständnis mithilfe einfacher Bildkarten durch. Erbringt ein Kind nur in der aktiven
6 Sprache (Elternbeurteilung) ein auffälliges Resultat, so liegt das Risiko einer Sprachentwicklungsproblematik im Alter von 3 Jahren bei 50 Prozent. Bei einem Drittel dieser Kinder ist zusätzlich zur aktiven Sprache auch das Verstehen von Wörtern (Kinderarztscreening) auffällig. Für sie erhöht sich das Risiko einer späteren Sprachstörung auf ca. 85 Prozent. Bei Kindern mit Auffälligkeiten nur der aktiven Sprache wird eine Elternberatung und -anleitung zu sprachförderlichem Verhalten in der Familie empfohlen. Bei Kindern mit zusätzlichen Sprachverständnisproblemen und somit sehr schlechten Chancen in der Sprachentwicklung aufzuholen, ist eine umfangreichere Abklärung (Hören, Allgemeiner Entwicklungsstand, ausführlicher Sprachstatus) angebracht. So können durch die auffällige Sprache häufig andere Entwicklungsstörungen bereits früh erkannt werden. Im Alter von drei Jahren gilt es alle Kinder nochmals zu screenen. Sprachentwicklungsverläufe variieren so stark, dass ein unauffälliges Ergebnis mit zwei Jahren noch keine weitere gesunde Sprachentwicklung garantiert. Für Dreijährige steht ein Verfahren SPES-3 bereit, das wiederum aus einem kurzen Elternfragebogen besteht, wo Eltern grammatische Kompetenzen ihres Kindes durch ein Ankreuzverfahren beurteilen. Der Kinderarzt überprüft anschließend bei allen Kindern mit Vierfeldertafeln von Bildern das Verstehen von Sätzen (Grammatikverständnis). Mit diesem Verfahren ergibt sich eine für Entwicklungsscreenings sehr zufriedenstellende Treffsicherheit (Sensitivität 90,3 %, Spezifität 92,4 %). 60 Prozent der im Screening auffälligen Kinder erhalten bei einer anschließenden umfassenden Diagnostik die Diagnose einer Sprachstörung, bei weiteren ca. 25 Prozent liegt eine Sprachschwäche vor. Somit wird die überwiegende Mehrheit der Kinder mit auffälligem Screeningergebnis zu Recht zu einer weiteren Abklärung überwiesen. Dies bietet die Chance, gezielte Sprachfördermaßnahmen in Familie, Logopädie und Kindergarten in die Wege zu leiten.
7 Bei Kindern mit nicht deutscher Muttersprache zeigen sich Sprachentwicklungsstörungen in der Muttersprache und wirken sich in jedem Falle stark negativ auf den Erwerb des Deutschen als Zweitsprache aus. Für die Erkennung von Sprachentwicklungsauffälligkeiten bei Kindern mit nicht deutscher Muttersprache konnten erste erfolgsversprechende Ansätze entwickelt werden. Diese bedürfen jedoch noch einer Erprobung, bevor sie flächendeckend eingesetzt werden können. Die Rückmeldungen der in OÖ kooperierenden Kinderärzte hinsichtlich der Durchführbarkeit und Sinnhaftigkeit der Screenings war durchwegs positiv. Die Fachgruppe der Kinderärzte unter der Leitung Dr. Hermann Pramendorfer bekundet ihre Bereitschaft zur Umsetzung der nunmehr verbesserten Verfahren. Am Donnerstag, dem 10. November 2011, werden diese Ergebnisse des SPES- Sprachscreenings ausführlich auf der 5. Linzer Sprachtagung im KH der Barmherzigen Brüder präsentiert.