POLICY BRIEF KINDER IM SGB II-BEZUG. Eine Auswertung aktueller Daten der Bundesagentur für Arbeit. Nr. 15 Policy Brief WSI 10/2017

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Transkript:

POLICY BRIEF Nr. 15 Policy Brief WSI 10/2017 KINDER IM SGB II-BEZUG Eine Auswertung aktueller Daten der Bundesagentur für Arbeit Eric Seils, Helge Baumann und Jutta Höhne

Einleitung Die Bundesagentur für Arbeit hat jüngst neue Daten zur Zahl und finanziellen Situation von Kindern in SGB II Bedarfsgemeinschaften vorgelegt. Die vorliegende Publikation analysiert diese Zahlen im Hinblick auf die aktuellen Entwicklungen. Quelle: (Bundesagentur für Arbeit 2017b, 2017a) Wie die obige Abbildung zeigt, hat der Anteil der Kinder, die auf Leistungen nach dem SGB II ( Hartz IV ) angewiesen sind, im Juni 2017 mit 14,6 Prozent einen neuen Höchststand seit dem Ende der Finanzkrise erreicht. 1 Im Vorjahresmonat betrug die 1 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Bundesagentur am aktuellen Rand vorläufig recht alte Bevölkerungsdaten aus Dezember 2015 verwendet. Sie dividiert also die Zahl der Kinder mit einem Leistungsanspruch auf SGB II im Juni 2017 durch die Zahl der Kinder im Dezember 2015. Die Zahl für Dezember 2015 liegt jedoch mutmaßlich unter der entsprechenden Bevölkerungszahl im Juni 2017. Aktuelle Bevölkerungsstatistiken liegen jedoch aufgrund von Problemen beim Statistischen Bundesamt nicht vor. Mit den Bevölkerungsdaten für Dezember 2016 ist erst Anfang 2018 zu rechnen (https://www.destatis. de/de/zahlenfakten/gesellschaftstaat/bevoelkerung/bevoelkerung.html). Errechnet man die Bevölkerungszahl in der Altersgruppe im Jahre 2016 auf der Basis des Mikrozensus (Statistisches Bundesamt (2017)) und setzt diese ersatzweise in den Nenner, dann erhält man für den Juni 2017 eine SGB II-Quote der Kinder von 14,4 Prozent. Dies wird mutmaßlich dem realen Wert nahe kommen. Es handelt sich danach also um eine gewisse Überschätzung. Entsprechende Schätzungen für Kreise liegen auf der Basis des Mikrozensus freilich nicht vor. Auf der anderen Seite schließen die genannten Quoten all die Minderjährigen aus, die zwar in SGB II-Bedarfsgemeinschaften leben, aber z.b. aufgrund eigener Einkünfte keinen Leistungsanspruch haben oder aber aufgrund von Sanktionen ausgeschlossen wurden. Die 1

Quote noch 13,8 Prozent. Aus den Angaben der Bundesagentur lässt sich ferner errechnen, dass im Juni insgesamt etwa 1.947.170 Kinder vom SGB II lebten. In absoluten Zahlen stieg die Zahl der betroffenen Kinder gegenüber dem Vorjahr um 110.499. Quelle: (Bundesagentur für Arbeit 2017b, 2017a), eigene Berechnungen Anmerkung: Ausländische und deutsche Kinder addieren sich auf die Kinder in Bedarfsgemeinschaften mit und ohne Leistungsanspruch. Dieser enorme Anstieg der SGB II-Quote unter den Minderjährigen ist eine Folge der Einwanderungswelle seit dem Jahre 2012. Zunächst hatte sich die Zuwanderung in einem Anstieg der Fallzahlen beim Asylbewerberleistungsgesetz bemerkbar gemacht, da Flüchtlinge in der Regel in den ersten 15 Monaten ihres Aufenthaltes in der Bundesrepublik keinen Anspruch auf das SGB II geltend machen können. Für die Flüchtlinge ist es im Unterschied zu vielen Deutschen jedoch von Vorteil, in das Hartz-System zu wechseln, weil das mit einer Leistungsverbesserung verbunden ist. 2 Mit der daraus resultierenden Verzögerung kam es zu der in der obigen Abbildung wiedergegebenen Zunahme der Zahl ausländischer Kinder im SGB II. Diese hat sich seit Dezember 2011 ziemlich genau von 291.373 auf 583.639 verdoppelt. Die Zahl der deutschen Kinder in SGB II-Haushalten ist dagegen seit Dezember 2011 um knapp 120.000 gesunken. Gesamtzahl der Kinder in Bedarfsgemeinschaften liegt bei 2.052.511 und die entsprechende Quote betrüge nach den Angaben der Bundesagentur 15,4 Prozent! 2 Großzügig sind die Leistungen freilich nicht bemessen. Nach Angaben der Bundesagentur wurde einer Alleinererziehenden bzw. einem Paar mit jeweils zwei Kindern im Juni 2017 ein Bedarf von durchschnittlich 1.594 Euro bzw. 1.933 Euro zuerkannt. 2

Quelle: (Bundesagentur für Arbeit 2017b), eigene Darstellung. 3

Regional konzentriert sich die Zunahme der SGB II-Kinder auf Westdeutschland. Im Osten war nur im vergangenen Jahr ein kleiner Anstieg beim Anteil der Kinder, die von Hartz IV leben, festzustellen. In den vergangenen Jahren hat dies zu einer gewissen Angleichung der beiden Teile Deutschlands beigetragen. Wie aus der Karte ersichtlich ist, verbleiben auf der Kreisebene große Unterschiede: Die höchsten SGB II-Quoten unter Minderjährigen weisen Gelsenkirchen (41,0 Prozent), Bremerhaven (36,1 Prozent) und Halle an der Saale (34,3 Prozent) auf. Die Kreise mit den niedrigsten SGB II- Quoten liegen alle in Bayern: Pfaffenhofen an der Illm (2,2 Prozent), Eichstätt (2,3 Prozent) und Donau-Ries (2,5 Prozent). Fazit Ein wachsender Anteil der in Deutschland lebenden Kinder ist auf das SGB II-System angewiesen. Die Ursache für diesen Anstieg ist in der jüngsten Einwanderungswelle zu finden. Die Zahl der deutschen Kinder, die von Hartz IV leben müssen, nimmt hingegen seit etwa zwei Jahren ab. Dennoch hat der Löwenanteil der von Hartz IV betroffenen Kinder die deutsche Staatsbürgerschaft. Dies zeigt sich auch darin, dass die SGB II-Quoten der Kinder in vielen Kreisen Ostdeutschlands in denen es kaum Einwanderer gibt - weiterhin sehr hoch sind. Eine wichtige Herausforderung besteht mithin darin, eingewanderte Eltern zu befähigen, Arbeit zu Konditionen und Löhnen zu finden, mit denen sie ihre Familien über die Runden bringen können ohne zum Amt zu gehen. Darüber dürfen jedoch nicht die deutschen Kinder vergessen werden. Schließlich hat die Rekordbeschäftigung die Zahl der deutschen SGB II-Kinder erst um gut 130.000 verringert. Literatur Bundesagentur für Arbeit. 2017a. Kinder in Bedarfsgemeinschaften. Dezember 2016. Nürnberg: Bundesagentur für Arbeit. Bundesagentur für Arbeit. 2017b. Kinder in Bedarfsgemeinschaften. Juni 2017. Nürnberg: Bundesagentur für Arbeit. Statistisches Bundesamt. 2017. Bevölkerung mit Migrationshintergrund - Ergebnisse des Mikrozensus. Fachserie 1 Reihe 2.2-2016. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt. 4

AUTOREN Autoren Dr. Eric Seils Helge Baumann Jutta Höhne Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung Düsseldorf Kontakt Dr. Eric Seils eric-seils@boeckler.de IMPRESSUM Herausgeber Hans-Böckler-Stiftung Hans-Böckler-Straße 39 40476 Düsseldorf www.boeckler.de ISSN 2366-9527 Policy Brief WSI Nr. 15 Seite 7