Techniktraining Bewegungsanalyse

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Transkript:

Techniktraining Bewegungsanalyse Der alpine Skirennsport ist als eine Sportart einzustufen, in der neben umfangreichen konditionellen und psychischen Anforderungen technomotorische Elemente eine wichtige Rolle spielen. Daher entscheidet in erster Linie das Beherrschen der sportlichen Technik über den Erfolg. Daraus ergibt sich automatisch das Problem der Identifikation und darauf aufbauend, das der Vermittlung der optimalen Technik im Verlaufe des Trainingsprozesses. Gerade in den letzten Jahren sieht es zumindest so aus, als ob es unterschiedliche Techniken gibt, die zum Erfolg führen und das Schlagwort der Individualisierung der Skitechnik wieder in den Mittelpunkt der Diskussion über die richtige Technik rücken. Der Deutsche Skiverband hat sich in den vergangenen Jahren große Mühe gegeben diese "richtige Technik" herauszuarbeiten, im Technikleitbild möglichst exakt zu beschreiben, und dann durchgängig in allen Lehrgangsgruppen zu vermitteln. Trotzdem gelang es nur selten, Talente an die Weltspitze zu bringen und dort zu etablieren. Gründe sind u.a. darin zu suchen, dass es noch nicht hinreichend gelungen ist, das Verständnis für die unverzichtbaren Merkmale von denen zu unterscheiden, die individuell unterschiedlich sein können. Außerdem liegen im Bereich der mit der Technik zu verbindenden Konditionsarbeit noch viele Herausforderungen. Jeder kennt aus seiner Arbeit mit Athletinnen und Athleten das Phänomen, dass Sportler nach - auch mehrwöchiger oder mehrmonatiger -Trainingspause z.b nach Verletzungen zurückkommen und oft besser fahren als vorher. Daneben ist immer wieder festzustellen, dass junge Athleten in unsere Kader aufgenommen werden, die durch ihren Willen schnell zu sein aus der Masse herausstechen, denen man großes Potential unterstellt, doch nach ein bis zwei Jahren gehen auch diese Sportler, ihrer "sportlichen Persönlichkeit" beraubt, im oft mittelmäßigen Einheitsbrei der Gruppen unter. Für die Diskussion des Techniktrainings müssen auch wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt werden, die hier relevant sind. Die nachfolgende vorgestellte Untersuchung verdeutlicht die Problematik im Techniktraining sehr deutlich: Die Versuchspersonen in dieser Studie hatte die Aufgabe, mit größtmöglicher Amplitude und Frequenz auf einer Vorrichtung, das dem Trainingsgerät "Skiers s Edge" sehr ähnlich ist, zu schwingen. Der Versuch sah vor, dass eine Gruppe Instruktionen erhält, die andere nicht. Es wurden 20 Versuche á 90s an 3 Tagen durchgeführt. Die Ergebnisse sind in Abb. 1 dargestellt. Waibel / Huber / Spitzenpfeil 2

Abb.1 Wulf et al. 1996 Um den Einfluss des Techniktrainings weiter zu beleuchten, trainierte eine dritte Gruppe unter der Vorgabe mit maximaler Amplitude und Frequenz zu schwingen, 3 Tage allein. Am 4. Tag bekamen sie eine Instruktion. Das Ergebnis ist in Abb. 2 dargestellt Abb. 2 Wulf et al. 1996 Die Ergebnisse sprechen für sich und zeigen, dass Instruktion das Erlernen einer neuen Bewegung nicht zwangsläufig fördert, sondern sogar negativ auf die geforderte Leistung auswirken kann. Somit ist es wichtig, im täglichen Techniktraining sorgfältig und bewusst mit Anweisungen umzugehen. Ziel dieses Kapitels ist es einerseits, die etablierte Arbeitsweise zu hinterfragen, und andererseits innovative Strategien im Techniktraining vorzustellen, die es dem Trainer ermöglichen, durch seine Handlungen und Instruktionen das Erlernen von Bewegungen positiv zu beeinflussen. Darüber hinaus soll deutlich gemacht werden, dass die Trainingsarbeit mit unseren jungen Talenten nicht nur die Optimierung der sportlichen Technik, sondern vor allem die Entwicklung einer eigenen sportlichen Persönlichkeit zum Ziel hat. Die aufgezeigten Probleme machen deutlich, dass in gewissen Bereichen des Techniktrainings ein Umdenken nötig ist, um systematischer und planbarer zum Erfolg zu kommen. Es wird daher bewusst nicht versucht, Skifahren in Form eines Technikleitbildes zu beschreiben, sondern vielmehr herauszuarbeiten, wie Skirennfahren unter Berücksichtigung der besonderen Zielstellung und in unterschiedlichen Situationen funktioniert. Darauf aufbauend werden bewegungstechnischen Lösungen vorgestellt, mit denen die spezifischen Anforderungen gelöst werden können. Im ersten Schritt wird die Analyse der sportlichen Bewegungstechnik im Rahmen des Aufgaben- und Anforderungsprofils des alpinen Skirennsports erstellt. Waibel / Huber / Spitzenpfeil 3

Der Weg zur Zieltechnik Das Ziel einer jeden Technikanalyse ist es, Merkmale oder Bewegungsmuster zu isolieren, die eine optimale Lösung der durch die Sportart gestellten Anforderungen bietet. Dies setzt voraus, dass eben diese Anforderungen und Aufgaben auch bekannt sind. So trivial dies im ersten Augenblick auch klingt, so entscheidend ist diese Anforderungsanalyse wenn es darum geht, sportliche Technik innovativ und vorausschauend zu entwickeln. Ist dieser Schritt abgeschlossen, gehen zunächst das vorhandene Regelwerk und das in diesem Zusammenhang zur Verfügung stehende Material in die Betrachtung möglicher Lösungen ein. Darüber hinaus soll eine wissenschaftliche Analyse der Anforderungen und der bereits bekannten Bewegungsmuster erfolgen und so die Entwicklung neuer Lösungsverfahren für die identifizierten Anforderungen unterstützen. Parallel müssen dazu mittels Technikbeobachtungen die Bewegungsmuster der aktuellen Weltklasse-Athleten im Hinblick auf die Lösung der gestellten Anforderungen analysiert werden. Auch die Erstellung eines Modells oder einer Simulation können zusätzliche Erkenntnisse über mögliche Lösungsansätze liefern (s. Abb. 3). Erfolgt der Erkenntnisgewinn zur Formulierung eines Technikleitbildes alleinig über die Beobachtung, ergeben sich daraus einige wesentliche Nachteile: Erfassung ausschließlich äußerer Merkmale Relevanz dieser Merkmale für die Leistung nicht bekannt Beschreibung ist nur für die gerade betrachtete Situation zutreffend Beschränkung auf Nachahmung von beobachteten Technikmerkmalen Konsequenz: Die innovative und vorausschauende Entwicklung einer individuell angepassten und optimierten Skitechnik ist so nicht möglich! Der Weg zur Zieltechnik Technikbeobachtung Empirischwiss. Analyse Modellierung Praxiserfahrung Regelwerk Material Technikleitbild Aufgaben- Anforderungs analyse Zieltechnik Abb. 3 Schaubild der einzelnen Komponenten bis zur Zieltechnik Spitzenpfeil, 2002 Waibel / Huber / Spitzenpfeil 4

Technikleitbild Definition: Das Technikleitbild bezeichnet die nach dem derzeitigen (wissenschaftlichen und praktischen) Erkenntnisstand optimale, personenunabhängige Bewegungsfolge zur Lösung einer sportlichen Aufgabe. (Aus Hohmann, Lames, Letzelter: 2002)) Um die Frage nach der Art und dem Inhalt sinnvoller Technikleitbilder zu klären, ist es hilfreich, sich zunächst einmal mit dem Begriff des Techniktrainings ganz allgemein auseinanderzusetzen. Definition: "Unter Techniktraining wird die systematische, anforderungsspezifische Optimierung der Bewegungskoordination unter Berücksichtigung der konkreten Person-, Aufgaben- und Umweltmerkmale verstanden. Nitsch/Neumaier 1997 Die entscheidende Passage darin ist die Forderung, nicht nur die Aufgaben- sondern gleichermaßen die konkreten Personen- und Umweltmerkmale im Training zu berücksichtigen. Diesem Anspruch muss auch bei der Formulierung des Technikleitbildes Rechnung getragen werden. Die vielfältigen Anforderungen, die sich aus der Umwelt, also aus den sich ständig wechselnden Geländesituationen im Skirennlauf ergeben, erfordern demnach ein relativ offen gehaltenes Technikleitbild. Zur Systematisierung des Techniktrainings unterscheidet man, von der Anforderungsstruktur ausgehend, zwischen offenen und geschlossenen Fertigkeiten. Die Sportart Ski Alpin ist dem Aufgabentyp 3 zuzuordnen: Relativ offene Fertigkeiten, also Bewegungen, die unter sich verändernden Bedingungen ablaufen, aber insgesamt eine stabile (konstante) Grundstruktur aufweisen. Genau diese Grundstruktur der Bewegung, die sowohl für situationsbezogene Unterschiede wie individuell variable Vorraussetzungen Raum lässt, soll im Technikleitbild beschrieben werden. Wie genau diese konstante Grundstruktur aussieht, werden die folgenden Kapitel zeigen. Waibel / Huber / Spitzenpfeil 5

Technikanalyse Die Analyse der sportlichen Technik umfasst in der modernen Sportwissenschaft drei Schritte: Im ersten Schritt müssen die entscheidenden bewegungstechnischen Elemente identifiziert werden. Im zweiten Schritt muss die Bedeutung dieser Elemente in der jeweiligen Situation für die Gesamtleistung gewichtet werden. Und im dritten Schritt schließlich müssen die Defizite des Sportlers im Hinblick auf die Beherrschung der als leistungsbestimmend eingestuften Bewegungstechniken analysiert werden. Nachdem in den bisherigen Kapiteln die gestellten Anforderungen und Aufgaben diskutiert wurden, werden im nächsten Abschnitt die grundlegenden Handlungsziele des alpinen Skirennsports herausgearbeitet. Dies führt im ersten Schritt zu der zentralen Frage: Was ist das grundlegende Ziel des alpinen Skirennsports? Handlungsziele des alpinen Skirennlaufs Die Frage ist relativ schnell beantwortet: Wie kann ich auf dem vorgegebenen Kurs in möglichst kurzer Zeit vom Start ins Ziel fahren? Daraus leiten sich für die Technikanalyse unmittelbar zwei Teilziele ab: 1. Wo und wie kann ich den Geschwindigkeitsverlust minimieren? 2. Wo und wie kann ich die Geschwindigkeit erhöhen, also beschleunigen? Auf den ersten Blick handelt es sich um relativ triviale Aussagen, doch muss man sich genau dieses grundlegende Ziel immer wieder vergegenwärtigen, wenn man über sportliche Technik im alpinen Skirennlauf diskutiert. Im ersten Schritt geht es nun darum die Teilziele oder "biomechanischen Einflussgrößen" in den verschiedenen Situationen beim alpinen Skifahren konkret zu identifizieren. Dazu ist zunächst zu unterscheiden, ob es sich um eine Gleitphase (Gerade) handelt, oder um eine Kurvenfahrt. Die Tab. 1 verdeutlicht die verschiedenen Möglichkeiten und situationsbezogenen Aufgaben. Waibel / Huber / Spitzenpfeil 6

Identifikation und Analyse der biomechanischen Einflussgrößen Wo und wie kann ich die Geschwindigkeit erhöhen bzw. den Geschwindigkeitsverlust minimieren? Reibung verringern Luftwiderstand verringern Gleiten, Gerade Planstellen Druckverteilung Wenig Angriffsfläche bieten Kurve Minimiertes Driften Druckverteilung optimieren Wenig Angriffsfläche bieten Hangabtriebskraft optimal nutzen Drehimpulserhaltung nutzen Falllinie KSP-Verlagerung z. Kurvenmittelpunkt (Wellental) Möglichst lange und steile Gleitphase kurzer Radius KSP-Verlagerung zum Kurvenmittelpunkt (Beibehaltung des Radius) Tab. 1 Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Geschwindigkeit Reibung verringern F R = m g µ cos(α) µ (Gleitreibungszahl) muss minimiert werden! Da die Masse beim Gleiten der Ski auf Schnee die Reibung nicht unbedingt erhöht, sondern die Bildung des Wasserfilms sogar beschleunigt, geht eine Verringerung der Reibung nur über eine Minimierung der Gleitreibungszahl. Beim Gleiten ist es einfach nachzuvollziehen, dass die Aufgabe im wesentlichen darin besteht, die Ski plan auf den Schnee zu legen und möglichst gleichmäßig zu belasten, um den Gleitreibungskoeffizienten so gering wie möglich zu halten. Hierzu gibt es zahlreiche Messungen der DSHS Köln und später der TU München, welche die optimale Verteilung der Belastung sowohl entlang der Ski Quer-, als auch der Längsachse darstellen konnten (siehe Abbildung). Darin ist die Belastungsverteilung rechts / links, das Belastungszentrum in der Längs- und Querachse (Punkt) und dessen mittlere Abweichung um diese Achsen (Ellipsen) im Verlauf der gesamten Messtrecke dargestellt. In dem abgebildeten Fall kann man von einer nahezu idealen Position auf dem Ski für das Gleiten sprechen. Abb. 4 Belastungsverteilung beim Gleiten Waibel / Huber / Spitzenpfeil 7

In der Kurve sollte, ebenso wie beim Gleiten, der Druck möglichst auf beide Ski gleichmäßig verteilt werden, um die Reibung zu verringern. Wichtiger aber noch, um den Geschwindigkeitsverlust in der Kurve zu verringern, ist möglichst ohne Rutschanteile auszukommen, d.h. den Schwung auf der Kante zu fahren. Nun gibt es nur zwei Möglichkeiten mit modernen Carving-Ski Radien geschnitten zu fahren, die kleiner sind als durch ihre Taillierung vorgegeben. 1. Durch die Erhöhung des Kantwinkels. Je stärker der Ski aufgekantet wird, desto kleiner wird der Kurvenradius, den er beschreibt. (vgl. Abb.5) 2. Durch die Verstärkung der Skibiegung. Je stärker der Ski durchgebogen wird, desto kleiner der Kurvenradius, den er beschreibt. (vgl. Abb. 6) Die wirkungsvollste Methode den Radius zu beeinflussen, den ein Ski mit einer bestimmten Taillierung beschreiben kann, ist seinen Aufkantwinkel zu verändern (vgl. Abb. 5). Messungen im GS haben gezeigt, dass der Kantwinkel im Schwung zwischen 60 und 85 beträgt, was auch durch die Be trachtung von "Action-Szenen" unterschiedlicher Athleten, unterschiedlichen Alters und in unterschiedlichen Disziplinen bestätigt wird. Aus der Abb.5 geht deutlich hervor, dass die Taillierung eines Skis bei diesen Aufkantwinkeln nicht von entscheidender Bedeutung ist. Die Unterschiede werden mit zunehmendem Aufkantwinkel der Ski immer geringer. Für die Trainingspraxis bedeutet diese Erkenntnis, dass ein wesentlicher Teil der Technikschulung der situativ angepassten Optimierung (Maximierung) des Kantwinkels gewidmet werden sollte. 35,0 30,0 Radius unterschiedlicher Skimodelle in Abhängigkeit zum Aufkantwinkel 25,0 Radius [m] 20,0 15,0 10,0 Trad. Ski 200 Race Carver 185 SL Carver 165 Fun Carver 155 5,0 0,0 1 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 Aufkantwinkel [ ] Abb. 5 Kurvenradius in Abhängigkeit des Kantwinkels [Spitzenpfeil 2002] Um den Schwung optimal geschnitten zu fahren, ist das Timing der Belastungsverlagerung von der Schaufel auf die Skienden entscheidend. Das Ausmaß und die Dynamik sind dabei stark von dem zu beschreibenden Radius und dem Gelände abhängig und sind entsprechend situativ angepasst zu variieren. Genau diese Fähigkeit der Belastungsregulierung wurde unter anderem durch Untersuchungen der Gruppe um Prof. Müller an der Universität Salzburg, in ihrer Bedeutung für die Qualität des Carving Schwungs bestätigt und am ICSS in Aspen 2004 vorgestellt. Waibel / Huber / Spitzenpfeil 8

Verstärkung der Skibiegung durch Gewichtsverlagerung Vor-Rück Gewichtsverlagerung nach hinten: der Druck am Skiende nimmt zu: Durchbiegung des hinteren Skiteils wird verstärkt Gewichtsverlagerung nach vorne: der Druck im Vorderteil nimmt zu: Durchbiegung des vorderen Skiteils wird verstärkt Griff der Kante wird erhöht Geschnittener Schwung nur bei optimalem Timing der Vor- Rück-Bewegung möglich!!! Abb. 6 Einfluss der Skibiegung auf den Kurvenradius Für den Skiläufer bedeutet dies, dass er zur Einleitung des Schwunges den Ski im vordern Teil stärker belasten und damit durchbiegen muss, wenn er schnell aus der Schrägfahrt in die Falllinie einfahren will. Er muss sich also aktiv in den neuen Schwung hineinbewegen. Gleichzeitig muss er versuchen, nach dem Umkanten einen möglichst optimalen Kantwinkel zu erzeugen. Der Kantwinkel und die Skibiegung bestimmen den Radius, den der Ski beschreiben kann. Die Fähigkeit des Rennläufers, den Kantwinkel zu maximieren ist für eine radikale Einleitung des Schwunges von entscheidender Bedeutung. Je drehender der Kurs, desto wichtiger ist diese Aktion um ohne zu driften und damit zu bremsen in die Falllinie zu gelangen. Eine zweite Möglichkeit dies zu erreichen besteht darin, die Ski quasi unbelastet in die Falllinie einzudrehen bzw. vorauszudrehen. Aktuelle Weltklasse Rennläufer wenden diese Technik in bestimmten Situationen häufig an. Genauere Erläuterungen dazu finden Sie im Kapitel Gewichtung der Faktoren steiles Gelände Um im letzten Drittel des Schwunges die Falllinie schnell wieder verlassen zu können und die Richtung zum nächsten Tor zu haben, ist es analog dazu notwendig, durch eine angepasste Verlagerung des Körperschwerpunks die Biegung im hinteren Teil der Ski zu verstärken. Hierzu muss der Skiläufer die Unterschenkel im Sprunggelenk möglichst senkrecht stellen, um den Kraftangriffspunkt hinter die Schuhmitte zu verlagern. Achtung: kein Absitzen nach hinten!!! - Rücklage Waibel / Huber / Spitzenpfeil 9

Diese Möglichkeiten werden als dynamisches Potential des Skis bezeichnet. Luftwiderstand verringern F w = c w A ρ 2 v 2 c w A müssen minimiert werden!! Hier liegt die Sache auf der Hand, denn sowohl beim Gleiten wie in der Kurvenfahrt muss darauf geachtet werden, dem Wind möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Ist beim Gleiten die optimale Abfahrtshocke eher selbstverständlich, so wird in den Kurvenfahrten der Faktor Luftwiderstand oft noch unterschätzt. Selbst im Riesenslalom bei Geschwindigkeiten von bis zu 80 km/h kann der Anteil des Luftwiderstandes über Sieg oder Niederlage entscheiden. Entsprechende Vergleichsfahrten zeigen dies eindeutig. Der Oberkörper sollte so flach wie möglich gehalten werden und die Arme möglichst nach vorn gerichtet sein. Aktuelle weltklasse Athleten bei den Damen und den Herren demonstrieren dies eindrücklich. Vorraussetzung dafür ist ein entsprechend gut ausgeprägtes muskuläres Korsett im Rumpfbereich. Abb. 7 unterschiedliche Körperpositionen im RS Waibel / Huber / Spitzenpfeil 10

Hangabtriebskraft optimal nutzen F H = m g sin(α) "Masse schadet nichts" und v.a. die Hangneigung ist zu maximieren, d.h. der Winkel zwischen der Fallinie und der Skirichtung sollte möglichst lang möglichst klein sein. Was das Gleiten anbelangt, ist die Lösung einfach: Möglichst in der Fallinie bergab fahren! Das gleiche gilt im Wesentlichen auch für die Kurvenfahrt, nur sind hier die Vorraussetzungen etwas anders. Betrachtet man zwei Punkte auf einer schiefen Ebene die sowohl horizontal wie vertikal voneinander entfernt liegen und sucht man die schnellste Verbindung zwischen diesen Beiden, so ist dies nicht die kürzest denkbare, sondern eine nach F h unten (in Richtung der Hangabtriebskraft) gekrümmte Linie. In der Mathematik ist dieses Phänomen als sog. "Brachystochronen Problem" bekannt. Abb. 8 Brachystochronen Problem Hintergrund ist der, dass auf dieser gebogenen Bahn die Hangabtriebskraft länger beschleunigend wirken kann und dadurch eine höhere Geschwindigkeit erzielt wird, als bei der Schrägfahrt. Diese höhere Geschwindigkeit gleicht den zusätzlichen Weg mehr als aus. (vgl. Abb. 9) Für die Linienwahl des alpinen Skiläufers hat dies zur Folge, dass er... die Ski möglichst schnell aus der "Schrägfahrt" am Ende des Schwungs in die Fallinie bringen, möglichst lange nahe der Fallinie die Hangabtriebskraft ausnützten, und im letzten drittel den Schwung "zumachen" muss, um die nötige Richtung zu haben. Um die am Schwungbeginn und Schwungende nötigen engen Kurvenradien fahren zu können, ist es entscheidend, durch zielgerichtete Verlagerung der Körperposition in den verschiedenen Ebenen, das dynamische Potential der Ski voll zu nutzen (vgl. Abb. 6) und einen möglichst optimalen (maximalen) Kantwinkel zu erzeugen (vgl. Abb. 5) Waibel / Huber / Spitzenpfeil 11

Passive Beschleunigung F h Abb. 9 passive Beschleunigung; Pernitsch 1999 Was hier so etwas kompliziert klingen mag, ist nichts anders als die freche, angriffslustige und tempofordernde Fahrweise, die bei erfolgreichen Rennfahrern in jeder Altersgruppe zu sehen ist. Die Beispiele aktueller weltklasse Athleten der verschiedenen Altersgruppen zeigen deutlich, dass die Linienwahl offensichtlich von einem natürlichen Gespür oder besser einem Instinkt für die Falllinie geprägt ist! Es geht nicht darum welcher Anteil des Schwunges vor oder nach der Stange gefahren wird, sondern wie man auf der Fahrt um die Tore die beschleunigenden Kräfte am besten nutzen kann. Dieses natürliche Gespür für die situativ schnellste Line muss im Training entwickelt werden. Starre Linienvorgaben helfen hierbei nur wenig. Aktive Beschleunigung - Drehimpulserhaltung nutzen Dieses im Skirennsport oft heiß diskutierte Thema ist eigentlich relativ einfach umzusetzen und den meisten Sportler auch als Bewegungsmuster durchaus vertraut. Allerdings geschieht das oft in einem anderen "sportlichen" Zusammenhang. Biomechanisch lässt sich ein geschnittener Schwung mit einem Carving-Ski analog dem Schwingen in einer Schiffschaukel betrachten. Die Bewegung auf einer Kreisbahn beim Skifahren zumindest annähernd erzeugt Kurvenkräfte, die im Falle der Schiffschaukel durch die Verbindung zur Drehachse aufgenommen werden und im Falle des Skifahrers durch das Widerlager der Kante im Schnee. Um die Schiffschaukel zu bescheunigen, muss der Körperschwerpunkt zum Zeitpunkt an dem die Summe der Kurvenkräfte maximal ist, zum Kurvenmittelpunkt hin bewegt werden. Bei der Schiffschaukel ist dies der tiefste Punkt und im System des Skifahrers im Bereich kurz nach der Fallinie, also in jedem Fall nach dem Tor. Wo dies in jedem Schwung genau ist, muss der Athlet erfühlen, da dies von Radius, Hangneigung und eben Linienwahl abhängig ist. An diesem Punkt muss der Athlet den wirkenden Kurvenkräften widerstehen, die Tiefbewegung stoppen und sich, zumindest tendenziell, herausbewegen (vgl. Abb.11). Waibel / Huber / Spitzenpfeil 12

Passive Beschleunigung Aktive Beschleunigung Zusätzlicher Impuls Schiffschaukel Quelle: Pernitsch 99 Abb. 10 Schiffschaukelprinzip Abb. 11 "Herausbewegen" Dies ist die einzige Möglichkeit des alpinen Skirennläufers im System der in der Kurve wirkenden Kräfte "aktiv" zu beschleunigen. An dieser Stelle des Schwungs muss das Druckmaximum erzeugt werden. Betrachtet man die Situation beim Schiffschaukeln, wird deutlich, wie sich ein falsches Timing des Herausbewegens auswirkt - die Bewegung wird dann nämlich abgebremst. Der gleiche Effekt zeigt sich natürlich auch beim Skifahren. Es ist demnach unerlässlich, dass die Athleten zum einen ein Gespür dafür entwickeln, wo und wann im Schwung der Zeitpunkt kommt, an dem er Kurvenkräften verstärkt entgegenwirken muss und zum anderen, mit welcher Dynamik dies geschehen muss. Der dynamische Charakter der Bewegung hängt in erster Linie vom Schwungradius und der Geschwindigkeit ab. Wieder verdeutlicht der Vergleich mit der Schiffschaukel den Sachverhalt. Analog zur Kurvenfahrt gilt diese Betrachtung natürlich auch für das Durchfahren einer Kompression bzw. eines Wellentals. Hier macht der Vergleich zur Fahrt in der "Halfpipe" die Bedeutung des "Pushens" im Knick noch deutlicher. Die Auslösung dieses Effektes führt zu einer enormen Kraftbeanspruchung. Insbesondere bei ständiger Wiederholung über mehrere Tore oder gar einen ganzen Lauf, erfordert dies entsprechend gut ausgeprägte athletische Voraussetzungen der Kraft- und Ausdauerfähigkeiten. Waibel / Huber / Spitzenpfeil 13

Gewichtung der leistungsbestimmenden Einflussgrößen Im zweiten Schritt der Technikanalyse muss der Einfluss der verschiedenen beim Skifahren auftretenden Situationen berücksichtigt werden. Nur dann kann eine spezifische Bestimmung der Einflusshöhe einzelner, im vorigen Abschnitt identifizierter Kriterien vorgenommen werden. Da die Vielzahl denkbarer Situationen hier nicht im Einzelnen betrachtet werden kann, soll eine Unterscheidung der Hangneigung in drei Stufen (Steil Mittelsteil Flach) genügen. Die Kurssetzung und damit die Schwungradien und Torabstände sind in der Regel an die Hangneigung angepasst und gehen somit ebenfalls in die differenzierte Betrachtung ein. Die Bewertung erfolgt in 3 Stufen: "0" von geringer Bedeutung "+" von mittlerer Bedeutung "++" von hoher Bedeutung Die im Folgenden angegebene Gewichtung ist als Vorschlag zu verstehen. Innerhalb der jeweiligen Hangneigungs-Situationen können äußere (Pistenbeschaffenheit, Kurssetzung, etc.) und innere (individuelle konditionelle, koordinative und mentale Voraussetzungen) Faktoren eine Anpassung erfordern. Gewichtung der Faktoren im mittelsteilen Gelände Minimiertes Driften Druckverteilung Gew. ++/ + /0 ++ + Aktionen Kurvenlage, extreme Hüftinnenlage möglich (z.b. Motorradfahrer) Druck innen/außen optimieren Angepasste Vor-Rück-Bewegung optimale Skibiegung Wenig Angriffsfläche bieten Möglichst lange und steile Gleitphase kurzer Radius KSP-Verlagerung zum Kurvenmittelpunkt + + ++ Kein unnötiges Aufrichten - Oberkörper möglichst vorgeneigt Arme vor dem Rumpf Angepasste Vor-Rück-Bewegung optimale Skibiegung Kurvenlage Druckaufbau durch Gegenwirken ggf. leichtes Strecken Schiffschaukel Waibel / Huber / Spitzenpfeil 14

Erklärung / Diskussion: Wie die Bewertungen im Einzelnen zu vergeben sind, ist sicher im einen oder anderen Fall diskussionswürdig und soll auch genau so sein. Innerhalb der Situation im mittelsteilen Gelände sind sicher noch Variationen möglich, die eine abweichende Bewertung erfordern. Jeder sollte für sich einmal ganz unvoreingenommen die Bewertung in der Tabelle vornehmen, denn dann wäre genau das erreicht, was mit dieser Herangehensweise im RTP erreicht werden soll. Nämlich, dass sich jeder Trainer mit dieser Fragestellung und dieser Art, Technik zu bewerten und zu analysieren, ständig kritisch auseinander setzt. Übereinstimmend lässt sich in jedem Falle zusammenfassen, dass im mittelsteilen Gelände vor allem eine hohe Qualität der Schwungssteuerung und die Nutzung der Kurvenkräfte für die Beschleunigung im letzten Schwungdrittel von herausragender Bedeutung für die Leistung sind. Optimale Regulation der Körperposition in den verschiedenen Ebenen zur Realisierung maximaler Kantwinkel und Nutzung des dynamischen Potentials der Ski, sind dabei die am stärksten hervorzuhebenden Fähigkeiten. Daneben ist die allgemeine Reduzierung der Reibung durch Optimierung der Belastungsverteilung und des Luftwiderstands sowie die optimale Nutzung der Fallinie von mindestens mittlerer Bedeutung und im Einzelfall möglicherweise sogar höher einzustufen. Damit beispielsweise der beschleunigende Impuls beim Herausbewegen erzeugt werden kann, muss die Piste kompakt genug sein, um das nötige Widerlager bilden zu können. Ist dies nicht der Fall, "gräbt" sich beim Druckaufbau der Ski entweder ein, oder er rutscht nach außen weg, wodurch in jedem Fall die Reibung und damit der Geschwindigkeitsverlust deutlich erhöht werden. In diesem Fall ist entweder der Druck gleichmäßiger auf beide Ski zu verteilen, um das nötige Widerlager doch zu erzeugen, oder einer weichen, runden Fahrweise der Vorzug zu geben. Gewichtung der Faktoren im steilen Gelände Minimiertes Driften Druckverteilung Wenig Angriffsfläche bieten Möglichst lange und steile Gleitphase kurzer Radius KSP-Verlagerung zum Kurvenmittelpunkt Gew. ++ / + / 0 + 0 0 ++ + Aktionen / Bemerkungen Ggf. unbelastetes Ausstellen und Aufkanten Evtl. Aufrichten nötig (vgl. oben) Konsequentes in den Schwung bewegen beim Schwungwechsel Extremer Kantwinkel!! Kurvenlage, extreme Hüftinnenlage möglich! Ausnützen der Skibiegung durch angepasste Rückbelastung am Schwungende Druckaufbau durch Halten bzw. Gegenwirken der äußern Kräfte Waibel / Huber / Spitzenpfeil 15

Erklärung / Diskussion: Ähnlich wie im mittelsteilen Gelände ist sicher auch hier die Bewertung einzelner Faktoren strittig bzw. von den weiteren situativen Gegebenheiten abhängig und möglicherweise anders einzustufen als in der Tabelle. Bei weicher Piste kann es durchaus Erfolg versprechender sein, alle "ruckartigen" Richtungsänderungen zu vermeiden und einer möglichst runden, weichen Fahrweise den Vorzug zu geben. Zusammengefasst lässt sich aber im steilen Gelände feststellen, dass in erster Linie die Falllinie möglichst optimal zum Beschleunigen genutzt werden muss. Dies bedeutet, dass die Ski nach dem Schwungwechsel möglichst schnell in die Fallinie gebracht werden müssen und aus der Falllinie heraus der Schwung mit einem engen Radius "zugemacht" werden muss, um eine möglichst optimale Wirkung der Hangabtriebskraft zu erzielen. Das minimierte Driften ist gerade im steilen Gelände bei stark aus der Richtung gesetzten Toren nicht zu hoch zu bewerten, denn ein unbelastetes Ausstellen der Ski im Schwungwechsel mit leichtem Driftanteil ist hinzunehmen, wenn dadurch die optimale Nutzung der Falllinie gewährleistet wird und den Nachteil des Driftens mehr als ausgleicht. In diesem Fall ist ein Driftanteil zu tolerieren, nicht aber wenn der Schwung durchgedriftet oder "abgestochen" wird. Diese Technik wird im Übrigen von einer ganzen Reihe aktueller Weltklasse Athleten beherrscht und angewendet. (s. Abb. 12). Abb. 12 unbelastetes Ausstellen der Ski in die Fallinie Eine möglichst gleichmäßige Druckverteilung ist im steilen Gelände nicht in jedem Fall anzustreben, da die Gefahr des "Ausrutschens" auf dem Schuh ( Boot Out ) sehr groß ist und die bereits beschriebenen Kriterien im Vordergrund stehen. Der Einfluss des Luftwiderstands ist im steilen Gelände bei drehender Kurssetzung ebenso eher zu vernachlässigen und ggf. ist es erforderlich, eine höhere Körperposition einzunehmen. Dadurch kann die Energie, die beim Abstoppen der Abwärtsbewegung erzeugt wird, genutzt werden, um Druck auf zu bauen der zur Durchbiegung der Ski und damit zur Verkleinerung des Schwungradius beim Ausfahren aus der Falllinie genutzt werden kann. An dieser Stelle wird erneut deutlich, wie unterschiedlich die Anforderungen im alpinen Skisport sein können, und wie differenziert Technikelemente darauf abgestimmt werden müssen. Diese Situationen muss der Athlet während der Fahrt antizipieren und erfassen, um intuitiv die passenden bewegungstechnischen Lösungen abrufen zu können. Waibel / Huber / Spitzenpfeil 16

Gewichtung der Faktoren im flachen Gelände Minimiertes Driften Druckverteilung Wenig Angriffsfläche bieten Möglichst lange und steile Gleitphase kurzer Radius KSP-Verlagerung zum Kurvenmittelpunkt Gew. ++ / + / ++ ++ ++ 0 + Aktionen Umkanten durch Kniekippen oder/und Kurvenlage Druck innen/außen optimieren (z.b. 50/50 %) Angepasste Vor-rück-Bewegung optimale Skibiegung Kein Aufrichten wenn möglich Abfahrtshocke Druckaufbau durch Gegenwirken Kantwinkel verringern Ski freigeben Erklärung / Diskussion: Im flachen Gelände und einer Kurssetzung die nicht allzu weit aus der Richtung geht, gilt es für den Athleten eigentlich nur, die Reibung und den Luftwiderstand so gering wie möglich zu halten. Das bedeutet, dass keine Rutschanteile im Schwung toleriert werden können und gleichzeitig die Belastung möglichst gleichmäßig auf beide Ski verteilt werden muss. Daneben ist darauf zu achten, eine aerodynamisch möglichst günstige Position einzunehmen und wann immer es geht, in der optimalen Abfahrtshocke zu fahren. Die Vorteile dieser Position sind auch in flachen Passagen im Riesentorlauf durch Überblendungen eindeutig belegt. Je nach horizontalem Abstand der Tore kann es von Bedeutung sein, durch gezieltes Herausbewegen die auftretenden Kurvenkräfte im Sinne der Drehimpulserhaltung beschleunigend umzusetzen. Ob und wann eine beschleunigende Wirkung erzielt werden kann, muss der Athlet selbst erfühlen, um situationsangepasst entscheiden zu können, welchem Kriterium (Reibung Beschleunigung) er den Vorzug gibt. Abb. 13 RS-Schwung in Hocke Waibel / Huber / Spitzenpfeil 17

Zusammenfassung: Es gibt nicht die eine Technik, die in allen Situationen Erfolg versprechend ist! Individuelle Ausprägungen einer Technik zeigen sich in unterschiedlichen äußeren Merkmalen und sind als "Stil" anzusehen. Um schnell zu sein, muss der Athlet die Technik intuitiv an die sich verändernden Anforderungen anpassen können! Diese Anforderungen bestimmen Inhalte und Form eines modernen und zielgerichteten Techniktrainings! Konsequenz: Akzeptiert man diese, auf funktionsrelevante Kriterien ausgerichtete Form der Bewegungs- und Technikanalyse, so muss sich dies unmittelbar auf die Art und Weise der Technikvermittlung auswirken. Die Ausführungen haben aufgezeigt, wie vielfältig die Anforderungen im alpinen Skirennsport sein können und wie entscheidend es für den Erfolg ist, dass die Athleten situativ angepasst die optimalen Bewegungsmuster abrufen können. Ein auf sportlichen Erfolg ausgerichtetes Techniktraining muss dies berücksichtigen und kann daher nicht allein auf die Erfüllung eines Technikleitbildes bezogen sein. In den Mittelpunkt der Arbeit rückt das Training der Anpassungsfähigkeit unserer Athleten und nicht das stupide Einschleifen eines vermeintlichen Idealbildes. Das oberste Ziel der Trainingsarbeit sollte es sein, die Bewegungskompetenz unserer Athleten zu verbessern. Waibel / Huber / Spitzenpfeil 18