Grundlagen der Ethik und stellvertretende Entscheidung am Lebensende

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Transkript:

Deutsche Hospiz- und PalliativStiftung Fortbildung Ethische Fragen am Lebensende Berlin, 23. März 2013 Grundlagen der Ethik und stellvertretende Entscheidung am Lebensende PD Dr. med. Dr. phil. Ralf J. Jox Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Ludwig-Maximilians-Universität München

Gliederung 1. Ethik: Begriffe und Theorien 2. Prinzipien biomedizinischer Ethik 3. Stellvertretende Entscheidungen am Lebensende Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 2

Fallbeispiel 38jähige Frau, 2 Kinder (6 und 8 Jahre) Met. Pankreas-Karzinom, keine Besserung auf Chemo Lebenserwartung: Tage bis Wochen 2nd line Chemo: <5% Chance auf Ansprechen Patientin will Chemo (Zeit gewinnen für Kinder) Arzt will nicht falsche Hoffnung nähren Medikamente sehr teuer Worum geht es? Was hat das mit Ethik/Moral zu tun? Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 # 3

Begriffe: MORAL Lat. mores < gr. έθος (Gewohnheit), ήθος (Charakter) Sittliche Regeln, Normen, Maßstäbe in einer Gesellschaft Was ist gut? Was soll ich tun? Was ist geboten/erlaubt? Abgrenzung: - Spielregeln - Konventionen - Klugheitsregeln Moral: kategorisch, universal, permanent Bsp: Der Wille des Patienten ist zu respektieren. Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 4

Begriffe: ETHIK Ethik = (Philosophische) Begründung von Moral Warum ist etwas gut / soll ich etwas tun? (Gründe, Prinzipien, Kriterien ) Moralische Urteile Einzelhandlung Ethische Urteile Handlungstypen Metaethik Ethik Moral Bsp: Warum ist der Wille eines Patienten zu respektieren? Wie ist das bei Komatösen zu realisieren? Metaethik = Reflexion über Ethik Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 5

Angewandte Ethik Ethik für bestimmte Lebensbereiche Bsp: Wirtschaftsethik, politische Ethik, Medienethik, Militärethik, Technikethik, Bioethik Ökologische Ethik Medizinethik Tierethik Forschungsethik Klinische Ethik Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 6

Recht vs. Ethik Bioethische Fragen werden zunehmend rechtlich geregelt Recht Handlungsrahmen Externe Sanktionen Innere Distanz möglich Relativer Geltungsanspruch Moral/Ethik Handlungsorientierung Gewissen Keine innere Distanz Universaler Geltungsanspruch Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 7

Gewissen Häufige Referenz bei moralischen Fragen - gutes / schlechtes / reines Gewissen - Gewissensbisse, nach bestem Wissen und Gewissen Moralische Instanz im menschlichen Bewusstsein - Gefühl, was gut und böse, recht und unrecht ist - Entwickelt durch Sozialisation, Erfahrung - Ich kann es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, den Patienten verhungern zu lassen. Probleme - Subjektiver, kulturrelativer Standard - Kann in best. sozialen Kontexten irren/unterdrückt sein (NS!) - Gewissensforderung = Intuition, zunächst ohne Begründung Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 8

Ethische Theorien Kognitivistische Theorien Nonkognitivistische Th. z.b. Emotivismus, Dezisionismus Deontologische Th. Dekalog, Kant Konsequentialistische Th. Utilitarismus (Bentham, Mill) Tugendethik (Aristoteles) Was ist richtig? Was ist gut? Was ist tugendhaft? Töten ist verboten. Schmerzlinderung ist gut, auch wenn es ev. das Sterben verkürzt. Ärzte sollen empathisch sein. Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 9

Gliederung 1. Ethik: Begriffe und Theorien 2. Prinzipien biomedizinischer Ethik 3. Stellvertretende Entscheidungen am Lebensende Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 10

Prinzipien medizinischer Ethik Respekt der Autonomie Nicht schaden Nützen / Wohltun Gerechtigkeit TL Beauchamp & JF Childress 1979 Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 11

Nicht schaden Primum non nocere Schadenspotenzial der Medizin hoch Ziel: Schaden minimieren, proportional zum Nutzen Beispiele: Evidenzbasierte Medizin (Leitlinien), Qualitätssicherung, konstruktive Fehlerkultur Behandlungsfehler: achthäufigste Todesursache, $ 20-30 Mrd /Jahr Institute of Medicine, To Err is Human 2000 Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 12

Nützen Lebenserwartung + Lebensqualität erhöhen Beispiele: State-of-the-Art-Therapie, Pflicht zur Fortbildung, Empathie und Fürsorge Gefahren: Selbstaufgabe, Paternalismus Ärztliche Fürsorge muss sich am konkreten subjektiven Wohlergehen des Patienten orientieren (nicht an objektiven Daten) Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 13

Respekt der Autonomie Freiheit von Zwang und Manipulation (negativ), Aufklärung, Empowerment (positiv) Autonomie beinhaltet auch die Freiheit, Entscheidungen im Vertrauen zu delegieren Beispiele: Informierte Einwilligung vor Eingriff, Schweigepflicht, Datenschutz, Gebot der Ehrlichkeit, partnerschaftliche Beziehung Arzt-Patient Wie kann die Autonomie bei kognitiv eingeschränkten oder vulnerablen Patienten respektiert werden? Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 14

Gerechtigkeit Faire Verteilung von Gütern und Lasten Bei begrenzten Ressourcen Verteilungsregeln nötig Rationierung? Priorisierung? Makroebene: Gerechte Verteilung von Organen Mikroebene: Gerechte Zuteilung von Intensivbetten, faire Behandlung ohne Diskriminierung Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 15

Anwendung Moralische Alltagsüberzeugungen Rekonstruktion Interpretation Gewichtung Mittlere Prinzipien Autonomie Wohltun/Nutzen Nichtschaden Gerechtigkeit Einzelfall Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 16

Interpretation Respekt der Autonomie Therapiewunsch als Ausdruck autonomer Lebensentscheidung (?) Nicht schaden Chemo-assoziierte Risiken und Belastungen Gerechtigkeit Nützen / Wohltun Wie wird die Lebensqualität am besten gefördert? Ist die solidarische Finanzierung der Chemo gerechtfertigt? Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 17

Ethische Fallbesprechung Interpretation Gewichtung 1. Informationen sammeln aus versch. Perspektiven Medizinisch, pflegerisch, psychosozial, religiös Handlungsoptionen? (Rechtliche) Rahmenbedingungen? 2. Bewertung 1: Verpflichtungen ggü. dem Patienten Nutzen / Nichtschaden Patientenwohl Respekt vor der Autonomie Patientenautonomie 3. Bewertung 2: Verpflichtungen ggü. Anderen Familienmitglieder, andere Patienten, Gesellschaft? Gerechtigkeit 4. Synthese: Konflikt? Begründete Abwägung 5. Reflexion Stärkster Einwand? Konsens erreichbar? Regelmäßige Überprüfung nach Marckmann G. Onkologe 2009 Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 18

Gliederung 1. Ethik: Begriffe und Theorien 2. Prinzipien biomedizinischer Ethik 3. Stellvertretende Entscheidungen am Lebensende Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 19

Entscheidungen am Lebensende Handlungskontrolle Andere Tötung auf Verlangen = aktive Sterbehilfe Assistierter Suizid Basis: Indikation Behandlungsabbruch passive Sterbehilfe Patient Suizid Basis: Patientenwille natürlicher Verlauf der Krankheit Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit? Symptomkontrolle mit Lebensverkürzung als Nebenfolge? Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 # 20

Änderung des Therapieziels Diagnose t Änderung des Therapieziels Tod Intensität der Therapie Rehabilitation Palliation Lebenserhalt Integrierte Therapie (kurativ + palliativ) Sterbebegleitung Trauerbegleitung Nach Murray SA et al, BMJ 2005 Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 21

Wer trifft die Entscheidungen? Fähigkeit zu selbstbestimmter Entscheidung Krankheitsprozess Existentielle Tragweite der Entscheidungen Zunahme rechtlicher Betreuungen und Vorsorgevollmachten Betreuungsverfahren 1995-2009 (amtliche Erhebung) Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 22

These Wann und wie wir sterben werden, wird wesentlich von anderen bestimmt werden. Als Angehörige und Ärzte stehen wir vor der Unausweichlichkeit, darüber zu entscheiden, andere sterben zu lassen. Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 23

Prozess der Entscheidung Welches Therapieziel will der Patient erreichen? Alternatives Therapieziel? Ist dieses Therapieziel realistisch erreichbar? ja Rechtfertigt der Nutzen dieses Therapieziels die Risiken und Belastungen der Maßnahmen, die nötig sind, um das Ziel zu erreichen? - Ärztliches Urteil und Empfehlung - Dialog mit Patient und Angehörigen - Beurteilung des Patienten (o. seines Vertreters) ja Maßnahme durchführen, Therapieziel überprüfen nein nein Wohl des Patienten Autonomie des Patienten Jox RJ et al, J Med Ethics 2012 Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 24

Ethik und Recht Indikation Wohl des Patienten Therapie Einwilligung Autonomie des Pat. Der behandelnde Arzt prüft, welche ärztliche Maßnahme im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert ist. Er und der Betreuer erörtern diese Maßnahme unter Berücksichtigung des Patientenwillens als Grundlage für die nach 1901a zu treffende Entscheidung. BGB 1901b Abs.1 Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 25/47

Stellvertretende Entscheidung Patientenwohl Patientenautonomie Kriterium der Fürsorge / Indikation Kriterium des mutmaßlichen Willens Kriterium des vorausverfügten Willens Situation / Evidenz für den Willen Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 26

Indikationsstellung Medizinische Indikation (abstrakt): - Evidenz-basierte Medizin, Lehrbuch Ärztliche Indikation (konkret): - Organismus des Patienten - Soziales Umfeld des Patienten - Persönlichkeit des Patienten - Medizinische Möglichkeiten vor Ort Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 27/47

Magensonde bei Demenz Angestrebte Therapieziele: Verlängerung des Lebens Besserer Ernährungsstatus Mehr Lebensqualität Weniger Wundliegen Verschlucken verhindern Durchfall, Übelkeit, Erbrechen Hautentzündungen Weniger Zuwendung Oft Fixierung Sampson EL et al. (2009) Cochrane Databse Syst Rev. Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 28

Patientenwille und Hilfskonstrukte Aktuell erklärter Wille des entscheidungsfähigen Patienten wenn nicht gegeben vorausverfügter Wille (Patientenverfügung) wenn nicht vorhanden Behandlungswünsche wenn nicht vorhanden Mutmaßlicher Wille gemäß 3. BetrRÄndG 2009 Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 29/47

Patientenverfügung Umfrage 12/2012: >65jährige: 54% PV Doppelt so oft bei Privatversicherten Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 30/47

Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 31

Aussagekraft Studie in Seniorenheimen einer Großstadt 2007: - 11% der Bewohner hatten PV - nur in 3% ärztliche Beratung dokumentiert - meiste PV waren nicht aussagekräftig - in vielen Fällen nicht mit Pflege abgesprochen Sommer S. et al. Dtsch Ärztebl 2012 Studie zu ärztl. PV-Beratungsseminaren in Frankfurt: - 25% hatten bereits PV - <10% der Bürger mit PV waren ärztlich beraten worden - fast 100% äußerten nach ärztl. Beratung die Absicht zur Korrektur ihrer PV Schöffner M et al. DMW 2012 Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 32

Anwendung der PV 71jährige ehemalige Pianistin Akutes Koma, Intensivstation, MRT: große Raumforderung im Gehirn PV: wenn keine Aussicht auf ein würdevolles Leben besteht, lehne ich künstliche Lebensverlängerung ab Prognose? Diagnose? Lymphom: Chemotherapie? Ansprechen auf Therapie? Therapieziel? Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 33/47

Gesetz: mutmaßlicher Wille Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, hat der Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden ( ). Der mutmaßliche Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten. 1901a Abs. 1 BGB Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 34/47

Theorie und Praxis Nur in 68% korrekt erraten von Angehörigen Shalowitz et al (2009) Arch Int Med Angehörige basieren ihre Entscheidung oft auch auf eigene Interessen und Wertvorstellungen Vig EK et al (2006) J Am Geriatr Soc Viele Patienten wollen, dass ihre Angehörigen eigene Interessen berücksichtigen Hawkins NA et al (2005) Gerontologist Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 35/47

Welcher Vertreter? Fremdbetreuer Entscheidung braucht Zeit Distanziert Fokus: Patientenautonomie Absprache mit Arzt Oft Anfrage ans Gericht Angehörige Intuitive Entscheidung Bezug zu eigenen Werten Fokus: Patientenwohl Absprache im Familienkreis Keine Anfrage ans Gericht Professionelle Rolle Existentielle Rolle Jox RJ et al. (2012) Int J Geriatr Psychiatr Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 36/47

Rechtlicher Vertreter: eine Vorentscheidung Keine Einwilligung Einwilligung Beide Fälle Fall Herzschrittmacher Fall PEG-Sonde n = 25 20 15 10 5 0 5 10 15 20 Angehörige Fremdbetreuer Jox RJ et al. (2012) Int J Geriatr Psychiatr Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 37

Vorgehen 1. Verschiedene Informationen einholen ( 1901a Abs. 2 BGB) - Lebensentscheidungen, Äußerungen - Familie, Herkunft, kulturelle/soziale Zugehörigkeit - Beruf, Beschäftigungen - Religion, Wertvorstellungen 2. Verschiedene Perspektiven integrieren ( 1901b Abs.2 BGB) - Verwandte, Freunde - Hausarzt, Seelsorger, Pflegekraft 3. Glaubwürdigkeit einschätzen 4. Klinische Ethikberatung kann dies unterstützen Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 38/47

Schlussfolgerung Wir brauchen heute nicht nur eine Kunst zu sterben, sondern auch eine Kunst, über Sterben zu entscheiden. Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 39

Literatur Jox RJ: Sterben lassen: Über Entscheidungen am Ende des Lebens. Hamburg: Edition Körber-Stiftung 2011 Ethik in der Medizin. Ein Studienbuch. Hrsg. v. U. Wiesing. Reclam, Stuttgart 2012 Jox - DHPV Berlin 22.04.2013 40