Volkswirtschaftliche Folgen von Naturkatastrophen: Schwellen- und Entwicklungsländer besonders betroffen, Versicherungsschutz essenziell



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Munich Re Economic Research 9. Oktober 2013 Volkswirtschaftliche Folgen von Naturkatastrophen: Schwellen- und Entwicklungsländer besonders betroffen, Versicherungsschutz essenziell Mit Hilfe der Naturkatastrophen-Datenbank von Munich Re können neueste Forschungsergebnisse verdeutlichen, wie bedrohlich Naturkatastrophen für die volkswirtschaftliche Entwicklung von Entwicklungs- und Schwellenländern sind. Die Zahlen zeigen auch, dass Versicherung gerade in Schwellenländern eine effektive Methode ist, deren günstige ökonomische Entwicklung vor dieser Bedrohung zu schützen. 1 Globale Entwicklung der Schäden aus Naturkatastrophen Weltweit sind steigende Schäden aus Naturkatastrophen zu beobachten Aus der Naturkatastrophen-Datenbank des Munich Re NatCatSERVICE, in der alle Schadenereignisse weltweit erfasst werden, lässt sich auf der Basis inflationsbereinigter Zahlen für die letzten Jahrzehnte ein klar steigender Trend bei den Summen der direkten Schäden erkennen. Dies gilt sowohl für die versicherten als auch für die gesamtwirtschaftlichen Schäden (Abb.1). Direkte Schäden sind alle Schäden, die auf die Einwirkung der Naturgewalten direkt zurückzuführen sind, also z.b. der Wert einer von einem Erdbeben zerstörten Fabrik. Davon zu unterscheiden sind die indirekten Schäden, die im Nachgang der direkten Schäden auftreten, also in diesem Fall der Produktionsausfall in der zerstörten Fabrik. Die Ursachen für die Zunahme der direkten Schäden sind vielfältig. Ein gewichtiger Grund ist der rapide ansteigende Wohlstand in Schwellenländern wie Brasilien, China oder Südafrika. Des Weiteren trägt die übermäßige Verstädterung stark exponierter Küsten- und Flussregionen sowie in einigen Gebieten die steigende Zahl schadenrelevanter und mitunter auch die Zunahme extremer Ereignisse zu der beobachteten Entwicklung bei. Mrd. US $ 450 400 350 300 250 200 150 100 50 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 Gesamtschäden (in Werten von 2012) Versicherte Schäden (in Werten von 2012) Trendlinie Gesamtschäden Trendlinie versicherte Schäden Abb. 1 Naturkatastrophen weltweit 1980-2012: In den letzten 30 Jahren ist ein deutlicher Anstieg der direkten Gesamt-und versicherten Schäden zu verzeichnen; Quelle: Munich Re NatCatSERVICE 2 Volkswirtschaftliche Folgen von Naturkatastrophen Naturkatastrophen sind besonders für Entwicklungsund Schwellenländer eine große ökonomische Herausforderung Die volkswirtschaftlichen Folgen von Naturkatastrophen hängen wesentlich vom ökonomischen Entwicklungsstand des betroffenen Landes ab. Wissenschaftliche Studien deuten darauf hin, dass Länder mit geringerem Pro-Kopf-Einkommen in der Regel im Verhältnis zu ihrer gesamten Wirtschaftskraft größere ökonomische Schäden bewältigen müssen als Länder mit höherem Pro-Kopf-Einkommen. 1 Vermutlich sind die 1 Siehe z.b. F. Ghesquiere und O. Mahul (2010): Financial Protection of the State against Natural Disasters A Primer, Policy Research Working Paper 5429, The World Bank.

Seite 2/9 Volkswirtschaften v.a. der Schwellenländer 2 besonders stark durch Naturkatastrophen gefährdet: Einerseits verfügen sie bereits über eine relativ umfangreiche Kapitalbasis sowie einen relativ hohen Vernetzungsgrad der Sektoren und Regionen untereinander. Andererseits haben sie meist noch nicht die erforderlichen wirtschaftlichen Mittel und Voraussetzungen, um sich umfassend schützen zu können, z.b. durch bauliche Maßnahmen oder die administrative Durchsetzung von Sicherheitsvorschriften. Hinzu kommen weitere Faktoren wie die Urbanisierung von Küstenregionen, die beispielsweise in Asien häufig im Einzugsbereich tropischer Wirbelstürme liegen (siehe Abb. 2). Abb. 2 Gefährdete Ballungszentren in Süd-und Südostasien: Die immergrößerund zahlreicher werdendenballungszentren liegen oft in Küstennähe und damitim Einzugsgebiettropischer Wirbelstürme; Quelle: Auszug aus Munich Re NATHAN Weltkarte der Naturgefahren(2011) Einen Hinweis auf die erhöhte Exponierung von Schwellenländern geben die im NatCatSERVICE verzeichneten Schäden: Der durchschnittliche Prozentsatz der direkten Schäden pro Jahr bezogen auf die gesamte Wirtschaftskraft (BIP) ist mit 2,9% bei Schwellenländern deutlich höher als bei Entwicklungsländern bzw. reichen Industrieländern (1,3% bzw 0,8%, siehe Abb. 3). 3 3.0% 2.5% Durchschnittlicher Prozentsatz der direkten Schäden bezogen auf das BIP 2.0% 1.5% 1.0% 0.5% 0.0% Industrieländer Schwellenländer Entwicklungsländer Abb. 3 Die Verteilung der direkten Schäden auf Ländergruppen: Der Mittelwert der direkten Jahresschäden in Relation zum BIP ist bei Schwellenländern am höchsten. Die Daten zeigen zudem, dass große Naturkatastrophen vor allem in Entwicklungsländern einen erheblichen Teil der Wirtschaftskraft kosten (die höchsten 10% der Jahresschäden in dieser Gruppe sind größer als 2,6% des BIP, bei Schwellenländern sind es 1,9% und bei Industrieländern nur 0,5% des BIP); Quelle: Berechnungen Munich Re Economic Research beruhend auf den Daten des NatCatSERVICE Folgende Beispiele aus Schwellenländern zeigen Art und Ausmaß von direkten Schäden für die Volkswirtschaft: 2 Als Schwellenländer sollen in diesem Papier diejenigen Staaten bezeichnet werden, deren Einwohner im Durchschnitt über ein mittleres Pro-Kopf-Einkommen verfügen. Nach Definition der Weltbank sind das Einkommen im Bereich von 1.036US$ bis 12.615US$ (bezogen auf das Jahr 2012). Länder mit geringerem Durchschnittseinkommen sollen hier als Entwicklungsländer und Länder mit höherem Einkommen als Industriestaaten bezeichnet werden. 3 Allerdings lassen sich aus dieser rein deskriptiven Analyse des Datensatzes keine Gesetzmäßigkeiten zur Betroffenheit von Schwellenländern ableiten. Hierzu sind weitere detailliertere empirische Untersuchungen notwendig.

Seite 3/9 Das Hochwasser in Thailand in der zweiten Hälfte des Jahres 2011 wird mit einem direkten Schaden von 43 Mrd. US$ (12% des BIP) als die bei weitem teuerste Naturkatastrophe in der Geschichte des Landes eingestuft. Während des Hochwassers verloren über 800 Menschen ihr Leben. 65 der 77 thailändischen Provinzen waren von der Flut betroffen, es wurden hunderttausende Häuser und zahlreiche landwirtschaftliche Flächen sowie bedeutende Industriegebiete überschwemmt. 2004 löste das weltweit drittstärkste Erdbeben seit Beginn des 19. Jahrhundert verheerende Tsunamis an den Küsten des Indischen Ozeans aus. Die Küstenregionen von 13 Ländern auf zwei Kontinenten wurden verwüstet, darunter ganze Fischerdörfer, Touristenzentren, Fabrikanlagen und Verkehrswege. Stromund Telefonleitungen sowie die Wasserversorgung waren unterbrochen. Etwa 220.000 Menschen verloren ihr Leben, einige Zehntausend wurden verletzt. Der direkte gesamtwirtschaftliche Schaden betrug über 11 Mrd. US$. Ein wesentlicher Grund für die hohe Anzahl an Todesopfern und die relativ hohen direkten ökonomischen Schäden war das in Schwellenländern häufig zu beobachtende dynamische Wirtschaftswachstum in den Küstenregionen. Obwohl Chile aufgrund der bekannt hohen Exponierung auf das Erbeben und den Tsunami 2010 relativ gut vorbereitet war, forderte das Unglück 520 Menschenleben. Zudem entstanden große Schäden an Industrieanlagen, der Infrastruktur und alten Gebäuden. Mit einem Gesamtschaden von 30 Mrd. US$ (14% des BIP) war es auch eines der teuersten Erdbeben für die Versicherungsindustrie (8 Mrd. US$ versichert). Bei der Ermittlung der volkswirtschaftlichen Gesamtschäden einer Naturkatastrophe sind zusätzlich zu den direkten Beschädigungen an Vermögenswerten und Produktionsanlagen die nachgelagerten indirekten Schäden zu berücksichtigen: Die Überschwemmung der Industriegebiete in Thailand beeinträchtigte vor allem Produktionsanlagen japanischer Konzerne, darunter viele Hersteller elektronischer Schlüsselkomponenten. So geriet beispielsweise die Fertigung von etwa 25% der global benötigten Komponenten für Computer-Festplatten ins Stocken. Dies führte in der Folge weltweit zu Verzögerungen oder gar Produktionsunterbrechungen bei den weiterverarbeitenden Betrieben. Die indirekten gesamtwirtschaftlichen Schäden der Flut waren somit weltweit zu verzeichnen. In Thailand selbst schrumpfte die Wirtschaft im vierten Quartal 2011 um 2,5% gegenüber dem Vorquartal, nachdem in diesem das Wachstum noch bei plus 1,6% gelegen hatte. Dieser BIP-Rückgang gehört zu den klassischen indirekten Effekten einer Naturkatastrophe. Die Tsunami-Katastrophe 2004 im Indischen Ozean verursachte erhebliche indirekte Schäden durch die folgende Beeinträchtigung der Tourismusindustrie, v.a. in Thailand, Sri Lanka und auf den Malediven. Die indirekt verursachten Schäden belasten neben der Wirtschaftskraft auch die Staatsfinanzen und den Außenhandel Nach dem Marmara-Erdbeben in der Türkei im August 1999 (direkte Schäden 12 Mrd. US$) hatten 32% der Unternehmen in der betroffenen Region beschädigte Anlagen zu beklagen. Eine Untersuchung der Industriekammer Kocaelis (KSO) hat ergeben, dass die Betriebe im Schnitt 35 Tage nicht produzieren konnten. Die Kapazitätsauslastung der Produktionsstätten lag erst 18 Monate nach dem Erdbeben wieder annähernd auf dem Ausgangsniveau. Neben einer Beeinträchtigung der Produktionstätigkeit und damit der BIP-Entwicklung zeigen sich negative indirekte Effekte auch bei anderen wichtigen makroökonomischen Größen wie der Staatsverschuldung oder dem Außenhandel. Empirische Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass Naturkatastrophen die Staatsverschuldung in Schwellenländern im Durchschnitt negativ beeinflussen. Martin Melecky und Claudio Raddatz von der Weltbank analysieren in einer Studie von 2011 477 große Katastrophen aus den Jahren 1975 bis 2008, die in 81 Schwellen- und Industrieländern auftraten. 4 5 Die statistisch aussagekräftigsten Ergebnisse ergeben sich für klimatische Ereignisse, da sie 430 der in der Studie betrachteten 477 Katastrophen 4 M. Melecky und C. Raddatz (2011): How Do Governments Respond after Catastrophes? Natural- Disaster Shocks and the Fiscal Stance, Policy Research Working Paper 5564, World Bank. 5 Betrachtet werden große Katastrophen aus der CRED-Datenbank EM-DAT gemäß Definition des IWF: Mindestens 0,5% der Bevölkerung eines Landes sind von einem Ereignis betroffen und/oder direkte Schäden von mindestens 0,5% des BIP und/oder mehr als ein Todesopfer auf 10.000 Einwohner.

Seite 4/9 In Schwellenländern steigt nach Naturkatastrophen die Staatsverschuldung häufig deutlich an ausmachen. Nach Definition der Autoren beinhalten klimatische Katastrophen alle wetterbedingten Naturkatastrophen wie Flut, Dürre, Extremtemperaturen oder Stürme. 6 Wie in Abb. 4 zu erkennen ist, ergibt sich für Industrieländer (linke Grafik) keine statistisch erhebliche Abweichung vom Trendverlauf (= Nulllinie ) der Pro-Kopf- Staatsverschuldung nach Eintritt der Naturkatastrophe im Jahr 0, wohingegen Schwellenländer (rechte Grafik) im Durchschnitt mit einer statistisch signifikanten Erhöhung zu rechnen haben (fast 30% nach fünf Jahren). In Chile z.b. stieg die Verschuldung im Erdbeben-Jahr 2010 um rund 70% an (Abb. 5). Darüber hinaus zeigten sich negative Auswirkungen auf den Außenhandel, da die Handelsbilanz 2010 deutlich einbrach. 7 Ein weiteres Beispiel ist Grenada, dessen Verschuldung im Jahre 2004 um rund 21% zunahm, als die Insel von Hurrikan Ivan heimgesucht wurde. Im Lauf des Jahres 2004 stufte die Rating Agentur S&P die Staatsanleihen Grenadas von B+ auf CCC herab (eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit führt normalerweise zu höheren Finanzierungskosten). Doch selbst reiche Staaten wie Neuseeland blieben von solch negativen indirekten Folgen nicht immer verschont. Im Nachgang der schweren Erdbeben der Jahre 2010 und 2011 erfuhr Neuseeland Rating-Herabstufungen von S&P und Fitch (beide Agenturen jeweils von AAA auf AA+). 50% 0% -50% -100% -150% Pro-Kopf-Verschuldung Industrieländer Vertrauensbereich der Schätzung Jahre nach der klimatischen Katastrophe 60% 40% 20% 0% Hypothetischer Verlauf ohne Katastrophe = Trend = Nulllinie Pro-Kopf-Verschuldung Schwellenländer Abb. 4 Entwicklung der realen Staatsverschuldung pro Kopf nach einer Katastrophe: Die durchgezogenen Linien zeigen die durchschnittliche Entwicklung der realen Staatsverschuldung pro Kopf als Abweichung vom Trend und in Abhängigkeit der Jahre nach dem Ereignis, das zum Zeitpunkt 0 stattfindet. Da es sich bei der angegebenen durchschnittlichen Entwicklung um eine Schätzung handelt, die auch von rein zufälligen Einflüssen abhängt, zeigen die jeweiligen gestrichelten Linien die Ränder des Vertrauensbereichs der Schätzung. Umfasst dieser Bereich nicht die Null- bzw. Trendlinie, spricht dies für eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass eine Abweichung vom Trend nicht rein zufällig erfolgt ist: Die Schätzung ist statistisch signifikant. Andernfalls ist die Aussagekraft der durchgezogenen Linie etwas abgeschwächt, sie eignet sich u.u. aber immer noch für die Formulierung begründeter Vermutungen; Quelle: Melecky und Raddatz (2011), Appendix S. 13 und S. 14 Staatsverschuldung Chile in Mrd. Pesos Wachstumsrate in % 16000 14000 12000 10000 Staatsverschuldung (linke Achse) Wachstumsrate der Staatsverschuldung (rechte Achse) 80 60 40 8000 20 6000 4000 2000 0 Anfang 2010: Erdbeben in Chile 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Abb. 5 Die Entwicklung der Staatsverschuldung Chiles seit 2001: Man erkennt einen deutlichen Anstieg der Verschuldung im Katastrophenjahr 2010, als sie verglichen zum Vorjahr um 70% wuchs; Quelle: IMF 0-20 -40 6 Diese Definition ist nicht mit derjenigen des Munich Re NatCatSERVICE identisch. Dieser verwendet den Begriff klimatologisch und meint damit lediglich Extremtemperaturen, Waldbrände und Dürren. 7 Export von Gütern und Dienstleistungen abzüglich Import von Güter- und Dienstleistungen.

Seite 5/9 Positive ökonomische Effekte durch den Wiederaufbau nach Katastrophen können die Schäden in der Regel nicht kompensieren es drohen dauerhafte Wohlstandsverluste Oftmals wird die Vermutung geäußert, dass Naturkatastrophen neben den tragischen humanitären Folgen auch positive Auswirkungen auf die volkswirtschaftliche Entwicklung des betroffenen Landes haben können. Vor allem wirke der Wiederaufbau wie ein Konjunkturprogramm. Neue Produktionsanlagen und neue Infrastruktur weisen in der Regel eine höhere Qualität auf als die alten, zerstörten Werte. Tatsächlich lassen sich einige Beispiele für positive wirtschaftliche Effekte finden: In Thailand folgte auf den Wirtschaftseinbruch im vierten Quartal des Flutjahres 2011 mit einer Schrumpfung von 2,5% ein Wachstum von 2,8% im ersten Quartal 2012 (jeweils gegenüber dem Vorquartal). Insgesamt war das Wirtschaftswachstum im Katastrophen-Folgejahr 2012 mit 6,4% das zweithöchste seit Mitte der 1990er Jahre. Allerdings bleibt zu bedenken, dass diese hohen Wachstumszahlen zumindest teilweise auf die Tatsache zurückzuführen sind, dass sie immer nur den Vergleich zur Vorperiode ziehen, also in diesem Falle ein Katastrophenjahr mit einem normalen Jahr vergleichen und somit schon dadurch höhere Werte zu erwarten sind. Das Wirtschaftswachstum der Malediven war nach dem Tsunami Ende 2004 im Jahr 2005 auf -8,7% eingebrochen, nachdem es im Jahr zuvor insgesamt noch 12,5% betrug. Allerdings wuchs die maledivische Wirtschaft im Jahr 2006 um extrem hohe 19,6% das bis heute höchste Wachstum seit mehr als zwanzig Jahren (Abb. 6). Wachstumsrate reales BIP Malediven in % 25 20 15 10 5 + 12,5% + 19,6% 0-5 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013-10 -15 Ende 2004: Tsunami- Katastrophe im Indischen Ozean -8,7% Abb. 6 Reales BIP-WachstumMalediven1990-2013: Nach demtsunami Ende 2004 brach die Wirtschaft im Jahr 2005 ein. Die eindrucksvolle Erholung im darauf folgendenjahr dürfte auch auf positive Wiederaufbau-Effekte zurückzuführen sein; Quelle: IHS Global Insight Nach dem Tsunami 2004 wurden in der indonesischen Provinz Aceh 6,7 Mrd. US$ an Hilfsgeldern für den Wiederaufbau von etwa 1.500 Schulen, 1.000 Kliniken und 140.000 Häusern investiert. Zudem trugen neu gebaute Brücken, Fischereihäfen, Flughäfen und Straßen zu der Erholung der Wirtschaft bei. Allerdings deuten die empirischen Studien insgesamt darauf hin, dass die indirekten positiven Wohlstandseffekte die indirekten Schäden im Durchschnitt aller Länder und Naturkatastrophen nicht kompensieren können, so dass dauerhafte Wohlstandsverluste drohen. Beispielsweise konnten die Ökonomen Goetz von Peter, Sebastian von Dahlen und Sweta Saxena (2012) mit Hilfe der umfangreichen Munich Re NatCatSERVICE Datenbank für schwere, verheerende und große Naturkatastrophen (mehr als 100 Tote oder mehr als 250 Mio. USD direkte inflationsbereinigte Schäden) eine statistisch signifikante Minderung des BIP-Niveaus um fast 4% nach fünf Jahren (Abb. 7) nachweisen. 8 8 G. v. Peter, S. v. Dahlen und S. Saxena (2012): Unmitigated disasters? New evidence on the macroeconomic cost of natural catastrophes, BIS Working Papers No 394, Bank for International Settlements.

Seite 6/9 Effekt auf das Wirtschaftswachstum (%) Kumulierter Effekt auf das BIP-Niveau (%) Eintritt der Naturkatastrophe Vertrauensbereich der Schätzung Hypothetischer Verlauf ohne Katastrophe = Trend = Nulllinie Abb. 7 Auswirkungen einer durchschnittlichen Naturkatastrophe (Durchschnitt aller Naturkatastrophen mit mehr als 100 Toten oder mehr als 250 Mio. USD direkter Schäden hinsichtlich des Schadens pro Quadratkilometer Landesfläche): Die linke Grafik zeigt die Abweichung des Wirtschaftswachstums von seinem Trendniveau (=Nulllinie), die rechte Grafik zeigt die kumulierte Abweichung des BIP-Niveaus von seinem Trendniveau (=Nulllinie) jeweils in Jahren nach Eintritt der Katastrophe; Quelle: v. Peter, v. Dahlen und Saxena. (2012), S. 13 3 Wirkung von Versicherungsschutz auf die volkswirtschaftliche Entwicklung nach Naturkatastrophen Versicherungsschutz hat eine präventive Wirkung und begrenzt durch zeitnahe Entlastung auch die indirekten Schäden von Naturkatastrophen Wissenschaftliche Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass neben dem Wohlstand eines Landes die Qualität gesellschaftlicher, politischer und institutioneller Rahmenbedingungen einen erheblichen Einfluss bei der Bewältigung von Naturkatastrophen hat. Insbesondere gibt es eindeutige Hinweise auf die spürbar positive Rolle gut funktionierender Finanz- und Versicherungsmärkte. Das Vorhandensein von ausreichendem Versicherungsschutz kann die katastrophale Wirkung von Naturereignissen in mindestens zweifacher Weise abmildern: Zum einen gibt es präventive Wirkungen, z.b. in Folge der Ausgestaltung von Vertragsbedingungen oder der Bereitstellung von Informationen. Zum anderen verhelfen Versicherungen durch zügige Auszahlungen zu einer zeitnahen finanziellen Entlastung und damit einer Begrenzung der indirekten Schäden, z.b. weil der Wiederaufbau von Fabriken unverzüglich erfolgen kann. Die präventive Wirkung von Versicherungsschutz ergibt sich insbesondere aus der Signalfunktion der Versicherungsprämien: Sie weisen dem zu versichernden Risiko einen Preis zu und erhöhen somit die Anreize, durch risikominimierende Maßnahmen diesen Preis zu senken. Bei der Identifikation solcher risikominimierender Maßnahmen hilft in den USA beispielsweise das Insurance Institute for Business and Home Safety (IBHS). Die von Versicherungsunternehmen getragene Organisation unterstützt die Öffentlichkeit mittels wissenschaftlicher Forschung bei der Risikominimierung. U.a. stellt die Organisation auf ihrer Webseite ein Tool zur Verfügung, mit dem US-Bürger und US- Unternehmen ihre Risikoexposition mittels ZIP-Code prüfen können. Anschließend generiert das Tool einen Sicherheitsplan für den Katastrophenfall. Zusätzlich finden sich z.b. Informationen, wie sich Unternehmen mit baulichen Maßnahmen gegen Hurrikanschäden schützen können. Je höher die Zahl der Haushalte und Unternehmen, die entsprechend reagieren, desto positiver kann die gesamtwirtschaftliche Entwicklung nach einer Naturkatastrophe beeinflusst werden. Bei der Dürre des Jahres 2012 in den USA wurde zahlreichen Landwirten in oftmals existenzieller Not durch die zeitnahen Zahlungen des US-Agrarversicherungssystems geholfen. Ansonsten wäre sehr wahrscheinlich sozusagen als indirekter Effekt auch die landwirtschaftliche Produktion im Jahre 2013 beeinträchtigt worden. Bei diesem System handelt es sich um eine so genannte Public-Private-Partnership (PPP), bei der die private Versicherungswirtschaft mit ihrer Expertise für korrekte Risikoeinschätzungen und schnelle Auszahlungen sorgt. Da die Landwirte trotz staatlicher Unterstützung einen Teil der Prämien selbst bezahlen, ist das US- Agrarversicherungssystem nicht nur ein Beispiel für schnelle Hilfe, sondern auch dafür, wie private Versicherer helfen können, zusätzliche staatliche Verschuldung bei Naturkatastrophen zu vermeiden. Zwar beziehen sich die beiden oben genannten Fälle auf Versicherungsschutz in einem Industriestaat, jedoch sind die Maßnahmen und positiven Effekte prinzipiell auch auf Schwellenländer- und Entwicklungsländer übertragbar. Die jüngste Forschung zum

Seite 7/9 Thema volkswirtschaftlicher Konsequenzen von Naturkatastrophen enthält etliche zuverlässige Indizien dafür, dass Versicherung unabhängig vom Wohlstandsniveau einer Gesellschaft positive Wirkungen entfaltet. Das bedeutet, dass bei zwei Ländern mit gleichem Pro-Kopf-Einkommen dasjenige widerstandsfähiger gegen Naturkatastrophen ist, das den höheren Versicherungsschutz aufweist. Zu diesem Forschungsstrang gehören die bereits genannten Veröffentlichungen von Martin Melecky und Claudio Raddatz (2011) und Goetz von Peter, Sebastian von Dahlen und Sweta Saxena (2012), sowie eine Forschungsarbeit von Florian Englmaier und Till Stowasser (2013). 9 Die beiden letztgenannten Forschergruppen konnten auf die weltweit umfangreichste Naturkatastrophen-Schadendatenbank, den Munich Re NatCatSERVICE, zugreifen. Sie umfasst rund 30.000 Datensätze von Naturkatastrophen weltweit mit den jeweiligen direkten Gesamtschäden inklusive des versicherten Anteils. Alle drei genannten Studien konzentrieren sich auf Naturkatastrophen ab einer gewissen Schwere oder Größe und kommen mit jeweils unterschiedlichen Analysemethoden zu dem gleichen Schluss: Versicherung hat unabhängig von anderen Faktoren wie Wohlstand, institutioneller Stärke, gesellschaftlicher Homogenität etc. einen statistisch nachweisbaren positiven Effekt nicht nur für die versicherten Individuen und Unternehmen, sondern auch für die Volkswirtschaft insgesamt. Effekt auf das Wirtschaftswachstum bei einem vollständig unversicherten Ereignis (%) Kumulierter Effekt auf das BIP-Niveau bei einem vollständig unversicherten Ereignis (%) Simulationsrechnungen auf Basis von 30.000 Datensätzen zu Naturkatastrophen weltweit deuten auf umso höhere BIP-Effekte der Katastrophen, je geringer der Versicherungsschutz ist Vertrauensbereich der Schätzung Effekt auf das Wirtschaftswachstum bei einem vollständig versicherten Ereignis (%) Kumulierter Effekt auf das BIP-Niveau bei einem vollständig versicherten Ereignis (%) Hypothetischer Verlauf ohne Katastrophe = Trend = Nulllinie Eintritt der Naturkatastrophe Abb. 8 Linke Seite: Prozentuale Abweichung des realen Wirtschaftswachstums von seinem Trend (=Nulllinie); rechte Seite: prozentuale kumulierte Abweichung des BIP-Niveaus von seinem Trend (=Nulllinie); gezeigt werden die Effekte einer durchschnittlichen Naturkatastrophe (Durchschnitt aller Naturkatastrophen mit mehr als 100 Toten oder mehr als 250 Mio. USD direkter Schäden) Quelle: v. Peter, v. Dahlen und Saxena(2012), S. 16 Beispielhaft für alle drei Studien zeigt Abb. 8 diesen Zusammenhang anhand einer Grafik der Studie von Goetz von Peter, Sebastian von Dahlen und Sweta Saxena (2012): Die oberen beiden Kurven zeigen die BIP-Effekte für den Fall von komplett fehlendem Versicherungsschutz und die unteren beiden den Fall von 100% Versicherungsschutz. 10 Ohne Versicherungsschutz ist mit signifikant negativen BIP-Effekten zu rechnen, bei vollem Versicherungsschutz hingegen sind keine signifikanten Auswirkungen auf das Wohlstandsniveau zu erwarten. Diese Simulationen lassen sich für beliebige Prozentanteile an Versicherungsschutz durchführen. Die Tendenz hierbei ist eindeutig: Je höher der versicherte Anteil der direkten Schäden, desto geringer sind die nachfolgenden (indirekten) Wachstumseinbußen bzw. BIP-Niveau-Verluste. 9 F. Englmaier und T. Stowasser (2013): The Effect of Insurance Markets on Countries Resilience to Disasters, Mimeo, Universität Würzburg. 10 Der Fall von 100% Versicherungsschutz einer Volkswirtschaft tritt zwar in der Realität nicht auf, lässt sich aber mit Hilfe der geschätzten Modellparameter mathematisch simulieren. Dies ermöglicht Rückschlüsse auf den Effekt von mehr Versicherungsschutz.

Seite 8/9 Eine geringere Versicherungsmarktdurchdringung führt zu einem statistisch signifikant höheren Anstieg der Staatsverschuldung im Fall von Naturkatastrophen Entsprechend der positiven Effekte auf die BIP-Entwicklung ist bei höherem Versicherungsschutz auch mit geringerer Staatsverschuldung, einem geringeren Außenhandelsdefizit und weiteren positiven makroökonomischen Effekten zu rechnen. Beispielhaft zeigt Abb. 9 (links) die Entwicklung der staatlichen Pro-Kopfverschuldung bei geringer Versicherungsmarktpenetration (Prämienvolumen bezogen auf das BIP) und Abb. 9 (rechts) diejenige bei hoher Penetrationsrate. 11 Offensichtlich erhöht sich die Verschuldung bei geringer Penetration signifikant, wohingegen die Verschuldung bei hoher Penetration nahezu unverändert bleibt. 30% 20% 10% Vertrauensbereich der Schätzung 50% 0% -50% 0% Jahre nach der klimatischen Katastrophe -100% Hypothetischer Verlauf ohne Katastrophe = Trend = Nulllinie Pro-Kopf-Verschuldung bei geringer Versicherungsmarktdurchdringung Pro-Kopf-Verschuldung bei hoher Versicherungsmarktdurchdringung Abb. 9 Entwicklung der Staatsverschuldung pro Kopf bei unterschiedlicher Versicherungsmarktdurchdringung: Eine geringe Versicherungsmarktdurchdringung (links) führt zu einem statistisch signifikanten Anstieg der staatlichen Verschuldung; Quelle: Meleckyund Raddatz (2011), Appendix S. 23 Die Vermutung, dass Schwellenländer besonders von zusätzlichem Versicherungsschutz profitieren, wird insbesondere durch die Forschung von Englmaier und Stowasser (2013), die von Munich Re Economic Research intensiv begleitet wurde, gestützt. Gemäß ihrer Schätzungen zeigen sich die stärksten verlustmindernden Wirkungen bei Ländern mit mittlerer Versicherungsmarktdurchdringung, wie es bei Schwellenländern häufig der Fall ist (Abb. 10). Wahrscheinlich ist eine Ausweitung des Versicherungsschutzes in dieser Ländergruppe deshalb besonders effektiv, weil dort relativ viele ökonomische Werte den Naturgewalten relativ ungeschützt ausgeliefert sind, so dass eine geringe Ausweitung bereits große Vorteile bringt. In Entwicklungsländern mit sehr niedriger Versicherungsmarktdurchdringung hingegen sind die ökonomischen Werte insgesamt gering, und die bezüglich Marktdurchdringung eher saturierten Staaten verfügen bereits über eine vergleichsweise umfangreiche Prävention und finanzielle Abfederung. Kompensierender Effekt von Versicherungsschutz bei Naturkatastrophen S-förmiger Verlauf des kompensierendes Effekts (illustrativ) Brasilien (1,5%) Typische Versicherungsmarktdurchdringung von Schwellenländern. Diese Länder profitieren demnach tendenziell am meisten von einer Ausweitung des Versicherungsschutzes Thailand (1,4%) USA (4,4%) China (1,2%) Versicherungsmarktdurchdringung 2011 Non-Life (in Prozent des BIP) Abb. 10 Die Grafik zeigt den Verlauf des kompensierenden Effektes von Versicherungsschutz bei Naturkatastrophen. Es zeigt sich, dass Schwellenländer wie China mit einer eher geringen Versicherungsmarktdurchdringung von 1,2% durch eine Ausweitung des Versicherungsschutzes die negativen indirekten Effekte von Naturkatastrophen stark eindämmen können; Quelle: Munich Re EconomicResearch angelehnt an Englmaier und Stowasser (2013) 11 Niedrige bzw. hohe Penetrationsraten haben im Sinne der Studie von Melecky und Raddatz (2011) alle Länder mit einer Penetrationsrate unter bzw. über dem Medianwert aller 81 Länder ihres Datensatzes.

Seite 9/9 4 Fazit Munich Re zeigt auf der Basis inflationsbereinigter Zahlen einen Trend weltweit steigender Schäden. Auf Basis dieser rund 30.000 Datensätze zu Naturkatastrophen weltweit und einer Analyse der ökonomischen Entwicklung der betroffenen Länder lässt sich aber noch mehr zeigen: Die von den Naturgewalten direkt verursachten ökonomischen Schäden sind in Entwicklungs- und Schwellenländern in Relation zum BIP in der Regel höher als in Industrieländern. Die indirekt verursachten Schäden (z.b. aufgrund von Produktionsausfällen) belasten neben der Wirtschaftskraft auch andere volkswirtschaftliche Größen wie Staatsfinanzen und Außenhandel. Mögliche positive ökonomische Effekte durch den Wiederaufbau können in der Regel die Schäden nicht kompensieren. Insgesamt haben Entwicklungs- und Schwellenländer meist deutlich höhere Verluste in Relation zu ihrer Wirtschaftsleistung zu verkraften als Industrieländer. Des Weiteren zeigt sich, dass politische, institutionelle und wirtschaftliche Rahmenbedingungen entscheidend bestimmen, wie schnell sich ein Land von Naturkatastrophen erholen kann und welche langfristigen Schäden es erleidet. Zu diesen Rahmenbedingungen gehört auch der Entwicklungsgrad des Versicherungsmarktes. Hier können vor allem Schwellenländer von einer Ausweitung ihres gesamtwirtschaftlichen Versicherungsschutzes profitieren. Allerdings ist der Zusatznutzen von Versicherungsschutz auch bei Entwicklungs- und Industrieländern nicht unerheblich. Bei Ländern mit sehr niedrigem Wohlstandsniveau könnte vermutlich allein durch Präventionsauflagen im Zusammenhang mit Versicherungsverträgen die Zahl der Todesopfer stark verringert werden. Und bei wohlhabenden Industriestaaten zeigt sich immer wieder, wie z.b. bei der Hochwasserkatastrophe 2013 in Mitteleuropa, dass bei ausreichender Versicherung gegen Elementarschäden viele individuelle Schicksalsschläge vermieden werden können. Dr. Hans-Jörg Beilharz Benedikt Rauch Christina Wallner 2013 Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft, Königinstraße 107, 80802 München