Der Gender Pay Gap reproduziert oder Wie Frauen und Männer die eigene Zeit und die Zeit des Partners bewerten Miriam Beblo Universität Hamburg mit: Denis Beninger und Eva Markowsky
Empirische Studien zeigen: o Frauen erwarten niedrigere Löhne als Männer (Jackson et al. 1992; Hojatet al. 2000) o Männer verhandeln höhere Löhne als Frauen (Gerhart & Rynes 1991; Stevens et al. 1993) o Frauen und Männer empfinden niedrigere Frauenlöhne als gerecht (Kruphölter et al. 2015; Liebig et al. 2010, 2012; Evidenz dagegen: DELTA-Studie, BMFSFJ 2015) o Mögliche Erklärungen: Unterschiedliche Tätigkeiten und Fähigkeiten und, wo dies im Forschungsdesign ausgeschlossen werden kann, Stereotype/Rollenzuschreibungen (Filippin& Ichino 2005; Jann 2003; Sauer 2014)
Wie ändert sich das Bild, wenn wir Paare betrachten, also gut miteinander bekannte Frauen und Männer? Hierzu nutzen wir Daten eines Experiments, in dem jeweils beide Partner eines Paares eigene Lohnforderungen stellen sowie eine Einschätzung der Lohnforderung des Partners geben sollen.
Die Teilnehmer/innen o 95 gemischtgeschlechtliche Paare (190 Individuen) o Teilnahmevoraussetzung: mindestens seit einem Jahr zusammenlebend o Etwa die Hälfte der Paare ist verheiratet o Etwa ein Viertel der Paare hat gemeinsame Kinder o Durchschnittliche Dauer der Beziehung 12,4 Jahre o Durchschnittsalter der Frauen 40 Jahre, Durchschnittsalter der Männer 42 Jahre o 40% der Teilnehmenden haben einen Hochschulabschluss o 180 valide Beobachtungen
Die Aufgabe 10 Minuten Büro-Arbeiten (Briefe sortieren, falten, eintüten) nach Ende des Experiments
Die Bezahlung nach dem Verfahren der Zweitpreisauktion, um die minimal akzeptable Lohnhöhe zu erfahren (Willingness-To-Accept, WTA) Person 1 Person 2 Person 3 Person 4
Ergebnis 1: Abb. 1: Verteilung der Lohnforderungen nach Geschlecht Nicht in der Abbildung: Weitere Ausreißer bei 35 (m), 40 (f), 50 (m) Die Lohnforderung unterscheidet sich im Mediannicht zwischen Frauen und Männern. Die Lohnverteilung der Männer streut breiter als die der Frauen.
Ergebnis 2: 8 Abb.2: Durchschnittliche Lohnforderung nach Geschlecht 7 6 5 4 3 2 1 N=180 Frauen Männer Im arithmetischen Mittel fordern Männer höhere Löhne für die Aufgabe; der Unterschied ist jedoch nicht statistisch signifikant.
Ergebnis 3: 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 Abb.3: Durchschnittl. Lohnforderung nach Anker und Geschlecht GWG: 13,2% GWG: 24,7% 0 Frauen Männer Frauen Männer hoher Anker niedriger Anker N=180 Der Anker beeinflusst die Lohnforderungen von Männern weniger als die von Frauen.
Ergebnis 4: Abb. 4: Durchschnittliche eigene Lohnforderung und erwartete Lohnforderung des Partners nach Ankergruppe und Geschlecht hoher Anker niedriger Anker 9 9 8 8 ** 7 7 6 5 6 5 ** 4 4 3 3 2 2 1 1 0 eigene Lohnforderung erwartete Lohnforderung des Partners 0 eigene Lohnforderung erwartete Lohnforderung des Partners N=180 Frauen Männer Frauen Männer Die erwarteten Lohnforderungen unterscheiden sich im Durchschnitt nach Geschlecht: Beide Geschlechter erwarten durchschnittlich höhere Löhne für Männer als für Frauen.
Puzzle: Es gibt keine belastbaren Geschlechterunterschiede in den Lohnforderungen, stattdessen aber in den Lohnerwartungen (für einen Teil der Stichprobe Gruppe mit niedrigem Anker)
Wie ändert sich das Bild, wenn wir die aggregierte Ebene verlassen und in die Paare hinein schauen? Wie hoch ist der paarinterne GPG?
Ergebnis 5: Mann unterschätzt, Frau überschätzt Lohnforderung des Partners Mann überschätzt, Frau unterschätzt Lohnforderung des Partners Mindestens ein Partner schätzt Lohnforderung des Partners korrekt ein Beide überschätzen Lohnforderung des Partners Beide unterschätzen Lohnforderung des Partners N=90 0 5 10 15 20 25 30 35 Bei mehr als einem Drittel der Paare unterschätzt der Mann die Lohnforderung seiner Partnerin, während die Frau die Forderung ihres Partners zu hoch einschätzt. Auch den umgekehrten Fall gibt es 25mal.
Ergebnis 6: Abb. 7: Durchschnittliche erwartete GWG im Aggregat und auf Paarebene 0,3 0,25 0,2 0,15 0,1 0,05 0-0,05 Frauen Männer Frauen Männer im Aggregat auf Paarebene N=180 Auf Paarebene ist der GPG in den Lohnerwartungennicht mehr statistisch signifikant von Null verschieden.
Daraus folgt Ergebnis 7: Der erwartete GPG ist nur im Aggregat stereotyp. Paarintern ergeben sich sowohl positive als auch negative GPGs (die sich gegenseitig ausmitteln). Können wir die Varianz im paarinternen GPG erklären?
Ergebnis 8 Der von Männern erwartete GPG ist getrieben durch die jeweiligen Opportunitätskosten (ihre eigene Erwerbstätigkeit und die notwendige Kinderbetreuung durch ihre Partnerinnen). Der von Frauen erwartete GPG ist getriebenen durch die konkrete Aufteilung der Haushaltsarbeit.
Ergebnis 9 Nur der von den Männern erwartete GPG ist positiv mit dem tatsächlich im Paar vorhandenen GPG korreliert (Korrelation von 0,24 (p<0,11), nur für die Hälfte der Stichprobe, die beiderseits Erwerbstätigen). Mögliche Erklärung: geschlechtsspezifisch unterschiedliche Wahrnehmung von Brutto- und Netto-Verdienstunterschieden.
Ergebnis 10: Einfluss des Ankers Übereinstimmung mit der Literatur zum Einfluss von Ankerwerten: Frauen (Kudryavtsev& Cohen 2011) und Personen mit niedriger Bildung (bzw. weniger kognitiven Fähigkeiten; Oechssler et al. 2008) werden stärker vom Anker-Niveau beeinflusst.
Fazit o Unser Experiment repliziert/reproduziert zunächst die aus der Literatur bekannten Befunde: Frauenlöhne < Männerlöhne o! Allerdings nur bei den Lohnerwartungen, nicht bei den tatsächlichen -forderungen o! Allerdings nur bei den durchschnittlichen Erwartungen, nicht innerhalb des Paares o Stereotype wirken nur als Gruppenzuschreibungen o Der Ankereffekt ist auf den ersten Blick geschlechtsspezifisch, entpuppt sich dann aber als Bildungseffekt
Referenzen BMFSFJ, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2015). Transparenz für mehr Entgeltgleichheit, Studie des DELTA-Instituts, Berlin. Filippin, A., & Ichino, A. (2005). Gender wage gap in expectations and realizations. Labour Economics, 12(1), 125-145. Gerhart, B., & Rynes, S. (1991). Determinants and consequences of salary negotiations by male and female MBA graduates. Journal of Applied Psychology, 76(2), 256. Hojat, M., Gonnella, J. S., Erdmann, J. B., Rattner, S. L., Veloski, J. J., Glaser, K., & Xu, G. (2000). Gender comparisons of income expectations in the USA at the beginning of medical school during the past 28 years. Social science & medicine, 50(11), 1665-1672. Jackson, L. A., Gardner, P. D., & Sullivan, L. A. (1992). Explaining gender differences in self-pay expectations: Social comparison standards and perceptions of fair pay. Journal of Applied Psychology, 77(5), 651. Jann, B. (2003). Lohngerechtigkeit und Geschlechterdiskriminierung: Experimentelle Evidenz. Unveröffentlichtes Manuskript an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Kudryavtsev, A., & Cohen, G. (2011). Behavioral biases in economic and financial knowledge: Are they the same for men and women?. Advances in Management & Applied Economics, 1(1), 15-52. Kruphölter, S., Sauer, C., & Valet, P. (2015). Occupational gender segregation and gender differences in justice evaluations. SFB 882 working paper series. No. 45. Liebig, S., Valet, P., & Schupp, J. (2010). Perceived income justice depends on the economy. DIW weekly report, 6(24). Liebig, S., Sauer, C., & Schupp, J. (2012). The justice of earnings in dual-earner households. Research in Social Stratification and Mobility, 30(2), 219-232. Oechssler, J., Roider, A., & Schmitz, P. W. (2009). Cognitive abilities and behavioral biases. Journal of Economic Behavior & Organization, 72(1), 147-152. Sauer, C. (2014). A just gender pay gap? Three factorial survey studies on justice evaluations of earnings for male and female employees. SFB 882 working paper series. No. 29. Stevens, C. K., Bavetta, A. G., & Gist, M. E. (1993). Gender differences in the acquisition of salary negotiation skills: the role of goals, self-efficacy, and perceived control. Journal of Applied Psychology, 78(5), 723.
Soweit der Vortrag im Rahmen der Konferenz Entgeltgleichheit auf dem Prüfstand. Perspektiven auf den Gender Pay Gap am 08.04.2016 an der Universität Duisburg-Essen in Duisburg Bei Fragen kontaktieren Sie bitte miriam.beblo@wiso.uni-hamburg.de