Lernbegleitende Diagnostik im Bereich Deutsch - Schreiben Jutta Schwenke 15.05.12
Wenn Kinder schreiben, brauchen sie eine Didaktik des Lernenlassens. Eine solche Didaktik erfordert Lehrerinnen und Lehrer, die dem Kind bescheiden und mit Zutrauen begegnen, Konzepte magistrogener Anmaßung missachten und soweit als möglich behördlichem Mess- und Normierungswahn den Gehorsam verweigern. Gerhard Sennlaub, ehemal. Lehrer, Schulrat und Direktor des Schulamts im Ennepe-Ruhr-Kreis In: A. und M. Ritter (Hrsg.): Schreibkompetenz und Schriftkultur. Ein Lese- und Arbeitsbuch. Frankfurt/M. 2012, S. 112 2
Kompetenzdimensionen des sprachlichen Anfangsunterrichts Sprachliche Kompetenzen des Kindes am Schulanfang (Lernvoraussetzungen) Sprachliche Kompetenzen des Kindes im Laufe der Schulzeit (Zielperspektive) Professionelle Kompetenzen der Lehrkraft Sprachliches Wissen (linguistisches Wissen, Wissen über Spracherwerb) Diagnostisches Wissen und Können Didaktisch-methodisches Wissen und Können aus Wildemann (2010), S. 169 3
Konstruktion und Zielsetzung von Beobachtungsinstrumenten hängen von der pädagogischen Haltung ab. Was müssen wir von Schulanfänger(nne)n wissen, damit wir sie gut unterrichten können und ihr Lernprozess gelingt? Was kann das Kind schon? Was muss es noch lernen? Was kann es als Nächstes lernen? 4
Diagnostik und Didaktik des Könnens Welche pädagogischen Angebote müssen Kindern unterbreitet werden, damit sie sich (unabhängig von ihrer sozialen Herkunft) bilden können? (Prof. Dr. Ada Sasse) 5
Die kritische Phase für das Entstehen von Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten sind die Erfahrungen der Kinder mit Schrift in den ersten beiden Schuljahren. Der Anfangsunterricht muss den Lernvoraussetzungen angepasst sein und Kindern die Funktion von Schrift als Kommunikationsmittel von Anfang an erfahrbar und einsichtig machen. Punkt 1 der Stellungnahme der dgls zum Problem von LRS/Legasthenie 6
Konstruktion und Zielsetzung von Beobachtungs- und Diagnoseinstrumenten beziehen sich auf die zugrunde gelegte Theorie über den Schriftspracherwerb. oder 7
Verständnis des Fehlers Vom Unvollkommenen zum Vollkommeneren Fehler als lernspezifische Notwendigkeit, nicht als Abweichungen von der Norm konstruktive Schritte in der Schriftsprachentwicklung Umstrukturierung und Ausdifferenzierung der Wahrnehmung 8
Verständnis des Fehlers ACHTUNG! Fehler, die auf grundlegende Schwierigkeiten bei der Aneignung der Schrift verweisen In ihrer Entwicklung besonders gefährdet und förderbedürftig sind Kinder, die auch im zweiten Schuljahr die Stufe der alphabetischen Strategie, d. h. das weitgehend vollständige lautorientierte Schreiben und Erlesen, noch nicht erreicht haben. G. Scheerer-Neumann: Lese-Rechtschreib-Schwäche. In Einsiedler u. a. (Hrsg.): Handbuch Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik. Bad Heilbrunn 2011, S. 452 9
Welche Beobachtungs- und Diagnosemöglichkeiten gibt es? Beobachtung im Unterricht Erschließende Beobachtung des Lernens bei vorstrukturierten Aufgabenstellungen: - Welche Stellen im Lernprozess tragen das Risiko, dass Kinder an ihnen scheitern? Informelle und standardisierte Testverfahren 10
Basis für die erschließende Beobachtung 11
Basis für die erschließende Beobachtung 12
Basis für die vorgestellten Beobachtungsaufgaben 13
Aspekte des Schriftspracherwerbs Vorläuferfertigkeiten Literacy Phonologische Bewusstheit Vier Einsichten in den Aufbau unserer Schrift Stufenmodell der Rechtschreibentwicklung alphabetische Strategie orthografische Strategie morphematische Strategie 14
Literacy= Lese- und Schreibkompetenz Text- und Sinnverständnis sprachliche Abstraktionsfähigkeit Lesefreude Vertrautheit mit Büchern Fähigkeit, sich schriftlich auszudrücken Vertrautheit mit Schriftsprache oder mit literarischer Sprache Medienkompetenz 15
Phonologische Bewusstheit = Fähigkeit, Sprache unter formalen Aspekten zu betrachten 16
Phonologische Bewusstheit im weiteren Sinn Sprachleistungen, die in konkreten Spielsituationen enthalten sind im engeren Sinn richtet sich auf den formalen (Laut-) Aspekt der Sprache Reime erkennen Wörter in Silben gliedern An-, Endlaute erkennen Wörter in Laute zerlegen Lautumstellung, -synthese 17
Vier zentrale Einsichten in den Aufbau unserer Schrift 1. Schrift trägt Bedeutung. - Schrift ist Träger von Information. - Schrift hält Bedeutung fest. 18
Vier zentrale Einsichten 2. Schrift ist an ein bestimmtes Zeicheninventar und an bestimmte Konventionen gebunden. - Unsere Schrift besteht aus einer begrenzten Zahl konventioneller Zeichen (Buchstaben, keine Zahlen!). - Die Bedeutung der Wörter ist abhängig von der Abfolge der Buchstaben, die in einer bestimmten Reihenfolge geschrieben/gelesen werden. 19
Vier zentrale Einsichten 3. Unsere Schrift bildet die gesprochene Sprache ab. - Wahl und Anordnung der Buchstaben haben nur mit der Klangform eines Wortes zu tun (*FT), nicht mit der Größe des Gegenstands. - Schriftwörter bilden die Abfolge einzelner Laute im Wort komplett ab (*TOBIJAS). 20
Vier zentrale Einsichten 4. Unsere Schrift unterliegt orthografischen Normen. - Es gibt Zeichen/Buchstaben(-gruppen), die sich aus einer Lautanalyse allein nicht ableiten lassen. Übergeneralisierungen - In erster Linie gilt in der Orthografie das Stammprinzip. 21
Das Stufenmodell des Schriftspracherwerbs Logografische Strategie Alphabetische Strategie Orthografische Strategie Morphematische Strategie *FT *Farat *Fahrat Fahrrad 22
Lernausgangslagenerfassung Literacy, phonologische Bewusstheit und andere für den Schriftspracherwerb relevante Aspekte LauBe 23
Lernausgangslagenerfassung Das leere Blatt (Dehn/Hüttis-Graff) aus Dehn/Hüttis-Graff (2010), S. 32 24
Lernausgangslagenerfassung Buchstaben-/ Schriftkenntnis = Indikator für Literacy-Erfahrungen gibt auch Hinweise auf die Vorstellungen von Schrift: - Buchstabe als Laut - Buchstabenname (Be:) - Buchstabe als Silbe (Hau) Interessen des Kindes 25
Lernausgangslagenerfassung Aber auch: Lernt das Kind beim Schreiben von dem anderen, z. B. wenn es einen Buchstaben noch nicht kennt? Schreibt es von dem anderen Kind ab? Fragt es dabei nach oder hilft es ggf. dem anderen beim Schreiben? 26
Lernausgangslagenerfassung Memory mit Schrift LEITER 27
Memory mit Schrift Im Spiel kann beobachtet werden: Nutzt das Kind die Schrift? Welche Fähigkeiten/Kenntnisse zeigt es noch? - kennt Buchstaben - kennt Wortlänge - isoliert einen Laut/mehrere Laute - merkt sich Buchstaben oder Wörter 28
Embleme aus der Umwelt ohne Kontext und typische Schrift zuordnen 29
Lernausgangslagenerfassung Für die Einzelbeobachtung: UNKEL. Ein ungewöhnliches Buch. Stuttgart 2008 (mit detaillierten Beobachtungsund Förderanregungen im Lehrerkommentarheft) 30
Lernprozessbeobachtung Informelle Verfahren - Kleine Hefte/Texte mit eigenen Wörtern - Tagebuch 31
Lernprozessbeobachtung Informelle Verfahren: Schreibproben - regelmäßige Wiederholung zur Feststellung individueller Lernfortschritte - ungeübte Wörter kurz und lautgetreu mehrsilbig und lautgetreu mit Konsonantenhäufungen Benutzung erster Rechtschreibregeln zur Richtigschreibung erforderlich 32
Lernprozessbeobachtung Informelles Verfahren: Potsdamer Bilderliste (ILeA 2) zu Beginn von Jgst. 2; 3 und 4 bei rechtschreibschwachen Kindern 33
Lernprozessbeobachtung Schwerpunkt: alphabetische Strategie - Ermittlung vollständig korrekt geschriebener W. - Zusammenfassung vollständig korrekt und lautgetreu geschriebener W. - Ermittlung noch unbekannter bzw. unsicherer Phonem-Graphem-Korrespondenzen Analyse verwendeter orthografischer Strukturen 34
Lernprozessbeobachtung Standardisiertes Verfahren: Hamburger Schreibprobe - von Kl. 1-9 - Orientierung am Stufenmodell - ermöglicht Ableitung von Fördermaßnahmen - auch Auswertung am PC möglich 35
Ermittlung der emotionalen und motivationalen Einstellung zum Lerngegenstand Aus R. Kretschmann u. a.: Prozessdiagnose der Schriftsprachkompetenz. Horneburg 1999 - Selbsteinschätzung - Freude am Lerngegenstand etc. 36