Die Bedeutung George Bährs und seine Frauenkirche in Kunst- und Architekturgeschichte

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Transkript:

BRUNO KLEIN Originalveröffentlichung in: George-Bähr-Forum 5. 2012/2013 (2013), S. 34-39 P Meine sehr verehrten Damen und Herren, Die Bedeutung George Bährs und seine Frauenkirche in Kunst- und Architekturgeschichte es ist nicht ganz einfach, die Bedeutung von George-Bähr für Kunst- und Architekturgeschichte klar zu beschreiben. Hierfür gibt es zwei Gründe: Erstens ist die individuelle künstlerische Persönlichkeit George Bährs nur schwer zu fassen, weil er als städtischer Ratsbaumeister nicht zu jenem Kreis von Personen gehörte, denen im 18. Jahrhundert ein Künstlerstatus zugebilligt wurde. Zimmermann, Baumeister, Konstrukteur - das ja! Aber ingeniöses, gar geniales Künstlertum wurde einem wie ihm nicht zugestanden, denn er war ja nicht beim Hof angestellt. Und zweitens ist auch sein konkreter Anteil an der endgültigen künstlerischen Gestaltfindung der Frauenkirche nicht immer ganz eindeutig zu identifizieren. George Bähr also kunstgeschichtlich ein Phantom? Diese rhetorische Frage lässt sich ganz schnell mit Nein beantworten, wenn man sich nur von der seit den Anfängen der Kunst- und Künstlergeschichte in der Renaissance propagierten Vorstellung frei macht, dass bildende Künstler und Architekten immer einsame Genies gewesen seien, die alles allein entschieden und dabei ihr soziales Umfeld souverän ignorierten. Dieses pathetische Ideal war ohnehin immer eine Fiktion und weit von der Realität entfernt, was im Falle von George Bähr und seiner Frauenkirche aber in ganz besonderem Maße zutrifft. Denn Bährs Leistung bestand gerade darin, unterschiedliche Vorgaben verschiedenster Art auf produktive Weise miteinanderzu verbinden. So musste er sein eigenes architektonisches Konzept mit demjenigen des höfischen Oberlandbauamtes und insbesondere von dessen Mitglied Johann Christoph Knöffel abstimmen, der zwanzig Jahre jünger als Bähr war (Abb. 1+2). Knöffel war ein ausgezeichneter, sehr subtiler Architekt, der mit den Regeln der Kunst bestens vertraut war. Er verlieh dem ersten Entwurf Bährs zunächst eine Fassade (Abb. 3), so wie es sich gehörte, die aber bald wieder zugunsten von Bährs»fassadenloser«, die Enge des Bauplatzes berücksichtigender Bauidee aufgegeben wurde. Viel interessanter ist, wie Bähr mit Knöffels Idee von der Gestaltung der Außenwände aufgriff und damitumging. Denn Knöffel hatte das Problem erkannt, dass es zwar sehr hohe und steile Außenwände geben 34

Abb. 1: George Bähr, Erstes Projekt fiir die Frauenkirche Abb. 2: Johann Christoph Knöffel, redigierter Plan für die Frauen- kirche, Seitenansicht Abb. 4: Johann Christoph Knöffel, Belvedere auf der Brühlschen Terrasse, 1749-51,1759 zerstört Regel nur schwer untergliedern ließen: Es gab einfach keine Säulenordnung, die sich den übersteilen Fassaden der Frauenkirche regelgerecht applizieren Abb. 3: Johann Christoph Knöffel, redigierter Plan fiir die Frauenkirche, Fassadenansicht musste, die sowohl wegen der im Inneren übereinander einzubauenden Emporen als auch wegen der städtebaulichen Wirkung im Äußeren erforderlich waren, dass diese sich aber gemäß dem klassischen, auf der antiken Säulenordnung beruhenden ließ. Knöffel versuchte das Problem dadurch zu lösen, dass er auf ein Sockelgeschoss ein Hauptgeschoss mit Pilastergliederung stellte. Dieses Hauptgeschoss wiederum war unterteilt in eine untere Zone mit hohen Rundbogenfenstern und ein Mezzaningeschoss mit kleinen Rundfenstern darüber. Das entsprach der Regel, weil diese Gliederung zum Ausdruck brachte, dass in der Wandschicht unterhalb der großen Pilasterordnung noch eine 35

weitere Ordnung lag, bestehend aus einen Hauptgeschoss - hier den Rundbogenfenstern - und einem darüber gelegenen Halbgeschoss, einer sogenannten Attika, hier durch die kleinen Rundfenster repräsentiert. Was Knöffel damit gemeint hat, zeigte sich an seinem im Siebenjährigen Krieg zerstörten Belvedere (Abb. 4), das am östlichen Ende der Brühlschen Terrasse stand: < r Abb. 5: George Bähr, Kirche in Schmiedeberg, 1713-16 Abb. 6: George Bähr, Ausführungsentwurf für die Frauenkirche Hier ist viel deutlicher als am Entwurf für die Frauenkirche erkennbar, dass es eineinhalb gedachte Geschosse in der hinteren Ebene gibt, die zudem von einem Gesims getrennt und die in der vorderen Ebene von einem großen Geschoss überfangen werden. Bähr, der bei seinen früheren Kirchenbauten, beispielsweise in Schmiedeberg (Abb. 5), ganz ohne die klassische, an der Antike orientierte Fassadengliederung durch Säulen- und Pilasterordnung ausgekommen war, hat Knöffels antikisierende Architektur dann für die vordere Wandschicht mit den großen Pilastern aufgegriffen, in der dahintergelegene Mauerebene aber steile, fast an gotische Lösungen erinnernde Fenster eingefügt und damit das antikische System ignoriert (Abb. 6). Dies war ein Regelverstoß, führte aber zu einer künstlerischen Spannung, die viel größer ist als bei Knöffel. Hohe Fassaden mittels antikischer Säulenordnungen zu gliedern war nicht nur in Dresden ein Problem, sondern es stellte sich seit der Renaissance überall (Abb. 7)1 Regelgemäß gegliederte Fassaden wirken ästhetisch oft bemüht; viel häufiger aber ist der Fassadenbau an diesem Problem gescheitert. Was Bähr in Dresden intuitiv bewältigte, wurde erst 150 Jahre später systematisch gelöst, als es in Chicago darum ging, die im Vergleich zur Frauenkirche noch viel steileren Fassaden der ersten Wolkenkratzer mit Hilfe der als kanonisch geltenden antiken Säulenordnung zu gliedern. Die konservative Lösung bestand darin, eine durch Säulen- bzw. Pilasterordnung gegliederte Etage über die andere zu türmen und durch Sockel-, Zwischen- und Dachgeschosse weiter zu unterteilen und zu erweitern (Abb. 8). Die radikalere und auch zukunftsträchtigere Lösung sah hingegen einfach den Verzicht auf die klassische Fassadenstruktur vor, um die künstlerische Gestaltung nicht von einem von außen herangetragenen und daher oft auch nicht passendem Regelwerk abhängig zu machen, sondern um die Regel individuell aus der Bauaufgabe heraus zu entwickeln (Abb. 9). Louis Sullivan, der Erfinder der Fassadenstruktur moderner amerikanischer Wolkenkratzer, prägte hierfür die eingängige Formel:»form follows function«- die Form folgt der Funktion: Gemeint war damit, dass es die ästhetische Funktion eines Wolkenkratzers sei, 36

Abb. 7: Salomon de Brosse, Fassade von St-Gervais-et-Protais in Paris. 1616-21 Abb. 8: William Le Baron Jenney, Home Insurance Building, Chicago, 1884,1891 um zwei Etagen aufgestockt, 1931 abgerissen hoch zu sein und dies auch zum Ausdruck zu brin- gen; dieser Funktion habe die Form der Fassadengliederung zu folgen. Der zukunftsträchtige Regelverstoß bei der Architektur der frühen amerikanischen Wolkenkratzer war mit Sicherheit keine unmittelbare Folge des Rsgelverstoßes von George Bähr in Dresden. Aber Bauten wie die regelwidrige, gleichwohl in ihrer künstlerischen Qualität anerkannte und daher auch vielpublizierte Frauenkirche haben den Weg zur modernen Architektur wohl doch erleichtert. Lassen Sie mich die Originalität von Bähr an einem zweiten Punkt aufzeigen: Aus Sicht der orthodoxen Architekturlehre musste es ein Kardinalfehler sein, dass der Ratszimmermeister Bähr für die Frauenkirche aus Konstruktions- und Kostengründen zunächst eine hölzerne Kuppel plante. Eine hölzerne Kuppel ist nämlich eigentlich nichts anderes als ein besonderer»auswuchs«des Dachtragwerks. Steinerne Kuppeln heben sich davon ab, indem sie einen eigenen, ebenfalls steinernen Unterbau besitzen, den sogenannten Tambour, der dann auch durch entsprechend kräftige Pfeiler abgestützt wird. Das nahezu zeitgleiche Beispiel der Salzburger Kollegienkirche von Johann Bernhard Fischer von Erlach vermag zu zeigen, wie dies auszusehen hat (Abb. 12): Erst kommen die Untergeschosse, dann der Tambour und zuoberst die eigentliche Kuppel. Abb. 9: Louis Sullivan, Guaranty Building, Buffalo, 1894-96 Aber als George Bähr den Plan für die Frauenkirche änderte und statt der hölzernen eine steinerne Kuppel vorschlug, wurde zwar versucht, diese Kuppel technisch dem bereits bestehenden Unterbau anzupassen, aber das damals geltende Regelwerk der normativen Ästhetik wurde dabei aufs Schlimmste verletzt: Denn die berühmte steinerne Glocke mit ihrem konkaven Anlauf und ihrer konvexen Kuppel darüber ist eigentlich noch immer ein in Stein ausgeführtes Holzbauwerk, dem der notwendige Kuppeltambourfehlt. 37

Knöffel und die Mitglieder des Oberlandbauamtes hatten offenbar schon früh gespürt, dass eine niedrige Holzkuppel nicht zu den steilen Proportionen des Bauwerks passen würde. Daher hatten sie empfohlen, die Kuppel müsse»mehr oval und dadurch besser in die Höhe gebracht werden«, was Bähr dann auch realisierte. Ganz abgesehen von den ingenieurstechnischen Leitungen, die ihm auf dem Weg von der niedrigen Holzkuppel zur steilen Steinkuppel gelangen und über die HerrZumpe noch sprechen wird, istes aber aus ästhetischer Sicht interessant und bedeutsam, was Bähr künstlerisch daraus machte, dass seiner steinernen Kuppel dertambourfehlte: Erschuf zwischen dem sockelartigen Kirchengebäude und der Kuppel eine reich dekorierte Übergangszone, die alle Blicke auf sich zieht (Abb. 10): Anders als bei Knöffel (Abb. 11) wird das Kranzgesims geknickt und gebogen; aus den regelgemäß geplanten Türmchen über den Ecktreppen werden Abb. 10: Dresden, Frauenkirche, vor der Zerstörung, Gebälkzone und Kuppelanlauf phantastische Tischler- und Drechslerarbeiten in Stein. Sie stehen in ihrer Kleinteiligkeit im Kontrast zum Hintergrund der blanken Mauermasse des konkaven Kuppelanlaufs, für den Knöffel eine feingliedrige Dekoration vorgesehen hatte. Wenn man die Lösung, die Bähr in Dresden an der kritischen Stelle des Übergangs vom Sockel zur Kuppel für Dresden gefunden hat, mit zeitgleichen Lösungen vergleicht (Abb. 13), dann zeigt sich, das andere Architekten, so gutsie auch sein mochten,für diese Zone nur selten rechte Ideen hatten, weil sich ihnen die in Dresden zu lösende Aufgabe nicht stellte. Es wurde Wert auf die ästhetische Gestaltung der Fassaden und der Kuppel gelegt, aber die Über- Abb. 11: Detail aus Abb. 2 gangszonen dazwischen erfuhren in der Regel kaum präzise Ausformungen. Doch am Ende besteht die baukünstlerische Leistung George Bährs doch wohl vor allem darin, dass er oberhalb dieser Übergangszone die Kuppel von kunsttheoretischen Zwängen»befreit«hat, also von allem möglichen Regelwerk, das ihre Proportionen bestimmte und ihr monumentale»würde«verliehen hat. OJüc dt dc S' GharlaC&orromte. audchors 0\>crt U AU$i Abb. 12: Johann Bernhard Fischer von Erlach, Salzburg, Kollegi- enkirche, 1696-1707 Abb. 13: Johann Bernhard Fischer von Erlach Wien, Karlskirche, 1715-1737 38

Abb. 14: Filippo Brunelleschi, Domkuppel, Florenz, Abb. 16: Dresden, Frauenkirche nach dem Wiederaufbau Offenbar konnte es nur einer gegenüber den klassischen Regeln einigermaßen unbefangenen, gleichwohl technisch höchst professionellen und ästhetisch sich auf den eigenen, sicheren Geschmack verlassenden Persönlichkeit wie George Bähr gelingen, einen so ungewöhnlichen Bau wie die Dresdner Frauenkirche zu planen und zu errichten. George Bähr steht an der Schnittstelle zwischen dem traditionell ausgebildeten Hofarchitekten, dem Abb. 15: Rom, Pantheon, Schnitt Damit reiht sich die Dresdner Kuppel unter die monumentalen und lapidar kraftvollen Kuppeln ein, die seit der Antike errichtet worden sind (Abb. 14,15 u. 16). Denn Bährs Kuppel ist nicht ein Element unter vielen bei dem Gebäude, sondern das ganz unbestrittene Hauptmotiv! George Bähr konnte nicht ahnen, dass er durch all dies zum Vorläufer einer»architecture parlante«wurde, einer sprechenden Architektur, die nicht mehr der Kenntnis der Regelwerke bedurfte, sondern die aus sich selbst heraus sprach und verständlich war. nach innovativen Lösungen suchenden Bauingenieur, dem praktisch ausgebildeten Handwerker, dem kommunal-ständisch in seiner Kreativität eingeschränktem Beamten und dem individuell empfindsamen Künstler. Aber es hat ihn zwischen diesen Positionen nicht zerrrissen, denn er war einer derjenigen, die die Entstehung des modernen Künstlertums, - das sich durch Komplexität und nicht durch Einfachheit definiert, das die Regeln ebenso wie den Regelbruch integriert, das Emphase wie Norm beachtet, - entscheidend voran getrieben hat. Prof. Dr. phil. habil. Bruno Klein Institut für Kunst- und Musikwissenschaft der TU Dresden Vorstandmitglied des George-Bähr-Forums der TU Dresden Bildnachweis: 1,2,3,6,11 nach Heinrich Magirius, die Dresdner Frauenkirche von George Bähr: Entstehung und Bedeutung, Berlin 2005,4: nach Manfred Zumpe: Die Brühlsche Terrasse in Dresden, Berlin 1991, S. 107; 5: Norbert Kaiser; 7: Frei; 8,9: Library of Congress; 10,14, 15: TU Dresden, Institut für Kunst und Musikwissenschaft; 12: An- dreas Praefcke; 13: Johann Bernhard Fischer von Erlach, Entwurff einer historischen Architektur (...), Wien 1721, Tafel XIV. 39