Rede von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer zur Eröffnung der Salzburger Festspiele am Freitag, dem 27. Juli 2007 Sehr geehrte Damen und Herren! Vor zwei oder drei Wochen hat mir die Präsidentin der Salzburger Festspiele, Frau Helga Rabl-Stadler, - meine Lust am Lesen und meine Freude an Büchern kennend die Druckfahnen eines demnächst erscheinenden Buches von Robert Kriechbaumer über die Geschichte der Salzburger Festspiele von 1945 bis 1960 zur Lektüre überlassen. Es war für mich faszinierend, in dieses spezifische Kapitel aus unserer Nachkriegsgeschichte näher einzudringen und auch Neues über die nicht immer unkomplizierte Entwicklung der Salzburger Festspiele seit Beginn der Zweiten Republik zu erfahren. Gleichzeitig ist es eindrucksvoll festzustellen, wie weit der Weg ist, den die Salzburger Festspiele seit 1945 zurückgelegt haben ein Weg, der bei allen Schwierigkeiten, Hindernissen und
Auseinandersetzungen letzten Endes doch ein unglaublich erfolgreicher Weg gewesen ist. Erfolgreich deshalb, weil es gelungen ist, von mühsamen Anfängen unter den Zwängen und Mängeln der Nachkriegszeit ausgehend, sich Schritt für Schritt dem Ziel anzunähern, europäische und österreichische Kunst auf höchstem künstlerischen Niveau zu präsentieren und dabei die Balance zwischen Tradition und Erneuerung nicht aus den Augen zu verlieren. Diese Spannung durch mehr als 6 Jahrzehnte aufrecht zu erhalten, ist eine Leistung, die Anerkennung und weiteren Ansporn verdient. Genau aus diesem Grund möchte ich auch dem neuen Intendanten der Festspiele, Jürgen Flimm, und seinem Team, für ihre erste Saison die Daumen halten und für die zukünftigen Aufgaben den allerbesten Erfolg wünschen. Eine Portion Vertrauensvorschuss soll ihre Arbeit beflügeln. Und wenn es Jahr für Jahr und meist schon etliche Tage vor Beginn der Festspiele Kritik am Rundherum und an der Tatsache gibt, dass gelegentlich der Glanz der Roben und der Partys mehr Aufmerksamkeit findet als die Qualität der
künstlerischen Darbietungen, dann denke ich mir: Was können eigentlich die Salzburger Festspiele bzw. die Künstlerinnen und Künstler für die überdurchschnittliche Aufmerksamkeit für das weniger Wichtige? Jedenfalls ein Grund mehr, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Meine Damen und Herren! Die Nachtseite der Vernunft lautet das Motto der diesjährigen Salzburger Festspiele. Klingt das nicht ein bisschen wie ein Lamento im Jahr 1 nach Mozarts 250. Geburtstag? Tatsächlich muss man sich ja nach dem Feuerwerk Mozart scher Werke, das vergangenes Jahr gezündet wurde, fragen, ob nach dieser Mega-Kraftanstrengung noch Vergleichbares geboten werden kann. Meines Erachtens geht es aber nicht um Vergleichbares, es geht um das Andere, um neue Themen und neue Ziele.
Die Nachtseite der Vernunft, die man ja vielfältig interpretieren kann, könnte demnach als Kontrapunkt zur Lichtmetaphorik der Opern Mozarts mit ihrem bedingungslosen Vertrauen in die Aufklärung verstanden werden. In der Tat klang der ein Jahrhundert nach Mozart geborene Sigmund Freund ganz anders, wenn er meinte: Das Ich ist nicht Herr im eigenen Haus. Erfahrungen zur Nachtseite der Vernunft waren es ja auch, die Hugo von Hofmannsthal vor genau 90 Jahren veranlasst haben, sich mit der Idee Europa zu befassen. Die Schrecken des Ersten Weltkrieges empfand er als einen Zusammenbruch, aus dem nur die Idee eines ganz neuen Europa Rettung erhoffen ließ. Eines Europas, das weder geographisch noch ethnisch streng begrenzt wäre. Die Rettung ist zunächst nicht gelungen; oder genauer gesagt, erst Jahrzehnte später, nachdem sich Nationalsozialismus, Holocaust und Zweiter Weltkrieg als noch viel dunklere Nachtseiten der Geschichte erwiesen hatten.
Heute, mehr als 50 Jahre nach der Unterzeichnung der Römer- Verträge, wage ich die optimistische Überzeugung zu vertreten, dass es doch Fortschritt im historischen Prozess gibt und dass der berühmte Satz, wonach die Geschichte lehrt, aber keine Schüler findet, zwar eine Gefahr aufzeigt, aber kein unentrinnbares Schicksal definiert. Mit dieser optimistischen Überzeugung ist allerdings Verantwortung verbunden, die alle Staaten Europas und daher wir alle gemeinsam für das Europäische Projekt tragen: z.b. die gemeinsame Verantwortung für Menschenrechte und für das über Jahrhunderte hinweg entwickelte europäische Menschenbild. Aber auch Verantwortung für unsere politische Kultur und gegen jede Form von Fremdenfeindlichkeit und internationale Rechtsstaatlichkeit. Und nicht zuletzt auch Verantwortung für Erkenntnis, wie groß die Rolle von Kunst und Kultur für das Europäische Projekt ist.
Meine Damen und Herren! Zurück zu den Salzburger Festspielen. Wenn man versucht, die 62-jährige Geschichte der Salzburger Festspiele seit 1945 zusammenzufassen, dann darf man schon sagen: Die Salzburger Festspiele sind eine tragende Säule in der Architektur der österreichischen und der europäischen Kultur. Sie haben einer großen Zahl von Kulturschaffenden Entfaltungsmöglichkeiten geboten. Sie haben künstlerische Karrieren begründet und auf höchste Höhen geführt, und sie haben einer großen Zahl von Menschen aus allen Teilen der Welt Freude bereitet und zum Nachdenken angeregt. Ich wünsche uns allen, dass auch die diesjährigen Salzburger Festspiele diesen Ansprüchen gerecht werden. Um das beweisen zu können, sind die Salzburger Festspiele 2007 eröffnet!