Interview der Botschafterin für A1 TV aus Anlass des 60. Jahrestages der Verabschiedung des Grundgesetzes (ausgestrahlt am 23. Mai 2009) 1. Deutschland feiert heute 60 Jahre Grundgesetz. Was bedeutet das Grundgesetz für die Deutschen und warum ist dieses Jubiläum so wichtig? Der 23. Mai ist ja eigentlich der Geburtstag unseres heutigen deutschen Staates. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Deutschland, das besiegte Deutschland, von den vier Siegermächten regiert, von den Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion. Als dann die Verfassung in Kraft trat wurde die Souveränität wieder auf den deutschen Staat zurück übertragen. Dieser Tag markiert auf der anderen Seite aber auch den Beginn der deutschen Teilung. Es entstand dann auch der zweite deutsche Staat, die Deutsche Demokratische Republik im Osten, im Einflussbereich der Sowjetunion. Nach dem Fall der Berliner Mauer am 9. November1989 wurden die beiden deutschen Staaten wieder vereinigt zu dem Deutschland, wie wir es heute haben. Das bedeutet, dass wir in diesem Jahr 2009 zwei Jubiläen feiern. 20 Jahre Fall der Berliner Mauer und 60 Jahre unser Grundgesetz, unsere Verfassung, also den Geburtstag unseres deutschen Staates. 2. Deutschland war nach dem Zweiten Weltkrieg in jeder Hinsicht zerstört. Militärisch, wirtschaftlich, moralisch. Wie ist nach so kurzer Zeit gelungen, dass Deutschland zu einem der mächtigsten Länder Europas wurde und dass die ehemaligen Feinde zu Freunden wurden? Sie haben recht. Deutschland war völlig zerstört in jeder Hinsicht nach dem 2. Weltkrieg und die deutsche Schuld war völlig klar, die Schuld am Krieg, auch die Schuld am Genozid an den 6 Millionen europäischen Juden. Die Deutschen hatten überhaupt
keine Chance, sich in irgendeiner Weise als Opfer zu fühlen und sie wussten, wenn sie wieder respektiert werden wollten und wenn sie wieder Vertrauen gewinnen wollten, dann mussten sie sich selbst aktiv darum bemühen. Für die Bundesrepublik, also der Staat im Westen, war die Integration in westliche Strukturen ganz wichtig bei dieser Politik. Die Bundesrepublik wurde Gründungsmitglied der Europäischen Gemeinschaft und ist 1955 schon in die Nato eingetreten. Auch die Freundschaft mit Frankreich war von großer Bedeutung. Später in den 70er Jahren kam dann die Entspannungspolitik gegenüber den osteuropäischen Staaten hinzu. Bei diesem ganzen Prozess ist Eines interessant. Wir hatten in der Bundesrepublik Deutschland die Wiedervereinigung als Ziel in der Verfassung stehen; die tatsächliche Politik war aber eine andere. Das war eine Politik, die sehr pragmatisch war. Es war eine Politik von Kompromissen, auch von einseitigen Zugeständnissen. Es war eine Politik, die sich um Freundschaften bemüht hat und die sich um Allianzen bemüht hat. Und später hat sich dann gezeigt, als die Wiedervereinigung möglich war, dass diese Politik genau richtig war. Denn als die Berliner Mauer fiel und es wieder die Perspektive der Wiedervereinigung gab, da war kein einziger Staat dagegen und das war durchaus nicht selbstverständlich. Ich finde insgesamt, das ist ein sehr schönes Paradox in unserer Geschichte, dass Deutschland seine Einheit, die Wiedervereinigung, sein nationales Ziel, durch eine Politik erreicht hat, die gar nicht nationalistisch war, sondern das Gegenteil davon. Es war eine Politik, die eigentlich immer mehr geben wollte, als sie gefordert hat. 3. Ist die Zukunft der Europäischen Union garantiert und gibt es in ihr einen Platz für Mazedonien, wenn man die großen Differenzen zwischen den Mitgliedsländern berücksichtigt? Ich denke hier besonders an die gegensätzlichen Interessen der Länder der Union. Die Länder des westlichen Balkan sollen Mitglieder der Europäischen Union werden. Sie haben ganz klar diese europäische Perspektive. Da gibt es überhaupt keine Differenzen zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäische Rat vom 11. Dezember letzten Jahres hat auch noch einmal diese europäische Perspektive bestätigt. 4. Deutschland widersetzt sich der Aufhebung der Visumspflicht für die Länder des Westbalkan. Warum?
Ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Frage. Ich weiß nicht, woher immer wieder diese Meldungen in den Medien kommen, dass Deutschland gegen die Abschaffung der Visumspflicht ist. Das stimmt nicht, das ist nicht wahr. Auch Deutschland möchte eine Abschaffung der Visumspflicht, allerdings müssen die Voraussetzungen dazu stimmen. Die Kommission legt in diesen Tagen ihren Bericht vor, ihren Evaluierungsbericht, ob die Voraussetzungen gegeben sind und wie weit sie erfüllt sind und was Mazedonien betrifft, so sind die Perspektiven, soweit ich gehört habe, sehr gut. 5. Sie zogen einmal die Aufmerksamkeit der mazedonischen Öffentlichkeit auf sich, als Sie die Vision einer Gruppe von Studenten zur Zukunft Mazedoniens vortrugen. Wie ist Ihre Vision? Wo sehen Sie Mazedonien in 10 Jahren? Also in 10 Jahren sehe ich Mazedonien als Mitglied der Europäischen Union. Ich kann mir das gar nicht anders vorstellen. Und ich nehme an, dass es bis dahin auch eine Lösung gegeben hat für den Namensstreit. Und ich nehme auch an, dass die Mitgliedschaft in der EU und davor schon die Perspektive auf die Mitgliedschaft auch das Zusammenleben der Ethnien in Mazedonien positiv beeinflusst hat. 6. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner Mazedoniens und einer der größten Geber. Warum folgen die deutschen Investoren nicht auch diesen wirtschaftlichen Trends? Fürchten sie sich davor, in Mazedonien zu investieren? Was sagen Sie ihnen über das Geschäftsklima in Mazedonien? Es gibt durchaus Interesse in Deutschland an Investitionen in Mazedonien. Jetzt, in der Wirtschaftskrise, ist das natürlich etwas schwierig, aber das Interesse ist da und es gibt ja auch durchaus erfolgreiche deutsche Investitionen hier, z.b. die Deutsche Telekom. Die Deutsch-Mazedonische Wirtschaftsvereinigung hat vor kurzem eine Umfrage gemacht unter ihren Mitgliedern. Das Ergebnis ist, dass 86 % der Befragten mit dem Geschäftsklima in Mazedonien zufrieden sind, sie sagen es ist befriedigend bis gut. 56 % sagen, sie würden sich wieder für Mazedonien als Standort entscheiden. Aber natürlich wünschen sich die Unternehmer auch bestimmte Verbesserungen. Und die betreffen vor allem die Verwaltung, die soll noch effizienter werden und transparenter und auch die Unabhängigkeit der Rechtssprechung könnte noch etwas verbessert werden.
7. Warum erkennt Deutschland Mazedonien als Bestätigung der guten bilateralen Beziehungen nicht unter dem Verfassungsnamen an? Eine solche Initiative gab es im Bundestag, die Bundesregierung verwandelte diese jedoch nicht in einen Beschluss. Warum? Mazedonien und Griechenland verhandeln ja schon seit langem über eine Lösung im Namensstreit. Für uns Deutsche oder für die Bundesregierung ist es überhaupt nicht wichtig, wie diese Lösung konkret aussieht, wichtig ist, dass sie von beiden Seiten, von Mazedonien und Griechenland, akzeptiert wird. Wir wollen dieser Lösung nicht vorgreifen. 8. Wird der Balkan im Zentrum der deutschen Außenpolitik bleiben oder richtet sich das Interesse auf andere Teile der Welt? Es ist ganz klar, der Balkan bleibt im Fokus, im Zentrum unserer Außenpolitik, es handelt sich ja immerhin um künftige Mitgliedstaaten, der Balkan gehört zu Europa, da muss man nur auf die Landkarte schauen und die Erweiterung der Europäischen Union um die Staaten des westlichen Balkan ist und bleibt ein zentrales Thema unserer Außenpolitik. 9. Ist die albanische Frage auf dem Balkan durch die Verkündung der Unabhängigkeit des Kosovo abgeschlossen? Also ich glaube nicht, dass es ernst zu nehmende Bestrebungen gibt in den albanischen Regionen des Balkan, die gegenwärtigen Staatsgrenzen in Frage zu stellen. Wir leben ja auch im 21. Jahrhundert und nicht mehr im 19. Im übrigen sind die Zukunftsperspektiven des Balkan die europäischen Perspektiven; und mit der Mitgliedschaft in der EU werden auch die Staatsgrenzen praktisch an Bedeutung verlieren. 10.Wird die Lage auf dem Balkan ruhiger werden oder könnten die Spannungen im Kosovo und in Bosnien und Herzegowina neue ernsthaftere Herausforderungen bewirken? Es gibt natürlich im Kosovo und in Bosnien und Herzegowina schwerwiegende Probleme mit der Staatlichkeit. Ich glaube aber nicht, dass diese Probleme auf andere Regionen übergreifen werden. Auch die beiden Länder wollen ja eines Tages Mitglieder der EU werden. Diese europäische Perspektive ist stabilisierend, das merken wir jetzt schon und ich glaube, dass sie dann auch in Zukunft die Lösungsmöglichkeiten positiv beeinflussen wird. Mazedonien, das möchte ich noch sagen, ist ein positives
Beispiel in der Region. Es ist eigentlich ein Vorbild dafür wie das Zusammenleben der Ethnien gut politisch gestaltet werden kann. Ich denke hier an das Rahmenabkommen von Ohrid. Das ist wirklich ein sehr gutes Modell für diese Fragen und ein wichtiger Stabilisierungsfaktor.