Grundkurs Strafrecht II BT 1 Vorlesung 5: Beleidigungsdelikte. Übersicht



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Transkript:

Grundkurs Strafrecht II BT 1 Vorlesung 5: Beleidigungsdelikte Übersicht - System - Rechtsgut - Verleumdung ( 187) - Üble Nachrede ( 186) - Beleidigung ( 185) - Wahrnehmung berechtigter Interessen ( 193) 1

Systematik der Beleidigungsdelikte Kundgabe gegenüber dem Beleidigten einem Dritten Werturteil Tatsache wahr unwahr nicht erweislich wahr 185 185 185, 192 187 186 Rechtfertigungsgrund des 193 StGB? Strafantrag 194 StGB?

Beleidigter (Opfer) Dritter Tatsachenbehauptung 185 186, 187, 188 185, 192 Werturteil 185 185

Grundbegriffe Tatsache = Konkrete Vorgänge und Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die in der Realität wahrnehmbar und daher dem Beweis zugänglich sind (auch innere Tatsachen) Werturteil = Urteile (Meinungsäußerungen) ohne greifbaren Tatsachenkern, bei denen die subjektive Einstellung des Äußernden zum Äußerungsgegenstand prägend ist Abgrenzung nicht selten schwierig, weil häufig Mischaussage vorliegt. Dann ist eingehende Deutung der Äußerung erforderlich. Die Abgrenzung entscheidet sich nach dem Schwerpunkt der Äußerung.

Rechtsgut der Beleidigungsdelikte Ehre = Wert, der dem Einzelnen kraft seiner Personenwürde und auf Grund seines sittlich- sozialen Verhaltens zukommt (normativer Ehrbegriff) Nicht: Subjektives Ehrgefühl oder guter Ruf

Verleumdung 187 StGB I. Tatbestand: 1. Objektiver Tatbestand a) Tatsache über einen anderen behauptet oder verbreitet, b) die unwahr und c) ehrenrührig ist (= Eignung, verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen; Bedarf stets einer sorgfältigen Auslegung der Äußerung und hier der Feststellung einer Tatsachenaussage!) oder den Kredit gefährden kann d) Kenntnisnahme durch Dritte e) Gegebenfalls Qualifikationen! (Öffentlich etc.) 2. Subjektiver Tatbestand: Allgemein Vorsatz, doch wider besseres Wissen bezüglich der Unwahrheit erforderlich (= Wissentlichkeit) II. Rechtswidrigkeit: 1. Allgemeine Rechtfertigungsgründe 2. RFG durch 193 StGB? (str.), Ausnahme III. Schuld

Üble Nachrede 186 StGB I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Tatsache über einen anderen behauptet oder verbreitet, b) die ehrenrührig ist (Eignung, verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen; siehe 187) c) Kenntnisnahme durch Dritte d) Gegebenfalls Qualifikationen! (Öffentlich etc.) 2. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz II. Nichterweislichkeit der Tatsache als Objektive Bedingung der Strafbarkeit (hm) III. Rechtswidrigkeit: Evtl. RFG durch 193 StGB IV. Schuld

Beleidigung 185 StGB I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Ehrverletzende Äußerung (Tatsachenbehauptung gegenüber Opfer / Werturteil gegenüber Opfer und Dritten) bzgl. eines beleidigungsfähigen Tatopfers (ggf. Tätlichkeit) hm Kundgabe eigener Miss-, Gering- oder Nichtachtung, die einer anderen Person ihren personalen, sittlichen oder sozialen Geltungswert abspricht und nicht nur belästigt [Bedarf stets einer sorgfältigen Auslegung der Äußerung!!] b) Kenntnisnahme der Äußerung durch Opfer/Dritte 2. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz (keine Absicht) II. Rechtswidrigkeit: 1. Allgemeine Rechtfertigungsgründe 2. Wahrnehmung berechtigter Interessen ( 193 StGB) III. Schuld

Tathandlung Beleidigung Maßgeblich ist objektiver Empfängerhorizont. Zu berücksichtigen sind bei der Auslegung die Gesamtheit der äußeren und inneren Umstände, insbes. Ton, Alter, Stellung, persönliche Beziehungen zwischen den Beteiligten, Anschauungsweise der beteiligten Verkehrskreise, Dialekte Formel: Es kommt darauf an, wer was zu wem unter welchen Umständen sagt. Keine schlechthin beleidigende Äußerung Gericht muss sich bei mehrdeutigen Äußerungen mit allen Deutungsmöglichkeiten auseinandersetzen; Strafbarkeit nur (+), wenn straflose Deutungen begründet ausgeschieden werden können.

Probleme der 185 ff. Problem: Beleidigungsfähigkeit der Ehrträger - Jeder Mensch - auch ein Kind oder geistig Erkrankter (+) - nicht aber Tote ( 189)

Beleidigungsfähigkeit von Personengemeinschaften? Nach h.m. ja; Argument aus 194 III, IV Voraussetzungen: Personengemeinschaft erfüllt - rechtlich anerkannte soziale Funktion und - kann einheitlichen Willen bilden. Beispiele: Parteien, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Kapitalgesellschaften, Rotes Kreuz, Bistum Nicht: Kegelclub; nach zutreffender Ansicht auch nicht Familie

Individualbeleidigung unter Kollektivbezeichnung Kommt in Betracht bei Angehörigen von Personengemeinschaften, die nicht passiv beleidigungsfähig sind 2 Formen: Bezeichnung nur des Personenkreises; Täter will konkrete Person aus Kreis treffen, lässt aber offen, wer gemeint ist. Voraussetzungen: - Personenkreis hinreichend zahlenmäßig überschauund individualisierbar + - Auf Grund bestimmter Merkmale so umgrenzt, dass der deutlich aus der Allgemeinheit heraustritt (+), wenn nach objektivem Inhalt und Umständen der Äußerung ein hinreichend zeitlich und örtlicher Zusammenhang mit einem bestimmten Ereignis oder Gruppe erfolgt. Beispiele: Frankfurter Polizei, Berliner Abgeordneten. Nicht: die Akademiker, die Polizei

Fall 1: A besucht ein Volksfest und trägt auf dem Weg zum Haupteingang des Bierzeltes ein T-Shirt mit dem Aufdruck A.C.A.B. ( All Cops Are Bastards ). Strafbarkeit aus 185? Nach OLG Nürnberg NStZ 2013, 593 (-) Abwandlung: A trägt das T-Shirt beim Besuch eines Fußballspiels, bei dem, wie A weiß, Polizeibeamte im Einsatz sind. Strafbarkeit aus 185? Nach OLG München BeckRS 2014, 00952 (+)!

Problem: Beleidigungen im Kreis eng Vertrauter? Nach h.m. teleologische Reduktion und Verneinung der Tatbestandsmäßigkeit, weil Bedürfnis für vertrauliche Aussprache Bereiche: Familie, besonders enge Freundschaften Nicht: Verhältnis Arzt - Patient Grenzen: Verleumdungen gem. 187

Fall 2 Die Gemeindevollzugsbeamtin G hat gegen die Mutter des A wegen eines Parkverstoßes eine Verwarnung verhängt. Daraufhin eilt A der G nach und äußert Wissen Sie was, Sie können mich mal... (vgl. OLG Karlsruhe NStZ 2005, 158 ff.). Problem: Feststellung des beleidigenden Inhalts bei einer mehrdeutigen Äußerung Lösung: Da mehrere, auch straflose Deutungsmöglichkeiten der Äußerung in Betracht kommen, war A eine strafbare Missachtung der G gem. 185 nicht zweifelsfrei vorzuwerfen.

Fall 3 T erzählt am Stammtisch, er habe gehört, dass O mit Betrügereien gegenüber greisen Herren ein gutes Geschäft gemacht habe. Dabei lässt sich nicht endgültig aufklären, ob die Vorwürfe haltlos sind oder ob sie gegebenenfalls doch der Wahrheit entsprechen. Lösung: 186 des T (+) Fall 4 (vgl. BGH NStZ 1984, 216) A feiert seine Beförderung zum Abteilungsleiter. B, der sich auch beworben hatte, hegt tiefen Groll und will A kompromittieren. Er legt heimlich einen Kinderporno in As Videorecorder. Als er später unter dem Vorwand, eine Tennisübertragung zu suchen, den Apparat einschaltet, läuft der Pornostreifen und die Gäste gewinnen einen für A äußerst peinlichen Eindruck. Problem: Schaffung einer kompromitierenden Sachlage Lösung: 187 (-) mangels Drittbezugs, aber 185 (+).

Wahrnehmung berechtigter Interessen 193 StGB Rechtfertigungsgrund speziell für 185 ff. StGB, über 34 StGB hinaus Interessen geschützt (sehr bedeutsam für Presse und zivilr. Ehrenschutz!!), mit folgender Struktur: I. Berechtigtes Interesse Benannter Fall oder allgemein berechtigtes Interesse II. Verhältnismäßige Interessenverfolgung a) Eignung b) Erforderlichkeit (soweit grundrechtlich zumutbar) c) Angemessenheit: Abwägung, nach der Interessenverfolgung nicht außer Verhältnis zur Ehrbeeinträchtigung stehen darf (so aber zb bei Schmähkritik) III. Subjektiv: Handeln zur Interessenwahrnehmung

Fall 5 A veröffentlicht ein Flugblatt, in dem er den Soldatenberuf mit der Tätigkeit von KZ-Aufsehern, Henkern und Folterknechten vergleicht (vgl. BGHSt 36, 83; BVerfGE 93, 266). 185 des A? Lösung: Werturteil; Beleidigung von aktiven Soldaten unter Kollektivbezeichnung sowie Beleidigung von Institution der Bundeswehr als Personengemeinschaft. Aber: Rechtfertigung aus 193 StGB ivm. Art. 5 I GG, weil Bezug auf Soldaten allgemein, Äußerung im Kontext der Vernichtung von Menschenleben und keine reine Schmähkritik.