Forum E. Recht der Dienste und Einrichtungen, Leistungserbringungsrecht und -strukturen Diskussionsbeitrag Nr. 8/2015

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Transkript:

Forum E Recht der Dienste und Einrichtungen, Leistungserbringungsrecht und -strukturen Diskussionsbeitrag Nr. 8/2015 13.10.2015 MBOR Medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation in der ambulanten orthopädischen Rehabilitation Teil 1 Notwendigkeit, Idee und von Dr. med. Thomas Lang, Chefarzt Orthopädie, Zentrum für ambulante Rehabilitation (ZAR) Berlin Gartenstraße GmbH I. Einleitung und Grundlagen 1 Unter arbeits- und berufsbezogener Orientierung versteht man die verstärkte Ausrichtung des Rehabilitationsprozesses auf gesundheitsrelevante Faktoren des Arbeitslebens, deren frühzeitige Identifikation und das Angebot an Rehabilitationsleistungen, die den Verbleib des Patienten in Arbeit und Beruf fördern bzw. seine Wiedereingliederung erleichtern. (Löffler et al. 2010) Ein entsprechender Bedarf einer vermehrt berufsbezogenen Ausrichtung der Rehabilitation bestand schon in früherer Zeit. Die besonderen Entwicklungen sowohl des Arbeitsmarktes auf der einen Seite als auch die demographische Entwicklung und die Rente mit 67 auf der anderen Seite haben den Bedarf deutlich gesteigert und das Thema der medizinisch-beruflich orientierten Reha- 1 Der Beitrag basiert auf einem Vortrag des Verfassers, den er auf der Fachtagung Update: MBOR in der Psychosomatik hielt, siehe auch: Schimank: Tagungsbericht Update: MBOR in der Psychosomatik Fachtagung am 12. Februar 2015 in Berlin; Forum E, Beitrag E3-2015 unter www.reha-recht.de; 21.05.2015. bilitation (MBOR) zu einem sehr aktuellen werden lassen. Die MBOR zeichnet sich in Ergänzung zur herkömmlichen medizinischen Rehabilitation durch den Umstand aus, dass der Berufsbzw. Arbeitsplatzbezug stärker im Mittelpunkt des gesamten Rehabilitationsgeschehens steht, Diagnostik und Therapie um berufsbezogene Kernelemente erweitert werden und Maßnahmen noch stärker auf beruflich relevante personale Ressourcen und den beruflichen, möglichst den arbeitsplatzbezogenen Kontext fokussiert sind. Dies erfordert eine konzeptionelle Neuorientierung von Diagnostik und Therapie. Ziel ist es letztendlich, die arbeitsplatzbezogenen Ressourcen zu stärken und die Rehabilitanden und Rehabilitandinnen zu befähigen, trotz berufsbezogener Problemlagen (BBPL) nachhaltige berufliche Integration zu erreichen. 1

II. Die Tradition und Herkunft der (beruflichen) Rehabilitation In der Region Berlin-Brandenburg haben zwei Einrichtungen die Entwicklung der Rehabilitation in Deutschland maßgeblich beeinflusst und geprägt. 1871 wurde der Verein Oberlin in Berlin gegründet, benannt nach dem elsässischen Pfarrer und Sozialreformer Johann-Friedrich Oberlin. Ziel war zunächst die Betreuung und Bildung von sozial benachteiligten Kleinkindern. So erfolgte 1874 die Gründung einer Kleinkindschule im armen Potsdamer Stadtteil Nowawes. 1886 begann die Arbeit mit Menschen mit Behinderung, 1894 folgte das erste deutsche Vollkrüppelheim. Herausragend und aus heutiger Sicht zukunftsweisend war das Konzept einer komplexen medizinischen, pädagogischen, beruflichen und sozialen Rehabilitation, wofür der Verein im Jahre 1900 auf der Pariser Weltausstellung die Goldmedaille erhielt. Auch Konrad Biesalski (1868-1930), der im Mai 1914 das Oskar-Helene-Heim in Berlin- Zehlendorf eröffnete, verfolgte das gleiche Ziel: die Heilung und Erziehung von behinderten Kindern. Er charakterisierte seinen umfassenden Ansatz mit dem treffenden Ausspruch: Nicht ein einzelner Fuß soll behandelt werden, sondern ein ganzer Mensch! Biesalski war später der Leiter der Deutschen Vereinigung für Krüppelfürsorge. Er sah die medizinische Behandlung, Erziehung und Unterricht sowie die Berufsausbildung als die drei Grundpfeiler des modernen Krüppelheims. Und so wurde ein weiterer Ausspruch von ihm zum Sinnbild des umfassenden Ansatzes seiner kombinierten therapeutischen und edukativen Maßnahmen: Der Krüppel soll erwerbsfähig, kurz gesagt, aus einem Almosenempfänger ein Steuerzahler, werden. (Biesalski 1909). Auch wenn uns der Satz aus heutiger Sicht auf den ersten Blick etwas schroff und abwertend erscheinen mag, so meinte Biesalski bereits damals im für die Zeit üblichen Jargon nicht anderes, als wir uns heute im Rahmen der medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation mit Teilhabeausrichtung erhoffen die Eingliederung des/der Rehabilitanden/Rehabilitandin in das Erwerbsleben und die Vermeidung der kompletten Erwerbsminderung mit Zahlung der entsprechenden Rente. Und wie sieht die Problematik heute aus? III. Gründe für die Trendwende zur beruflichen Orientierung Als die wichtigsten Gründe für die vermehrt berufliche Ausrichtung des Rehabilitationsprozesses lassen sich folgende benennen: demographischer Wandel und Rente mit 67 Wandel der Arbeitswelt Volkskrankheiten des Bewegungssystems berufsorientierte Angebote wurden entwickelt und sind realisierbar Erwartung der Rentenversicherung als Leistungsträger Teilhabeorientierung der Rehabilitation Betonung von Aktivität und Teilhabe in der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) und im Sozialgesetzbuch (SGB) IX. Insbesondere der demographische Wandel bei einer sich gleichzeitig stetig wandelnden und verändernden Arbeitswelt ist hier ursächlich. Untersuchungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), DGB-Index Gute Arbeit, und des Internationalen Instituts für empirische Sozialökonomie 2

(INIFES) 2 zeigen einerseits die Anteile von Erwerbsminderungsrenten (EM-Renten) am Gesamtaufkommen von Renten und andererseits den Anteil von Beschäftigten unterschiedlicher Branchen, die nicht erwarten, ihre Tätigkeit bis zur Rente ausüben zu können. Im zeitlichen Verlauf fällt auf, dass bei Betrachtung aller Beschäftigten 2004 noch 24 % nicht erwarteten, bis zur Altersrente arbeitsfähig zu sein, 2007 und 2008 stieg diese Zahl bereits auf jeweils 33 %. Dass auch in Berufen mit eher geringen körperlichen Belastungen etwa ein Fünftel der Beschäftigten eine derart negative Einschätzung trifft, macht nachdenklich und zeigt ganz besonders die Dringlichkeit beruflich orientierter Rehabilitationsmaßnahmen. Wünschenswert wären aber bereits im Vorfeld deutliche Verbesserungen der innerbetrieblichen und außerbetrieblichen Präventionsprogramme (hier z. B. BETSI der DRV) sowie eine Intensivierung der arbeitsschutzrechtlichen Prävention am Arbeitsplatz (vgl. 3 und 5 ArbSchG). Leider lässt sich in der Praxis der Rehabilitation häufiger beobachten, dass Arbeitgeber und auch Betriebsärzte kaum oder keinen Anteil an der Einleitung von Rehabilitationsverfahren haben, letztere meist deshalb, weil sie erst spät im Verlauf einer Arbeitsunfähigkeit, in der Regel sogar erst bei der geplanten Rückkehr des Arbeitnehmers an den Arbeitsplatz, involviert werden (siehe BEM). Die Anzahl der Rehabilitationsleistungen und das Ausmaß der Ausgaben steigen stetig. So betrugen 2012 die Ausgaben für Rehabilitation und Teilhabe im Bereich der Deutschen Rentenversicherung (DRV) 5,8 Mrd. Euro. Das bedeutet einen Anstieg von 2011 zu 2012 um 3,6 %. 2 Der Index Gute Arbeit ist ein Instrument zur Messung der Arbeitsqualität aus Sicht der Beschäftigten. Weitergehende Informationen sind zu finden unter: http://index-gutearbeit.dgb.de/dgb-index-gute-arbeit/was-ist-derindex. 3 Der Anstieg der Ausgaben für medizinische Rehabilitation bei der DRV betrug im gleichen Zeitraum 6,3 %. Bei den Anträgen auf medizinische Rehabilitation stiegen die Zahlen für die DRV von 1,6 Mio. im Jahr 2008 auf 1,7 Mio. im Jahr 2011. Die bewilligten Leistungen entwickelten sich im gleichen Zeitraum von 942.622 (2008) auf 966.323 (2011). Das entspricht einem Anstieg der Leistungen um 2,5 %. Im Verlauf von zwei Jahren nach Rehabilitation sind 86 % der Rehabilitanden noch erwerbsfähig. Aber reicht es aus, allein die Rehabilitationsleistungen auszuweiten? IV. Konsequenzen Bereits 1991 hatte die Reha-Kommission des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) empfohlen, Angebote zur beruflichen Eingliederung innerhalb der medizinischen Rehabilitation auszubauen, ebenso wie die Reha-Kommission- Berufsförderung des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, die eine nahtlose Verknüpfung von medizinischer und beruflicher Rehabilitation als besonders effektiv erachtet (VDR, 1997). In zunehmendem Maß ist die arbeits- und berufsbezogene Orientierung in der medizinischen Rehabilitation als Trend sowohl in der rehabilitationswissenschaftlichen Forschung als auch in der Versorgungspraxis vorzufinden (Hillert et al., 2009). Inzwischen wird eine enge Verzahnung von medizinischen und beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen vor dem Hintergrund der sich wandelnden Arbeits- und Berufswelt als eine notwendige Weiterentwicklung des rehabilitativen Versorgungssystems in der Bundesrepublik Deutschland angesehen.

V. MBOR Einführung und Hintergrund 1. Phasen von Entwicklung und Einführung 1. Entwicklungsphase (1992 2000) Kritik der Reha-Kommissionen, erste klinische Modellvorhaben 2. Bewährungs- und Bewertungsphase (2001 2008) intensive forschungstheoretische Auseinandersetzung Entwicklung von Screening-Instrumenten Definition von Begrifflichkeiten 2003 Eckpunkte arbeitsbezogener Strategien bei Leistungen zur medizinischen Rehabilitation 3. Konsolidierungsphase (seit 2008): Transfer in die Reha-Praxis MBOR-Anforderungsprofil (AP) 2010 Praxishandbuch 2011 10/2010-03/2012 Modellprojekt MBOR- Management im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung (Medizinische Hochschule Hannover und Universität Würzburg) Homepage www.medizinisch-beruflicheorientierung.de 2. Arbeits- und berufsbezogene Problemlagen Berufsbezogene Problemlagen (BBPL) sind vor dem Hintergrund der ICF als Kontextfaktoren anzusehen (Weltgesundheitsorganisation (WHO), 2001), die es in der medizinischen Rehabilitation zu berücksichtigen gilt, weil sie die Integration in das Erwerbsleben über Körperstrukturen und Körperfunktionen hinaus wesentlich mitbestimmen. Ziel der MBOR ist, BBPL zu identifizieren, um 4 Patienten mit BBPL zu erkennen und gezielt in MBOR steuern zu können. Neben ergonomischen Aspekten, die sich aus den biomechanischen Belastungen und sensomotorischen Anforderungen der Arbeitsumgebung auf die tätige Person ergeben, rücken in der letzten Zeit psychosoziale Belastungen aufgrund der Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen in einer sich wandelnden Berufs- und Arbeitswelt ebenso in den Fokus der Aufmerksamkeit wie auch erwerbslebensbezogene Einstellungen der Rehabilitanden und Rehabilitandinnen. Aus diesem Grund muss der Rehabilitationsbedarf von Beginn an ganzheitlich, d. h. einschließlich der psycho-sozialen Kontextfaktoren ermittelt und der Rehabilitationsprozess danach gestaltet werden. Auf die eingesetzten Screeninginstrumente wird unten näher eingegangen. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Arbeits- und Berufswelt tiefgreifend verändert. Die Folgen dieses Wandels für die Erwerbstätigen zeigen sich deutlich in repräsentativen Umfragen wie zum Beispiel der gemeinsamen Erwerbstätigenbefragung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) aus dem Jahr 2006. Demzufolge war fast die Hälfte der Befragten von Umstrukturierungen und Umorganisation in ihrem Arbeitsumfeld innerhalb der letzten zwei Jahre betroffen und wurde mit der Einführung neuer Computerprogramme oder neuer Maschinen/Anlagen, neuer Fertigungs-/Verfahrenstechnologien und neuer bzw. deutlich veränderter Produkte oder Dienstleistungen konfrontiert. Bestes Beispiel hierfür ist das Prestigeobjekt der Bundesregierung für eine industrielle Zukunft Industrie 4.0. Die nahtlose Kommunikation vom Sensor bis ins Internet ist eine Voraussetzung für Industrie 4.0 ein Zukunftsprojekt in der Hightech-Strategie der

deutschen Bundesregierung, mit dem in erster Linie die Informatisierung der Fertigungstechnik vorangetrieben werden soll. Das Ziel ist die intelligente Fabrik ( Smart Factory ), die sich durch Wandlungsfähigkeit, Ressourceneffizienz und Ergonomie sowie die Integration von Kunden und Geschäftspartnern in Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse auszeichnet. Technologische Grundlage sind cyberphysische Systeme und das Internet der Dinge (Quelle: http://www.bmbf.de/de/9072.php). Welche Rolle der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin der Mensch in diesen Unternehmen spielen wird, wie stark seine Flexibilität und Anpassungsfähigkeit gefordert wird oder wie weit überhaupt Menschen in die genannten Prozesse eingebunden werden, bleibt offen. Es ist aber zu erwarten, dass die dargestellte Technologie den psychosozialen Druck im Arbeitsmarkt eher verschärfen wird. So verzeichnet man ohnehin in den letzten Jahren eine zunehmende psychosoziale Belastung durch die Arbeit, bei der unterschiedliche Ursachen zusammenwirken (BUK, 2005; Bartholdt & Schütz, 2010; Sulsky & Smith, 2005). Diese Ursachen sind unter anderem: Innovations- und Flexibilisierungsanforderungen, Arbeitsverdichtung (starker Leistungs- und Zeitdruck), Notwendigkeit, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu erledigen, Erleben von Konkurrenz- und Kostendruck auch innerhalb der Belegschaft (Konzessionen der Mitarbeitenden an einzelnen Standorten gegenüber Konzernleitung z. B. in Form von Mehrarbeit ohne Zulagen, Arbeitszeitverlängerung bei gleichem Lohn oder Reduzierung von Lohnnebenleistungen). Aus der Unvereinbarkeit oben genannter und weiterer arbeitsbezogener Anforderungen mit anderen Lebensbereichen und sozialen Rollen, etwa im familiären Bereich, können wiederum Konflikte resultieren ( work-familyconflict ; Byron, 2005). Der Anteil von Patienten und Patientinnen mit arbeits- und berufsbezogenen Problemlagen macht etwa ein Drittel aller Patienten und Patientinnen in der medizinischen Rehabilitation aus (Bürger & Deck, 2008; Löffler et al., 2008; Müller-Fahrnow & Radoschewski, 2006). Sie können mit eigens entwickelten Screening-Instrumenten identifiziert werden, z. B. dem Screening- Instrument zur Feststellung des Bedarfs an medizinisch-beruflich orientierten Maßnahmen (SIMBO-C/MSK; Streibelt et al., 2009), dem Screening-Instrument Beruf und Arbeit (SIBAR; Bürger & Deck, 2009) oder dem Würzburger Screening (Löffler et al., 2009). Ihre Meinung zu diesem Diskussionsbeitrag ist von großem Interesse für uns. Wir freuen uns auf Ihren Beitrag. 5