Strafrecht I - Prof. Dr. Klaus Günther - WS 2013/14. Grundlagenteil



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Transkript:

Strafrecht I - Prof. Dr. Klaus Günther - WS 2013/14 Grundlagenteil a) Schildern Sie die Ihnen bekannten Konzepte sogenannter absoluter Strafzwecke. b) Begründen Sie, warum die absoluten Strafzwecke problematisch sind und auch, warum das Bundesverfassungsgericht sie in seine Theorie dennoch mit einbezieht? c) Schildern Sie die relativen Strafzwecke und die an ihnen geübte Kritik. Sachverhalt Der Geschäftsmann X möchte seinen Partner Y töten, um leichter an dessen Geschäftsanteile gelangen zu können. Dazu bringt er eines Nachts eine Sprengladung am PKW des Y an, die bei Zündung des Motors sofort explodiert und dadurch den Wagen zerreißt. Er weiß, dass Y seinen Wagen früh morgens so gut wie immer alleine benutzt, um zur Arbeit zu fahren, und ist sich im Moment des Anbringens der Sprengladung auch ganz sicher, dass dies auch am folgenden Morgen so sein wird. Die Zündung des Motors durch eine dritte Person hält er nicht für möglich. Wenige Stunden später, in den Morgenstunden des beginnenden Tages, kommt es jedoch anders. Es besteigt zuerst Y s Ehefrau E den Wagen. Sie will für den plötzlich erkrankten Y ein Notfallmedikament in einer Apotheke besorgen. Als E den Motor startet, explodiert die Sprengladung, wobei die E sofort getötet wird. Prüfen Sie die Strafbarkeit des X gegenüber E aus 211, 212 StGB. Bearbeitungshinweis: Die Bearbeitungszeit beträgt 3 Stunden. Bitte beschriften Sie die Blätter nur einseitig. Lassen Sie links einen Korrekturrand von 7 cm. Beschriften Sie Ihr Deckblatt mit Ihrem Namen, Ihrer Adresse und Ihrer Matrikelnummer.

Lösungshinweise: Generell gilt: wie immer können die Hinweise nicht alles erfassen. Die Ausführungen gerade im Grundlagenteil sind daher auch jenseits der Hinweise auf Stimmigkeit zu bewerten. Bei der Bewertung gilt, dass der Grundlagenteil mit mindestens 4 Punkten bewertet werden muss, um die Klausur insgesamt bestehen zu können. Ein mangelhafter Grundlagenteil führt automatisch zu einer insgesamt mangelhaften Klausur. Die Studierenden sind hierüber informiert. Die beiden Teile (Grundlagen und Fall) sind also getrennt zu benoten. Dies ist den Studierenden bitte auch kenntlich zu machen. Aus beiden Noten wird eine Gesamtnote gebildet. 0,5 Punkte sind aufzurunden. - Da es sich im die erste Scheinklausur handelt, ist bitte mit Nachsicht zu korrigieren. Dies gilt insbesondere für den Fallteil. Hier bitte zwar ausführlich korrigieren, aber nicht zu streng bewerten. Grundlagenteil a) Als Vertreter absoluter Straftheorien wurden Kant und Hegel vorgestellt, die beide als am Talionsprinzip (Auge um Auge ) ausgerichtete Vergeltungstheoretiker gelten. Absoluten Strafzwecken eignet die Vorstellung, dass nur gestraft werden dürfe, weil verbrochen wurde, und nicht, um damit in der Zukunft liegende Ziele zu verfolgen. Kant zufolge stellte die Strafe als Mittel zum Zweck, etwa der Abschreckung Dritter, vielmehr einen Verstoß gegen die Menschenwürde dar, weil der Täter damit staatlicherseits als Mittel benutzt und unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt würde. Der Täter habe jedoch eine Würde und müsse ernst genommen werden. Für ihn ist der Vollzug der Strafe vielmehr ein absolutes Gebot der Gerechtigkeit (Inselbeispiel), und das Strafgesetz ein kategorischer Imperativ. Die vom Täter aufgestellten Handlungsmaximen seien jedoch keine, die vernünftigerweise als Handlungsmaxime für alle gewollt werden könnten. Insbesondere der Täter hätte sonst nichts von seiner Tat. (etwa bei Diebstahl) Hegel zufolge stelle die Straftat eine Negation der geltenden Norm dar, die ein als Vernünftiges zu ehrender Täter als Gegennorm aufstelle. Diese würde jedoch gelten, wenn sie nicht durch Strafe am Täter selbst wieder negiert würde. Die Strafe sei daher die Negation der Negation des Rechts und führe zurück zur Positivität des verletzten Rechts, stelle also die verletzte Norm wieder her. Dabei sei die Strafe dem Maß der Gegennorm zu entnehmen. Der Mörder stelle etwa mit einem Mord die (Gegen-)Norm auf, dass Mord richtig sei, weshalb der vernünftige Täter auch nach seiner eigenen Norm zu behandeln sei (=Todesstrafe). b) Diese Vorstellungen der Strafzwecke sind z.b. verfassungsrechtlich problematisch, weil sie keine empirisch nachprüfbaren Ziele verfolgen wollen, sondern von solchen explizit losgelöst (absolutus) sind. Sie stellen transzendentallogische idealistische Konzepte dar (Wiederherstellung des Rechts; Vollstreckung der Gebote der Gerechtigkeit), mit denen alleine ein rationaler Rechtsstaat Grundrechtseingriffe nicht mehr begründen kann. Ob Strafe Gerechtigkeit wieder herstellt und ob der Täter eine Gegennorm aufstellt, die ohne Strafe gelten würde, ist empirisch nicht überprüfbar. Auch die dem Talionsprinzip zugrunde liegende Vorstellung eines gerechten Ausgleichs von Schuld ist nicht realitätsnah. Mitunter, etwa bei schweren Deliktsfolgen ist ein Ausgleich durch Schädigung von Rechtsgütern des Täters auch nicht zu erzielen. Der Gedanke der Schuldvergeltung ist jedoch auch für die Moderne noch relevant (wenn man das Strafrecht grundsätzlich akzeptiert), weil er einen

gerecht wirkenden, nämlich Täter- und tatbezogenen Maßstab für die Höhe der Strafe liefert. Über diesen verfügen die relativen Theorien alleine nicht. c) Als relative Strafzwecke gelten die positive General- und Spezialprävention, ebenso die negative Spezial- und Generalprävention. Positive Spezialprävention meint die Resozialisierung des Täters im Strafvollzug der Freiheitsstrafe ( 2 StrVollzG) durch resozialisierende Maßnahmen (Therapien, Ausbildung, Arbeit, Kultur, Sport). Die Theorie, positiver Generalprävention sieht in der Strafe ein Kommunikationsmedium, mit dem der Staat den rechtstreuen Bürgern signalisiert, dass das Recht gilt. Eingeübt wird ein Vertrauen in die Rechtsgeltung. Im Erschütterungsfall (als Folge der Straftat) werde dieses durch die Strafe (Verfahrung und Vollzug) wieder hergestellt. Negative Spezialprävention meint die Abschreckung und Sicherung (Freiheitsstrafe) des Täters durch den Vollzug der Strafe. Negative Generalprävention geht von einer Abschreckungswirkung der Strafe für alle andere aus. Zu den Schwächen der Theorien, Fragen der Erforderlichkeit, also anderer und milderer Mittel, vgl. auch den Aufsatz von Klaus Günther im Reader. Nur stichpunktartig sei hier ausgeführt: - A) Positive Spezialprävention: Resozialisierung und Sicherung des Täters in der Haft Resozialisierungsmaßnahmen sollten genannt werden, etwa Ausbildung, Arbeit, kulturelle Angebote, Therapien Das Gelingen des Konzepts steht in Frage. Die Haftbedingungen sprechen dagegen. Erfahrungsgemäß sozialisiert der Gefängnisaufenthalt erst in das kriminelle Milieu hinein, de-sozialisiert eher. An hohen Rückfallquoten ist dies u.a. erkennbar. Reine Sicherung sichert zudem nur in der Zeit, in der der Täter in Haft ist. Scheitert die Resozialisierung wird er nur umso gefährlicher entlassen. - B) Negative Spezialprävention Abschreckung des Einzelnen vor der Begehung weiterer Taten. Aus den genannten Gründen zu A) ist die Haft dazu wenig geeignet. Zudem wäre ein nur abschreckender Haftvollzug zumindest aus zwei Gründen problematisch: einmal fördert ein nur möglichst harter Vollzug gerade dissoziales Verhalten, zum anderen sind Bürger/innen, die sich nur wegen drohender harter Strafen legal verhalten, in einer Demokratie nicht wünschenswert. Zudem sind gerade schwerwiegende Delikte wie Mord und Totschlag eher selten und entspringen meist einmaligen Handlungssituationen. Eine Gefahr der Wiederholung droht nicht, Abschreckung wäre nicht nötig. - C) Negative Generalprävention Abschreckung aller durch die Strafen. Aus den bereits genannten Gründen zu B) demokratietheoretisch nicht wünschenswert. Die gleichmäßigen Belastungsziffern zeigen zudem, dass die Strafe nicht abschreckend wirkt. Wenn überhaupt etwa abschreckende Wirkung erzielt, dann sind dies eher Kontrollen und ein hohes Entdeckungsrisiko. Nach diesem Konzept ginge zudem das Maß für die Strafhöhe verloren. Häufige begangene kleinere Delikte wie Ladendiebstahl müssten besonders hart, selten vorkommende Delikte wie Mord dagegen eher gering bestraft werden. Siehe hierzu dann auch die Vorteile der absoluten Theorie. - D) Positive Generalprävention

Bestärkung des Normgeltungsvertrauens durch Strafrecht. Der Staat kommuniziert durch die Strafverhängung und vollstreckung, dass die Normen gelten und durchgesetzt werden. Dies beruhigt den normtreuen Bürger/in darin, dass Normtreue richtig ist und sich lohnt. Dies habe eine integrierende, normstabilisierende Wirkung, was zur Prävention beitrage. Hiergegen sprechen ebenfalls die zu C) genannten Gründe. Ebenfalls ist die Erschütterung des Normvertrauens gerade bei schwerwiegenden Delikten eher nicht feststellbar. Nach diesem Konzept wird die Strafe zu einem Kommunikationsmedium verdünnt. Ob sie notwendig ist, ob nicht andere Prozesse oder nur ein Strafverfahren mit öffentlicher Unrechts- und Schuldfeststellung ausreichen, um das Normvertrauen zu stabilisieren, ist zudem fraglich.

Falllösung: Beachte: Die aberratio ictus-diskussion ist von gehobener Schwierigkeit. Die Argumente können hier nicht exakt so erwartet werden. Wahrscheinlich werden sich viele mit irgendeiner Diskussion zur Annahme eines errors durchkämpfen, um nicht zum Versuch oder zu hilfsweise durchgeführten Erörterungen zum Mord zu gelangen. Völlig unvertretbar wäre eine solche Ansicht im Übrigen auch nicht, weil z.b. Herzberg (NStZ 1999, S. 217) eine entsprechende einsame, aber gut begründete Mindermeinung vertritt (vgl. Nachweis bei Tröndle/Fischer, 16 Rn 6, wobei Fischer ebenfalls skeptisch ist ; Wessels/Beulke AT, Rn 250). Daher ist bei der Bewertung der Argumente Vorsicht und Milde geboten. Was den Mordaufbau angeht, ist alles erlaubt, was vertretbar ist. Wegen der Vorsatzdebatte und der Heimtücke bietet sich jedoch ein getrennter Aufbau eher an. In Frage kommt die Strafbarkeit des X aus Mord an E aus 212, 211 I 1. Gruppe 3. Merkmal, 2. Gruppe 1. Merkmal (Heimtücke und Habgier), nicht zwingend, aber denkbar auch 2. Gruppe, 3. Merkmal (gemeingefährliche Mittel), indem er eine Sprengladung am PKW des Y anbringt. I. Tatbestand a) Tatbestand des 212 aa) Objektiv aaa) Erfolg + bbb) Kausalität + ccc) Zurechnung Rechtlich missbilligte Gefahrschaffung für das Leben von E, die sich auch im Tod der E in noch voraussehbarer Weise realisiert hat. Dass die E anstatt des Y das Auto bestiegt und den Motor zündete, liegt nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung. Ihr Tod ist daher als das Werk des E anzusehen und nicht etwa als das eines unglücklichen Zufalls. bb) Subjektiv Fraglich ist, ob X vorsätzlich gehandelt hat. X wollte nicht E sondern Y töten, womit es sich um einen Fall der aberratio ictus handeln könnte, bei der der Vorsatz auf das getroffene Objekt nach h.m. entfällt und eine Strafbarkeit aus Fahrlässigkeit (und Versuch gegenüber dem nicht getroffenen Objekt) in Betracht kommt. Fraglich ist aber, ob von einer aberratio ictus ausgegangen werden kann. Diese liegt bei einem Fehlgehen der Tat vor, also dann, wenn der Täter nicht das vorsätzlich individualisierte und anvisierte Objekt getroffen hat, sondern versehentlich ein anderes, das er gar nicht treffen wollte. (Wessels AT, Rn 250) Dies könnte hier der Fall sein, weil der X mit der angebrachten Sprengladung ein anderes Objekt traf, als er eigentlich wollte, die Sprengladung mithin einen anderen Menschen tötete als er dachte. Allerdings hatte X das gewünschte Objekt, den Y, nicht unmittelbar anvisiert, sondern nur eine Falle angebracht, die zu einem späteren Zeitpunkt explodieren sollte.

Wenn der Täter jedoch das Objekt, das er eigentlich töten will, nicht unmittelbar konkret, sondern nur mittelbar abstrakt anvisiert, dann ist der Vorsatz auch nur auf diese geplanten Umstände konkretisiert und nicht auf die konkrete Person, die das Mittel irgendwann trifft. (sog. Sprengfalle, siehe BGH NStZ 1998, S. 294; Tröndle/Fischer, 16, Rn 6; Wessels, AT, 250) X hat das Objekt, das er töten wollte, den Y, wie gesagt, nicht konkret individualisiert und anvisiert. Konkret anvisieren konnte er, weil er Zeitpunkt und Auswirkung der Zündung der Sprengladung nicht mehr selbst steuern konnte, lediglich die Tötung derjenigen Person, die als erste den Motor startet. Eine weiter gehende unmittelbare Konkretisierung des Tatmittels auf eine bestimmte Person war ihm daher nicht möglich. Die Tatsache, dass dieses Mittel, anders als gedacht, E tötete, bedeutete jedoch nicht, dass es als solches fehlging, d.h. dass es sich anders auswirkte als gedacht. Es funktioniert nämlich genauso wie es sollte und traf auch genau die Person, die, wie geplant, als erste das Auto zündete. Die Tat war daher nicht fehlgegangen, vielmehr hatte die wie geplant getroffene Person nur die falsche Identität. Es handelt sich daher um einen bloßen Objektsirrtum, der gemäß 16 StGB bei Gleichwertigkeit der Objekte den Tatvorsatz, die Umstandskenntnis, nicht berührt. X wollte, wie gesagt, den Y, einen Menschen also, töten. Er hatte damit den Vorsatz auf die objektiven Tatumstände des 212. Dass er stattdessen die E tötete, ändert nichts an diesem Tatvorsatz, einen Menschen zu töten. cc) Zwischenergebnis Tatbestand des 212 + b) Tatbestand des 211 Beachte: Der Schwerpunkt liegt auf der Heimtückediskussion, wo, wie immer, vieles vertreten werden kann. Wichtig ist, dass der Streit sauber aufgebaut, die Meinungen erst wertfrei dargestellt und subsumiert werden, und nur dann normativ behandelt werden, wenn die Ergebnisse verschieden sind. aa) objektiv (-subjektiv gemischt) - Gemeingefährliche Mittel (nur theoretisch denkbar, der SV gibt keine ausreichenden Infos) Die Zündung der Bombe könnte auch eine Gefahr für eine unbestimmte Menge an Personen hervorgerufen haben oder zumindest dazu geeignet gewesen sein. Der SV gibt hierzu aber nichts her. Daher kann das Merkmal angesprochen, muss aber zügig verneint werden. - Heimtücke X könnte die E heimtückisch getötet haben. Dazu müsste er die Arg- und Wehrlosigkeit der E bewusst zur Tötung ausgenutzt haben. aaa) Arg- und Wehrlosigkeit

Arg- und Wehrlos ist das Opfer, wenn es sich zum Zeitpunkt des Angriffs auf sein Leben keiner Gefahr versieht und deshalb wehrlos, d.h. zur Abwehr außerstande ist. E versah sich zum Zeitpunkt des Betretens des Fahrzeugs keiner Gefahr, war also arglos, und war deshalb zur Abwehr außerstande, mithin auch wehrlos. bbb) Vorsatz Insofern müsste X auch vorsätzlich gehandelt haben. X wollte zwar, dass Y und nicht E den Wagen zündet, was als error in persona unbeachtlich ist. Er wollte jedenfalls, dass die Person, die den Wagen zündet, sich keines Angriffs auf ihr Leben versieht und deshalb zur Abwehr der Gefahr außerstande. Mithin wollte er, dass sein Opfer arg- und wehrlos ist. ccc) Ausnutzungsbewusstsein und feindselige Willensrichtung Die angestrebte Arg- und Wehrlosigkeit müsste X auch bewusst und in feindseliger Willensrichtung zur Tötung ausgenutzt haben. Es kam X gerade darauf an, dass sein Opfer von der Sprengladung nichts wusste, also arg- und wehrlos war, um dies zur Tötung auszunutzen. Zudem handelte er nicht zum vermeintlich Besten des Opfers, mithin in feindseliger Willensrichtung. ddd) Restriktionsdiskussion Seitens des BVerfG wurde die restriktive Auslegung des Heimtückemerkmals angemahnt. In der Literatur werden dazu verschiedene Wege diskutiert. Im Wege der so genannten Typenkorrektur wird u.a. (1) die besondere Verwerflichkeit des Tatmotivs, (2) ein besonderes subjektives Tücke- Element oder (3) das Ausnutzen von besonderem berechtigtem Vertrauen verlangt. Umgekehrt könne Heimtücke ausscheiden (4), wenn die indizierte Verwerflichkeit der Heimtücke durch besondere Umstände aufgehoben ist, weil etwa der Täter oder dessen Angehörige schwer beleidigt, misshandelt oder bedroht wurde. (vgl. Nachweise bei Fischer, 211., Rn 45ff.) (1) (+/- )Die besondere Verwerflichkeit des Tatmotivs könnte man daher begründen, weil X aus finanziellen Gründen handelt, die zugleich das (besonders verwerfliche) Merkmal der Habgier erfüllen. Allerdings geriete dies in die Nähe der Doppelverwertung von Merkmalen, was zwar in diesem Konzept angelegt, jedoch verboten ist. Zudem ergeben sich dann Aufbauprobleme, weil das Heimtückemerkmal eigentlich zuerst zu erörtern ist. Hier ist daher Vorsicht geboten. Von den Studierenden kann diese Diskussion so aber wohl nicht erwartet werden, so dass hier nicht zu streng korrigiert werden darf. Hier wird davon ausgegangen, dass Heimtücke nach dieser Sicht nicht vorläge. (2) (+/-) Ein besonderes subjektives Tückeelement kann man mit einigem Argumentationsaufwand womöglich damit begründen, dass das Opfer ahnungslos durch eine alltägliche Handlung seine eigene Tötung auslöst, während der Täter nicht einmal am Tatort sein muss. Allerdings kann man dies auch mit gutem Grund verneinen, weshalb hier davon ausgegangen wird, dass Heimtücke hiernach nicht vorliegt. (3) (-) Nicht begründbar dürfte die Ausnutzung berechtigten Vertrauens sein, dass es hier schon nicht zum Kontakt zwischen Opfer und Täter kommt. Mithin läge hiernach keine Heimtücke vor. (4) (-) Umstände die, die indizierte Heimtücke ausschlössen, sind nicht erkennbar, womit hiernach Heimtücke vorläge.

(5) Durch den BGH wurde zudem bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände der Strafrahmen des 211 durchbrochen und das Problem über die Rechtsfolge gelöst. (vgl. a.a.o., Rn 46) Solche außergewöhnlichen Umstände liegen hier indes nicht vor, so dass auch hiernach Heimtücke vorläge. Der Streit müsste also entschieden werden, weil die Meinungen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Dabei kann man es sich einfach machen, indem man die positiv begrenzenden Vorschläge der Literatur mangels Bestimmtheit ablehnt. Eine Suche nach überzeugenden Argumenten für die Gegenposition kann man sich also auch sparen. Mithin käme man zur Annahme des Heimtückemerkmals. bb) subjektiv Habgier: übersteigertes, besonders verwerfliches, widernatürliches Gewinnstreben um jeden Preis Tötung des Geschäftspartners, um an dessen Anteile zu gelangen Eher +, aber auch problematisch, weil Tötung aus finanziellen Motiven meist übersteigert und widernatürlich wirkt. Siehe dazu auch den verschickten ZEIT-Artikel von Fischer. c) Zwischenergebnis Tatbestand der 212, 211 I (Habgier/Heimtücke) + II. RW + III. Schuld + IV. Ergebnis X hat sich des gemäß 212, 211 I 1. Gruppe 3. Merkmal, 2. Gruppe 1. Merkmal des Mordes strafbar gemacht, indem er die Sprengladung am PKW des Y angebracht hat.